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2020 | Buch

Frontiers in Time Research – Einführung in die interdisziplinäre Zeitforschung

herausgegeben von: Prof. Dr. Elisabeth Schilling, Prof. Dr. Maggie O'Neill

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Über dieses Buch

In diesem Buch werden verschiedene Facetten gegenwärtiger zeitbezogener Sozialforschung beleuchtet: biografische Zeitverarbeitung, Zeitumgang und Zeiterleben in und um Bildungseinrichtungen, Innovationen in arbeitsorganisationalen Prozessen und methodologische Fragen der Zeiterforschung. Es ist ein interdisziplinäres Werk mit soziologischen, psychologischen, pädagogischen, philosophischen und wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen zu neuen Perspektiven der Zeiterforschung.

This book discusses various facets of current time-related social research: past related biographical research; present related research on time focusing upon the educational system, future-oriented innovations in working and organizational processes as well as methodological questions of time research. It is an interdisciplinary opus that includes sociological, psychological, educational, philosophical and economic approaches to frontiers in time research.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Time in Constructed Social Reality
Abstract
Time and, more precisely, time concepts are a cross-cutting issue which have been studied by different disciplines from different perspectives (see e.g. Damasio 2001 for neuroscientific research on time-induced emotions; Wittmann 2016 for psychological brain research on perception of time; Zimbardo und Boyd 2008 for socio-psychological research on time constructs and their influence on current action; Taylor 2002 on subjective time and present concepts in virtual computer games). In sociology time is often seen as a pivotal element of the social order (Elias 1984; Sorokin und Merton 1937; Bourdieu 2000; Rosa 2015, 2019; Vostal 2020). Because of this interdisciplinarity and omnipresence, dealing with the subject of time opens up diverse perspectives for looking at the construction of social reality. Time has been studied by different disciplines, eliciting various theories and concepts as a central element of the social life. This book conceptualizes time as a non-linear construct, which depends upon individual past experiences, collective historical memories, percepted present constraints and opportunities and projected futures. Our paper introduces the book and documents the wide range of different perspectives and analyses on time in current sociological research that offers Advances in research on Time.
Elisabeth Schilling, Maggie O’Neill

Time, History and Biography. Zeit, Geschichte und Biografie

Frontmatter
Umgang mit Identitätskonstruktion und Zeitwahrnehmung in der Oral History
Zusammenfassung
Die Erfahrung in der Oral History zeigt in manchen Fällen, dass persönliche Erfahrungen und historische Ereignisse unterschiedlich gewichtet werden und damit durchaus individuelle Perspektiven von Geschichte entstehen. Dieser Beitrag reflektiert den Deutungskonflikt zwischen Historikern und Gesprächspartnern, der durch abweichende Deutungsmuster zwischen Zeitgeschichte und Geschichtspolitik verstärkt werden kann.
Methodisch stützt sich die Autorin auf eine Analyse des aktuellen Diskurses mittels gezielter Literaturrecherche. Im Fokus steht, neben der biographischen Selbstkonstruktion im Zusammenhang, die Ebene der Zeitwahrnehmung. Diskutiert werden biographische Darstellungen in ihrer Interdependenz mit dem jeweiligen historisch-sozialen Kontext.
Es zeigte sich, dass biographische Erinnerungen zwar bis zu einem gewissen Grad historische Ereignisse und Prozesse beschreiben, doch vielmehr darüber aussagen, wie diese wahrgenommen und eingeordnet wurden. Der Beitrag stellt dar, inwiefern autobiografische Narrative mehr den aktuellen Zeitgeist abbilden.
Felicitas Söhner
„Heute kann ich nicht mehr behaupten, meine Eltern seien links gewesen“ – George Herbert Meads Zeit-Begriff und die biografietheoretische Analyse
Zusammenfassung
George Herbert Meads Zeitbegriff ist ein in der Interaktion zum Tragen kommendes Verhältnis aus vergangenen Erlebnissen und Ereignissen, der gegenwärtigen Situation und Zukunftsvorstellungen und -erwartungen. Dieses Verhältnis wird anhand biografisch-narrativer Interviews diskutiert und damit als vielversprechender Anknüpfungspunkt für die Biografieforschung angenommen. Denn für die Biografie ist Zeit ein strukturierendes Element im Sinne erlebter und erzählter Geschichte wie auch als Textstrukturierendes Element der Erzählung. Vier Interviews werden hierfür beispielhaft analysiert im Hinblick auf das Verhältnis aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Lena Kahle
Life-Stories in Times of Uncertain Futures: How Future Narratives are Constructed in Young Peoples’ Biographies
Zusammenfassung
Seit den 1980er Jahren hat die Zahl soziologischer Publikationen mit einer negativen Konnotation der Zukunft in Zeiten der Spätmoderne zugenommen. Obwohl dieses Phänomen häufig durch die wirtschaftlichen Entwicklungen des Postfordismus in der westlichen Welt erklärt wird, gibt es kaum Untersuchungen darüber, wie dies die Wahrnehmung der Menschen hinsichtlich ihrer Erzählungen der Zukunft beeinflussen könnte. Für dieses Forschungsprojekt wurden 22 junge Erwachsene im Alter zwischen 21 und 29 Jahren in biografisch-narrativen Interviews nach ihrer Idee, ihren Plänen und ihrer Einstellung zur Zukunft befragt. Beim Versuch, die Zukunft als Forschungsfeld der Sozialwissenschaften zu erfassen, werden einige theoretische Gedanken und Entwicklungen des Konzepts der Zukunft vorgestellt, die erklären können, wie die Zukunft in den Biografien der Befragten und in spätmodernen Zeiten konstruiert wird. Mehrere Kategorien mit unterschiedlichen Ausdrücken ermöglichen die Identifizierung zweier Gruppen: Die erste Gruppe mit linearer Wahrnehmung der Zukunft versucht, die Unsicherheit durch Planung und Nutzung stabiler institutioneller Strukturen zu minimieren. Die zweite Gruppe der episodischen Wahrnehmung konzentriert sich auf den aktuellen Status quo der Gegenwart und versucht, Entscheidungen über die Zukunft zu vermeiden. Beide stehen nach ihrem Abschluss in einer unsicheren Zukunft (akademische Prekarisierung, kurzfristige Verträge usw.), entwickelten jedoch unterschiedliche Bewältigungsstrategien, um mit der Unsicherheit der Zukunft fertig zu werden.
Ingmar Mundt
Linking Time and Space in Narrative: Nostalgia as a Chronotope
Zusammenfassung
Es ist bekannt, dass Nostalgie ein wichtiger Bezugspunkt des soziologischen Migrationsdiskurses ist. Nostalgie ist auch wichtig in Bezug auf die Verbindung von Zeit und Raum in einer Erzählung. In diesem Kapitel wird die Idee des Chronotops als kompositorische Facette der von Bakhtin (1981) vorgebrachten Verbindung von Zeit und Raum in der Literatur aufgegriffen und weiterentwickelt. Das Kapitel zeigt, wie Nostalgie chronotopisch konzeptualisiert werden kann, da sie einen verlorenen Ort und auch eine verlorene Zeit durch Erzählung verbindet. Gestützt auf eine Studie über Migration von Frauen nach Spanien im Ruhestand und ihre Suche nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit, um theoretisch Nostalgie als chronotopisches Erzählmittel zu verorten, analysiere ich, wie oft Vergangenheit in Erinnerung gerufen wird, um einen Sinn für die Gegenwart zu gewinnen. Eine Fokussierung auf die Vergangenheit – und die Konzeptualisierung der Zeit als vergänglich – wird dabei als ein Mittel zur Strukturierung und Analyse von Erzählungen angesehen.
Anya Ahmed
Constructing Biography—Constructing Identity: Changeable Concept of the Future in Migrants
Zusammenfassung
Studien zu OECD-Ländern zeigen, dass Migranten in den meisten Regionen bei Bildung und Erwerbsbeteiligung im Durchschnitt schlechter abschneiden als die im Inland geborene Bevölkerung (OECD, 2017). Migration, Akkulturationsstrategien und diverse Faktoren, die die Akkulturationsergebnisse beeinflussen, wurden ausführlich in verschiedenen Sozialwissenschaften untersucht. Die meisten psychologischen Studien wurden jedoch unter Verwendung der cross-cultural Methodologie durchgeführt und verwendeten daher eine statische Definition von Kultur, wenn Kultur zu einem Etikett und nicht zum Prozess wird. Ziel der vorliegenden interdisziplinären Studie war es, subjektive Zeitkonzepte als Teil des Kulturkapitals der Migranten zu untersuchen, die durch eingehende Interviews die Chancen, Biografien und Zugehörigkeitsgefühle des Einzelnen beeinflussen. Die Teilnehmer*innen waren Migrant*innen (sowohl aus EU- als auch aus Nicht-EU-Ländern), die für verschiedene Zeiträume (neu angekommen, 2 bis 5 Jahre, 5 bis 10 Jahre und über 10 Jahre) in Dänemark lebten. Darüber hinaus wurden die Teilnehmer*innen gebeten, Identitätskonflikte zu erörtern, die während ihrer Zeit in Dänemark aufgetreten waren und deren Integration behindern könnten. Das theoretische Konzept der Zeitkollage (Schilling, 2005, 2008) wurde angewendet und beschreibt die Vielfalt der Zeitansätze und Möglichkeiten für den Einzelnen, einen transkulturellen Zeitansatz zu erlernen. Zeitliche Horizonte (Ledgerwood, Trope, Liberman 2015) waren ein wichtiges Konzept, um zu bestimmen, wie sich die Teilnehmer ihre Zukunft und ihre Rolle bei der Integration vorstellen. Wir beobachteten verschiedene emotionale Reaktionen auf alltägliche Herausforderungen, je nachdem, ob das gewünschte Bild der Zukunft erreicht werden konnte oder nicht. Die Studie untersuchte auch Akkulturationsstrategien durch die Darstellung der Zukunft als Objekt durch den Einzelnen. Die Bedeutung des subjektiven Zeitkonzepts für eine erfolgreiche Integration von Migranten wird weiter diskutiert.
Anna Sircova, Carolyn Patterson, Elisabeth Schilling
Chrononormativität im Lebenslauf – Die sozialen Praktiken der Herstellung und De/Stabilisierung temporaler Normalität in der Lebensphase Alter
Zusammenfassung
Das kalendarische Alter stellt eine zentrale Basis für die Organisation gesellschaftlicher Prozesse dar. Konstituiert und abgesichert wird der altersgradierte Lebenslauf durch implizite und explizite Normen und Wissensordnungen, die sich in sozialen Institutionen wie Arbeit, Familie oder Rente, sowie den zugehörigen Organisationen und gesetzlichen Bestimmungen, materialisieren. Elizabeth Freeman (2010). Time Binds: Queer Temporalities, Queer Histories(Perverse Modernities). Durham [NC]: Duke University Press.) beschreibt dieses normative Zeitregime, das den Lebenslauf orchestriert, als Chrononormativität. Der vorliegende Beitrag geht dabei der Frage nach, wie Chrononormativität in sozialen Praktiken hergestellt und (de-)stabilisiert wird, und wieso (noch) keine grundsätzliche Revolte gegen das chrononormative Zeitregime stattfindet.
Praxistheoretisch kann Chrononormativität als ein prozesshaftes Vollzugsgeschehen verstanden werden, das, an mehreren Schauplätzen und unter Beteiligung verschiedener Elemente, durch kontinuierliche Wiederholung immer wieder aufs Neue hergestellt und gestaltet wird. Basierend auf einer qualitativen Längsschnittstudie, die 30 Erwachsene im Übergang von der Erwerbs- in die Nacherwerbsphase begleitet, diskutiert der Beitrag drei Dimensionen dieses Vollzugsgeschehens: erstens, die historische Emergenz von Lebensphasen und ihrer Zusammenhänge; zweitens, die Fülle von Elementen, die an der Herstellung und (De-)Stabilisierung von Chrononormativität beteiligt sind; und drittens, die verschiedenen Schauplätze, an denen sich die konstituierenden Praktiken vollziehen. Um Chrononormativität zu destabilisieren, so die Schlussfolgerung, muss diese Komplexität an verschiedensten Akteur*innen, Elementen und Schauplätzen, an denen sie vollzogen wird – vom Arbeitsplatz bis in den Körper – berücksichtigt werden.
Anna Wanka
Biografizität als „mentale Grammatik“ der Lebenszeit
Zusammenfassung
Die folgenden Überlegungen erheben den vorsichtigen Anspruch, dem schwierigen soziologischen Problem auf die Spur zu kommen, wie biografische Erfahrung entsteht und wie es dazu kommt, dass soziale Individuen einen je eigenen „Erfahrungscode“ entwickeln, der in temporaler Perspektive als durch soziale Einflüsse „konstituiert“ gedacht werden muss und doch zugleich eine höchst persönliche Konstruktion jedes einzelnen Individuums bleibt, wie also Struktur und Emergenz, soziale Konstitution und individuelle Konstruktion in einem gelebten Leben eine spezifische Melange ausbilden. Dabei soll zunächst der anregende Einfluss der modernen Neurobiologie diskutiert werden. Im Anschluss daran soll auf Innovationen und Bornierungen einer systemtheoretisch reformulierten Biografietheorie eingegangen werden. Deren Selbstreferenzialitätsblockaden lassen sich besonders anschaulich am Problem der sozialen Konstruktion von „Geschlecht“ verdeutlichen, bei der wir allerdings auch an die Grenzen des interaktionistischen Konstruktionsbegriffs stoßen. Aus diesem theoretischen Diskurs entsteht ein eigenes Konzept, das zumindest implizit an den bisher nur vorläufig entfalteten Begriff der Biografizität anschließt.
Peter Alheit

Time and Education. Zeit und Bildung

Frontmatter
Time, Power and Education. Zeit, Macht und Bildung
Abstract
Situated at the intersection of time, power and education, we elaborate an argument for diffracting temporality to eschew the arrow of time, which promulgates pressure in modern societies. Risk adverse, neoliberal systems of education often invoke temporality as a reason not to provide genuine inclusive opportunities for diverse learners. Learning it would seem, comes at the cost of genuine inclusion. Drawing on the theoretical resources of chronopolitics, risk society and relational ontologies, we demonstrate that time is frequently put to work in the service of controlling and colonising education. Technology has come to dominate education—paradoxically saving time whilst permeating the membrane the professional and the personal for teachers and students. We deploy a methodological framework to diffract the temporal, fusing the past, together with present-future simultaneously, so as to re-imagine relational ontologies in the act of becoming. Temporality is demonstrably diffracted through the methodology, in an empirical project which is undertaken with pre-service teachers on a global education program in the South Pacific. The chapter concludes with a set of principles for explicitly drawing on time to inform wider applications of educational research.
Matthew Krehl Edward Thomas, Ben Whitburn
Erweiterte institutionalisierte Freizeit an Tagesschulen und ambivalente Bedeutsamkeit aus der Perspektive von Schülerinnen und Schülern, sozialpädagogischen Fachkräften, Lehrkräften und Eltern
Zusammenfassung
Im Zuge des Ausbaus von Tagesschulen in der Schweiz findet eine Verlagerung der Freizeit in den Schulkontext statt. Schüler*innen sind während der Mittagszeit und im Anschluss an den Nachmittagsunterricht in der Schule vermehrt anwesend. Durch die ausgedehnte Freizeit im institutionellen Kontext eröffnet sich die Möglichkeit, das schulische Bildungsverständnis zu erweitern (Chiapparini et al. 2018). Dieses war bisher fast ausschließlich auf den Unterricht fokussiert und ist nun vermehrt auf politische und moralische Persönlichkeitsbildung (Scherr 2008; Mansel und Hurrelmann 2003) auszuweiten. Gleichzeitig nimmt die Befürchtung der Scholarisierung der Freizeit (Fölling-Albers 2000) zu und der Zweifel, ob mit mehr Zeit in der Schule tatsächlich „mehr“ Bildung stattfindet (Idel et al. 2009). Vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes stellt sich vorerst die Frage, inwiefern Schüler*innen die verlängerte Schulzeit und die darin stattfindende institutionalisierte Freizeit wahrnehmen und gestalten. Daran anschließend ist die Bedeutsamkeit einer erweiterten Freizeit in der Schule aus der Perspektive der sozialpädagogischen Fachkräfte, der Lehrkräfte und der Eltern zu klären. Hierzu bildet das im Rahmen des Schweizerischen Nationalfonds geförderte Forschungsprojekt zu pädagogischen Zuständigkeiten an Tagesschulen in Zürich die geeignete Datengrundlage. Es werden im Beitrag die methodologischen und methodischen Reflexionen zur Erfassung der erweiterten und institutionalisierten Zeit und des Freizeitbegriffs im Schulkontext und deren Bedeutsamkeit vorgestellt und anhand von Befunden der beteiligten Personengruppen in Tagesschulen diskutiert.
Emanuela Chiapparini, Andrea Scholian, Christa Kappler, Patricia Schuler Braunschweig
„Das muss am Gymnasium schneller gehen“: Eine praxeologisch-wissenssoziologische Rekonstruktion von „Zeit“ im Kontext von Differenzierungspraktiken im Gymnasialunterricht
Zusammenfassung
Zeit kann als Element sozialer Ordnungen sowie als ein Instrument von Kontrolle und Macht betrachtet werdet. Überträgt man dies auf die Mikroebene unterrichtlicher Interaktionen am Gymnasium, können Zeit (und Tempo) im Kontext der Herstellung von Differenz und somit als ein Instrument zur Erfüllung der gesellschaftlichen Funktionen von Schule rekonstruiert werden. Der vorliegende Beitrag untersucht daher Zeitstrukturen im gymnasialen Unterricht und beantwortet folgende Fragen: Wie und warum nutzen Lehrkräfte den Aspekt Zeit, um Differenz herzustellen? Wie gehen Lehrkräfte mit dieser Differenz um? Zur Beantwortung dieser Fragen bedient sich der Beitrag eines praxeologisch-wissenssoziolgischen Zugangs unter Nutzung der Dokumentarischen Methode: Anhand von Videographien gymnasialen Unterrichts werden zwei Fälle (zwei Lehrkräfte in je einer Klasse über vier Unterrichtsstunde) und der gemeinsame Orientierungsrahmen rekonstruiert. Die Ergebnisse zeigen unterschiedliche Praktiken im Umgang mit Zeit im Kontext von Differenzierung sowie zwei Orientierungsmuster beim gleichen Orientierungsrahmen. Die Ergebnisse werden abschließend diskutiert.
Marcus Syring, Lena Brinkmann, Sabine Weiß, Ewald Kiel
Individueller Lernanspruch als temporaler Einflussfaktor – Konzeptionell-methodische Reflexionen zur Erfassung wissenschaftlicher Weiterbildungslernzeit mittels Leitfadeninterviews
Zusammenfassung
Für die erfolgreiche Teilnahme Erwachsener an berufsbegleitender wissenschaftlicher Weiterbildung stellt Zeit eine maßgebliche Lernbedingung dar. Der Beitrag fokussiert die konzeptionell-methodische Auseinandersetzung mit einer qualitativen Studie zur Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Weiterbildung mit dem Arbeits- und Privatleben der Teilnehmenden. Zentrale Frage ist, wie Weiterbildungslernzeit (Präsenzphasen und Selbstlernphasen) in der leitfadengestützten Interviewstudie konzipiert und erfasst wird. Über die Analyse impliziter zeitbezogener Prämissen der Studie, der Leitfadenkonzeption und ausgewähltem Interviewmaterial wird deutlich, dass die Interviews über den Erwartungshorizont hinaus weitere zeitbezogene Befunde, wie die Bedeutung des Weiterbildungsanspruchs der Teilnehmende für ihre Lernzeitinvestition, aufzeigen.
Ramona Kahl
Construction of Schooling Time as Part of Mothers’ Identities
Abstract
The chapter approaches the nature of time associated with the school routine as part of mothers’ identities and their distinctive parenting styles. The mothers’ narratives are analysed from the perspective of their personal experiences that are embedded in biographical reflections of their own schooling in the past and expectations for their children’s future. The time of schooling is understood as exploratory, family time, a time of strengthening emotional bonds between mother and child and mothers’ identities and parenting. The analysis contributes to understanding of structuring (constructing) of schooling time as deeply rooted in mothers’ biographical experience and their meaning of “family time”. Analysis in this chapter is based on a set of auto-biographical interviews with mothers with pre-school and primary school age children conducted by the author in the ISOTIS project (ISOTIS-“Inclusive Education and Social Support to tackle Inequalities in Society” EC Horizon -2020 project, grant agreement No.727069.) in the North West of England in 2018.
Lyudmila Nurse

Time, Future and Innovation. Zeit, Zukunft und Innovationen

Frontmatter
Wie denkt die Verwaltung über die Zukunft? Dokumentenanalyse von Strategiepapieren zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung
Zusammenfassung
Öffentliche Verwaltungen sind wie andere Organisationen darauf angewiesen, Annahmen über die Zukunft zu entwickeln, um ihr Handeln an diesen auszurichten. Die Planungszeiträume von Verwaltungen orientieren sich traditionell an Legislaturperioden und sind kurz. Wie denken öffentliche Verwaltungen aber in mittleren und längeren Zeiträumen über die Zukunft? Diese Frage wird exemplarisch anhand des Zukunftstrends Digitalisierung untersucht. Anhand einer Dokumentenanalyse von Strategiepapieren zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, werden Deutungsmuster zur Zukunft der digitalen Verwaltung rekonstruiert. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die digitalisierte Personalarbeit gelegt. Es wird deutlich, dass zwei widerstrebende Deutungspole das Feld der Zukunftsvorausschau aufspannen: einerseits die Wahrnehmung der Digitalisierung als Bedrohung und als eigendynamischer Prozess, über den dringend Kontrolle gewonnen werden muss. Andererseits wird Digitalisierung als Reform- und Innovationsprozess beschrieben, der enormes Verbesserungspotenzial für nahezu alle Handlungsbereiche der Verwaltung in sich trägt.
Malte Schophaus
Time and Futures. Zeit und Zukünfte in der Vorausschau – Konzepte in den Zukunftswissenschaften
Zusammenfassung
Dieser Beitrag über Zeit und Zukunft stammt aus dem Konzept der Vorausschau (Foresight) bzw. der Zukunftsforschung. Er stellt Foresight als den langfristigen Blick in die Zukunft oder unterschiedliche Zukünfte, definiert als die handlungsorientierte „strukturierte Debatte über komplexe Zukünfte“, vor. Das akademische Pendant ist die Zukunftsforschung, die sich mit möglichen, wahrscheinlichen und wünschenswerten zukünftigen Entwicklungen (Zukünften) beschäftigt. Da wir die Zukunft als offen betrachten, sprechen wir über Zukünfte und haben unterschiedliche Zeitkonzepte im Blick, wenn wir über die Zukunft sprechen. Es stehen Methoden zur Verfügung, um mit den verschiedenen Zeithorizonten zu arbeiten (z. B. Delphi-Befragungen, Szenarien), um sich mit verschiedenen Langzeitszenarien auf „die Zukunft“ vorzubereiten, die Entscheidungsfindung zu unterstützen oder sogar als Gedankenexperimente in der Zeit zu reisen. Aber obwohl bei Investitionen in neue Infrastrukturen, Technologie oder zur Veränderung des Verhaltens von Menschen Zeiträume von bis zu 30, 40 oder noch mehr Jahren berücksichtigt werden müssen, werden Entscheidungen heute oft noch ad hoc getroffen. Viele nehmen sich nicht die Zeit, über die (langfristigen) Folgen des jetzigen Tuns nachzudenken. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Möglichkeiten, sich mit Zukünften bzw. mit „der Zukunft“ wissenschaftlich und praktisch auseinanderzusetzen – und welche Methoden zur Skalierung zukünftiger Zeiten einsetzbar sind.
Kerstin Cuhls
Zeit-Rebounds im Arbeitsleben – Transformative Forschung zu zeitpolitischen Innovationen
Zusammenfassung
Im Arbeitsleben dominiert die Logik, dass Zeit Geld ist. Ziel ist es, möglichst effizient mit der Arbeitszeit zu haushalten. Doch zeigt sich, dass gerade beim Versuch Zeit zu „sparen“ vielfach Zeit-Rebound-Effekte auftreten. Ein solcher Effekt zeichnet sich dadurch aus, dass die Nachfrage nach zeiteffizienten Tätigkeiten steigt. Solche Zeit-Rebound-Effekte gehen vielfach mit negativen Nachhaltigkeitseffekten einher, da allein schon die gesteigerte Handlungsanzahl in der Regel mehr Ressourcen in Anspruch nimmt. In diesem Beitrag zeigen wir auf, welchen Beitrag transformative Forschung leisten kann, um zeitpolitische Innovationen zu entwickeln, die solche Zeit-Rebound-Effekte reduzieren.
Gerrit von Jorck, Sonja Geiger

Methodology for the Study of Time. Methodologien der Zeitforschung

Frontmatter
Zeitforschung als vergleichende Prozessanalyse. Die Verbindung von Qualitative Comparative Analysis und Einzelfallstudien für die Untersuchung zeitlicher Dynamiken
Zusammenfassung
Die vergleichende Analyse von zeitlichen Dynamiken und Prozessen stellt eine Herausforderung für die qualitative Sozialforschung dar. Die Analyse von Prozessen fokussiert sich zumeist auf Einzelfälle, um zeitliche Dynamiken und Muster zu ermitteln. Hingegen zielt die Qualitative Comparative Analysis (QCA) auf die Untersuchung sozialer Phänomene ab, indem die logischen Beziehungen der dafür relevanten Bedingungen für eine mittlere Fallzahl verglichen werden. Der Aspekt Zeit wird hierbei zumeist nicht näher berücksichtigt. Ausgehend davon ermöglicht es die Kombination beider Ansätze, zeitliche Dynamiken und Prozesse vergleichend zu untersuchen. Während QCA die Möglichkeit des strukturierten Fallvergleichs bietet und äquifinale Bedingungskombinationen zur Erklärung sozialer Phänomene ermittelt, erlaubt die Prozessanalyse, den kausalen Prozess zwischen Erklärungsbedingungen und Outcome anhand der Identifizierung sozialer Mechanismen in Fällen zu beschreiben.Dieser Beitrag diskutiert zwei Kombinationsmöglichkeiten: 1) das sogenannte Stufenprinzip, bei dem die einzelnen Methoden aufeinander aufbauen, um entweder typische Fälle einer Lösung näher zu betrachten oder um zu überprüfen, ob in einem Fall entdeckte Mechanismen auch auf andere Fälle zutreffen. 2) Das sogenannte Parallelprinzip nutzt hingegen die Prozessanalyse als Kalibrierungsmethode für QCA, um zeitliche Dynamiken direkt in die vergleichende Analyse zu implementieren.
Simon Gordt, Thomas Laux
Verfahren zur Analyse von Alltagshandlungen
Zusammenfassung
Die Untersuchung von Alltagshandlungen stellt die qualitative Sozialforschung vor Herausforderungen. Im Rahmen der Dissertation „Alltägliche Lebensführung von Familie: zeitlich entgrenzt Erwerbstätige und ihre Kinder“ wurde deshalb das „Verfahren zur Analyse von Alltagshandlungen“ (VAA) entwickelt. Hierbei handelt es sich um ein subjektwissenschaftlich-ethnografisch orientiertes Selbstdokumentationsverfahren für die Alltagsforschung. Das VAA dient der mikrosoziologischen Analyse von Alltagshandlungen in zeitlicher Perspektive. Es fokussiert auf die Analyse von dem was Akteur*innen tagtäglich tun, welche Handlungen von ihnen zu welcher Tageszeit vollzogen werden. In diesem Beitrag erfolgt im ersten Teil die theoretische und methodologische Grundlegung vom VAA. Auf Basis dieser Explikationen wird die Entwicklung, der Aufbau und die Anwendung vom VAA dargelegt. Der Beitrag schließt mit Einsatzmöglichkeiten vom VAA und einer forschungspragmatischen Reflexion der Chancen und Begrenzungen des qualitativen Verfahrens ab.
Doris Cornils
Kommunikative Zeit beobachten. Methodisch-methodologische Implikationen des kommunikativen Konstruktivismus
Abstract
This article traces how subject-centred action theories provide a suitable basis for exploring the temporality of action and the subjective experience of time. In comparison, they often lack, among other things, a sense for the significance of materiality within a socio-temporal order. This blind spot can be opened up by communicative constructivism because in its social-theoretical assumptions the subject is decentered and the objections play an essential role. Interactions are not only based on the (linguistic) exchange of subjects (isolated from each other) but also on materiality. Time orders that become socially effective are thus linked not only to a ‘communicated’ but above all to a ‘communicative time’. Consequently, this has an impact on the methodological-methodological level. On the one hand, the focus is on the communicative practice of research and the sequentiality that underlies the constitution of the researching subject and the field. On the other hand, the communicative constructivism shows that researchers can only access the time in the field through objectivations, and thus, the researcher needs to reflect the quality of the data. The focus is now also on methods for collecting data that are not heading to the subjective experience of time, but instead allow the communicative action in situ in its temporality to be observed in different ways: audiovisual recordings, ethnographic approaches and participating observations or observing participation and artefact analyses.
Ekkehard Coenen
Rough Relationing Making Time for Analysis in Ethnography
Zusammenfassung
In diesem Artikel wollen wir den Vorschlag unterbreiten, dass ethnographische Methoden von einer spielerischen Ernsthaftigkeit mit den Temporalitäten der Forschung profitieren kann. Wir bauen auf einem kritischen Verständnis von Zeit im Bereich der Wissenschafts- und Technikforschung (STS) als einer linearen und singulären Einheit auf, um darauf hinzuweisen, dass Temporalitäten bereits während der Forschungspraxis auftauchen und immer schon Teil kollektiver und kollaborativer Bemühungen zur Ordnung von Wissen sind. Anhand einer Technik, welche wir als „rough relationing“ bezeichnen, wollen wir zeigen, wie durch die Auseinandersetzung mit Temporalitäten während der ethnografischen Feldforschung Zeit für produktive und analytisch spannende Arbeit gewonnen werden kann. Dabei entstehen auch Spannungen mit anderen, die dazu anregen sich reflektierend über Angelegenheiten in der ethnographischen Arbeit auszutauschen. Im ersten Teil der Arbeit zeigen wir, wie wichtig es war, Zeit für solche Spannungen einzuplanen, um Bedenken über unsere frühere Forschung auszutauschen: Ethnographien über Blutspende-Infrastrukturen und über ein Experiment zum nachhaltigen Leben und Bauen, welche wir im Rahmen unserer Masterarbeit durchgeführt haben. Im zweiten Teil der Arbeit stellen wir die Technik anhand eines Spiels vor, das wir in einem Ethnographie-Workshop durchgeführt haben. Wir reflektieren über die Pragmatik des Spiels, um spielerische und unterhaltsame Wege zu finden, um mit diesen Spannungen umzugehen. Das Erkunden davon, wie Temporalitäten in unserer ethnographischen Forschung bedeutsam werden, beinhaltet das Kultivieren von epistemischen Werten wie Freundschaft und Spielfreude, welche in der sozialwissenschaftlichen Forschung häufig vernachlässigt werden.
Clément Dréano, Markus Rudolfi
The Narrative and the Flash Fiction: Ethical and Political Temporalities in the Life Course of an Adolescent Involved with Crime in Brazil
Abstract
This work is part of the research titled “Adolescences and Laws”(Research funded by Fundação de Amparo à Pesquisa do Estado de Minas Gerais (FAPEMIG – 001–2017, Universal Demand, CHE APQ03220-17).), which aimed to explore subjective-political elements that could favor or hinder an association with crime. Working methodologically with “narrative memoirs” as a research strategy, sixteen interviews were conducted with Brazilian youths aged seventeen to twenty-nine years old, whose narratives were then transformed into artistic works. In this context, we analyze the flash fiction “Bond”, aiming to highlight the possibilities that the narrative method, in the interface between art and science, may offer to treat the real. We have thus elected the dimension of time as a privileged aspect that allows for the ratification of the forms of capturing the indeterminable through narrative writing, considering the works of Freud, Lacan and Ricoeur. As a strategy for the research of social phenomena, the narrative memoir shares common aspects with biographical research, but the former allows for the identification of manifestations of unconscious processes, while considering the points of fiction, fixation and fantasy displayed in the narratives. By consenting with the reconstruction of a temporality that is able to encompass the particularities of a subjective experience, it also provides the subject with a new ethical and political position.
Jacqueline de Oliveira Moreira, Andréa M áris Campos Guerra, Rodrigo Goes e Lima, Ana Elisa de Oliveira Drawin
Temporality in Qualitative Longitudinal Studies on Health Experience: A Review and Analysis
Abstract
While the number of longitudinal qualitative studies on experiences of sickness, health and wellbeing has burgeoned, researchers lack the tools to conceptualize of time in our arguments. In this literature review, we examine temporality in different phases of the research process: from the design and analysis through to the discussion and conclusion. We also interrogate the consistency of this temporality across the phases.
Our review draws on four databases and includes an initial sample of 152 studies, of which we reviewed 38 in detail to achieve theoretical saturation. We found four modes of temporality across the studies: interrupted time, phasic time, continuous time and cyclical time. Our results suggest that often temporality remains implicit and is conceptualized inconsistently across the phases of the research process, often lapsing into a more static or cross-sectional approach. We argue in favor of making temporality more explicit in longitudinal studies and in favor of sharpening its conceptualization. Our four modes of temporality can aid researchers to think through this in the design, analysis and reporting of a longitudinal qualitative study. This review is the outcome of the authors’ ongoing longitudinal study on health practices in the first four years of a child’s life (‘Sarphati Ethnography’).
Archana Ramanujam, Christian Bröer, Stefano Giani, Gerben Moerman
Metadaten
Titel
Frontiers in Time Research – Einführung in die interdisziplinäre Zeitforschung
herausgegeben von
Prof. Dr. Elisabeth Schilling
Prof. Dr. Maggie O'Neill
Copyright-Jahr
2020
Electronic ISBN
978-3-658-31252-7
Print ISBN
978-3-658-31251-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-31252-7

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