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26.11.2020 | Rohstoffe | Schwerpunkt | Online-Artikel

EU will kritische Rohstoffe für die Industrie sichern

verfasst von: Thomas Siebel

5:30 Min. Lesedauer

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Rohstoffe für grüne Technologien wie erneuerbare Energien oder die E-Mobilität werden knapp. Die EU will sich rüsten: mit heimischem Bergbau, Kreislaufwirtschaft und strategischen Allianzen.

Die Wirtschaft in der EU soll bis zum Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr ausstoßen und deutlich weniger Ressourcen verbrauchen – und dabei wettbewerbsfähig bleiben. So will es der europäische Green Deal und die EU-Industriestrategie. Klar ist: Ohne die großflächige Einführung neuer Technologien in Mobilität, Energieerzeugung und Industrie wird dieser Wandel nicht gelingen. Gebraucht werden leistungsfähige Batteriesysteme, Brennstoffzellen und Traktionsmotoren. Aber auch Technologien wie die Robotik oder die additive Fertigung sind für die Industrie der Zukunft von strategischer Bedeutung. Klar dabei ist aber auch: Die Fertigung der unterschiedlichsten Hightechprodukte steht und fällt mit der Verfügbarkeit von Rohstoffen. Aufgrund der industriellen Bedarfe und der geologischen Gegebenheiten ist der Rohstoffhandel heute internationaler aufgestellt denn je. Letztlich kommt kein Industrieland an internationalen Kooperationen herum, um den eigenen Rohstoffbedarf zu decken.

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Potenziale und Grenzen internationaler Kooperation in der Rohstoffpolitik

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Die weltweiten Ressourcen sind jedoch begrenzt, und so wird sich das weltweite Rennen um Rohstoffe für neue Technologien in den nächsten Jahren zuspitzen. Allein für den Bereich der Batterietechnik benötigen die Länder der EU bis zum Jahr 2050 bis zu sechzigmal mehr Lithium und fünfzehnmal mehr Kobalt im Vergleich zu heute. Die Nachfrage nach seltenen Erden, wie sie etwa in Permanentmagneten für Elektrofahrzeuge, digitalen Technologien oder Windgeneratoren zum Einsatz kommen, könnte sich im gleichen Zeitraum verzehnfachen.

Allerdings steigt auch in anderen Weltregionen die Nachfrage nach Rohstoffen. Die Weltbank erwartet allein für relevante Metalle wie Aluminium, Kobalt, Eisen oder Lithium einen Nachfrageanstieg von mehr als 1000 Prozent bis zum Jahr 2050. Angesichts dieser Situation arbeiten Staaten wie China, die USA und Japan bereits mit Nachdruck an ihrer künftigen Rohstoffversorgung.

Technologie

Risiko bei der Rohstoffversorgung

Li-Ionen-Zellproduktion

74 Prozent der Rohmaterialien stammen aus China, Afrika und Lateinamerika

Brennstoffzelle

EU bei Platin abhängig von Südafrika, Russland und Zimbabwe

Generatoren für Windenergieanlagen

Nur ein Prozent des Rohmaterials stammt aus der EU

China ist Quasimonopolist für seltene Erden

Permanentmagnete

China dominiert zunehmend Angebot von seltenen Erden und Borat

Robotik

EU produziert nur zwei Prozent der 44 benötigten Rohmaterialien, China 52, Südafrika 15 und Russland neun Prozent

Additive Fertigung

China liefert 35 Prozent der benötigten Rohstoffe Kobalt, Hafnium, Niobium, Scandium, Tungsten, Vanadium, die EU nur neun Prozent

Auch die EU will nun mit einer Reihe von Maßnahmen die Rohstoffversorgung für die heimische Industrie langfristig sichern. Der Aktionsplan zu kritischen Rohstoffen, den die EU-Kommission im September vorgelegt hat, fußt auf vier Säulen: Wertschöpfungsketten innerhalb der EU stärken, Kreislaufwirtschaft voranbringen, den EU-weiten Bergbau ausweiten und die Beschaffung aus Drittländern diversifizieren.

Europäische Rohstoffallianz sichert Lithium und seltene Erden

Insbesondere bei Rohstoffen wie Lithium oder seltenen Erden ist die EU stark von Drittländern abhängig. Zwar wird Lithium auch innerhalb Europas gefördert, die Verarbeitung erfolgt bislang jedoch vollständig außerhalb von Europa. Bis 2025 sollen 80 Prozent des EU-Bedarfs aus europäischen Lagerstätten stammen. Seltene Erden importiert die EU zu 98 Prozent aus China. Um die Lieferketten widerstandsfähiger zu machen, will die EU nun Lagerbestände erweitern und Partnerschaften zwischen Verarbeitern und Verbrauchern kritischer Rohstoffe stärken und diversifizieren. Die kürzlich gegründete Europäische Rohstoffallianz soll dazu Interessensträger wie Forschungsorganisationen oder Investoren zusammenführen und im ersten Schritt die Versorgung mit seltene Erden und Magnete sichern. Zudem unterstützt die  Europäische Investitionsbank mit einer neuen Finanzierungspolitik öffentliche und private Investitionen in nachhaltige Bergbau- und Verarbeitungsprojekte für kritische Rohstoffe inner- und außerhalb der EU.

Seltene Erde, Gallium und Indium recyceln

Metalle mit einer hohen Recyclingquote wie Eisen, Zink oder Platin decken bereits mehr als 25 Prozent des Verbrauchs in der EU. Anders ist die Situationen etwa bei seltenen Erden, Gallium, oder Indium. Mit intensiverer Forschung im Bereich der Wiederaufbereitung von Abfällen sollen aber auch hier größere Mengen an Sekundärmaterialien in den Werkstoffkreislauf zurückgeführt werden. Die EU rechnet im Zuge einer intensiveren Kreislaufwirtschaft mit 7000 zusätzlichen Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2030.  Auch sollen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, kritische Rohstoffe durch unkritische mit ähnlicher Leistungsfähigkeit zu ersetzen. Entsprechende Initiativen bestehen etwa im Bereich kobaltfreier Batteriematerialien für Feststoffakkus.

Wieder mehr Bergbau in der EU

In Europas sollen wieder mehr kritische Primärrohstoffe gefördert werden. Die EU verweist auf etliche bekannte Vorkommen von Batterierohstoffen wie Lithium, Nickel, Kobalt oder Grafit in den Mitgliedsländern. Zahlreiche davon liegen in Regionen, die stark vom Kohlebergbau oder von kohlenstoffintensiven Industrien abhängen und denen in den kommenden Jahren ein Strukturwandel bevorsteht. Die dort konzentrierte Bergbaukompetenz ließe sich zur ortsnahen Ausbeutung kritischer Metalle und Mineralien übertragen.

Die Fernerkundung mittels Satelliten des Copernicus-Programms soll bei der Identifizierung neuer Rohstoffstandorte unterstützen. Bei der Fernerkundung erfassen Satelliten oder Flugzeuge tektonische Strukturen oder von der Erdoberfläche abgegebene Strahlung, über die sich wiederum auf Vorkommen verschiedener Materialien schließen lässt, wie Florian Neukirchen und Gunnar Ries in der Einführung (S. 15)  zum Buch Die Welt der Rohstoffe erläutern. So lassen sich große Landflächen auf potenzielle Lagerstätten absuchen. Auch Peter Kausch sieht neue Perspektiven für den europäischen Bergbau, allerdings unterhalb des Deckgesteins und in großen Tiefen, wie er im Kapitel Neue Technologien in Exploration und Lagerstättenentdeckung – Mit Fokus auf Aktivitäten in Europa im Buch Strategische Rohstoffe — Risikovorsorge darlegt. Deswegen solle anstelle der oberflächennahe Erkundung mehr in Bohrungen investiert werden, um zuverlässige Daten aus größeren Tiefen zu erhalten.

Kanada, afrikanische Länder und Westbalkan als Partner

Trotz aller Bemühungen wird die EU jedoch weiterhin den größten Teil der Primärrohstoffe einführen müssen. Neben einem entschlosseneren Vorgehen gegen Marktverzerrungen im internationalen Rohstoffmarkt will die EU auf Freihandelsabkommen und bilaterale Partnerschaften setzen. Erhebliches ungenutztes Potenzial sieht die EU in strategischen Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern wie Kanada, Australien oder mehreren afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern. Im Gegenzug für die Rohstoffpartnerschaften könnte die EU einzelnen Ländern bei der lokalen Regierungsführung und beim verantwortungsbewussten Bergbau unterstützen.

Auch der Westbalkan mit seinen Borat- oder Platinvorkommen sollte stärker in die EU-Lieferketten integriert werden, wie Angelika Haindl in ihrem Beitrag InvestRM – Investieren in Rohstoffe am Balkan für die Berg- und Hüttenmännische Monatshefte 4/20 erkennt. Bislang mangele es jedoch an relevanten, objektiven und  gut aufbereiteten Daten über Vorkommen und Lagerstätten. Mit einer neuen Online-Datenbank will die Wissenschaftlerin der Montanuniversität Loeben zumindest für Bosnien und Herzegowina validierte geologische Informationen von rund 120 Vorkommen kritischer Rohstoffe verfügbar machen.

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