Skip to main content

28.05.2015 | Vertriebskanäle | Interview | Online-Artikel

"Immer mehr Vertriebsmodelle mit eingebautem Verfallsdatum"

verfasst von: Eva-Susanne Krah

3:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Der Industrievertrieb steht unter neuen Vorzeichen. Tobias Umbeck von Bain & Company erklärt im Interview mit Springer für Professionals, wie Unternehmen sinnvoll in den Umbau ihres Vertriebs investieren können.

Herr Umbeck, Ihre Studie ergibt, dass es für Vertriebsunternehmen zunehmend schwieriger wird, Geld zu verdienen, weil Kunden anspruchsvoller werden und die Vertriebskosten steigen. Was können Unternehmen dagegen tun?

Umbeck: Das stimmt, fast 70 Prozent der Führungskräfte in Industrieunternehmen kämpfen mit abnehmender Kundenloyalität und viele haben die steigenden Ansprüche ihrer Kunden als ernsthafte Herausforderung verstanden. In meiner Praxis sehe ich immer mehr Vertriebsmodelle mit eingebautem Verfallsdatum – da ist mit einer Erhöhung der Vertriebsausgaben oder ein wenig Prozessoptimierung wenig zu machen. Die erfolgreichsten Unternehmen starten ihre Bemühungen mit einem frischen Blick auf ihre Kunden, deren verschiedene Bedürfnisse und Differenzierungsmerkmale sowie natürlich ihre Profitabilität. Im B2B-Vertrieb brauchen Sie tiefes Kundenwissen auf Einzelaccount-Ebene und ein Verständnis über die Entscheidungsstrukturen und -prozesse. Nur auf dieser Basis gelingt es, ein entsprechendes neues Vertriebssystem aufzubauen.

Welche Stellschrauben bietet der Online–Vertrieb, um effizienter zu werden und gleichzeitig die Kundenbedürfnisse zu erfüllen?

Weitere Artikel zum Thema

Es genügt nicht, nur einen Vertriebskanal zu optimieren. Die Unternehmen müssen sich über ihre digitalen Fähigkeiten insgesamt klar werden und darüber nachdenken, wie sie ihren digitalen Kundenangang gestalten wollen. In den letzten Jahren ist viel Stückwerk entstanden, nach dem Motto „Jetzt haben wir auch eine App“. Sinnvoll ist das Ganze aber erst, wenn es gelingt, die verschiedenen Elemente in einem integrierten Ansatz zusammenzuführen. Denn: Die Kunden haben sich heute oft schon vor dem Erstkontakt mit einem Unternehmen umfassend informiert und wissen sehr genau, was sie wollen. Der Anbieter muss sich also fragen: Ermöglicht mein digitales Angebot einem potenziellen Kunden den Einstieg in den Vertriebsprozess? Und wie sieht die differenzierte, positive Erfahrung aus, die ich diesem Kunden bieten möchte?

Wo müssen aus Ihrer Sicht Vertriebsteams am meisten investieren, damit der B2B-Vertrieb lohnende Gewinnsteigerungen für die Unternehmen bringt?

In unserer Studie glaubt nur ein knappes Drittel der Industrie-Führungskräfte, dass ihre Vertriebsmitarbeiter die richtigen Kompetenzen haben. Neben Qualifizierungsmaßnahmen ist oft auch die Anpassung der Vertriebsmannschaft und ihrer Rollen Teil der Antwort. In vielen Branchen ist die Zeit der Alleskönner im Vertrieb vorbei. Es kommt mehr denn je auf den richtigen Einsatz von Experten an – zum richtigen Zeitpunkt, bei den richtigen Kunden, für einen begrenzten Zeitraum. Diese Orchestrierung ist nicht einfach. Denn unsere Studie belegt, dass lediglich 40 Prozent der Key Accounter gute Kenntnisse über die Einkaufsprozesse ihrer Kunden haben. Hier müssen die Unternehmen ansetzen, denn bevor sie in den Umbau ihres Vertriebs investieren, ist eine faktenbasierte Diagnostik notwendig.

Was sind aus Ihrer Sicht jetzt die größten Herausforderungen beim notwendigen Umbau der Vertriebsstrukturen mit Blick auf die starke Digitalisierung und das veränderte Kundenverhalten im Industrievertrieb?

Das hängt von der jeweiligen Branche und ihrer Ausgangslage ab. Für alle gilt jedoch: Immer anspruchsvollere und besser informierte Kunden setzen die Anbieter unter Druck. Wir haben mit hunderten globaler Unternehmen sechs kritische digitale Fähigkeiten identifiziert, die jedes Unternehmen entwickeln sollte. Dazu gehört zum Beispiel die Fähigkeit, auf Einzelkundenbasis und in Echtzeit eingehende Informationen zu erheben, zu analysieren und in Handlungsempfehlungen übersetzen zu können.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein Industrieunternehmen hat beispielsweise die Echtzeitüberwachung des beim Kunden installierten Maschinenparks eingeführt. Die Maschinen sind dabei mit einem Zentralrechner verbunden, der jede Minute große Datenmengen auswertet. Sobald eine Maschine nicht mehr optimal läuft, erhält der Kunde konkrete Handlungsempfehlungen oder ein Servicetechniker wird alarmiert noch bevor ein Problem auftritt. Erreicht eine Maschine das Ende ihres Lebenszyklus, weiß der Vertrieb das und kann rechtzeitig maßgeschneiderte Angebote präsentieren. Das ist ein Beispiel, wohin die Reise geht. Die meisten Industrieunternehmen stehen jedoch noch ganz am Anfang dieses Weges.

Zur Person
Dr. Tobias Umbeck ist Partner bei Bain & Company in München. Er hat Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe studiert, einen MBA an der Temple University in Philadelphia absolviert und über strategisches Management an der Universität der Bundeswehr in München promoviert.
print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt