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19.02.2024 | Rating | Schwerpunkt | Online-Artikel

Nachhaltigkeits-Ratings sind kaum transparent und teuer

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

6 Min. Lesedauer

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Geldanlagen sollen nicht nur Rendite bringen, sondern meist auch sozial und umweltverträglich sein. Die Finanzbranche bietet hierfür zahlreiche Produkte, die oft auf Nachhaltigkeits-Ratings basieren. Doch die Bewertungsmaßstäbe der Agenturen unterscheiden sich stark.

"Das Feld, auf dem sich Nachhaltigkeit und Finanzmarkt begegnen, hat in den letzten Jahren eine immense Dynamik erfahren. Fast alle gängigen Produkte, etwa Fonds oder Aktienindizes, sind mittlerweile auch mit einer ökologischen oder sozialen Alternative am Markt zu finden", schreiben Daniela Woschnack und Stefanie Hiß im "Handbuch Umweltsoziologie". Eine zentrale Voraussetzung für die weitere Entwicklung von Sustainable Finance sind den Springer-Autorinnen zufolge "verlässliche und vergleichbare Informationen zu den sogenannten nicht-finanziellen Kriterien, die im Kern die ökologischen, sozialen oder Governance-Aspekte der Kapitalanlage umfassen". 

Nachhaltigkeitsberichte als Rating-Grundlage

Damit sich Finanzdienstleister ein Bild von der gesellschaftlichen und umweltverträglichen Ausrichtung von Unternehmen machen und nachhaltige Anlageprodukte auflegen können, bewerten Rating-Agenturen unter anderem deren Beiträge zum Erreichen der 17 Sustainable Development Goals (SDG), zu denen sich die Vereinten Nationen bekennen. Hierfür analysieren sie Nachhaltigkeitsberichte der Konzerne sowie weitere Daten.

"Durch die Kombination von finanzieller und nicht-finanzieller Berichterstattung kann perspektivisch ein 'gesamtheitliches Bild von Unternehmen' gezeichnet werden, auf dessen Grundlage Investitionsentscheidungen getätigt und damit Finanzströme auch unter der Beachtung von Nachhaltigkeitsaspekten gelenkt werden können", so Woschnack und Hiß.

Laut einer aktuellen Marktstudie der Aufsichtsbehörde Bafin, nutzen 83 Prozent der insgesamt 30 befragten Kapitalverwaltungsgesellschaften Daten mit Bezug zu Environment, Soical und Governance (ESG) und entsprechende Ratings von externen Anbietern. "Bei deren Auswahl achten sie vor allem darauf, dass die Daten der Anbieter hochwertig und vollständig sind und die angewandte Methodik transparent ist", heißt es in der Erhebung. Ebenso relevant sind den Unternehmen Kosten, Service und die Reputation der Dienstleister.

Rating-Ergebnisse stimmen oft nicht überein

Doch eine Forschergruppe der Universitäten in Augsburg, Köln und Kassel hat nun herausgefunden, dass verschiedene Rating-Anbieter bei der Bewertung zu unterschiedlichen Ergebnisse kommen. In ihrer Studie, die im "Journal of Economic Behavior & Organization" veröffentlicht wurde, ermittelten die Wissenschaftler bei den insgesamt fünf untersuchten Rating-Agenturen eine niedrige Übereinstimmung insbesondere bei bestimmten Branchen sowie bei Klima- und Energiezielen. 

Fehlende Einigkeit bei den SDG-Ratings führt bei der Konstruktion von Portfolios, die auf diese nachhaltigen Entwicklungsziele ausgerichtet sind, zu unterschiedlichen Ergebnissen und hat auch finanzielle Folgen für die Anlegerinnen und Anleger wie für die nachhaltige Transformation der Wirtschaft", lautet das zentrale Studienergebnis. 

Auch die Mehrheit der von der Bafin befragten Finanzdienstleister kritisiert die schlechte Vergleichbarkeit. Sie geben an, dass die den Ratings zu Grunde liegenden Daten "teilweise unvollständig, von schlechter Qualität sowie zu wenig aktuell" seien. Als problematisch erachten sie vor allem unterschiedliche Bewertungskriterien und Gewichtungen. 64 Prozent sind zudem unzufrieden damit, wie ihre Rating-Anbieter auf Rückfragen reagieren. Sie wünschen sich vor allem schnellere Antworten. Neun von zehn (87 Prozent) betrachten zudem die Kosten der ihnen gelieferten ESG-Ratings als unangemessen hoch.

Mehrere Gründe für unterschiedliche Ratings

Warum die SDG-Bewertungen der Rating-Anbieter bei ein und demselben Unternehmen so unterschiedlich ausfallen, hat laut Sebastian Utz, Professor an der Universität Augsburg, mehrere Gründe: "Die Agenturen wenden verschiedene methodische Ansätze an, in denen Beiträge zu einzelnen Sustainable Development Goals verschieden priorisiert und interpretiert werden."

Als Beispiel nennt der Wirtschaftswissenschaftler "bezahlbare und saubere Energie", das siebte SDG. "Wie nachhaltig beziehungsweise grün wird Nuklearenergie bewertet? Während das Endlagerproblem weiterhin ungelöst ist und gewisse Sicherheitsrisiken nicht ausgeschlossen werden können, wird diese Art der Stromerzeugung als stabil, günstig und emissionsarm angesehen", so Utz. Bei dieser Frage hatten sich die Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union auf keine final einheitliche Lösung verständigen können. 

Ein weiterer Unterschied bei der Bewertung, beispielsweise bei Unternehmen im Gesundheitswesen, basiere darauf, ob man eher die Branche als insgesamt positiv bewerte oder sich konkrete chemische Produktionsprozesse und deren ökologische Auswirkungen ansehe.

Beim Rating fehlen wichtige Standards

Wie die Kapitalverwaltungsgesellschaften moniert auch die Forschergruppe, dass die zugrunde liegende Methode eines Ratings und dessen Gewichtung oft nicht transparent sind. Jede Agentur habe das Bestreben, ihre Bewertung als die Beste zu verkaufen. Auch wenn sich einheitlichere Standards mit der Zeit aus dem Markt heraus entwickeln können, sehen Utz und sein Augsburger Kollege Marcus Wagner die Notwendigkeit, dass die Politik regulierend einschreitet, wenn Marktakteure nicht schnell genug Verlässlichkeit erreichen. "Wie die Ratings zustande kommen, muss nachvollziehbarer sein", so Wagner.

Ebenso erschwert laut Woschnack und Hiß die fehlende Standardisierung im Reporting eine Überprüfung der von den Unternehmen offengelegten Informationen. So komme es nicht selten zum Verdacht des Greenwashings. "Eine erste Systematisierung der Darstellung in den Berichten hat die Global Reporting Initiative (GRI) als Pionierin 1997 entwickelt und seither mehrfach überarbeitet. Hier geht es jedoch lediglich um eine systematische und vergleichbare Berichterstattung und nicht um damit verbundene Mindestanforderungen", betonen die Springer-Autorinnen. 

Marcus Wagner zufolge ist die Entwicklung bei nachhaltigen Finanzprodukten "sehr dynamisch". Es gebe eine wachsende Nachfrage, was aber auch bedeute, dass sich entsprechende Ratings gut verkaufen lassen. "Es besteht die Gefahr von schlechten Produkten", urteilt der Wirtschaftswissenschaftler. Wenn Anlegerinnen und Anleger auf ein weniger gutes Ranking setzen, entstehen potenziell negative Effekte. "Einerseits ist die Rendite möglicherweise nicht so wie erwünscht. Andererseits wird die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft dadurch gehemmt und ineffizient. Und das bedeutet langfristig betrachtet auch teuer."

Daten und Methoden detailliert offenlegen

"Bei den verfügbaren ESG-Daten und -Ratings gibt es noch große Defizite. Ganz wichtig finde ich hier mehr Transparenz. Die Daten- und Rating-Anbieter sollten besser erklären, wie sie zu ihren Bewertungen kommen, welche Datenquellen sie verwenden und wie sie vorgehen, wenn ihnen bestimmte ESG-Daten fehlen", erläutert Thorsten Pötzsch, Exekutivdirektor Wertpapieraufsicht / Asset-Management bei der Bafin, in der aktuellen Ausgabe des "BaFin Journals". 

Die Behörde fordert deshalb, dass ESG-Daten- und Rating-Anbieter ihre Methoden "im Detail und auf eine verständliche und einfache Weise offenlegen sowie in einem angemessenen Zeitrahmen auf Rückfragen ihrer Kunden reagieren". Laut dem Sustainable Finance-Beirat sollten dabei vor allem 

  • die zugrunde gelegte Philosophie, also Zielaussagen, Impact oder Performance, 
  • die Beschreibung der Methodik für alle ESG-Produkte (Ratings, Scores, Datensätze), 
  • die Methodik zur Erarbeitung der Bewertung inklusive Gewichtungen, 
  • der Umgang mit fehlenden Unternehmensdaten beziehungsweise Informationen zu geschätzten Daten sowie 
  • die verwendeten Datenquellen 

offengelegt werden.

EU-weite Plattform soll für bessere ESG-Daten sorgen

Hinsichtlich der zum Teil fehlenden ESG-Datenabdeckung geht die Aufsichtsbehörde davon aus, dass das geplante zentrale europäische Zugangsportal (ESAP) der EU "mittel bis langfristig zu einer besseren ESG-Datenabdeckung im Markt führen wird". Auf der Datenplattform werden künftig finanz- und nachhaltigkeitsbezogene Informationen zu Unternehmen und Anlageprodukten veröffentlicht. 

"Unternehmen der Realwirtschaft sollen dabei ihre ESG-Daten in einem standardisierten Format dem ESAP melden", erklärt die Bafin. Kapitalverwaltungsgesellschaften, Investoren oder Rating-Anbietern erhalten über die öffentliche Plattform in Zukunft nachhaltigkeitsbezogene Unternehmensdaten frühzeitig und in einem entsprechenden einheitlichen Format.

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