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17.05.2018 | Transformation | Interview | Online-Artikel

"Technologien verändern immer ganze Industrien"

verfasst von: Anne Steinbach

6 Min. Lesedauer

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Der Rechtsanwalt 4.0 hat einen Roboter in der Kanzlei stehen und Daten in einer Cloud gespeichert. Doch bis es dazu kommt, wird es dauern, findet Legal Tech-Experte Holger Zscheyge.

Springer Professional: Recht und Technik passten im deutschen Anwaltsmarkt lange nicht zusammen. Wieso jetzt auf einmal?

Holger Zscheyge: Anwälte sind von Natur aus konservativ und durch ihre Ausbildung anthropozentrisch orientiert. Die Überzeugung, dass ein juristisches Problem nur durch einen Menschen, nicht durch eine Maschine, gelöst werden kann, sitzt tief. Außerdem funktionierte ja das etablierte Geschäftsmodell – Abrechnung nach Zeitaufwand – lange Jahre hervorragend. Warum sollte man da Technologien einsetzen, um die Arbeit schneller zu erledigen?

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Einsatzbereiche von Legal Tech

In Kap. 2 werden die einzelnen Einsatzbereiche von Legal Tech vorgestellt und anhand von Produktbeispielen konkretisiert. In zusammengefasster Form wird sodann das Veränderungspotenzial der Legal-Tech-Produkte im Hinblick auf die juristische Tätigkeit aufgezeigt.


Und was hat sich dann geändert?

Die globale Finanzkrise im Jahre 2008 hat Unternehmen, die wichtigsten Kunden von Rechtsdienstleistungen, gezwungen, über das Geschäftsmodell ihrer Rechtsberater nachzudenken und auf Kostensenkungen durch Prozessoptimierung zu drängen. Richard Susskind hat in seinem Buch "Tomorrow’s Lawyers" drei Treiber für fundamentale Veränderungen in der Branche zusammengefasst:

  1. die Herausforderung "More for Less" (Unternehmen fordern mehr Leistung für weniger Geld)
  2. Digitalisierung (alle Geschäftsprozesse in Kanzleien werden radikal digitalisiert)
  3. Liberalisierung von Märkten (Rechtsberatung kann nicht nur von Anwälten erbracht werden)

Der Druck der Klienten, zusammen mit nachweislichen Erfolgen von Kanzleien mit starker Technologieaffinität, führt langsam dazu, dass Anwälte sich gegenüber Legal Tech öffnen. Der Hype um die Technologien in den vergangenen zwei Jahren hat sicher auch mit dazu beigetragen.

Sicherlich gibt es im Bereich Legal Tech jüngere Entwicklungen, deren Dimensionen neu sind und einen Teil des Rechtsmarkts nachhaltig verändern können. Dazu zählen vor allem Anwendungen künstlicher Intelligenz, Smart Contracts und die Blockchain-Technologie. Haben Sie hier Bedenken?

Technologien verändern immer ganze Industrien, und die Rechtsberatungsbranche ist da keine Ausnahme. Anwälte werden sich an die Herausforderungen, welche die genannten Technologien mit sich bringen, anpassen müssen. Grund für Bedenken sehe ich aber nicht. Wir sollten versuchen, die positiven Aspekte von Technologien zu nutzen und weniger über theoretische Gefahren debattieren. Ein Koch geht auch nicht jeden Tag mit dem Gedanken zur Arbeit, dass ihm jemand ein Küchenmesser in den Rücken rammen könnte. 

Mir gefällt der Vergleich von Kevin Kelly, dem ehemaligen Chefredakteur von "Wired", von künstlicher Intelligenz (KI) mit Elektrizität. KI wird einfach Bestandteil von vielen technologischen Lösungen sein, ohne dass wir das noch bemerken werden. Und dies wird uns das Leben und die Arbeit erheblich vereinfachen. Genauso, wie Elektrizität das Waschen oder Geschirrspülen vereinfacht hat. 

Aber die Digitalisierung soll auch Jobs kosten ...

Natürlich kommt es zu Verwerfungen beim Betriebsmodell, in deren Verlauf Juristen durch Technologien ersetzt werden. Das Bucerius Center for the Legal Profession hat zusammen mit der Boston Consulting Group diese Änderungen analysiert. Das heute bei den meisten Kanzleien übliche Betriebsmodell in Form einer Pyramide, mit wenigen Partnern an der Spitze und vielen Anwaltsgehilfen und Rechtsreferendaren an der Basis, wird sich in ein "Raketenmodell" mit einer schlanken Kernstruktur aus Juristen verwandeln. Die früher von den Mitarbeitern an der Basis der Pyramide erledigten Jobs übernehmen Nichtjuristen (Legal Engineers, Project Manager) und Legal Tech-Lösungen. Nach einer Analyse der Oxford University liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Anwaltsgehilfen durch Algorithmen ersetzt werden, bei 94 Prozent. Bei Anwälten selbst liegt die Wahrscheinlichkeit jedoch bei nur 3,5 Prozent.

Was müssen Anwälte und Berater in Bezug auf Datensicherheit und Legal Tech beachten?

Im Prinzip nichts anderes, als im Umgang mit persönlichen Daten von Mandanten bisher üblich war. Technische Lösungen ersetzen nicht vollständig die persönliche Wachsamkeit und Vorsorgepflicht. Das schwächste Element in der Abwehr von Angriffen auf die Sicherheit von Daten ist überwiegend der Mensch. Neue Technologien bringen hier eher neue Herausforderungen, wie der Skandal um das besondere Anwaltspostfach zeigt. 

Anwälte sollten sich bewusst sein, dass es einfacher ist, Daten aus einem Praxismanagementsystem in einem schlecht geschützten Netzwerk oder von einem unverschlüsselten Notebook zu stehlen, als aus einem Aktenschrank in der Kanzlei. Ein Experte benötigt im Schnitt 30 Sekunden, um an die Daten auf einer unverschlüsselten Notebookfestplatte zu kommen, auch wenn Sie den Zugang zu Windows mit einem Passwort versehen haben.

Der Anwalt und die Berater werden nie vollständig durch Roboter und Computersysteme ersetzt werden – oder doch?

Sobald man auf einer beliebigen Veranstaltung für Juristen das Thema "Roboter" zur Sprache bringt, beginnt sofort eine Debatte darüber, wann Juristen durch Roboter ersetzt werden. Zuerst einmal sollte man nüchtern das Potential von künstlicher Intelligenz zur Lösung komplexer Probleme betrachten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder Leser dieser Zeilen nicht den Tag erleben wird, an dem künstliche Intelligenz auf dem Niveau menschlicher Intelligenz existiert. Und selbst dann, sofern die gesamte Anwaltschaft in den nächsten 100 Jahren nicht vollständig intellektuell degradiert, wird eine Maschine bei komplexen Sachverhalten keinen Menschen ersetzen.

Bei der ganzen Diskussion wird jedoch vernachlässigt, dass künstliche Intelligenz schon heute eine ganze Reihe von monotonen, hochspezialisierten Aufgaben besser und schneller erledigen kann, als ein Mensch. Gerade bei der Bearbeitung großer Mengen von Information innerhalb enger Parameter (Contract Review, Legal Research, Predictive Analytics) ist ein Algorithmus heute schon besser, als ein Anwaltsgehilfe. Anwälte sind gut beraten, diese Instrumente auch zu nutzen. Die Gefahr, dass ein Anwalt durch einen Roboter ersetzt wird, ist weitaus geringer als die Gefahr, dass er durch einen Anwalt mit besseren technischen Tools ersetzt wird. 

Was sind die vier wichtigsten Legal Tech-Trends, die in nächster Zeit auf uns zukommen werden?

Wenn wir von Trends sprechen, die nicht nur einzelne Produktgruppen wie E-Discovery oder Practice Management betreffen, dann würde ich folgende vier wählen:

Künstliche Intelligenz: In diesem Bereich wird sich in nächster Zeit viel Interessantes entwickeln, vor allem bei der Verwendung von AI bei Chatbots und der Analyse von Big Data. Bei letzterem werden wir eine Weiterentwicklung von Predictive Analytics zu Prescriptive Analytics beobachten, das heißt, Algorithmen werden nicht nur Vorhersagen aus der Datenanalyse treffen, sondern auch Strategien (zum Beispiel für die Prozessführung) erarbeiten.

Cybersecurity: Die Sicherheit von IT-Systemen wurde in der Rechtsberatungsbranche lange vernachlässigt. Nachdem in den letzten Jahren einige sehr große Kanzleien Opfer von Cyberattacken wurden, und die Sicherheit von Daten auch durch Regulierung (GDPR) zur Chefsache gemacht wurde, werden Anwälte verstärkt in Cybersecurity investieren müssen.

Legal Operations: Bei Rechtsabteilungen wird sich der Trend zur Umwandlung in eine vollwertige Unternehmenseinheit fortsetzen. Dem General Counsel wird ein Chief Legal Operations Officer zur Seite gestellt, der alle nichtrechtlichen Prozesse in der Abteilung managt. Entsprechende Softwarelösungen werden die Unternehmensjuristen dabei unterstützen.

Blockchain/Smart Contracts: Wenn sich der Hype um die Blockchain gelegt hat, werden auch Juristen ernsthaft über Anwendungsmöglichkeiten für diese Technologie nachdenken. Technische Lösungen wie Integra Ledger, die erste Blockchain-Plattform für Juristen, und das dazugehörige Global Legal Blockchain Consortium werden diese Entwicklung unterstützen. Smart Contracts werden neue Herausforderungen für Anwälte bringen, sowohl bei der Erstellung als auch bei der Behandlung von Streitfällen aus Smart Contracts.

Mehr zum Thema "Legal Tech  – Schnelligkeit vesus Datensicherheit? Auswirkungen auf Rechtsanwälte und Berater" wird Holger Zscheyge beim diesjährigen Turnaroundkongress, der am 7. und 8. Juni in Köln stattfindet, vortragen.

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