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12.04.2022 | Arbeitsrecht | Interview | Online-Artikel

"Eine Vier-Tage-Woche ist nicht ohne weiteres etablierbar"

verfasst von: Andrea Amerland

3:30 Min. Lesedauer

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Belgien ermöglicht Beschäftigten eine Vier-Tage-Woche. Auch hierzulande wünschen sich Arbeitnehmer dieses Modell. Springer Professional sprach mit Fachanwalt Christoph Hexel über die rechtlichen und organisatorischen Hürden in Deutschland. 

Der Arbeitnehmertraum von der Vier-Tage-Woche nach belgischem Muster könnte an der deutschen Realität zerplatzen. Wo sehen Sie hierzulande die größten Hürden für eine Umsetzung?

Die größten Hürden lägen weniger im rechtlichen Bereich, sondern vielmehr im Tatsächlichen: Solange sich Kunden und Verbraucher weiterhin auf übliche Servicezeiten für Dienstleistungen und Erreichbarkeit verlassen, wird eine Vier-Tage-Woche nicht ohne weiteres etablierbar sein. Ein freier Freitagnachmittag hat sich in verschiedenen Bereichen recht gut umsetzen lassen; ob dies aber auch für einen komplett freien Tag machbar wäre, darf man bezweifeln.

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Arbeitszeiten flexibel gestalten – Leitsätze für eine moderne Arbeitszeitkultur

Arbeits-(Zeit-)Gestaltung in Unternehmen unterliegt einem beständigen Wandel. Verantwortlich für diesen Wandel sind vielfältige soziale, politische, technologische und ökonomische Faktoren. Nicht zuletzt spielt das Anliegen einer gelingenden Vereinbarkeit von Beruf, Familie und weiteren Lebensbereichen eine Rolle.

Ein anderes Problem könnte sich gesellschaftspolitisch ergeben, weil sich für eine Reihe von Branchen ein Geschäftsbetrieb an nur vier Tagen in der Woche gar nicht darstellen ließe. Dazu zählen neben Notversorgung und Daseinsvorsorge auch Branchen mit direktem Endkundenbezug, bei denen Handel, Konsum und Freizeitangebote im Vordergrund stehen.

Welche arbeitsrechtlichen Implikationen hat das Thema?

Arbeitsrechtlich ist die absolute tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden an einem Arbeitstag zu berücksichtigen (vgl. § 3 S. 2 ArbZG). In einer 40-Stunden-Woche würde diese bei einer Vier-Tage-Woche voll ausgeschöpft. Es bliebe kein Raum mehr für Überstunden. Da zwischen zwei Arbeitstagen jeweils eine Ruhezeit von wenigstens elf Stunden liegen muss, gäbe es eine Einschränkung der Flexibilität bei der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit. Wer abends einmal bis 20:00 Uhr gearbeitet hat, darf am nächsten Morgen nicht vor 7:00 Uhr wieder mit der Arbeit beginnen.

Falls Unternehmen mit wechselnden Vier-Tage-Schichten operieren wollten, müssten sie gerechte Verteilung und Inanspruchnahme gewährleisten. Unternehmen könnten auf vorhandene Praktiken wie bei Urlaubsplänen oder in sonstigen Schichtbetrieben zurückgreifen. In Betrieben mit Betriebsräten wären dann die betrieblichen Sozialpartner aufgerufen, entsprechende kollektive Regelungen zur Lage und Verteilung der Arbeitszeit zu implementieren.

Welche praktischen Probleme ergeben sich für die Arbeitsorganisation in Unternehmen?

Wegen dieser Restriktionen dürfte die größte Herausforderung darin liegen, den Ansprüchen von Kunden und Geschäftspartnern gerecht zu werden. Ausfallzeiten und ungeplante Abwesenheiten lassen sich im Rahmen eines auf vier Arbeitstage begrenzten Arbeitszeitbudgets nur schwer abfangen. Die Flexibilität, insbesondere durch die Ableistung gelegentlicher Überstunden, ist geringer, wenn an den vier Arbeitstagen ohnehin schon bis an den Rand des zulässigen gearbeitet wird.

Das belgische Modell flexibilisiert Arbeitszeit. Arbeitnehmer können das Pensum auf weniger Tage verteilen. Das kann bei einer 40-Stunden-Woche gesundheitliche Auswirkungen haben. Welche Risiken sollten Unternehmen dabei beachten?

Es gibt arbeitsmedizinische Studien, nach denen langfristig mehr als acht Stunden je Arbeitstag häufig zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Rein rechnerisch – davon geht auch das Arbeitszeitgesetz in § 3 ArbZG aus – kann man die Mehrarbeit an den vier gearbeiteten Tagen sicherlich durch den zusätzlichen freien Tag ausgleichen. Ob das arbeitsmedizinisch sinnvoll ist und welche Risiken sich tatsächlich ergeben, wenn an Arbeitstagen konsequent zehn Stunden gearbeitet würde, kann ich nicht beurteilen. Fest steht, dass jeder Krankheitstag teurer würde, weil mehr planmäßige Arbeitszeit pro Tag ausfiele.

Die IG-Metall hat im Tarifvertrag 2021 eine Vier-Tage-Woche-Option durchgesetzt. Was könnten Gewerkschaften bei der praktischen Ausgestaltung bewirken? 

Die Gewerkschaften spielen bei der Arbeitszeitgestaltung eine entscheidende Rolle. Der Gesetzgeber räumt den Tarifparteien im Arbeitszeitgesetz Möglichkeiten ein, von den sonst so starren gesetzlichen Regularien abzuweichen. § 7 ArbZG gibt den Tarifvertragsparteien, eine davon ist zwingend immer eine Gewerkschaft, Flexibilisierungsmöglichkeiten. Dieses Rechtssetzungsprivileg können die Betriebsräte oder die einzelnen Arbeitnehmer außerhalb von geltenden Tarifverträgen nicht für sich in Anspruch nehmen. 

Auch wenn es um eine gerechte Ausgestaltung und Verteilung der verdichteten Arbeitszeit ginge, läge es insbesondere an den Gewerkschaften, die Belange der Arbeitnehmer ins Spiel zu bringen. Dies käme dann zum Tragen, wenn der Arbeitgeber seine unternehmerischen Bedürfnisse und die Ansprüche und Erwartungen seiner Kunden und Vertragspartner in den Vordergrund der Ausgestaltung einer Vier-Tage-Woche stellt.

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