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Erschienen in: Organisationsberatung, Supervision, Coaching 1/2023

Open Access 28.02.2023 | Buchbesprechungen

Was ist Supervision?

verfasst von: Prof. Dr. Stefan Busse

Erschienen in: Organisationsberatung, Supervision, Coaching | Ausgabe 1/2023

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Getrud Siller (2022): Supervision – eine grundlegende Einführung. Stuttgart: Kohlhammer, Urban Taschenbücher, 2022, 131 S., 29,00 €.
„Was ist Supervision?“ – mit dieser Frage eröffnet die Autorin ihre „grundlegende Einführung“ in die Supervision. Es ist die Frage, die sich sowohl Supervisionsunkundige, Supervisionsnoviz:innen als auch manchmal Meister:innen (Expert:innen) des Fachs (der Praxis) immer wieder stellen. Das Buch verspricht grundlegendes Orientierungswissen zu bündeln – allerdings weniger für interessierte Kund:innen und Klient:innen, sondern für drei Kreise von Leser:innen: Zum ersten für Studierende und Auszubildende der Supervision, die hier einer erste Orientierung über das Beratungsformat bekommen können. Insofern ist es ein „Lehrbuch“. Zum zweiten richtet es sich an Lehrende und Ausbildner:innen, insofern ist es auch ein „Lehrendenbuch“. Und: Es richtet sich zum dritten an Wissenschaftler:innen. Insofern ist das Buch auch ein Beitrag zum Fachdiskurs.
Das ist anspruchsvoll, weil nicht nur allen Leser:innen ein Gewinn versprochen wird, sondern damit auch die Spannung unterschiedlicher Expertise- und Aneignungsgrade supervisorischen Könnens (Wissens) entsprochen werden muss. Die Kapitel zwei, drei, fünf und sechs sind, wie in der Einführung zum Buch vermerkt, vor allem für Studierende gedacht, die Kapitel zwei und vier richten vor allem am Lehrende und Wissenschaftler:innen.
Eigentlich sollten wohl alle alles lesen, weil man auch nur so den wirklichen Mehrwert des gut, klug und dicht komponierten Buches mit seinen aufschlussreichen Querverweisen gewinnbringend erfassen kann. Gleichwohl mag es die sehr metatheoretische Diktion des Buches den noch nicht so eingelesenen Anfänger:innen schwer machen, den vor allem professionstheoretischen Argumentationslinien, dem über weite Strecken professionssoziologischen „Sprech“ zu folgen. Hier hat der Text durchaus etwas Hermetisches. Die Autorin wählt diese argumentative Flughöhe vermutlich auch, um in dem beschränkten Rahmen des schmalen Buches nicht einzelne konkrete, an das supervisorische Handeln anschlussfähigere Konzepte aus dem Arsenal möglicher schulenspezifischer oder integrativer Konzepte prämieren zu müssen. So beantwortet das Buch die Frage: „Was ist Supervision?“ vor allem aus der Höhe des supervisorischen Metadiskurses.
Gleichwohl wird in der Einführung darauf verwiesen, dass in den beispielhaft gewählten Handlungsansätzen die „psychoanalytisch-gruppendynamisch fundierte Ausbildungssozialisation der Autorin als Supervisorin zum Ausdruck (z. B. szenisches Verstehen, Arbeit mit Spiegelphänomenen)“ komme (S. 8). Das spiegelt die Crux des Textes, aber vermutlich überhaupt die eines Einführungsbuches oder gar die der Supervision selbst wider. Es gibt einen Metadiskurs darüber, was Supervision ist oder sein sollte, und es gibt (Handlungs‑)Konzepte, die sich Supervisor:innen in ihrer „Ausbildungssozialisation“ zu eigen machen, die aber nur zufällig und kursorisch in das supervisorische Handeln eingehen bzw. in diesem irgendwie durchschimmern. Das ist der Autorin nicht nur klar, sie kennzeichnet dies sogar als den Kern eines „pluralistischen Supervisionsverständnisses“. Sie verweist mehrfach darauf, dass die „Vorstellung einer integrativen, Einheit suggerierenden Supervisionstheorie mit daraus abgeleiteten Verfahren nicht möglich ist“ (S. 39). D. h., das was Supervisor:innen angesichts einer Problemdiagnose tun (welche Verfahren sie anwenden), hinge weniger von der Diagnose ab (am ehesten noch bei integrativen Ansätzen), sondern pragmatisch davon, was die einzelnen Supervisor:innen „in der Supervisionsausbildung oder im Supervisionsstudiengang gelernt und habitualisiert“ (S. 39) haben. Damit ist zwar ein Gutteil gängiger Praxis beschrieben oder wie Praktiker:innen beschreiben würden, was sie tun. Für ein Lehrbuch und die Supervisionsanfänger:innen wäre es aber gerade spannend und aufklärend gewesen, wenigstens exemplarisch zu erhellen, wie sich eine Problemdiagnose und erst recht eine supervisorische Intervention ändern, wenn sich die konzeptuellen Verfahrensperspektiven (die konzeptuelle Optik) verschieben und dass dies nicht allein den sozialisatorischen Zufällen der Supervisor:innen überlassen ist. Zudem könnte man die Autorin dort, wo sie selbst illustrierend konkrete Konzepte einbringt und beschreibt – z. B. szenisches Verstehen, Spieglungsphänomene – auch so verstehen, dass hier von ihr Teilkonzepte beschrieben werden, die eigentlich zum Grundkanon supervisorischen Verstehens und Handelns gehören (sollten).
Also: Wir haben es mit diesem Grundlagentext vor allem mit einer metatheoretischen Einführung in das Format die Supervision zu tun. Was ist Supervision? Die Autorin gibt darauf wichtige professionstheoretische Antworten, die mit mancher Unschärfe und Unklarheit in den Debatten darüber, „was Supervision ist“, aufräumen. Die Verfahrensebene – das Know-how neben dem Know-what – bleibt dabei nicht völlig außen vor. Dazu skizziert die Autorin wichtige Brücken- und Vermittlungskonzepte (s. unten). Ein wenig mehr Orientierung, wie sich hier Format‑, Verfahrens‑, Konzept‑, Methodenebene etc. zueinander verhalten, wäre vermutlich für Einsteiger:innen aber hilfreich gewesen. Insofern haben wir vielleicht weniger eine „grundlegende Einführung“, sondern eine „einführende Grundlegung der Supervision“ vor uns. Soweit vorab erst einmal der globale Eindruck, den das Buch vermittelt. Damit sind aber seine Potenzen noch nicht benannt.
Kapitel 2 skizziert den „supervisorischen Blick“ in einer Trias von „Mehrperspektivität“, „dialogsicher Grundhaltung“ und „rekonstruktivem Gegenstandsbezug“. Hier wird sozusagen das methodologische Mantra des supervisorischen Handelns zwischen Haltung (Habitus) und Handwerk beschrieben. Es ist ein ankerbildendes Metakonzept, in dem sich supervisorisches Handeln – was auch immer in der konkreten supervisorischen Praxis getan, gedacht und gesagt wird – immer wieder verorten kann und sollte. Dieses Kapitel ist zugleich der Epilog zu der professionstheoretischen Lesart von Supervision, aus der die Autorin vor allem den Zuständigkeitsbereich der Supervision ableitet. Supervision ist ausschließlich ein Beratungsangebot für besondere berufliche bzw. arbeitsweltliche Akteur:innen, die den Professionen zugehören, mithin, deren Tun einen professionalisierten Handlungskern aufweisen, d. h. für berufliche Akteur:innen, die ihre Arbeit im Rahmen eines „Arbeitsbündnisses“ verrichten, deren praktisches Tun „nicht standardisierbar ist und die einen professionellen Habitus“ haben und auf das gesellschaftliche Gemeinwohl orientiert sind (also Sozialarbeiter:innen, Ärzt:innen, Pflegekräfte, (Psycho‑)Therapeut:innen etc.).
Diese professionstheoretische Argumentation wird in Kapitel 4, welches sich ja vor allem an Lehrende und Wissenschaftler:innen wendet (!), noch einmal ausführlich aufgegriffen, um die strukturelle Ähnlichkeit von supervisorischem Handeln und dem beruflichen Handeln ihrer Kundin:innen als professionalisierte Praxis zu beschreiben.
Damit formuliert die Autorin aber nicht einfach einen allgemein geltenden State of the Art von Supervision, sie bezieht damit explizit eine Position innerhalb der Community der Supervisor:innen. Diese Position schließt nicht nur Berufsgruppen mit hohem Reflexionsbedarf, sondern auch Tätigkeiten im Alltag von Professionellen aus, die nicht allein und ausschließlich im „Arbeitsbündnis“ mit Klient:innen erbracht werden. Dazu zählen eine Reihe von verwaltenden, steuernden, managerialen, kollaborativen, dienstplanenden, dokumentierenden, politischen etc. Handlungen. Auch wenn diese mit der Erfüllung der professionellen Primäraufgabe verbunden sind (sein sollten), weisen sie doch eine reflexionsbedürftige Eigenlogik auf.
Zudem schließt der Fokus auf den „professionalisierten Kern“ von Arbeit aus, dass diese immer auch als Erwerbsarbeit erbracht wird, aus der sich bekanntlich ein Gutteil supervisorischer Anliegen speisen. Nun kann man der Autorin nicht übelnehmen, dass sie diese Position vertritt, man muss ihr für ihre konzeptuelle Klarheit sogar dankbar sein. Schade ist nur, dass sie diese nicht als Position kenntlich macht. Den Supervisionsanfänger:innen, die ein Lehrbuch zur Hand nehmen, darf man durchaus zumuten, zu erfahren, dass es hier Dissens in der Community und eine widersprüchliche Praxis gibt, die sich vor allem an der offenen Demarkationslinie zwischen Supervision und Coaching entfaltet. Interessant ist, dass die Autorin an anderen Stellen im Buch ihren eigenen Standpunkt wieder zu konterkarieren scheint, indem sie ganz allgemein von „supervisorischer Reflexionspraxis zu Wahrnehmungs- und Handlungsweisen von Menschen in der Arbeit- und Berufswelt“ (S. 24) schreibt.
Kapitel 3 unternimmt eine komprimierte Rekonstruktion der Supervisionsgeschichte als „kritisches Emanzipations- und Aufklärungsinstrument“, die vor allem zu einer beachtlichen Erweiterung ihres Gegenstandsbereichs und ihres Selbstverständnisses geführt hat. Diese kann als Ausdifferenzierungs- und Professionalisierungsprozess beschrieben werden. Für Anfänger:innen stoßen solche historischen Ausflüge vielleicht nicht immer auf Anhieb auf Interesse. Sie sind aber im guten Sinn belehrend, weil sie die DNA dieses Beratungsformats verstehbarer machen. Die Autorin setzt diese geschichtsbedingte Gewordenheit dann auch mit aktuellen Herausforderungen einer sich transformierenden Arbeits- und Berufswelt ins Verhältnis, die Supervisor:innen immer wieder zwingt, ihr Selbstverständnis und ihre Angebote neu zu justieren und zu klären.
Kapitel 4 nimmt, wie bereits erwähnt, in den Blick, was die Professionalität von Supervision ausmacht. Eine professionstheoretische Skizzierung der „Handlungsstruktur professionalisierter Supervision“ wird unternommen. Hier wird deutlich, wie unterschiedliche Wissensformen und diverse Rollenanteile im Arbeitsbündnis mit den Supervisand:innen vermittelt werden müssen. Die Supervision agiert zudem als „Grenzgängerin“, „Übersetzerin“ und „Brückenbauerin“ zwischen personaler, interaktionaler und organisationaler Ebene, aber auch zwischen den „gebrochenen Handlungslogiken“ vor allem in Dienstleistungsorganisationen. Für Supervisionsanfänger:innen dürften dann die skizzierten „grundlegenden Verfahrensweisen“, das „Wie“ professionalisierten Handelns von besonderem Interesse sein. Die Einheit von „Aufgaben- und Prozessorientierung“, das „triadische Vorgehen“ und die Spannung zwischen „Parteilichkeit und Allparteilichkeit“ vermitteln hier zentrale Meta-Orientierungen.
Kapitel 5 skizziert dann, was in einem Lehrbuch notwendig wie erwartbar ist, die unterschiedlichen Supervisionsformen und -settings (Team‑, Fall‑, Gruppen- und Einzelsupervision). Für Lernende sind diese Abschnitte instruktiv, weil in ihnen die unterschiedlichen Fokusse und Ablauflogiken in den Settings gut beschrieben werden.
Vertieft wird dies dann noch einmal im Kapitel 6, in welchem die Ablauflogik und „Prozessstruktur“ einer Supervision bzw. eines Supervisionsprozesses (von der Akquise bis zum Abschluss der Supervision) idealtypisch nachgezeichnet wird.
Die Fallbeschreibung einer Teamsupervision im abschließenden Kapitel 7 zeigt dann sehr eindrücklich, dass es in der Praxis einerseits so idealtypisch nicht zugeht, dass Supervisionen nicht einfach so durchlaufen, wenn man glaubt, die oben skizzierten Maximen zu beherzigen. Die Praxis von Supervision ist durchaus ein widerständiges und mühsames Unterfangen für alle Beteiligten. In der Fallbeschreibung wird aber deutlich, dass die von der Autorin skizzierten konzeptuellen Meta-Folien einer dialogisch-rekonstruktiven Praxis hier gerade Anfänger:innen Halt und Orientierung geben können.
Alles in allem hat Getrud Siller mit ihrer „grundlegenden Einführung“ einen substantiellen, anregenden und herausfordernden Beitrag in der schmalen Landschaft einführender Grundlagenliteratur für das Beratungsformat Supervision geliefert.
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Metadaten
Titel
Was ist Supervision?
verfasst von
Prof. Dr. Stefan Busse
Publikationsdatum
28.02.2023
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Organisationsberatung, Supervision, Coaching / Ausgabe 1/2023
Print ISSN: 1618-808X
Elektronische ISSN: 1862-2577
DOI
https://doi.org/10.1007/s11613-023-00807-5

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