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09.01.2023 | Synthetische Kraftstoffe | Schwerpunkt | Online-Artikel

MENA-Region könnte Wasserstoff und E-Fuels liefern

verfasst von: Christiane Köllner

5:30 Min. Lesedauer

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Wo kommen Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe künftig her? Nordafrika und der Nahe Osten gelten als aussichtsreiche Export-Kandidaten für die EU – vorausgesetzt, dass Investitionsumfeld und die Akzeptanz vor Ort stimmen. 

Um den CO2-Ausstoß im Mobilitätsbereich zu senken und die ambitionierten Klimaschutzziele zu erreichen, sind im Verkehrssektor stärkere Anstrengungen notwendig als bisher. Neben verhaltensbedingten Maßnahmen, die die Verkehrsleistungen reduzieren, stehen dafür vor allem zwei technische Optionen zur Verfügung: Zum einen die direkte Elektrifizierung des Verkehrs auf Basis erneuerbarer Energien (Elektromobilität). Zum anderen die indirekte Elektrifizierung über die Nutzung synthetischer, gasförmiger und flüssiger Kraftstoffe, die aus grünem Wasserstoff hergestellt werden (Synfuels).

Doch woher kommt der Strom aus erneuerbaren Energien, um die Nachfrage nach Wasserstoff und Synfuels zu decken? Und zu welchen Kosten könnten diese erzeugt werden? Die Energiewende mit heimischem Öko-Strom alleine kann kaum gelingen. Umso wichtiger ist es, bereits heute auch an den Import von (grüner) Energie zu denken. Dieser Problematik sind Forschende des Wuppertal Instituts, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und des Instituts für Zukunftsenergie und Stoffstromsysteme (IZES) im Projekt "MENA-Fuels" nun nachgegangen. Sie fragten insbesondere, welche Rolle zukünftig der MENA-Region (Englisch: Middle East and North Africa) bei der Versorgung Deutschlands und der Europäischen Union (EU) zukommen würde. Für die Studie sind regional hochaufgelöste Daten zu technischen Potenzialen, Produktionskosten und Investitionsumfeld vereint worden. 

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Wasserstoff und Energiewende

Die Transformation des Energiesystems hin zu einer dekarbonisierten Gesellschaft bis 2045 stellt eine große Herausforderung für die deutsche Gesellschaft dar. Betrachtet man den deutschen Primärenergiebedarf, der im Jahr 2020 zu nur 17 % aus Erneuerbaren Energien abgedeckt wurde, wird deutlich, dass das Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft mit einem Erneuerbare-Energien (EE)-Anteil von 100 % in noch weiter Ferne liegt. Eine erfolgreiche Umsetzung innerhalb von knapp zwei Dekaden ist nur dann zu erreichen, wenn der Energiesektor, aber auch die gesamte Gesellschaft einen tiefgreifenden, strukturellen Wandel erfahren.

Kosten für Herstellung bei unter zwei Euro pro Liter

Zentrales Ergebnis der Studie: Der Nahe Osten und Nordafrika hätten mit insgesamt mehr als 400.000 Terrawattstunden pro Jahr sehr große Erzeugungspotenziale an erneuerbaren Energien, so die Wissenschaftler. Dies treffe vor allem auf die Nutzung von Solarenergie in Form von Fotovoltaik und konzentrierender Solarthermie (Englisch: Concentrated Solar Power, kurz CSP) zu. Entsprechend groß seien ebenfalls die Potenziale, um Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe herzustellen. Dies gelte selbst, wenn man den langfristigen Eigenbedarf der MENA-Länder für die komplette Umstellung auf erneuerbare Energie abziehe. Abhängig vom angenommenen Entwicklungsszenario – negativ, konservativ, positiv – könnte das Exportpotenzial den deutschen Bedarf an synthetischen Kraftstoffen um das 60- bis 1.200-Fache übersteigen, geben die Forschenden an.

Auch mit geringen Gestehungskosten für synthetische Kraftstoffe punkten nahezu alle MENA-Länder. An den günstigsten Standorten könnten die Herstellungskosten im Jahr 2030 zwischen 1,92 und 2,65 Euro pro Liter liegen – und im Jahr 2050 zwischen 1,22 und 1,65 Euro pro Liter. Für diese Zahlen hätten die Forschenden Investitionskosten im mittleren Bereich angenommen und eine positive Entwicklung der Investitionsbedingungen vorausgesetzt. Das Exportpotenzial von synthetischen Kraftstoffen, die unter zwei Euro pro Liter hergestellt werden könnten, soll selbst bei negativen Investitionsbedingungen im Jahr 2050 rund 28.000 Terrawattstunden betragen. Es würde in diesem Fall vorwiegend aus Ländern mit guten technischen Potenzialen und stabilen Verhältnissen stammen. Entwickeln sich die Investitionsbedingungen positiv, beliefe sich das Exportpotenzial auf mehr als 50.000 Terrawattstunden pro Jahr. 

Stromimport lohnt sich nicht

Die Studie zeigt auch, dass der Transport von Energie von der MENA-Region nach Europa über weite Distanzen vorwiegend in Form von Wasserstoff und Synfuels erfolgen sollte. "Der Grund sind die vergleichsweisen geringen Transportkosten und die bessere Ausnutzung der Erzeugungspotenziale am Herstellungsort", heißt es von den Forschenden. Strom hingegen würde (nahezu) vollständig innerhalb Europas produziert werden, da der Stromtransport mit vergleichsweise hohen Kosten verbunden sei.

Investitionsumfeld entscheidet über potenzielle Exportregionen

Neben den Herstellungs- und Transportkosten sei für die Bewertung der Export-Potenziale den Forschenden zufolge auch das Investitionsumfeld entscheidend. Berücksichtige man mögliche Investitionsrisiken, habe dies einen entscheidenden Einfluss auf die Gesamtkosten und damit die mögliche Auswahl der Exportländer.

PD Dr. Peter Viebahn, Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien am Wuppertal Institut und Leiter der MENA-Fuels-Studie, sagt: "Unabhängig von den reinen Kostengrößen spielt die Planungssicherheit für Investoren eine zentrale Rolle. Es kommt daher darauf an, dass langfristige stabile politische Rahmenbedingungen für einen Markt von grünem Wasserstoff sowie synthetischen Folgeprodukten geschaffen werden." Gleichzeitig seien politische Stabilität und Investitionsrahmenbedingungen in den potenziellen Produzentenländern der MENA-Region wichtig. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die auf einem weltweiten Handelsmodell basierende komplementäre Analyse des IZES, die auch eine Vielzahl weiterer Länder außerhalb der MENA-Region berücksichtigt. 

Synfuels bis spätestens 2030 fast alle großskalig verfügbar

Bezüglich des Reifegrads der Technologie, die zur Produktion von synthetischen Kraftstoffen und Grundstoffen benötigt wird, kommen die Forschenden zu einer positiven Bewertung. Die Analyse zeige, dass bis 2030 fast alle betrachteten synthetischen Kraftstoffe bei stetiger Weiterentwicklung der Prozesse großskalig hergestellt werden könnten. Viele benötigte Technologien wie die Meerwasserentsalzung, Syntheseverfahren oder der Methanol-to-Gasoline-Prozess seien bereits weit entwickelt. Für zentrale Prozesse wie die CO2-Abtrennung und -Nutzung bestehe dagegen noch umfangreicherer Entwicklungsbedarf. 

Jedoch ist ein bisher wenig beachtetes Problem von grünem Wasserstoff der Grundstoff Süßwasser, wie Frank Urbansky im Artikel Elektrolyse kann zur Versalzung der Meere führen erklärt. Wird die Elektrolyse in sonnenreichen, aber wasserarmen Gegenden durchgeführt, muss Meerwasser entsalzt werden. Problematisch daran ist die Versalzung der Meere durch Entsalzungsanlagen. Für die Salzlauge, die als Reststoff des Entsalzungsprozesse anfällt, gibt es bislang noch keine sinnvolle Verwertungsmöglichkeit. Oft wird die Salzlauge einfach zurück ins Meer geleitet, was zu Umweltproblemen führt.

Inländische Versorgung berücksichtigen

Schlussendlich ist eine Voraussetzung für den Export synthetischer Kraftstoffe der umfassende Ausbau der erneuerbaren Energien in der MENA-Region selbst. Die Szenarien für die Erzeugungskapazitäten für Solar- und Windstrom zur eigenen, vollständig erneuerbaren Versorgung bis 2050 sollen zwischen 4.500 und 9.000 Gigawatt liegen. Aktuell seien solche Größenordnungen und die dafür erforderliche Ausbaudynamik noch nicht in den Ausbauzielen der meisten MENA-Länder abgebildet. Zusätzlich zum Aufbau der Produktionskapazitäten für synthetische Kraftstoffe in industriellem Maßstab müsste auch der Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich intensiviert werden. Idealerweise sollten sich laut den Forschenden inländische Versorgung und Export gegenseitig ergänzen und verstärken.

Die lokale Akzeptanz der Bevölkerung ist dabei entscheidend. Erfahrungen aus der Vergangenheit hätten gezeigt, so die Forschenden, dass allein auf den Export ausgerichtete Ausbaustrategien erneuerbarer Energien nicht zuletzt aus Mangel an Akzeptanz vor Ort zum Scheitern verurteilt seien. Der Blick auf die Potenziale müsse also immer vorrangig die inländische Versorgung berücksichtigen. Nicht zuletzt sind Megaprojekte wie die Wirtschaftsinitiative Desertec unter anderem an der großen "Kritik an der Entstehung neokolonialer Asymmetrien und neuer Abhängigkeiten zugunsten externer Akteure" gescheitert, wie die Springer-Autoren Thomas Feldhoff und Helmut Schneider im Kapitel Erneuerbare Energien und Energiewenden (Seite 238) des Buchs Georessourcen schreiben.

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Die Hintergründe zu diesem Inhalt

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Erneuerbare Energien und Energiewenden

Quelle:
Georessourcen

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Elektrolyse

Quelle:
Angewandte Elektrochemie

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