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2007 | Buch

Handbuch zur deutschen Außenpolitik

herausgegeben von: Siegmar Schmidt, Gunther Hellmann, Reinhard Wolf

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Über dieses Buch

Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus hat sich die weltpolitische Lage grundlegend verändert und ist auch für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland eine vollkommen veränderte Situation entstanden. In diesem Handbuch wird erstmals wieder eine Gesamtschau der deutschen Außenpolitik vorgelegt. Dabei werden die Kontinuitäten und Brüche seit 1989 sowohl für den Wissenschaftler als auch den politisch interessierten Leser umfassend dargestellt.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung

Frontmatter
Deutsche Außenpolitik in historischer und systematischer Perspektive

Ein Handbuch, so umschreibt das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm den Begriff, ist ein „buch von mäszigem umfang, zum leichten gebrauch, entweder um hineinzuschreiben oder darin zu lesen“. „In neuerer zeit“ (womit wohl die Zeit um die Mitte des 19. Jahrhun- derts gemeint war) werde der Begriff aber auch „häufig verwandt zur bezeichnung eines bu- ches das in knapper fassung das hauptsächlichste einer lehre gibt“. Diese Funktion haben Handbücher auch noch heute: Sie sollen der schnellen Orientierung in einem großen, schwer überschaubaren Feld dienen. Von „mäszigem Umfang“ (oder gar von der zu Grimms Zeiten noch gängigen Verniedlichungsform, also dem „Handbüchlein“) kann heute aber schon des- halb nicht mehr die Rede sein, weil heute im Unterschied zum 19. Jahrhundert selbst die knappste Zusammenfassung des Hauptsächlichen fast notgedrungen zum Enzyklopädischen tendiert.

Gunther Hellmann, Reinhard Wolf, Siegmar Schmidt

Konzepte

Frontmatter
Deutsche Identität und Außenpolitik

Was hat nationale Identität mit der deutschen Außenpolitik zu tun? Der traditionellen Au- ßenpolitikanalyse sind Bezüge zu kulturellen Sinnkonstruktionen, wie sie Identitätsvorstellun- gen darstellen, fremd. Die deutsche Außenpolitik ließe sich danach im Großen und Ganzen aus den deutschen „nationalen“ Interessen ableiten, wobei diese Interessen entweder aus den Gegebenheiten der internationalen Handlungsumwelt abgeleitet werden (realistischer Ansatz, siehe Baumann u.a. 2001) oder aus den Anforderungen und Koalitionsbildungsprozessen im gesellschaftlichen Umfeld (liberale Theorie, vgl. Freund und Rittberger 2001). In beiden Fällen sind diese Interessen und Präferenzen mehr oder weniger objektiv vorgegeben, sie werden kaum problematisiert. Was im deutschen außenpolitischen Interesse ist, bestimmt sich nach

realistischer

Sicht aus den machtpolitischen Realitäten im internationalen System. Verändern sich diese, wie etwa nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, dann wandeln sich auch die deutschen Interessen. Nach dieser Analyse hätte man nach dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung (mit dem entsprechenden Machtgewinn) einen grundsätzlichen Wandel der deutschen Außenpolitik prognostiziert. Dazu kam es nicht. Nach wie vor überwiegt in fast allen Sachbereichen die Kontinuität der (west-) deutschen Außenpolitik vor den Veränderungen. Dies bestätigen die meisten Analysen der deutschen Außenpolitik nach der Wiedervereinigung (u.a. Haftendorn 2001; Hacke 1997; Rittberger 2001;

Harnisch und Maull 2001

;

Katzenstein 1997

; vgl. aber jetzt Hellmann 2002). Selbst die deutschen Militäreinsätze außerhalb des NATO-Gebiets im ehemaligen Jugoslawien und in den Krisengebieten des Vorderen Orient im Rahmen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus bedeuten keinen Bruch mit der Außenpolitik einer Zivilmacht, wie Hanns Maull überzeugend argumentiert hat (vgl.

Maull 2001

) (→ Deutchland als Zivilmacht). Sogar der deutsch-amerikanische Konflikt über den Irak-Krieg, den viele als Bruch mit der Außenpolitik der „alten“ Bundesrepublik interpretiert haben, kann im Rahmen des Zivilmacht-Konzeptes gedeutet werden.

Thomas Risse
Deutschland als Europas Zentralmacht

Der Machtbegriff hat in der internationalen Politik eine eigenartige Doppelfunktion. Ist im landläufigen Verständnis Macht etwas, das ein Akteur besitzt oder durch Handlungen gegenüber anderen Akteuren ausübt, so gibt es hier noch eine zweite Verwendung: Ein Staat hat nicht nur Macht oder setzt sie ein, der Staat selbst ist eine Macht. Und während Macht eigentlich etwas Unzählbares ist, so haben wir es hier mit einer, zwei oder vielen Mächten zu tun. Die Proliferation dieses Machtoder Mächtebegriffes ist so weit gediehen, dass er sogar in das Zivilmachtkonzept eingeflossen ist, obwohl es Macht durch eine Zivilmachtrolle als gezähmt (wenn auch keineswegs vollständig verschwunden) ansieht (→ Deutschland als Zivilmacht). Seine eigentliche Heimat hat die Bezeichnung von Staaten als Mächte jedoch in der Denktradition des Realismus, der die Großmächte als Machtpole in der internationalen Politik ins Zentrum der Betrachtung rückt. Auch das Konzept der Zentralmacht kann seine realistischen Wurzeln nicht leugnen.

Rainer Baumann
Deutschland als Zivilmacht

Wie jede Außenpolitik ist auch die Außenpolitik der Bundesrepublik geprägt durch bestimmte außenpolitische Grundorientierungen und Leitlinien. Diese werden häufig mit Begriffen wie „grand strategy“ oder „außenpolitische Staatsräson“ umschrieben; eine analytisch präzisere Begrifflichkeit spricht von „außenpolitischen Rollenkonzepten“ (grundlegend dazu Walker 1987; vgl. auch

Kirste/Maull 1996

).

Hanns W. Maull
Deutschland als Wirtschaftsmacht

Seit der Vereinigung agiert das vereinte Deutschland politisch und wirtschaftlich als europäische Macht mit globalen Interessen und globaler Bedeutung. Die Zielsetzung, den nationalen Wohlstand zu sichern und zu vermehren, stellt den wichtigsten Bestimmungsfaktor für seine Innen- und Außenpolitik dar. Als „Weltwirtschaftsmacht“ (Kloten 1994: 63) bestimmt die deutsche Volkswirtschaft die globalen Waren- und Dienstleistungsströme, die Geld- und Kapitalmärkte sowie den Zahlungsverkehr entscheidend mit und auf dieser Grundlage verfügt auch das politische System über die Fähigkeit zur zielgerichteten Einflussnahme auf weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen, Strukturen und Prozesse. Mit einem Anteil von 9 bis 10% an den Weltausfuhren rangiert Deutschland global wechselweise an erster (so 1986–88, 1990, 2003–05) oder an zweiter (1991–2002) Stelle der Exportnationen, verfügt — nach den USA und Japan — über das drittgrößte Bruttosozialprodukt und repräsentiert innerhalb der Europäischen Union die weitaus stärkste Wirtschaftskraft. Dementsprechend groß ist sein Gewicht in den internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) oder der Welthandelsorganisation (WTO) oder bei den G 8-Treffen der wichtigsten Industrienationen.

Michael Staack

Rahmenbedingungen

Frontmatter
Die Außenpolitik der Bundesrepublik und die deutsche Vergangenheit

Warschau, 7. Dezember 1970. Bundeskanzler Willy Brandt stattet Polen einen offiziellen Besuch ab. Zweck dieser ersten Reise eines deutschen Kanzlers nach Warschau ist die Unterzeichnung des „Warschauer Vertrages“, mit dem ein erster Schritt in Richtung Normalisierung der Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik vollzogen werden soll. Der Zweite Weltkrieg liegt erst fünfundzwanzig Jahre zurück, die Kriegsgeneration bestimmt das öffentliche Leben und Polens Sicht auf Deutschland ist nach wie vor von den Erinnerungen an das nationalsozialistische Unrechtsregime geprägt. Die Stadt Warschau ist dabei ein besonders sensibler Ort für eine solche Begegnung, wurde sie doch, nachdem deren Einwohner den nationalsozialistischen Besatzungsbehörden fünf Jahre lang unterworfen waren und nach zwei verzweifelten Aufständen, nahezu dem Erdboden gleichgemacht. Wenige Stunden nach der Unterzeichnung des Vertrages, in dessen Präambel Polen als erstes Opfer des Zweiten Weltkriegs benannt und mit dem die Westgrenze Polens anerkannt wird, erweist die deutsche Delegation den Opfern des Warschauer Ghettos mit einem Besuch des Denkmals für die Helden des Ghetto-Aufstandes ihre Referenz. Für alle völlig überraschend kniet Willy Brandt nach der Kranzniederlegung vor dem Denkmal nieder, das zur Erinnerung an den Aufstand der jüdischen Bevölkerung im Jahr 1943 nur wenige Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs errichtet worden war. Über dreißig Sekunden verharrt Brandt in dieser fast religiösen Demutshaltung, die als Schuldeingeständnis sofort zum Symbol wird. Sein besonderes Gewicht erhält der Kniefall von Warschau dadurch, dass gerade Brandt, der in der Zeit des Nationalsozialismus selbst zu den Opfern zählte, sich für sein Land und dessen Geschichte zu diesem Eingeständnis von Schuld bereit findet.

Birgit Schwelling
Der „Zwei-plus-Vier“-Vertrag

Die Jahre 1989/90 bilden eine tiefe Zäsur in der deutschen Geschichte: Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 erlebten die Deutschen in atemberaubendem Tempo die Vollendung der Einheit. Über vier Dekaden lang hatte die Teilung der Nation in zwei Staaten mit gegensätzlichen politischen Systemen das Bewusstsein bestimmt. Mit der Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte durch den „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ („Zwei-plus-Vier-Vertrag“) vom 12. September 1990 gehörte diese ohne jede Vorwarnung der Vergangenheit an. Die Bundesrepublik Deutschland erlangte ihre volle Souveränität und wurde zum völlig gleichberechtigten Partner im internationalen System. Zeitgleich haben sich die internationalen Rahmenbedingungen deutscher Außenpolitik grundlegend geändert.

Werner Weidenfeld
Die Überwindung der Spaltung Europas und die transatlantischen Beziehungen

In der Ära des Ost-West-Konflikts und der weltpolitischen Bipolarität waren die transatlantischen Beziehungen strukturell geprägt von der Spaltung Europas, die zugleich die Teilung Deutschlands beinhaltete, die Außenpolitik des deutschen Kern- und Weststaates konditionierte und die Außenpolitik des Oststaates determinierte. Der Zusammenbruch des bipolaren Weltsystems hat die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht und die Überwindung der Spaltung Europas zur zentralen politischen Aufgabe gemacht. Damit ist die zweifache ordnungspolitische Grundproblematik, die sich an den Knotenpunkten der neueren europäische Geschichte immer wieder stellte, in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts neuerlich aktuell geworden — nämlich

(1)

wie Deutschland und Europa zu organisieren ist, dass Deutschland in Europa friedlich existieren und sich entfalten kann, ohne einen bestimmenden Einfluss (= Hegemonie, nach der Definition von Heinrich Triepel 21974) zu erlangen bzw. ausüben zu können; und

(2)

ob und gegebenenfalls wie die europäisch-asiatische Macht Russland und die atlantischpazifische Macht USA in eine derartige europäische Ordnung einzubeziehen sind. Die jeweilige Regelung der innereuropäischen Beziehungen war also stets von größter Bedeutung für die Entwicklung der transatlantischen und der eurasischen Beziehungen et vice versa.

Werner Link
Die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union

Seit den Anfängen der europäischen Integration in den 1950er Jahren hat sich die Europäische Union (bzw., bis 1993, die Europäische Gemeinschaft) zu einer zunehmend bedeutsamen Rahmenbedingung deutscher Außenpolitik entwickelt. Mittlerweile gibt es kaum einen Bereich der deutschen Außenbeziehungen mehr, dessen Behandlung in den europäischen Institutionen nicht möglich oder gar erforderlich wäre. Ihren Ausgangspunkt nahm diese Europäisierung der deutschen Außenbeziehungen in der Außenwirtschaftspolitik, in der die Europäische Kommission früh umfangreiche Kompetenzen erhalten hatte (Abschnitt 1). Seit den siebziger Jahren weitete sich die Europäisierung auf die Außenpolitik (Abschnitt 2.1) und seit den neunziger Jahren auch auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus (Abschnitt 2.2). Zwischen deutscher und europäischer Außenpolitik hat sich seit den siebziger Jahren ein symbiotisches Verhältnis entwickelt (Abschnitt 3). Die Bundesrepublik hat stets zu den Befürwortern einer vertieften europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehört (Abschnitt 3.1). Gleichzeitig hat sich der Rahmen einer europäischen Außenpolitik gerade in der Osteuropa- und Nahostpolitik für die Bundesrepublik als sehr vorteilhaft erwiesen (Abschnitt 3.2). Die Erweiterung der EU auf nunmehr 25 Mitgliedstaaten sowie wachsende Schwierigkeiten Deutschlands, die militärpolitischen Zielsetzungen umzusetzen, haben jedoch zu Rissen in diesem symbiotischen Verhältnis geführt (Abschnitt 4).

Wolfgang Wagner

Institutionen und innerstaatliche Akteure

Frontmatter
Grundgesetz und Außenpolitik

Das Grundgesetz enthält sowohl materiellrechtliche als auch verfahrensrechtliche Vorgaben für die Gestaltung der Außenpolitik. Materiellrechtliche Vorgaben enthalten Einschränkungen für die Politikgestaltung, während verfahrensrechtliche Regeln bestimmen, welche Staatsorgane für außenpolitische Handlungen zuständig sind und mit welchen anderen Staatsorganen sie in dieser Hinsicht zusammenwirken müssen. In Bezug auf den letztgenannten Punkt bestehen potentielle Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Ländern bzw. zwischen Bundesregierung und Bundestag oder Bundesrat. Allerdings enthält das Grundgesetz keine abschließenden Regeln zur Kompetenzverteilung; insbesondere die Abgrenzung zwischen den Kompetenzen des Bundestages und der Bundesregierung werfen in der Praxis Probleme auf. In der Realität versucht der Deutsche Bundestag in Einzelfällen auch immer wieder Einfluss auf tagespolitische Entscheidungen zu nehmen, obwohl nach der herrschenden Meinung und mehrfach vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen im Grundsatz bei der Bundesregierung liegt. Die materiellrechtlichen Bindungen für die Außenpolitik ergeben sich zum einen aus Art. 23 — 26 GG, zum anderen aus den Grundrechten. Einen besonderen Stellenwert nehmen vor allem die sich aus Art. 23 GG ergebenden Schranken für die auswärtige Gewalt ein; sie sind sowohl verfahrensrechtlicher als auch materiellrechtlicher Natur. Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass durch die zunehmende Verflechtung der Staaten die Erledigung der staatlichen Aufgaben europäisiert beziehungsweise internationalisiert wird. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass der Einzelne in zunehmendem Umfang durch europäische und internationale Rechtsnormen berechtigt und verpflichtet wird (vgl.

Wolfrum 1997

, 2000;

Tomuschat 1978

). Dies führt dazu, dass die traditionellen Unterschiede zwischen Innen- und Außenpolitik verschmolzen werden und letztere in immer größerem Umfang Gegenstand des innerstaatlichen Entscheidungsprozesses wird. Diese Entwicklung verstärkt das Spannungsverhältnis zwischen Exekutive und Legislative.

Rüdiger Wolfrum
Bundespräsident

Obwohl der Bundespräsident in der Außenpolitik nicht mehr zu sagen hat als auf anderen Gebieten, haben doch viele seiner Aktivitäten außenpolitische Bezüge. Dabei gilt auch und gerade für die Außenpolitik, dass an der Spitze der Bundesrepublik ein Mann steht, der nach einer vielzitierten Formulierung „nur über wenig potestas verfügt, der aber immerhin die Aussicht hat, durch persönliche auctoritas in etwa auszugleichen, was ihm an potestas fehlt“ (Eschenburg 1963: 650). Statt „potestas“ könnte man moderner auch Hard Power sagen, statt „auctoritas“ auch Soft Power. In jedem Fall steht das erste für die Fähigkeit, notfalls auch widerwillige Gefolgschaft zu erzwingen, das zweite für die Fähigkeit, freiwillige Zustimmung zu gewinnen. Der Bundespräsident hat in der gewachsenen Verfassungspraxis und unter normalen Bedingungen nahezu keine Hard Power, aber gerade deshalb beträchtliche Soft Power. Er ist kraft Verfassung zur „Tatenlosigkeit“ verdammt — eine machtpolitische Schwäche, die zugleich eine spezifische Stärke ausmacht. Denn als nahezu einziger deutscher Spitzenpolitiker ist der Bundespräsident zum straflosen „Nur-Reden“ befugt: Nicht die praktische Bewährung seiner Worte, sondern ihre theoretische Zustimmungsfähigkeit begründet sein Image von intellektueller Souveränität und überparteilicher Gemeinwohlorientierung. So kann er durch die Praxis nicht widerlegt werden. Erst seine Machtlosigkeit bewahrt ihn vor „Entzauberung“; erst sie sichert jene „Soft Power“, die eine zentrale Bedingung präsidialer Integrationsfähigkeit ist.

Michael Jochum
Bundestag

Ungeachtet spezifischer Einschränkungen bestimmen die Stellung des Deutschen Bundestages im politischen System und die Funktionsweise des parlamentarisch-demokratischen Regierungssystems in erheblichem Maße auch die Rolle des Parlaments in der Außenpolitik. Dies gilt umso mehr angesichts der zunehmenden Verflechtung außen- und innenpolitischer Willensbildungsprozesse und Entscheidungen im Zuge der Globalisierung und Europäisierung der Politik.

Wolfgang Ismayr
Bundesländer und Bundesrat

Die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesebene für die Außenpolitik gilt in der Staatsrechtslehre als klassisches Unterscheidungsmerkmal des Bundesstaates zum reinen Staatenbund. Entsprechend erklärt auch Artikel 32 als Schlüsselnorm des deutschen Grundgesetzes (GG) (→ Grundgesetz) zur Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt (Magiera 1997: 99) in seinem ersten Absatz, dass die Pflege der Beziehungen zu anderen Staaten grundsätzlich „Sache des Bundes“ ist. Noch bis in die jüngste Zeit wurde aus dieser Verfassungsbestimmung die Absicht des Grundgesetzgebers herausgelesen, „die mehrstufige Staatlichkeit des Bundesstaates nach außen hin souverän und impermeabel zu gestalten“ (Isensee 1987: 657).

Thomas Fischer
Bundeskanzleramt

Auswärtiges Amt, Bundesverteidigungsministerium und Bundeskanzleramt sind die zentralen Schaltstellen außenpolitischer Entscheidungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland. Dass die Geschäftsordnung der Bundesregierung die zentrale Kompetenz dem Auswärtigen Amt zuordnet, täuscht über die tatsächliche Machtfülle und Kompetenzaneignung durch das Bundeskanzleramt hinweg. Die starke verfassungsmäßige Stellung des Bundeskanzlers (BK), aber auch der Reiz der Außenpolitik, innenpolitischen Niederungen und Hemmnissen ausweichen zu können sind nur einige der nachfolgend dargestellten Aspekte, die die außenpolitische Bedeutung des Bundeskanzleramts veranschaulichen.

Karl-Rudolf Körte
Bundesministerien

Die administrative Zuständigkeit für die deutsche Außenpolitik liegt nicht nur im Auswärtigen Amt (AA) (→ Auswärtiger Dienst) und seinen Auslandsvertretungen, sondern auch bei den internationalen Abteilungen und Referaten der anderen Fachministerien. Diese institutionelle Zersplitterung ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Vorstellung, in den auswärtigen Beziehungen eines Staates würden — primär von einem Außenministerium — sogenannte „nationale Interessen“ vertreten, entweder naiv oder politisch motiviert ist. Im

politischen

Diskurs dient der Bezug auf ein „nationales Interesse“ dazu, „politische Verhaltensweisen zu rechtfertigen, zu verurteilen oder anzubieten“ (Woyke 1989: 590). Wissenschaftlich erweist sich das Konzept in der Außenpolitik-Analyse aber aus gleich mehreren Gründen als nicht (mehr) tragfähig (

Wolf 2000: 35–60

). Die Ausdifferenzierung des regierungsadministrativen Akteursfelds liefert ein weiteres Argument dafür, warum die Rede von „nationalen Interessen“ mehr verdeckt als erhellt. Die teilweise gegensätzlichen Interessenlagen von Fachministerien sind offensichtlich und allseits vertraut; sie verschwinden nicht automatisch dadurch, dass politische Entscheidungen auf internationaler Ebene verhandelt und abgestimmt werden sollen. Die internationale Verflochtenheit politischer Problemstellungen lässt deren nationale Bearbeitung nicht mehr zu, wodurch konfligierende Zielorientierungen in noch größerer Zahl aufeinander treffen. Diese internationale Dimension politisch-administrativer Arbeit macht heute vor keinem Fachministerium mehr Halt und findet zugleich unter aufmerksamer Beobachtung des AA statt. Doch ist dieses nicht mehr in der Lage, die internationale Arbeit der Fachministerien zu steuern. Aus diesem Grund ist auch eine Unterscheidung von fachministeriellen „Außenbeziehungen“ (Andreae/Kaiser 1998: 31) auf der einen und einer „Außenpolitik“, die von Kabinett, Kanzler und AA verantwortet wird, auf der anderen Seite, kaum tragfähig, denn angesichts vielschichtiger und differenzierter interministerieller Koordination (s.u.) sind nahezu alle internationalen Beziehungen der Regierung untrennbar miteinander verflochten.

Christoph Weller
Auswärtiger Dienst

In 227 deutschen Auslandsvertretungen arbeiten heute rund 8.000 Bedienstete des Auswärtigen Dienstes. Sie agieren in einer sich rasant wandelnden globalisierten Welt. Mehr denn je muss der Auswärtige Dienst Präsenz, Kompetenz und Effizienz beweisen. Die außenpolitischen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren nicht nur für Deutschland nachhaltig verändert. Die Bundesrepublik muss sich mehr als jemals zuvor ihrer internationalen Verantwortung stellen. Der Auswärtige Dienst muss daher für das 21. Jahrhundert gewappnet sein. Sicherheit, Freiheit und Wohlstand Deutschlands hängen immer stärker von Entwicklungen jenseits deutscher Grenzen ab. Eine andauernde Reform bemüht sich deshalb darum, den Auswärtigen Dienst modern und leistungsfähig zu erhalten.

Reinhard Bettzuege
Bundeswehr

Der Wandel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik seit 1990 zeigt sich wohl nirgends so deutlich wie im Bereich des veränderten Aufgabenprofils und Tätigkeitsbereichs ihrer Streitkräfte. War die Bundeswehr seit ihrer Gründung im November 1955 eine in die NATO nahezu vollständig integrierte Bündnisarmee, deren Aufgabe vor allem in der Abschreckung bestand und deren potentieller Gegner der Warschauer Pakt war, sollen deutsche Streitkräfte in Zukunft auch „über längere Zeiträume mobil, flexibel einsetzbar, Überlebens- und durchhaltefähig sein“, die „erfolgreiche Durchführung eigener sowie bündnisgemeinsamer oder europäischer Einsätze ebenso sicherstellen wie Einsätze im Rahmen von Ad-hoc-Koalitionen“ und am „Wiederaufbau der gesellschaftlichen Ordnung und der Infrastruktur in Krisengebieten mitwirken“ können (Bundesminister der Verteidigung 2000: Rd. 28). Nach Wiedererlangung der vollen Souveränität, so der damalige Bundeskanzler Schröder (2001: 6ff.) in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag, habe sich Deutschland in einer neuen Weise der internationalen Verantwortung zu stellen. Dies schließe die „Beteiligung an militärischen Operationen zur Verteidigung von Freiheit und Menschenrechten, zur Herstellung von Stabilität und Sicherheit ausdrücklich ein“. Die Bereitschaft, „auch militärisch für Sicherheit zu sorgen“, sei ein „wichtiges Bekenntnis zu Deutschlands Allianzen und Partnerschaften“. Dies bedeute „ein weiter entwickeltes Selbstverständnis deutscher Außenpolitik“. International Verantwortung zu übernehmen und „dabei jedes unmittelbare Risiko zu vermeiden kann und darf nicht die Leitlinie deutscher Außen- und Sicherheitspolitik sein“.

Johannes Varwick
Geheime Nachrichtendienste

Die Relevanz geheimer Nachrichtendienste für die Außenpolitik eines Landes, und zwar nicht nur für die Belange der äußeren und inneren Sicherheit, liegt auf der Hand: Die möglichst lückenlose Kenntnis innerer, nach außen hin abgeschirmter Entscheidungsprozesse anderer Länder bei bi- und multilateralen Verhandlungen, die militärischen Potenziale und internationalen Absichten anderer, vor allem konkurrierender oder eigenen Interessen entgegenstehenden Länder ist für die Entscheidungsfindung der eigenen Regierung unverzichtbar. Geheime Nachrichtendienste sammeln nicht nur solche Informationen, sie stellen auch Länderoder problembezogene Lagebeurteilungen her und überprüfen die Relevanz von Informationen, die in der Öffentlichkeit oder auf dienstlichem Wege der eigenen Regierung bekannt werden. Solche Lagebeurteilungen sollten ressortübergreifend ausgerichtet sein. Das ist in Deutschland der Fall, aber kaum in anderen Ländern.

Hans-Georg Wieck
Parteien

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland lässt sich als eine stark parteienstaatlich organisierte, parlamentarische Demokratie beschreiben (Stöss 1997). Die politischen Parteien wirken also einerseits direkt über ihre Fraktionen im Bundestag — nur die im Bundestag vertretenen Parteien werden im Folgenden behandelt — an der außenpolitischen Willensbildung mit und haben andererseits die Funktion, die in der Bevölkerung vorhandenen Meinungen, Einstellungen und Interessen auch im Bereich der Außenpolitik zu bündeln, zu repräsentieren und in den politischen Prozess einzubringen (

Bartsch 1998: 167f.

).

Torsten Oppelland
Politische Stiftungen

In Deutschland gibt es sechs politische Stiftungen, die neben ihrer Arbeit im Inland auch international tätig sind und damit für das nach außen gerichtete Handeln der Bundesrepublik eine Rolle spielen: die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die der F.D.P. nahestehende Friedrich-Naumann-Stiftung (FNSt), die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung (HSS), die Bündnis 90/Die Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) sowie die PDS-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS). Ihr Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit ist allerdings gering, und auch die Politikwissenschaft hat sich bislang bestenfalls sporadisch mit ihnen befasst.

Sebastian Bartsch
Wirtschaftsverbände

Über den Einfluss der Wirtschaftsverbände auf die deutsche Außenpolitik gehen die Ansichten beträchtlich auseinander: Während insbesondere Vertreter der Spitzenverbände davon überzeugt sind, dass ihnen nicht nur auf außenwirtschaftlichem, sondern auch auf außenpolitischem Terrain eine wichtige Rolle zukomme, überwiegen in der einschlägigen Forschung gegenteilige Ansichten. Generalisierende Aussagen verbieten sich jedoch schon wegen der zahlreichen Faktoren, die außenpolitische Entscheidungsprozesse beeinflussen; deshalb lässt sich der Anteil wirtschaftlicher Interessen an solchen Entscheidungen höchstens im konkreten Einzelfall einigermaßen präzise und verlässlich bestimmen.

Werner Bührer
Gewerkschaften

Die deutschen Gewerkschaften, womit hier die im DGB zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften mit ihren etwa sieben Millionen Mitgliedern gemeint sind, befassen sich in vielfältiger Weise mit außenpolitischen Themen. Neben der Außenpolitik im engeren Sinne zählen dazu Aktivitäten in den Ressorts Wirtschaft, Entwicklungshilfe, Arbeit und Verteidigung. An der Vielzahl der Bezugspunkte zeigt sich, dass die deutschen Gewerkschaften nicht nur aufgrund ihrer tarif-, betriebs- und sozialpolitischen Interessenlagen außenpolitische Themen bearbeiten, sondern auch als politischer Verband mit einem eigenen öffentlichen Einflussanspruch. Da die Gewerkschaften primär national ausgerichtete Akteure sind, spielen außenpolitische Fragen im organisationspolitischen Alltag in aller Regel nur eine untergeordnete Rolle. Gleichwohl können zentrale außenpolitische Weichenstellungen (bspw. NATO-Doppelbeschluss) auch von heftigen innerorganisatorischen Konflikten begleitet werden.

Wolfgang Schroeder
Kirchen und NRO

Kirchen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) sind kein klassisches Thema der Außenpolitikforschung. Im Handbuch zur deutschen Außenpolitik von 1976 (Scheuner 1975; Gotto 1975) befassten sich zwei Artikel mit den beiden großen Kirchen, während die NRO kein Thema waren.

Gero Erdmann
Öffentliche Meinung

Wenn man über „öffentliche Meinung“ (ÖM) spricht, ist man als erstes mit der Frage konfrontiert, was unter ÖM verstanden werden soll. Zur Auswahl stehen: 1. Die Verteilung der Meinungen zu einem Thema unter den Bürgern einer politisch verfassten Gemeinschaft, wie sie in Meinungsumfragen gemessen werden, 2. die Meinungen von an dem Thema besonders interessierten Bürgern und von damit in verschiedenen Rollen befassten politischen und gesellschaftlichen Eliten, 3. schließlich die im öffentlichen Raum durch die Medien vertretenen Auffassungen, also die „veröffentlichte Meinung“. Aus Platzgründen wird die Frage, welcher Begriff von „ÖM“ sich wofür besser eignet, nicht behandelt. Der Begriff wird hier überwiegend in der erstgenannten Bedeutung verwandt, während erforderliche Bezüge zu den beiden anderen an geeigneter Stelle hergestellt werden.

Hans Rattinger
Medien

Für die Willensbildung und Entscheidungsfindung demokratischer Staaten ist freie Meinungsbildung konstitutiv. Dabei kommt den Massenmedien die maßgebliche Rolle zu. Sie stellen Öffentlichkeit her, definieren Themen, strukturieren Entscheidungen für das politische System und vermitteln diese an das Publikum. Dies gilt nicht nur für die Innenpolitik. Auch in der Außen- und Internationalen Politik sind die Massenmedien für Darstellung und Wahrnehmung politischer Wirklichkeit eine entscheidende politische „Arena“ geworden. In ihr bewegen sich die außenpolitischen Akteure und von der „Galerie“ des nationalen und internationalen Medienpublikums werden sie beobachtet (Gerhards/Neidhardt 1993). Was nicht auf der Medienbühne sichtbar ist, hat es schwer, überhaupt als Wirklichkeit wahrgenommen zu werden.

Ulrich Sarcinelli, Marcus Menzel
Politikberatung

Wie andere Politikfelder kommt auch die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik immer weniger ohne wissenschaftlich fundierte Beratung aus (vgl.

Mols 1998

). Der Hauptgrund für den gesteigerten Beratungsbedarf liegt in der zunehmenden Komplexität der internationalen Politik und den daraus wachsenden außen- und sicherheitspolitischen Aufgabenstellungen für die Bundesrepublik Deutschland.

Martin Thunert

Staaten und Regionen

Frontmatter
Vereinigte Staaten von Amerika: politische und Sicherheitsbeziehungen

Die deutsch-amerikanische Sicherheitsbeziehung stand im Kern einer breiteren bilateralen Beziehung. Der Kalte Krieg drehte sich vorrangig um Deutschland, wer es kontrollierte, welche Richtung es in der Außen- und Sicherheitspolitik einschlagen würde und wie die Teilung enden würde. Nach der deutschen Einheit war Europa nicht länger strategisch geteilt. Die formelle Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 markierte das Ende des alten Bündnisses und den Beginn von etwas ganz anderer Art. Deutschlands grundlegendes außenpolitisches Ziel war erreicht, und ein neuer Strategieansatz wurde nach diesem großen Erfolg erforderlich.

Stephen F. Szabo
Die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen

Die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen waren in den 90er Jahren von einer zunehmenden Verflechtung gekennzeichnet, wobei sich sowohl die Handelsströme wie die Direktinvestitionen in beiden Richtungen intensiviert haben. Gleichzeitig gab es Asymmetrien, die sich in einem permanenten Handelsbilanzdefizit der USA und in einem überproportional hohen deutschen Investitionsbestand in den USA niederschlugen. Die realwirtschaftliche Verflechtung muss als äußerst eng bezeichnet werden. Sie ist eine wesentliche Basis für die politischen und gesellschaftlichen Beziehungen beider Länder, die diesen auch angesichts tagespolitischer Konflikte Stabilität verleiht.

Andreas Falke
Frankreich

Frankreich ist Deutschlands größter und wichtigster Nachbar. Darum werden die deutschfranzösischen Beziehungen als „Tandem“ und „Motor“ der europäischen Integration fast schon mystifiziert. Die Erfolgsgeschichte der Aussöhnung zwischen beiden Staaten ist exemplarisch: drei verwüstende Kriege (1870, 1914 und 1939) in 70 Jahren, die den Nationalismus ins Extreme haben gleiten lassen, hatten über mindestens drei Generationen nicht nur perpetuierte Feindbilder zementiert, sondern auch immer wieder beide Länder wirtschaftlich wie demographisch ausgeblutet. Territoriale Besitzansprüche (Elsaß-Lothringen, Saar) bestimmten das Denken auf beiden Seiten (→ Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland und die deutsche Vergangenheit). Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen hatte sich der Schutz vor Deutschland zum Grundmuster der französischen Deutschlandpolitik entwickelt. Es grenzt schon an ein kleines politisches Wunder, dass nur 18 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges der „Elysée-Vertrag“ gelang, den Konrad Adenauer und Charles De Gaulle 1963 unterschrieben. Getragen vom Instrument des Jugendaustausches begründete er die Tradition der Aussöhnungspolitik. Inzwischen haben die deutsch-französischen Beziehungen Vorbildcharakter für Nachbarschaftsbeziehungen mit anderen Staaten, z.B. für die deutschen Beziehungen mit Polen, bekommen (Schwarz 1990, Loth 1997, Woyke 2000); und sogar andere Staaten (China/Japan) versuchen, die Impulse der deutsch-französischen Beziehungen zu nutzen.

Ulrike Guérot
Großbritannien

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Großbritannien entwickelte sich von den späten 1980er Jahren bis zu den späten 1990er Jahren — im deutlichen Gegensatz zu den eher friedlichen Gewässern früherer Dekaden — auf vergleichsweise stürmischer See.

William Paterson, James Sloam
Polen

Im Jahr 2004 wurden die Widersprüche der deutsch-polnischen Beziehungen seit dem Ende des Sowjetblocks deutlich sichtbar. In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai 2004 feierten auf der Brücke zwischen Frankfurt/Oder und Slubice der deutsche und der polnische Außenminister die historische Erweiterung der Europäischen Union um fünfzehn neue Mitglieder. Ein strategisches Ziel des deutsch-polnischen Tandems wurde nach jahrelangen Beitrittsverhandlungen erreicht. Doch nur wenige Wochen nach dem EU-Beitritt zeigte sich, wie brüchig die neue deutsch-polnische Harmonie sein kann. Der 10. September 2004 wurde zu einem Schwarzen Freitag in den jüngsten deutsch-polnischen Beziehungen. An diesem Tag beschloss das polnische Abgeordnetenhaus fast einstimmig mit nur einer Enthaltung — ohne Konsultationen mit der polnischen Regierung, geschweige denn mit dem Bundestag oder deutschen Diplomaten — eine Resolution, in der die Regierung aufgefordert wurde, Gespräche mit der Bundesregierung über Reparationszahlungen für polnische Verluste im Zweiten Weltkrieges zu führen. Diese Initiative war eine Antwort des polnischen Parlaments auf eventuelle Entschäigungsklagen deutscher Vertriebener und Spätaussiedler, die in Polen spätestens seit der Gründung der Vertriebeneninitiative „Preußische Treuhand“ gefürchtet werden. Die Bundesregierung und der Bundestag zeigten sich von der Sejm-Resolution irritiert, bezeichneten sie als Überreaktion polnischer Politiker auf Aktivitäten einer Minderheit von Ewiggestrigen. In Berlin war man tief enttäuscht darüber, dass die Versöhnungspolitik des vereinigten Deutschland, die zahlreichen Gesten guten Willens und der Distanzierung von jeglichen Vermögensansprüchen deutscher Vertriebener der Bundesregierung vom polnischen Parlament nicht ernst genommen wurden. Die Resolution des polnischen Parlaments blieb ohne Folgen, die damalige polnische Regierung von Ministerpräsident Marek Belka hat Reparationsforderung polnischer Parteien zurückgewiesen und wies auf den formellen Verzicht gegenüber der DDR 1953 und nach der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages von 1970 mit der Bundesrepublik hin. Die beiden Ereignisse vom Mai und September 2004 zeigen das breite Spektrum der deutsch-polnischen Beziehungen seit 1989.

Basil Kerski
Mittel- und Osteuropa

Der Umbruch in Mittel- und Osteuropa definiert das Ende des kurzen Zwanzigsten Jahrhunderts. Internationale Politik, europäische Einigung und deutsche Außenpolitik erfuhren zwischen dem Solidarnosc-Wahlsieg im Sommer 1989 und der Auflösung der Sowjetunion Ende 1991 dramatische Veränderungen ihrer Grundlagen, Rahmenbedingungen und Ausrichtung. Viele der wichtigsten Akteure veränderten sich in ihren Kernmerkmalen wie Territorium, Bevölkerung, Rechtspersönlichkeit, Interessenlagen, Bündnisstrukturen, wirtschaftlichen Verflechtunge. Der vorliegende Aufsatz konzentriert sich auf Ungarn, die Tschechoslowakei und ihre beiden Nachfolgestaaten, sowie im geringeren Umfang auf das Baltikum, Bulgarien und Rumänien. Ausgeklammert wird die deutsche Außenpolitik gegenüber Polen, da ihr ein eigener Beitrag gewidmet ist (→ Polen).

Michael Dauderstädt
Russland

Fünfzehn Jahre nach der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch der Sowjetunion müssen zwei zentrale Konflikte des zwanzigsten Jahrhunderts neu betrachtet werden: Der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg repräsentieren in der sehr viel längeren Geschichte deutsch-russischer Kooperation eine Diskontinuität. Im letzten Jahrzehnt hat sich das traditionelle Muster deutsch-russischer Partnerschaft wieder verstärkt. Die post-kommunistischen deutsch-russischen Beziehungen können dabei nicht mehr mit den Labeln „Rapallo“ noch „Molotow-Ribbentropp-Pakt“ versehen werden, denn zum ersten Mal basiert diese Beziehung weder auf imperialen Träumen oder Rachegedanken, noch auf der Herrschaft über die Länder, die zwischen Deutschland und Russland liegen. Vielmehr gründet sich diese Partnerschaft auf eine konkrete wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie auf Deutschlands Wunsch, Russland in Europa zu integrieren, ein Prozess, der durch die bolschewistische Revolution für ein Jahrhundert unterbrochen worden war. Weil Moskau die friedliche Vereinigung Deutschlands 1990 ermöglichte, fühlt sich Berlin zudem in besonderer Weise für Russland verantwortlich. Doch während Deutschland eine aktivere internationale Rolle übernimmt, kämpft Russland noch immer mit post-kommunistischen Identitätsproblemen und ist bemüht, seine Position in der Welt zu definieren, eine Position, die zumindest teilweise durch die Beziehungen zu Deutschland geprägt wird.

Angela Stent
Die GUS-Staaten

Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion und der Herausbildung der ehemaligen Sowjetrepubliken zu souveränen Staaten entstand Ende 1991 die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Sie wurde am 8. Dezember 1991 durch eine Vereinbarung zwischen den Staatsoberhäuptern Russlands, der Ukraine und Weißrusslands ins Leben gerufen und am 21. Dezember durch den Beitritt acht weiterer früherer Unionsrepubliken (Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan) förmlich gegründet. Nachdem im Jahr 1993 auch Georgien und die Republik Moldau in die GUS eintraten, sind heute mit Ausnahme der drei baltischen Staaten alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion Mitglieder der Gemeinschaft.

Ellen Bos
Ex-Jugoslawien

Die Bundesrepublik Deutschland hat beim Management der Jugoslawienkrise von Anbeginn eine aktive und zeitweise auch führende Rolle gespielt. Ihr Engagement in der Region stand im Kontext zweier wesentlicher Entwicklungen: dem strukturellen Wandel der internationalen Beziehungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sowie der Neubestimmung der außenpolitischen Identität Deutschlands (→ Deutsche Identität und Außenpolitik) nach der Wiedervereinigung.

Marie-Janine Calic
Türkei

Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Türkei sind durch ein komplexes Geflecht unterschiedlicher Motivations- und Interessenlagen und daraus resultierender bilateraler und multilateraler Politikfelder gekennzeichnet. Die bilateralen Beziehungen im engeren Sinn werden von den zahlreichen ungelösten Problemen der Integration der türkisch- und kurdischstämmigen Bevölkerungsgruppe in Deutschland dominiert. Die Wirtschaftsbeziehungen können als problemlos bezeichnet werden: Der deutsch-türkische Wirtschaftsaustausch nimmt aufgrund seines Umfangs im EU-Rahmen eine Sonderstellung ein, und deutsche Urlauber bilden den größten Teil der ausländischen Touristen in der Türkei. Eine wichtige intervenierende politische Variable in den bilateralen Beziehungen ist die Situation der Menschen- und Minderheitenrechte in der Türkei. Die öffentliche Wahrnehmung und Einschätzung dieser Faktoren bestimmt wesentlich das „Großklima“ der Beziehungen und schlägt sich im konkreten bündnisoder europapolitischen Verhalten der Bundesregierung nieder. In jüngster Zeit ist die deutsche Türkeipolitik völlig von der, auch stark partei- und innenpolitisch beeinflussten, europapolitischen Kontroverse über einen eventuellen türkischen EU-Beitritt dominiert worden, und dieses Problemfeld, einschließlich seiner Rückwirkungen auf die innerdeutsche Integrationspolitik, wird auch künftig das wichtigste Element der deutsch-türkischen Beziehungen bilden.

Heinz Kramer
Naher und Mittlerer Osten

Unter dem „Nahen und Mittleren Osten“ werden hier der arabische Raum zwischen Ägypten und dem Indischen Ozean (→ Israel), der Persische Golf und Iran sowie Afghanistan und Pakistan verstanden. Im geschichtlichen Überblick gehörte die Region nicht zu den dominierenden Feldern deutscher Außenpolitik (

Goren 2003

;

Chubin 1992

;

Kaiser/ Steinbach 1981

). Die Allianz Deutschlands mit dem Osmanischen Reich, die in der Reise Kaiser Wilhelms II. nach Konstantinopel und Palästina (1898) ein sichtbares Siegel erhielt, war wirtschafts- und machtpolitisch motiviert, kam jedoch spät im Vergleich zu der Nahostpolitik anderer europäischer Großmächte, insbesondere Englands und Frankreichs. Der Zusammenbruch des Deutschen und Osmanischen Reiches 1918 setzte dem deutschen Ehrgeiz, im Konzert europäischer Großmächte im Raum Mittelmeer und Naher/ Mittlerer Osten mitzuspielen, ein jähes Ende. Trotz vereinzelter Bemühungen um die Herstellung von Beziehungen zu Staaten in der Region und der Unterstützung insbesondere arabisch-nationalistischer Kräfte (gegen Großbritannien) nach 1933 kann auch in der Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reiches kaum von einer deutschen Nahostpolitik gesprochen werden. Auch am Wettlauf um die an Bedeutung gewinnenden Erdöl-Ressourcen der Region beteiligte sich Deutschland bis 1945 nicht ernsthaft (Mejcher 1980, 1984: 27–59, 2003: 71–83).

Udo Steinbach
Israel

Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel sind seit jeher von besonderer Natur gewesen: Sie gestalteten und gestalten sich vor dem historischen Hintergrund des nationalsozialistischen Völkermordes an den Juden Europas. In den verschiedenen Phasen der beiderseitigen Beziehungen nahm dieses säkulare Verbrechen jeweils wechselnden Stellenwert ein. Entscheidend für die Position der jungen Bundesrepublik, nicht nur Israel gegenüber, sondern in der Welt überhaupt, war die im Wesentlichen auf Konrad Adenauer zurückgehende politische Weichenstellung, durch die Annahme einer Pflicht zur „Wiedergutmachung“ als demokratischer Nachfolgestaat des verbrecherischen „Dritten Reiches“ Verantwortung zu übernehmen, im Gegensatz zur Politik der DDR, deren apodiktischer „Antifaschismus“ eine solche Verantwortung von sich wies. Auf der anderen Seite stand die Mahnung des Staatsgründers David Ben Gurion, Israel als „Staat der Opfer“ dürfe den Holocaust nicht instrumentalisieren, um handfeste politische Interessen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber durchzusetzen (Wolffsohn 1998: 173f). Beides ließ sich freilich, in unterschiedlicher Intensität, nicht vermeiden. Nach dem Ende der Ära Adenauer, insbesondere während der sozialliberalen Koalition der siebziger und frühen achtziger Jahre, nahm der Drang der Bundesregierung zu, die geschichtspolitischen Koordinaten im Verhältnis zu Israel zugunsten eher „realpolitischer“ — und das bedeutete in den Zeiten der Ölkrise: wirtschaftspolitischer — Koordinaten zurückzudrängen. Entsprechend scharf konterte im Gegenzug Israel mit geschichtspolitischer Polemik, wie sie im Schmidt-Begin-Konflikt des Jahres 1981 einen das beiderseitige Verhältnis stark belastenden Kulminationspunkt erreichte. Allerdings konnten derartige Missverständnisse die durch Ben Gurion und Adenauer begründete gegenseitige Wertschätzung zwischen beiden Ländern, wie sie in Politik und öffentlicher Meinung zum Ausdruck kommt, bisher nicht ernsthaft und auf Dauer gefährden. Weil freilich die „Normalität“ im deutschisraelischen Verhältnis in der Besonderheit liegt und unvermeidliche tagespolitische Differenzen, eben aufgrund der Vergangenheit, leicht zu unverhältnismäßigen Eintrübungen des politischen wie demoskopischen Klimas führen, bedurfte und bedarf diese Normalität stets besonderer Pflege.

Michael Wolffsohn, Thomas Brechenmacher
Maghreb-Staaten

Während des Kalten Krieges standen die Beziehungen der Bundesrepublik zu den an der Schnittstelle zwischen Europa, Afrika und dem arabischen Raum gelegenen nordafrikanischen Ländern Algerien, Marokko und Tunesien im Schatten des weltumspannenden Systemantagonismus sowie der

relations privilégiées

Frankreichs zu seinen ehemaligen Gebieten. Aktives deutsches Engagement im südlichen Mittelmeerraum beschränkte sich angesichts des moralischen Imperativs der Vergangenheit lange Zeit überwiegend auf Israel (→ Israel), während den drei Staaten des inneren Maghreb nur eine untergeordnete außenpolitische Bedeutung beigemessen wurde. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und insbesondere seit den Terroranschlägen am 11. September 2001, am 11. April 2002, am 16. Mai 2003 und am 11. März 2004 in New York und Washington, sowie auf Djerba, in Casablanca und Madrid ist die Region zwischen Tarfaya im marokkanischen Westen und Sfax im tunesischen Osten jedoch sukzessive in den Blickwinkel bundesdeutscher Außenpolitik gerückt. Zwar hat sich seither kein grundlegender Paradigmenwechsel der deutschen Nordafrika-Politik vollzogen. Dennoch deuten die seit 1991 verfassten konzeptionellen Überlegungen des Auswärtigen Amtes (AA), des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und einzelner Bundestagsfraktionen sowie eine relativ ausgeprägte Besuchsdiplomatie auf ein wachsendes Interesse an der Region hin. Seit der Konferenz von Barcelona, auf der am 27./28. 11.1995 die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) geschaffen wurde, sind die deutschmaghrebinischen Beziehungen, in deren Mittelpunkt die handeis- und entwicklungspolitische Zusammenarbeit stehen, überdies noch stärker als zuvor in den EU-europäischen Kontext eingebettet und von diesem mittlerweile kaum zu trennen.

Tobias Schumacher
Afrika südlich der Sahara

In diesem Beitrag wird ausschließlich die deutsche Außenpolitik gegenüber den 48 Staaten südlich der Sahara dargestellt und analysiert, da sich ein eigener Beitrag den fünf nordafrikanischen Staaten widmet (→ Maghreb-Staaten), die sich kulturell und politisch eher auf den Nahen Osten und die arabische Welt hin orientieren. Die Betrachtung der Außenpolitik gegenüber 48 Staaten ist dabei zumeist summarisch und verallgemeinert angelegt und kann daher nur sehr beschränkt auf bilaterale Beziehungen auf für die deutsche Außenpolitik besonders wichtige Staaten eingehen. Das subsaharische Afrika stand lange Zeit im Schatten der politischen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. So umfasst das Kapitel zu Afrika im Handbuch zur deutschen Außenpolitik von 1975 (Löwis of Menar 1975) nur fünf Seiten und in der vierbändigen Reihe Deutschlands Neue Außenpolitik ganze acht Seiten (Hofmeier 1996). Dies ist auf den ersten Blick erstaunlich, da Deutschland traditionell einer der größten Geber von Entwicklungshilfe in Afrika ist, die diplomatische Präsenz zeitweise sehr stark war und deutsche Direktinvestitionen im Vergleich mit anderen Staaten für Afrika durchaus von Bedeutung sind. Erst in den letzten sechs Jahren hat erstens das politische Interesse in Deutschland an Afrika stark zugenommen, ablesbar an einer intensiven Besuchsdiplomatie deutscher Politiker. Zweitens vertiefte sich auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Afrika, wovon zahlreiche neue Veröffentlichungen (Engel/Schleicher 1998; Engel/Kappel 2002) Zeugnis ablegen.

Siegmar Schmidt
Lateinamerika

Wenn man in früheren Jahrzehnten das Thema Deutschland-Lateinamerika aus politikwissenschaftlicher Sicht behandelte, musste man aus Gründen fairer Gewichtungen den Blick darauf lenken, dass die außenpolitischen Prioritäten der (alten) Bundesrepublik unmissverständlich außerhalb Lateinamerikas lagen. Sie waren leicht zu definieren: Die europäische Integration und die Aussöhnung mit den westlichen und später auch den östlichen Nachbarn, das Atlantische Bündnis und nicht zuletzt die deutsche Sicherheitslage erlaubten zusätzliche, aber eben nicht mehr weitere

prioritäre

Engagements. Dem deutschen Verhältnis zu Lateinamerika kam unter diesen Prämissen eine gewisse Gebrochenheit zu. Auf der einen Seite war Lateinamerika ein Teil jener Dritten Welt, zu der man im Ganzen schon deshalb ein gutes Verhältnis aufbauen konnte, weil in Afrika, Asien und auch Lateinamerika Deutschlands imperialistische Vergangenheit nicht ins Gewicht fiel, und weil die damalige BRD unter wirtschaftswie entwicklungspolitischen Gesichtspunkten als ein konstruktiv prägender Teil des Westens geschätzt wurde. Deutschland konnte daher mit einer breiten Akzeptanz in Übersee rechnen. Für Lateinamerika zählten zusätzliche Besonderheiten, auf die auch die Bonner Regierungen immer setzen konnten, nämlich eine relativ starke deutsche Immigration in etlichen lateinamerikanischen Ländern, ein historisch gewachsener, freundschaftlicher Respekt vor der Kultur des Anderen und sehr konkrete und breit gestreute Verflechtungen auf transnationalen Ebenen, wie sie in dieser Form zu keiner anderen überseeischen Region bestanden, auch nicht zu den USA. In diesem Sinne lag im deutsch-lateinamerikanischen Verhältnis eine Besonderheit vor, die sich vom allgemeinen Dritte Welt-Verhältnis der alten BRD unterschied (

Mols/ Wagner 1994

).

Manfred Mols
Südostasien

Die Beziehungen der Bundesrepublik zu den elf Staaten Südostasiens — Birma, Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand, Vietnam und (seit seiner Unabhängigkeit von Indonesien 2002) Ost-Timor — verliefen in der Vergangenheit weitgehend unspektakulär, wohl schon allein deswegen, weil ihnen bis in die 1990er Jahre hinein nur eine nachgeordnete Priorität zukam. Angesichts handfester amerikanischer Sicherheitsinteressen blieb der Gestaltungsspielraum in dieser Region vor allem während des Kalten Krieges gering. Deutsche Interessen ordneten sich in dieser Zeit weitgehend der amerikanischen

Containment- Politik

unter. Allerdings überwog dabei die Rhetorik, zumal die Bundesregierung stets darauf achtete, nicht in bewaffnete Konflikte wie den Krieg in Vietnam hineingezogen zu werden. Profil zeigte sie allenfalls dann, wenn deutschlandpolitische Interessen auf dem Spiel standen und Staaten der Region versuchten, die deutsche Zweistaatlichkeit durch Avancen an die DDR zum eigenen Vorteil zu nutzen.

Jürgen Rüland
Indien

Spätestens seit ihren Nukleartests vom Mai 1998 hat die Indische Union eine neue internationale Aufmerksamkeit auch in der deutschen Außenpolitik erlangt. Die im Mai 2000 vereinbarte „Agenda für die deutsch-indische Partnerschaft im 21. Jahrhundert“ und das SüdasienKonzept des Auswärtige Amtes (AA) von 2002 tragen der neuen internationalen Bedeutung Indiens Rechnung, das als „natürlicher Partner“ und als aufstrebende „asiatische Großmacht“ gesehen wird. Die gemeinsame Initiative im Rahmen der G 4 zusammen mit Japan und Brasilien für einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) unterstreicht das gemeinsame Interesse beider Staaten, zukünftig eine größere internationale Rolle einzunehmen.

Christian Wagner
Volksrepublik China

Die deutsch-chinesischen Beziehungen sind durch vergleichsweise geringe historische Hypotheken belastet. Deutschlands Reputation in China ist nicht geprägt durch die Verbrechen der nationalsozialistischen Herrschaft, sondern überwiegend durch die kulturellen, technischen und wirtschaftlichen Leistungen der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwar betrieb das deutsche Kaiserreich eine durch kolonialistische Ambitionen und Militäraktionen geprägte Chinapolitik: 1897/98 wurde die Errichtung des deutschen „Pachtgebietes“ Kiautschou/ Tsingtao in Ostchina militärisch erzwungen, und im Kontext des „Boxeraufstandes“ 1899–1901 wurden blutige Militärexpeditionen unternommen. Die deutsche Kolonialpräsenz aber wurde bereits 1914 nach nur 16 Jahren durch die japanische Besetzung Tsingtaos beendet (Mühlhahn 2000). In den dreißiger Jahren spielten deutsche Militärberater eine zentrale Rolle in den Modernisierungsversuchen der chinesischen Armee unter der Regierung Chiang Kaishek. Nach Ausbruch des japanisch-chinesischen Krieges zog die nationalsozialistische Regierung aber 1938 mit Rücksicht auf die deutsch-japanische Allianz ihre Diplomaten und Militärberater aus China ab. In der Kommunistischen Partei Chinas übten einzelne deutsche Kommunisten im Auftrag der von Moskau kontrollierten Kommunistischen Internationalen (Komintern) nach 1927 zeitweise einen wichtigen Einfluss auf die Parteiführung und auf deren Revolutionsstrategie aus (Braun 1973; Kampen 1998).

Sebastian Heilmann
Japan

Japan gilt der deutschen Außenpolitik als wichtigster Partner in Ostasien. Dementsprechend sind die bilateralen Beziehungen insgesamt bemerkenswert gut und auch recht dicht. Allerdings fehlt es ihnen trotz aller Bemühungen um enge Zusammenarbeit im Kern an Substanz: Weder bestehen grundlegende Interessensdivergenzen, die dauerhafte Konflikte nach sich ziehen und so die Diplomatie der beiden Staaten beschäftigen könnten, noch Gemeinsamkeiten, die sich durch bilaterale Politik-Koordination chancenreich verfolgen ließen. So spielt sich inzwischen ein erheblicher Teil der Zusammenarbeit in multilateralen Kontexten ab, innerhalb derer Deutschland und Japan als große Wirtschaftsmächte und gewichtige Verbündete der Vereinigten Staaten mitwirken.

Nadine R. Leonhardt, Hanns W. Maull

Politikfelder

Frontmatter
Sicherheitspolitik

Sicherheit und Sicherheitspolitik bilden im klassischen Verständnis der Internationalen Beziehungen (IB) einen Teilbereich der Außenpolitik. Dabei spielte in den vergangenen fünf Jahrzehnten zumindest im westlichen Diskurs die Unterscheidung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Sicherheit eine wichtige Rolle. Politische Anstrengungen zur Gewährleistung der äußeren Sicherheit waren diesem Verständnis gemäß immer Teil von Außenpolitik, aber nicht alle Außenpolitik war deshalb schon Sicherheitspolitik — oder doch nur in einem sehr breiten Verständnis. Da diese begrifflichen Feinheiten gerade im deutschen Fall von besonderer Bedeutung waren (und sind) und sich an der Entwicklung deutscher Sicherheitspolitik seit der Vereinigung wichtige Veränderungen sowohl hinsichtlich des Sicherheitsverständnisses wie auch in der deutschen Außenpolitik in einem breiteren Sinne ergeben haben, werde ich im Folgenden zuerst in allgemeiner Form auf das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Sicherheit (-spolitik) und Bedrohung eingehen und einige Mechanismen aufzeigen, die bei der Herstellung von (Un-)Sicherheit zusammenkommen müssen. In einem zweiten Schritt skizziere ich, wie die sowjetische Bedrohung in der alten Bundesrepublik das Sicherheitsverständnis dominierte und wie mit Hilfe der NATO-Verbündeten und einer gemeinsamen Strategie der Abschreckung

und

Entspannung ein großer Krieg verhindert werden konnte. Im dritten Teil werden die weitreichenden, in manchen Teilen auch radikalen Veränderungen im Sicherheitsdiskurs des vereinten Deutschland diskutiert und aufgezeigt, wie sich Deutschland sicherheitspolitisch aus der Situation einer von anderen Staaten abhängigen europäischen Mittelmacht zu einer „Sicherheit exportierenden“ Macht entwickelt hat, von der nun ihrerseits immer mehr Staaten abhängen. Dieses neue Selbstverständnis äußert sich nirgends unmissverständlicher als in dem Anspruch auf einen nationalen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.

Gunther Hellmann
Deutsche Außenwirtschaftspolitik

Die deutsche Außenwirtschaftspolitik der Nachkriegszeit zeichnet sich seit der Gründung der Bundesrepublik durch liberale Kontinuität aus. Der westdeutsche Handelsstaat erwies sich auch nach der Vereinigung als außenwirtschaftlich stabil, binnenwirtschaftlich hingegen intensivierte sich eine Schwächephase. Regionale und globale Verflechtungen waren feste Grundmuster geworden.

Reinhard Rode
Internationale Finanzpolitik

Die internationale Finanzpolitik sieht sich seit den neunziger Jahren einem erweiterten Problembündel gegenüber. Die Schuldenkrise vieler Entwicklungs- und Schwellenländer, die die finanzpolitischen Beziehungen zwischen der Dritten Welt und den Industriestaaten in der vorherigen Dekade geprägt hatte, blieb auf der Agenda. Angestrebt wurde eine nachhaltige Schuldenentlastung für besonders arme und zugleich hoch verschuldete Entwicklungsländer. Die so genannte Kölner Schuldeninitiative wurde 1999 nicht zuletzt auf Drängen der Bundesregierung auf dem Gipfeltreffen der führenden Industriestaaten (G-7) vereinbart. Die Auslandsverschuldung von etwa 40 Ländern sollte auf ein tragfähiges Ausmaß reduziert werden, wenn diese ihrerseits erfolgversprechende Maßnahmen zur Armutsbekämpfung ergreifen. Bis 2001 hatte gut die Hälfte der Kandidaten die Zugangsberechtigung zu dieser Initiative erreicht, so dass der Entschuldungsprozess in diesen Ländern beginnen konnte. Der Nutzen der Schuldeninitiative blieb aber umstritten, weil die tatsächlichen Entlastungswirkungen geringer ausfallen dürften als erhofft und eine dauerhafte Reduktion der Armut keineswegs gesichert war (Nunnenkamp, Wahl und Wollenzien 2001).

Peter Nunnenkamp
Energie- und Rohstoffpolitik

Energieträger und Rohstoffe sind (neben Nahrungsmitteln) die wichtigsten physischen Ressourcen jedes Wirtschaftssystems. Energie wird definiert als die Fähigkeit, Arbeit zu leisten; Arbeit ist der wichtigste Faktor, um natürliche Rohstoffe in höherwertige Güter und Dienstleistungen zu verwandeln. Auch Energieträger wie Kohle, Gas, Öl und andere Brennstoffe gehören eigentlich zu den natürlichen Rohstoffen, werden aber im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Wirtschaftsstatistik getrennt von diesen aufgeführt. Energetische und andere Rohstoffe sind oft untereinander austauschbar, wobei in langfristiger Perspektive eine Tendenz zu beobachten ist, nichtenergetische Rohstoffe teilweise durch Energie zu substituieren und den Energieverbrauch durch rationelle Energieumwandlung zu begrenzen. Im Prozess der wirtschaftlichen Modernisierung ist Energie das dynamischere Element gegenüber den übrigen Rohstoffen.

Erwin Häckel
Rüstungsexportpolitik

Wie wenige Politikfelder ist Rüstungsexportpolitik von kurzzeitigen medialen „Skandalisierungen“ und langfristigem öffentlichem Desinteresse gekennzeichnet. Gründe dafür sind die Objekte, um die es geht, todbringende Waffen und anderes militärisches Gerät, deren Verwendung (nicht zuletzt bedingt durch die jüngere deutsche Geschichte) Emotionen hervorruft, aber auch ein Schleier der Geheimhaltung, der diesen Politikbereich weiterhin umgibt. Rüstungsexport aus Deutschland ist mit 12.627 Einzelgenehmigungen im Jahr 2003 (

Bundesregierung 2004: 31

) einerseits ein routinisiertes Tagesgeschäft, andererseits aber, vor allem durch Veröffentlichungen in der Massenpresse, immer wieder Kristallisationspunkt heftiger Kontroversen.

Michael Brzoska
Internationale Kriminalität/Internationaler Terrorismus

Die Bekämpfung der internationalen Kriminalität — begrifflich präziser: der transnationalen organisierten Kriminalität (TOK), da es hier nicht um die Klärung der Frage geht, inwieweit Staaten untereinander kriminell agieren — kann als Paradebeispiel für die wachsende Schwierigkeit einer Trennung von innen- und außenpolitischen Aufgabenfeldern betrachtet werden. Die Gefährdung der inneren Sicherheit durch die Zunahme und Transnationalisierung von organisierter Kriminalität wurde in der Bundesrepublik Deutschland bereits in den 1980er Jahren zu einem innenpolitischen Schwerpunktthema. Die weltpolitischen Umbrüche Anfang der 1990er Jahre, der Prozess der Globalisierung und nicht zuletzt auch der europäische Integrationsprozess bewirken, dass vormals nationalstaatliche Aufgaben zunehmend international reguliert und verrechtlicht werden. Dabei scheinen sich auch die institutionell und in ihrer Aufgabenteilung klar abgrenzbaren Bereiche der Herstellung innerer und äußerer Sicherheit kaum mehr voneinander trennen zu lassen (→ Sicherheitspolitik). Galt während des Ost-West-Konflikts noch der zwischenstaatliche Krieg als zentrale Bedrohungsvorstellung, die das außenpolitische Handeln der Staaten prägte, so findet seit Ende der Ost-West-Konfrontation eine Ablösung durch neue Bedrohungsszenarien statt, die sich weniger an einzelnen Staaten bzw. feindlichen Staatenblöcken orientieren, sondern die wachsende Gefährdung durch transnational vernetzte kriminelle und/oder terroristische Organisationen betonen. Spätestens Mitte der 1990er Jahre avancierte daher der Kampf gegen die TOK zu einem bedeutenden Punkt auf der Agenda der internationalen Politik. Die Koordination der Sicherheitspolitiken und die Angleichung der nationalen Regelsysteme zur Bekämpfung von kriminellem Handeln werden im Kontext der veränderten Risikowahrnehmung auf globaler, regionaler und staatlicher Ebene angestrebt. Zahlreiche bi- und multilaterale Abkommen zur Polizeikooperation, internationale Konventionen und Organisationen zur Bekämpfung der Kriminalität tragen diesem Ziel Rechnung.

Jutta Bakonyi, Cord Jakobeit
Entwicklungspolitik

Der rot-grüne Koalitionsvertrag vom Herbst 1998 definierte Entwicklungspolitik als „globale Strukturpolitik, deren Ziel es ist, die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse in Entwicklungsländern zu verbessern“. So oder so ähnlich lauten die Standarddefinitionen eines Politikfeldes, das die Weltgeschichte der Dekolonisation hervorbrachte. Die neue Ministerin im BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) wertete die Entwicklungspolitik unter Berufung auf Willy Brandt zur Friedenspolitik des 21. Jahrhunderts auf und legte damit die Meßlatte für ihre Wirkungen und Erfolge sehr hoch — allzu hoch, wie ihre umstrittene Wirkungsgeschichte vermuten lässt.

Franz Nuscheler
Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik

Die fortschreitende Durchsetzung liberaler Prinzipien hat zum „liberalen Paradox“ (Hollifield 2003) geführt: Einerseits ist die Welt fortschreitend ökonomisch geöffnet worden, was in den letzten Jahre als „Globalisierung“ bezeichnet wird, andererseits ist sie politisch an das System der Nationalstaaten gebunden. Die Zulassung ausländischer Staatsangehöriger auf dem eigenen Territorium galt allgemein immer als souveränes Recht der Staaten. Mit der Intensivierung der Austauschbeziehungen ist diese Souveränität faktisch ausgehöhlt worden, mit der Genfer Konvention und anderen Menschenrechtspakten ist sie völkerrechtlich durchbrochen worden, neuerdings wird es auch prinzipiell angezweifelt. Die Europäische Union hat innerhalb ihres Raumes Freizügigkeit der Bürger als eines ihrer Grundprinzipien etabliert, faktisch besteht eine weitgehende Migrationsfreiheit auch zwischen den wohlhabenden OECD-Staaten. Deutschland hat die Europäisierung und die internationale Verrechtlichung der Menschenrechte aktiv vorangetrieben und im nationalen Recht verankert, aber lange Zeit durch die Doktrin, „kein Einwanderungsland“ zu sein, innenpolitisch nicht akzeptiert. Gleichzeitig besteht ein ausgeprägtes demographisches und ökonomisches Ungleichgewicht zwischen der reichen Welt auf der einen Seite und den Entwicklungsländern auf der anderen. All dies führt dazu, dass Migration zu einem Thema der

high politics

geworden ist und sowohl in Bezug auf reale Entscheidungen wie in Bezug auf nationalistische oder xénophobe Emotionalisierungen immer wieder an erster Stelle der politischen Agenda steht. In der deutschen Außenpolitik ist dieses Thema intensiv mit der Europapolitik und mit der Entwicklungspolitik verknüpft. Für die Theorie der Politik wird es in den nächsten Jahren im Fünfeck zwischen Menschenrechten, Globalisierung, ökonomischen Interessen, staatlicher Souveränität und innenpolitischen Dynamiken immer wichtiger werden. Der Beitrag schildert die Entwicklung im Kontext der Entwicklung der deutschen Politik vom verelendeten und geteilten Auswanderungsland bis zum bewussten Einwanderungsland.

Dietrich Thränhardt
Menschenrechtspolitik

Deutsche Außenpolitik ist durch drei entscheidende Determinanten gekennzeichnet: erstens durch ihre Einbindung in die Vereinten Nationen (VN), die NATO, die OSZE und die Europäische Union, zweitens durch die große und wachsende Bedeutung wirtschaftlicher Interessen als Handelsnation und drittens durch einen gewissen „Strukturkonservativismus“. Die Menschenrechtspolitik steht damit potentiell immer in Konkurrenz zu anderen wirtschaftlichen oder politischen Interessen, und die „Auflösung“ dieses Spannungsverhältnisses kann nach der einen oder anderen Seite ad hoc in der politischen Praxis erfolgen.

Wolfgang S. Heinz
Umweltpolitik

Umweltpolitik ist ein junges Politikfeld. Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) hat erst Anfang der 1970er Jahre umweltpolitische Maßnahmen im Innern ergriffen. In der Umweltaußenpolitik hat sie sich ab Anfang der 1980er Jahre engagiert. Sie zählte hiermit zu den Nachzüglern unter den Industrieländern, denn die USA, Großbritannien, Schweden oder auch die DDR hatten ihre Umweltgesetzgebung schon seit Mitte der 1960er Jahre massiv ausgebaut. Seit den 1980er Jahren hat die BRD, wie auch die meisten anderen Industrieländer, eine Reihe von bi- oder multilateralen Abkommen zum Schutz der Umwelt unterzeichnet und ist internationalen Umwelt-Regimen beigetreten. Sie koordinierte ihre Umweltaußenpolitik seitdem auch zunehmend im Rahmen der EG/EU.

Tanja Brühl
Auswärtige Kulturpolitik

Das Politikfeld „auswärtige Kulturpolitik“ ist ein Teil der auswärtigen Politik. Wie auch immer die übrigen Felder der Außenpolitik definiert werden mögen (also etwa Diplomatie, Außenwirtschaftpolitik, Sicherheitspolitik oder Entwicklungspolitik), entscheidend ist, dass die Staaten für die allgemeinen Zwecke der Außenpolitik versuchen, mit Mitteln der Kultur auf die Staatenwelt Einfluss zu nehmen oder ihren Einfluss bzw. Macht über die kulturellen Beziehungen zu erhöhen. Dem liegt die einfache Überlegung zugrunde, dass durch die Präsentation kultureller Errungenschaften das Ansehen eines Staates bei seinen internationalen Partnern erhöht und damit die Einwirkungsmöglichkeiten verbessert werden.

Horst Harnischfeger

Internationale Organisationen

Frontmatter
Vereinte Nationen

Nach dem Scheitern des Völkerbundes (1919/20 — 1946) wurde mit der Gründung der Organisation der Vereinten Nationen (VN) am Ausgang des Zweiten Weltkriegs zum zweiten Mal der Versuch unternommen, eine internationale Staatenorganisation mit der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu betrauen. Die Ursprünge der VN gehen auf die Anti-Hitler-Koalition der gegen die Achsenmächte verbündeten Staaten zurück. Bereits in der am 14. August 1941 verkündeten „Atlantik-Charta“ propagierten der damalige amerikanische Präsident Franklin Delano Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill Grundsätze für eine nach der Überwindung der Nazityrannei zu errichtende neue Friedensordnung, die auf der Schaffung eines umfassenden und dauerhaften Systems der allgemeinen Sicherheit aufbauen sollte. In einer am 1. Januar 1942 veröffentlichten „Erklärung der Vereinten Nationen“ bekannten sich 26 Staaten der Kriegsallianz zu den Zielen der „Atlantik-Charta“. Auf einer im Oktober 1943 in Moskau abgehaltenen Außenministerkonferenz kamen die Vertreter der USA, der Sowjetunion und des Vereinigten Königreichs überein, zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine internationale Organisation zur Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit zu gründen. Die drei Großmächte wollten unter Beteiligung Chinas in diesem Rahmen die Hauptverantwortung für die Friedenssicherung nach Kriegsende übernehmen.

Manfred Knapp
Europäische Union und deutsche Europapolitik

Im Feld der deutschen Außenpolitik bildet die Europapolitik neben der Sicherheitspolitik die zentrale außenpolitische Handlungsebene. In allen neuzeitlichen Phasen gesamtstaatlicher Existenz war deutsche Außenpolitik primär auf Europa ausgerichtet. Sich in Europa und seinem politischen Gefüge zu behaupten, war, je nach Standpunkt des Betrachters, Schicksal oder Ratio deutscher Politik. Die Umstände der Einigung, die Interessen der zahlreichen Nachbarn, die geopolitische Lage im Zentrum des europäischen Staatensystems wie die Phasen instabiler Machtbalance unter den europäischen Großmächten bestimmten die Agenda deutscher Europapolitik seit der Reichsgründung 1871 — und sie tun dies in gewisser Weise auch heute noch, wenn auch unter gänzlich veränderten Bedingungen. In ihrer Außenpolitik waren Bismarck, Stresemann, Adenauer, Brandt und Kohl in diesem Sinne Europapolitiker. Deutschland in Europa verträglich zu machen, seine Interessen zu wahren und gesamteuropäische Konstellationen gegen Deutschland kooperativ zu verhindern, prägte ihr Handeln, bei aller Unterschiedlichkeit von Persönlichkeit und politischer Programmatik.

Josef Janning
Nordatlantische Allianz

Ohne den Bezugsrahmen der Nordatlantischen Allianz (

North Atlantic Treaty Organization

, Nato) war deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik über fünf Jahrzehnte nicht denkbar. Der deutsche Beitritt zur Nato im Mai 1955 wurde in der Konzeption der damaligen Bundesregierung als Krönung der Westbindung und gleichzeitig von den westlichen Partnern als gerade noch akzeptabler Rahmen für eine (auch innenpolitisch höchst umstrittene) deutsche Wiederbewaffnung gesehen (→ Bundeswehr). Alle Bundesregierungen der Nachkriegszeit sahen in der Nato nicht nur den Garanten der Sicherheit Deutschlands, sondern auch den wichtigsten — wenngleich nicht immer exklusiven — sicherheits- und verteidigungspolitischen Handlungsrahmen sowie das zentrale institutionalisierte transatlantische Bindeglied. Zwar beschränkt sich deutsche Politik während des Ost-West-Konflikts darauf, sich den Strategieänderungen der Partner (zumeist der USA, in einigen Fällen auch Frankreichs und Großbritanniens) anzupassen (Haftendorn 1989: 45), gleichwohl lässt sich bereits für die Zeit vor 1989/1990 feststellen, dass sich die Bundesrepublik sukzessive von einem Objekt zu einem Subjekt wandelte, indem die Bundesregierungen versuchten, auf Entwicklung und Ausrichtung der Allianz Einfluss zu nehmen (Tuschhoff 2002: 23). Insbesondere unter der Regierung Schröder (1998–2005) hielt ein neuer Ton auch in der deutschen Haltung zur Allianz Einzug, die unter dem Schlagwort vom „aufgeklärten Eigeninteresse“ firmiert (

Harnisch 2005: 15f

). In der Irak-Krise hatte sich Deutschland nicht nur erstmals offen gegen die Bündnisführungsmacht und ihre neue sicherheitspolitische Strategie positioniert, sondern vielmehr versucht, international im Sinne einer deutsch-französisch-russisch-chinesischen „Achsenbildung“ für deutsche Positionen zu werben. Während Teile der deutschen Politikwissenschaft dies als notwendige Emanzipation Deutschlands (und EU-Europas) von den USA betrachten und insofern in dieser Sicht ein Konflikt mit den USA wie auch eine Belastung der Nato um der Sache willen hinzunehmen wäre (stellvertretend: Krell 2003), sehen andere darin einen großen Fehler. So wird argumentiert, Deutschland sei in der Irak-Frage in den „antiamerikanischen Sog Frankreichs geraten“ und eben dies sei ein „revolutionärer Wechsel in der deutschen Außenpolitik“, der den deutschen Einfluss gefährde (Hacke 2003: 10).

Nordatnnes Varwick
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist aus der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE 1973–1975) und dem KSZE-Prozess (1975–1990) hervorgegangen. Während des Ost-West-Konfliktes diente der KSZE-Prozess als gesamteuropäisches multilaterales Instrument der Entspannungspolitik, an dem alle europäischen Staaten — außer Albanien — sowie die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada teilnahmen (Jacobsen u.a. 1973/1978; Volle/Wagner 1976; von Bredow 1992). Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes sollte die gesamteuropäische Konferenz dazu beitragen, die durch die Umbrüche und friedlichen Revolutionen von 1989 entstandene instabile Situation zu stabilisieren (

Roloff 1995a

). Der KSZE-Prozess wurde daher 1990 fest institutionalisiert und 1995 in eine internationale Organisation umgewandelt. Die Verpflichtung aller Mitglieder der KSZE auf Menschenrechte, pluralistische Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Marktwirtschaft sowie auf internationale Kooperation in der Charta von Paris 1990 sollt als gemeinsame Wertebasis für eine friedliche und stabile neue europäische Ordnung gelten. Deshalb bemühte sich die Organisation auch alle neu entstandenen Staaten zwischen Vancouver und Wladiwostok aufzunehmen. Derzeit gehören der OSZE 55 Staaten an. Sie ist damit die größte regionale Organisation der Welt. Ihr Sitz ist in Wien.

Ralf Roloff
Welthandelsorganisation

Spätestens seit den Krawallen im November 1999 auf der Ministertagung in Seattle stellt die Welthandelsorganisation (

„World Trade Organisation“=

WTO) im Mittelpunkt der Globalisierungsdebatte. Als die Prinzipien des GATT

(„General Agreement on Tariffs and Trade“

am 01.01.1995 in die neugeschaffene WTO überführt wurden, hätte wohl niemand erwartet, dass dieses hoch komplizierte Vertragswerk einmal derart in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion geraten könnte.

Bernhard Stahl, Florian Lütticken
G7/G8-Gruppe

Wir leben im Zeitalter der Globalisierung. Die Staaten der Welt sind in ein komplexes Netz gegenseitiger Abhängigkeiten eingebunden. Die Souveränität des Einzelstaates wird eingeschränkt, die Notwendigkeit der Zusammenarbeit erhöht sich. Dieser Prozess ist nicht neu. Es waren die erste Energiekrise 1973/74 und die damit verursachte weltweite Rezession, die den westlichen Staaten die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit im ökonomischen, finanziellen und politischen Bereich aufgezeigt hat. Damals wurde die Idee eines regelmäßigen Treffens einer kleinen Gruppe von Staats- und Regierungschefs der wichtigsten OECD-Staaten geboren. Im Schloss Rambouillet trafen sich 1975 die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Großbritannien und den USA zum ersten Mal zum Gedankenaustausch und beschlossen, das Treffen zu einer festen Institution zu machen. Ein Jahr später stieß Kanada dazu und der Weltwirtschafsgipfel der „Gruppe der Sieben“ war geboren.

Bernhard May

Außenpolitikforschung

Frontmatter
Ansätze und Methoden der Außenpolitikanalyse

Außenpolitik ist immer wieder zum Gegenstand wissenschaftlicher Analyse geworden. Die Beschäftigung mit der Frage, wie sich politische Systeme gegenüber ihrer Umwelt verhalten, reicht bis weit in die Antike zurück. Heute wird Außenpolitik weltweit in zahllosen

Think Tanks

und Forschungseinrichtungen analysiert. Allein mit der deutschen Außenpolitik befassen sich sowohl zahlreiche politikwissenschaftliche Institute an Universitäten im In- und Ausland als auch eher beratungsorientierte Einrichtungen wie die Stiftung Wissenschaft und Politik oder das Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (→ Politikberatung). Der vorliegende Band bietet einen breiten Blick auf die jüngeren Ergebnisse dieser Forschung.

Dirk Peters
Backmatter
Metadaten
Titel
Handbuch zur deutschen Außenpolitik
herausgegeben von
Siegmar Schmidt
Gunther Hellmann
Reinhard Wolf
Copyright-Jahr
2007
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90250-0
Print ISBN
978-3-531-13652-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90250-0