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1998 | Buch

Intelligente Informationsverarbeitung

herausgegeben von: Uwe Kotkamp, Werner Krause

Verlag: Deutscher Universitätsverlag

Buchreihe : Studien zur Kognitionswissenschaft

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Raumkognition

Empirische Ergebnisse zur konzeptuellen Adäquatheit topologischer Relationensysteme
Zusammenfassung
Wir untersuchen die mentale Repräsentation einer der grundlegendsten räumlichen Beziehungen zwischen Objekten im Raum: ihre topologische Beziehung. Für die Raumkognitionsforschung sind topologische Relationen besonders grundlegend, weil sie völlig unabhängig von der möglichen Wahl eines Koordinaten- oder Bezugssystems sind und deshalb auch bei einer Änderung eines solchen Systems erhalten bleiben. Anders formuliert, berücksichtigen topologische Relationen nur die Beziehungen zwischen Regionen, Objekten und ihren Rändern und sind invariant unter stetigen Transformationen wie Rotation, Ausdehnung und Größenänderung. Eine Entsprechung finden solche nur „nachbarschaftserhaltende“ Relationen (Homöomorphie) in sprachlichen Ausdrücken wie berührt, liegt in, umfaßt usw.
Markus Knauff, Jochen Renz, Reinhold Rauh
Zur Grenzziehung zwischen Rand, Grenze und Begrenzung
Zusammenfassung
Materielle Dinge besitzen Oberflächen, Häute, Krusten und sonstige Ränder, Ereignisse und Zeitintervalle sind durch Anfänge und Enden begrenzt, während natürliche Grenzen von Ländern durch Flüsse und Gebirge markiert werden. Ränder, Grenzen und Begrenzungen spielen in der Kognition und Kommunikation über die alltägliche Welt eine zentrale Rolle. Der vorliegende Beitrag versucht eine systematische Analyse der Common-Sense-Konzeption von Rändern, Grenzen imd Begrenzungen zu liefern und die Grundzüge einer formalen Charakterisierung aufkizeigen.
Lars Kulik
Zur Repräsentation von Routenwissen: Die Auswirkung von Teilräumen auf den Richtungseffekt
Zusammenfassung
Menschen können Wissen über eine ihnen bisher unbekannte Umgebung auf verschiedene Weise erwerben. Sie können eine Karte betrachten, z.B. einen Stadtplan, eine Beschreibung der Umgebung lesen, jemanden nach dem Weg fragen, usw. Meistens lernen sie eine fremde Raumkonstellation aber auf einer Route kermen, d.h. Menschen erwerben Routenwissen, indem sie umhergehen und sich den gegangenen Weg einprägen. (Natürlich können auch verschiedene Arten des Wissenserwerbs miteinander kombiniert werden, d.h. man kann Routenwissen erwerben und sich zwischendurch eine Karte anschauen bzw. jemandem nach dem Weg fragen.) Der Erwerb und die Repräsentation von Routenwissen spielen eine große Rolle innerhalb der Forschung zur Raumkognition (s. Downs & Stea, 1973; Herrmann, Schweizer, Janzen & Katz, in Druck; Herrmann & Schweizer, 1998; McNamara, Halpin & Hardy, 1984; May, 1992; Wagener-Wender, 1993; Werner, Krieg-Brückner, Mallot, Schweizer & Freksa, 1997; für einen Überblick zu neuesten Arbeiten s. Freksa, Habel & Wender, in press).
Gabriele Janzen

Wahrnehmen, Kommunizieren und Urteilen

Entscheidungsprozesse bei der Verarbeitung lokal ambiger Sätze
Zusammenfassung
Kognitiv adäquate Modelle des menschlichen Sprachverstehens müssen spezifizieren, wie Sätzen syntaktische Strukturen zugewiesen werden und in welcher Relation die Berechnung syntaktischer Strukturen (Parsing) zu anderen Komponenten sprachlichen Wissens (lexikalisches, semantisches Wissen) steht. Zur Beantwortung dieser Fragen untersucht man gewöhnlich, wie das Sprachverstehenssystem lokale syntaktische Ambiguitäten auflöst, d.h. Sätze verarbeitet, die temporär mit mehr als einer syntaktischen Struktur kompatibel sind. Experimentelle Untersuchungen lokal ambiger Sätze haben zu zwei zentralen Einsichten geführt (Mitchell, 1994): (i) Im allgemeinen wird eine der möglichen Strukturzuweisungen präferiert. (ii) Wird ein lokal ambiger Satz zugunsten der nicht-präferierten Struktur disambiguiert, kommt es zu Verarbeitungsschwierigkeiten, sog. Garden-Path-Effekten, die hinsichtlich ihres Schweregrades erheblich variieren. Aus diesen Befunden ergeben sich zwei zentrale Fragestellungen: Wie verhält sich das Sprachverstehenssystem, speziell das für die syntaktische Analyse zuständige Teilsystem (im folgenden als Parser bezeichnet), wenn eine syntaktische Ambiguität entsteht, und wie verhält es sich, wenn sich die präferierte Strukturzuweisung als falsch herausstellt? Letztere Fragestellung steht im Mittelpunkt unseres Aufsatzes. Anhand experimenteller Daten wollen wir für eine Modifikation serieller Modelle syntaktischer Verarbeitung mit Blick auf die Verhaltensweise des Parsers am Punkt der Disambiguierung argumentieren.
Michael Meng, Markus Bader
Akkommodation bei Anaphernresolution?
Zusammenfassung
Beim menschlichen Sprachverstehen gibt es viele Beispiele für Verstehensprozesse, die mit den (bekannten) Semantiktheorien schwer oder gar nicht zu erfassen sind. David Lewis zeigte 1979 in seinem Aufsatz Scorekeeping in a Language Game (Lewis, 1979), daß vielen dieser Prozesse ein allgemeines Prinzip zugrundeliegt, das er Akkommodationsprinzip nannte. Dieses Prinzip verlangt nicht eine Revision der Semantiktheorien, sondern geht davon aus, daß bestimmte Werte der aus der Interpretation des bisherigen Kontexts hervorgegangenen Kontextparameter (dem conversational score) in gewissem Rahmen und imter bestimmten Bedingungen korrigiert werden können, wenn diese die Interpretation der aktuellen Äußerung nicht zulassen würden. Das Akkommodationsprinzip ist bewußt als ein umfassendes und allgemeines Prinzip formuliert worden, man kann also nicht von der Akkommodation schlechthin spr echen. In einigen linguistischen Semantiktheorien eingegangen, hat es jedoch konkrete Formen angenommen, insbesondere in Präsuppositionstheorien (van der Sandt, 1992; Zeevat, 1991; Zeevat, 1992).
Susanna Kuschert
Visuelle kausale Argumente
Zusammenfassung
„Dianas Tod wurde von den Paparazzi verursacht, denn wenn die Paparazzi nicht gewesen wären, wäre Lady Di nicht gestorben.“ Nach wie vor dominieren vor allem solche sprachlich formulierten Argumente die verschiedenen Massen- und Lemmedien. Sie werden in bildorientierten Medien wie Femsehen, Illustrierten und Intemet jedoch zunehmend durch Visualisierungen ergänzt oder ersetzt. Manchen Bildem wird dabei eine erhebliche Beweiskraft zugeschrieben:
„Die Paparazzi, die den Wagen [von Lady Di] verfolgt hatten, werden durch ein Foto belastet Es zeigt Dianas Wagen kurz vor dem Unglück, verfolgt von einem Motorradfahrer.“ (Schwäbisches Tagblatt, 11.9.97)
Neben Fotos werden viele andere visuelle Formen mit argumentativen Zielen eingesetzt: Karten veranschaulichen Ablauf und Auswirkungen des El Niño Phänomens, Werbespots zeigen die Effektivität von Markenwaschmittebi im direkten Vergleich zu „herkömmlichen“ Waschmitteln und Simulationen führen die Auswirkungen menschlicher Eingriffe auf das Ökosystem vor Augen.
Uwe Oestermeier, Friedrich W. Hesse
Die Verteilung problemrelevanter Informationen als Determinante der Problemlöseleistung in einer Dyade: Ein experimentelles Paradigma
Zusammenfassung
In der sozialpsychologischen Problemlöseforschung wird häufig angenommen, daß Gruppen gegenüber Einzelpersonen einen Leisümgsvorteil haben, da eine Gruppe als Ganze in der Regel über mehr problemrelevante Informationen verfügt als jedes einzehie Gruppenmitglied (Winquist & Larson, 1998; Wittenbaum, 1998). Die aktive Verteilung von Informationen unter den Gruppenmitgliedem kann gerade eine effiziente Strategie darstellen, die Gedächtnisbelastung des Einzehien während des Problemlöseprozesses zu verringern (Liang, Moreland & Argote, 1995; Wegner, 1987). In diesem Zusammenhang wird häufig die These vertreten, daß die potentiell größere Verfügbarkeit an Expertise und problemrelevantem Wissen nur dann zu einem Leistungsvorteil einer Gruppe gegenüber Einzelpersonen führt, wenn die einzelnen Gruppenmitglieder ihr spezifisches Wissen auch in die Diskussion und die Gmppenent- scheidung einbringen. Zahlreiche Untersuchungen belegen jedoch, daß es Gruppen häufig nicht gelingt, alle verfügbaren relevanten Informationen während des Entschei- dungs- oder Problemlöseprozesses auszutauschen. Viehnehr neigen Gruppen oftmals dazu, vornehmlich solche Informationen zu diskutieren, über die bereits alle Gruppenmitglieder vor der Diskussion verfugen (shared information), während solche Informationen, die nur einzelne Gruppenmitglieder besitzen(unshared information), in Diskussionen häufig überhaupt nicht zur Sprache kommen (Gigone & Hastie, 1997; Stasser & Titus, 1987; Wittenbaum & Stasser, 1996). Sind die problemrelevanten Informationen unter den Gruppenmitghedem verteilt, so kann sich als Folge eines solchen verzerrten, unvollständigen Informationsaustausches jedoch ein hidden profile effect einstellen, der darin besteht, daß eine Gruppe die beste Entscheidungsaltemative übersieht und sich statt dessen auf eine solche Entscheidung oder Problemlösung einigt, in die nur die von allen geteilten Informationen eingeht.
Torsten Reimer
Durch „Anker“ verzerrte Urteile und Erinnerungen
Zusammenfassung
In einer Demonstration des Ankereffekts gaben Tversky mid Kahneman (1974) ihren Versuchspersonen durch ein Glücksrad generierte Zufallszahlen vor. Die Person sollte dann entscheiden, ob der Prozentsatz der afrikanischen Nationen in der UN größer oder kleiner als diese Zahl sei. Dann sollte die Person eine exakte Schätzung abgeben. Die angeblichen Zufallszahlen waren hier jedoch stets 10 oder 65. Bei einer Vorgabe von 10 schätzten Personen im Mittel 25%, bei einer Vorgabe von 65 dagegen 45%. Neben seiner erstaimlichen Robustheit — der Effekt wurde in vielen Zusammenhängen geftmden (s. Pohl, 1995b) — besitzt der Ankereffekt drei besondere Eigenschaften: (a) Auch irrelevante Informationen (wie im obigen Beispiel zufällige Zahlen) können wirksam sein, (b) Personen verneinen in der Regel jeglichen Einfluß dieser Zahlen auf üir Urteil, und (c) der Effekt ist intentional — auch nach Aufklärung und entsprechenden Instruktionen — kaum zu beeinflussen (s. Pohl & Hell, 1996).
Rüdiger Pohl
Valenz-Effekte auf soziale Entscheidungen. Komplexität kognitiver Repräsentationen und sozial diskriminierende Bewertungsentscheidungen
Zusammenfassung
Menschliche Informationsverarbeitung zeichnet sich gegenüber derzeit realisierten technischen Systemen intelligenter Informationsverarbeitung unter anderem dadurch aus, daß sie in sehr unterschiedlichen Situationen funktioniert. Menschen können sowohl algorithmisch als auch heuristisch denken, sie können sowohl deduktiv als auch induktiv vorgehen, sie können gegebene Information sowohl blmd akzeptieren als auch bewerten, und sie können sowohl mdividuell als auch im sozialen Kontext arbeiten. Wird davon ausgegangen, daß es dasselbe System ist, das diese unterschiedlichen Funktionen erbringt, dann ist es sinnvoll, dieselben Prozesse und dieselben Repräsentationsformate unabhängig von den verschiedenen repräsentierten Inhalten anzunehmen. Anzustreben wäre denmach ein kognitives Modell, in dem einheitliche Prinzipien menschlicher Informationsverarbeitung angenommen werden für derart unterschiedliche Handlungen wie beispielsweise Problemlösen, Kommunikation, Raumorientierung oder soziale Bewertungen. Im vorliegenden Beitrag werden unterschiedlich valenz-haltige Bewertungsentscheidungen diskutiert, die ün sozialen Kontext emer Gruppen-Situation getroffen werden. Es wird angestrebt, die empirischen Befunde mit Hilfe eines Modells zu erklären, dessen Prozesse und Repräsentationsparameter auch in anderen Phänomen-Bereichen herangezogen werden.
Thomas Buhl, Amélie Mummendey

Denken und Handeln

Problemlösen als kulturelles Phänomen oder: ist es egal, welche Versuchspersonen wir untersuchen?
Zusammenfassung
Das Nachdenken über die empirische Basis der Forschung scheint in der Kognitionswissenschaft keine besonders hohe Priorität zu besitzen. Von 51 Artikeln in den aktuellen Heften der Zeitschriften „Cognitive Science“ (Band 19, 20) und „Kognitionswissenschaft“ (Band 5, 6) berichten lediglich 17 eigene empirische Untersuchungen; davon sind zwölf Arbeiten gruppenstatistisch angelegt, elf berichten die Daten von Studenten (meist der Psychologie, eine Arbeit ohne Angabe); von fünf Einzelfallanalysen basieren immerhin noch zwei auf Beobachtungen an Studenten.
Stefan Strohschneider
Steuer- und Bewertungskriterien von Denkprozessen
Zusammenfassung
Vor allem bei differentiellen Fragestellmigen spielt die Bewertmig kognitiver Leistungen eine bedeutsame Rolle. Kriterien, auf deren Grundlage man die intellektuelle Leistungsfähigkeit von Personen zu erfassen versucht, werden im Rahmen der Leistungsdiagnostik häufig aus externen Größen abgeleitet. So wird zur Bewertung der Problemlösefähigkeit von Probanden die Schritt- und Fehleranzahl bis zur Problemlösung ermittelt. Bekanntlich spielt im Rahmen der psychometrisch orientierten Intelligenzdiagnostik die Menge gelöster Aufgaben in einer vorgegebenen Zeit (Schnelligkeit) eine bedeutsame Rolle, Aber auch die Gesamtmenge gelöster Aufgaben und die Güte von Problem- bzw. Aufgabenlösungen werden zur Bewertung kognitiver Fähigkeiten herangezogen. Sicher, Bewertungskriterien kognitiver Leistungen, die sich an der Quantität und Qualität des Denkproduktes orientieren, tragen allgemeinen gesellschaftlichen Bewertungsmaßstäben Rechnung (Nährer, 1986). Zumindest zwei Einwände smd hierbei zu nennen:
1.
Eine Analyse und Bewertung der den Denkresultaten zugrundeliegenden Denkprozesse, darauf sollte die Erfassung der kognitiven Leistungsfähigkeit beruhen (vgl. u.a. Dömer, 1986), ist allein anhand der externen Denkresultate, der Güte einer Problemlösung, nicht möglich. Die Schwierigkeit der Bewertung des Lösungsprozesses auf der Basis von Gütemaßen ist in der Forschung zum komplexen Problemlösen gut bekannt. Erinnert sei hier nur an häufig mangelhafte Reliabilität globaler Güteparameter sowie an ihre eingeschränkte Verrechmmgsfaimess, da bei diesem Problemtyp häufig das Erzielen einer hohen Lösungsgüte nicht aus jedem beliebigen Zustand im Verlaufe einer Problemlösung realisiert werden kann (Kluwe, Schilde, Fischer & Gellerer, 1991). Sicher muß der Bewertung eines Denkprozesses auch das jeweils erzielte Resultat zugrundegelegt werden. Da aber vergleichbare Resultate auf unterschiedliche Weise zustande kommen können, liefert gerade die Betrachtung der Vorgehensweisen wichtige diagnostische Information.
 
2.
Ein bestmögliches Lösungsresultat (d.h. das möglichst genaue Erreichen emes vorgegebenen Lösungszustandes) sowie das schnelle Lösen einer Anforderung sind sicher wichtige Motive des Handelns beim problemlösenden Denken, auf deren Grundlage auch die Denkprozesse zu bewerten sind. Andere Steuergrößen bzw. Handlungsmotive, die dem Problemlöseprozeß düekt zugrundeliegen, die also die Art imd Weise des Herangehens unmittelbar determinieren und die im Rahmen der kognitiven Psychologie nachgewiesen wurden, bleiben dabei unberücksichtigt.
 
Uwe Kotkamp
Modellierung von Wissenserwerbsprozessen bei der Systemregelung
Zusammenfassung
Seit nunmehr zwei Dekaden werden in der kognitionspsychologischen Problemlöseforschung Untersuchung zum sogenannten komplexen Problemlösen durchgeführt. Gegenstand dieses Forschungsgebietes ist die Beschreibung und Erklärung von Phänomenen, wie sie bei der Interaktion von Individuen mit dynamischen Systemen auftreten. Solche dynamischen Systeme sind typischerweise als computersimulierte Miniwelten („Szenarien“) konzipiert, in die Probanden zielgerichtet eingreifen können. Die vorgenommenen Regelungstätigkeiten xmd ihre Wirkungen auf das zu regelnde System werden protokolliert und als Indikatoren für die Problemlösekompetenz von Probanden herangezogen (vgl. Fimke, 1992). Obwohl diese Forschungsrichtung ohne Zweifel eine Vielzahl empirischer Arbeiten stunulierte, fehlen bis heute übergreifende Theorieansätze zur Erklärung der xmtersuchten Problemlösevorgänge. Nachdem Funke bereüs 1984 auf diese Theoriearmut hinwies, konstatiert derselbe Autor dem Forschungsgebiet auch mehr als zehn Jahre später einen „desolaten Zustand der Theoriebildung“ (Fimke, 1995, p. 262). Der vorliegende Beitrag beschreibt einen kognitionswissenschaftlichen Ansatz der Analyse und Modellierung komplexer Problemlöseprozesse vor dem Hintergrund der theoretischen Annahmen der Kognitiven Architektur ACT-R (Anderson & Lebiere, 1998). Unser Fokus liegt hierbei auf der Rekonstruktion von Prozessen des Wissenserwerbs bei der Systembearbeitung. Für dieses Interesse sprechen sowohl inhaltliche als auch methodologische Gründe:
  • Kluwe (1993, p. 420) weist daraufhin, daß diese Forschungsfrage — obgleich von zentraler Relevanz — bislang nur unzureichend Beachtung fand: „The most important aspect of complex problem solving has been negected so far, i.e. learning to act m complex microworlds, learning to adjust one’s behavior to dynamic envüonments“.
  • Wüd auf Wissen — wie ün kognitionswissenschaftlichen Paradigma üblich — als Explanans für kognitive Leistungen rekurriert, so bleibt ein Modell ohne den Eüibezug dieses Wissen konstituierender Erwerbsprozesse prinzipiell unvollständig. Die Analyse von Mechanismen zur Genese des zur Handlungserklärung unterstellten Wissens stellt damit ein notwendiges Desiderat zur Konstruktion im strengen Sinne suffizienter Modelle dar.
  • Der Einbezug von Lernprozessen liefert strenge constraints für die Modellkonstruktion und schränkt so die in der Literatur immer wieder beklagten Freiheitsgrade bei der Modellierung kognitiver Prozesse ein.
Dieter Wallach, Christian Lebiere
Kontrollprozesse im Arbeitsgedächtnis vor und nach Übung
Zusammenfassung
Kontrollprozesse im Arbeitsgedächtnis sind verstärkt dann erforderlich, wenn zm Anforderungsbewältigmig ein ständiger Aufinerksamkeitswechsel zwischen mehreren zur Lösung notwendigen Komponenten stattfinden muß, wie es z.B. bei der Lösung von Doppelaufgaben der Fall ist. Dabei kann es sich darum handeln, daß ein Lösungsprozeß stattfindet, während gleichzeitig eine bestimmte Information im Arbeitsgedächtnis behalten werden muß. Prozesse des ständigen Aufinerksamkeitswechsels zwischen Behalten und Prozeß scheinen eine entscheidende Komponente fiir kognitive Leistungen zu sein (vgl. z.B. Conway und Engle, 1996).
Erdmute Sommerfeld, Werner Krause

Mentale Repräsentation / Mentale Modelle

Zur Repräsentation der Zeitdauer in Diskurswelten
Zusammenfassung
Es gibt zwar zahlreiche linguistische und sprachphilosophische Arbeiten zum Thema „Zeit“ (vgl. Comrie, 1985; Ehrich, 1992; Kuhn, 1989), aber nur wenige psycholinguistische Untersuchungen. Diese richteten sich primär auf die Verarbeitung zeitbezogener Textinformationen, und ihre Ergebnisse deuten zusammengenommen auf zweierlei hin: (1) Texte, in denen ein chronologisch späteres Ereignis vor dem chronologisch früheren erwähnt wird, sind schlechter verständlich als solche, in denen die Ereignisse in chronologischer Reihenfolge genannt werden (vgl. die Übersicht in Wrobel, 1994) und (2) Texte, in denen unmittelbar aufeinanderfolgend über Ereignisse berichtet wird, die chronologisch nicht uiunittelbar aneinander anschließen, sind schlechter verständlich als Texte, in denen die uimaittelbar aufeinanderfolgend beschriebenen Ereignisse auch chronologisch unmittelbar aneinander anschließen (Zwaan, 1996). Ein Text ist also dann verständlich, wenn sich die Art und Weise, wie eine Abfolge von Ereignissen beschrieben wird, an die Art und Weise anlehnt, wie Ereignisse erlebt werden. Dies paßt gut zu konstruktivistischen Theorieansätzen, insbesondere der Theorie mentaler Modelle (Johnson-Laird, 1983), nach der beim Textverstehen dieselben mentalen Systeme beteiligt sind wie beim tatsächlichen Erleben entsprechender Ereignisse.
Barbara Kaup, Stephanie Kelter, Berry Claus, Martin C. Kindsmüller
Über die Wahl von Referenzsystemen in der visuellen Suche
Zusammenfassung
Viele Reize in unserer Umwelt haben ihren festen Platz: Nasen in der Mitte von Gesichtern, Türklinken in mittlerer Höhe, und Zahnbürsten eher auf der Waschbeckenablage als auf dem Toilettensitz. Das visuelle System ist offensichtlich sensibel für diese allgegenwärtige Redundanz in der räimilichen Verteilung von Reizen: Die Wahrnehmung eines Objektes ist erleichtert, wenn es an einem typischen Ort im Kontext einer Szene präsentiert wird (Biederman, 1972; Boyce, Pollatsek & Rayner, 1989; Hoffinann & Klein, 1988). Ein kurzzeitig präsentierter Buchstabe wird besser erkannt, wenn er in einem Wort anstatt in einem Anagramm dargeboten wird (Wort-Überlegenheits-Effekt; Reicher, 1969; Wheeler, 1970). Und, wenn Vpn in einem Buchstabendisplay nach zwei möglichen Targetbuchstaben suchen, wird an den einzelnen Darbietungspositionen jeweils dasjenige Target schneller entdeckt, das dort häufiger präsentiert wurde (Hoffinann & Kunde, eingereicht; Miller, 1988). Derartige Befimde lassen die Vermutung zu, daß das visuelle System Erfahrungen über das Auftreten von Objekten in Szenen, von Buchstaben in Wörtern und von Targets in Suchdisplays ortsbezogen akkumuliert imd Erwartungen darüber ausbildet, wo welche Reize üblicherweise auftreten.
Wilfried Kunde, Joachim Hoffmann
Untersuchungen zur Adäquatheit des Postulats einer antizipativen Verhaltenssteuerung zur Erklärung von Verhalten mit ACSs
Zusammenfassung
Hoffmann (1992) formuliert einen hypothetischen Lemmechanismus zur Konstruktion verhaltenssteuemder Antizipationen. Dabei handelt es sich um einen S-R-S-artigen Lemmechanismus, der mittels Antizipation lernt. Es läßt sich die Kritik formulieren, daß für S-R-Smügt Lemmechanismen Antizipation überflüssig ist, da man in emer Situation S2 die zuletzt ausgewählte Handlung R und deren Ausgangssituation Si zu einer S 1 -R-S 2 -Verbindung zusammenfassen kann und dazu keine Antizipation benötigt. Diese Kritik soll entkräftet werden, indem gezeigt wüd, daß ein solches Vorgehen keüieswegs einfacher ist als mittels Antizipation zu lernen. Dazu wüd zunächst der von Hoffinann vorgeschlagene Lemmechanismus einer antizipativen Verhaltenssteuerung vorgestellt imd über dessen Weiterentwicklung zu einem Lemalgorithmus fiir Classifier Systems berichtet. Classifier Systems, die mittels antizipativer Verhaltenssteuerung lernen, werden antizipative Classifier Systems oder kurz ACSs genannt. Im Anschluß daran wüd eine Lemaufgabe für Roboter vorgestellt und nüt ACSs bearbeitet. Diese Lemaufgabe wurde ursprünglich mit einem anderen Lemalgorithmus simuliert, der sich dadurch auszeichnet, daß er mit konkreten S-R-S-Verbindungen startet und keine Antizipationen verwendet. Die oben formulierte Kritik, Antizipation sei für S-R-S-artige Lemalgorithmen überflüssig, soll schließlich dadurch entkräftet werden, daß dieser Lemalgorithmus mit ACSs vergüchen wüd. Dabei soll der algorithmische Aufwand ein Maß für die Adäquatheit der Lemalgorithmen sein.
Wolfgang Stolzmann
Evidenzgestütztes Bilderkennen: Ein strukturorientiertes Modell für Klassifikations- und Generalisierungsleistungen beim visuellen Lernen
Zusammenfassung
Ein Objekt erkennen bedeutet, es zu klassifizieren (Bruner, 1956; Rosch, 1978; Lakoff 1987). Zur Beschreibung menschhcher Klassifikationsleistungen sind in der Kognitionspsychologie zahheiche formale Ansätze entwickelt worden, wie prototoypbasierte Modelle (Reed, 1973), Exemplar-Modelle (Brooks, 1978; Medin & Schaffer, 1978; Nosofsky, 1986), oder probabilistische Verfahren (Rentschler, Jüttner & Caelli, 1994; Jüttner & Rentschier, 1996). Für die Mehrzahl dieser Modellansätze gelten jedoch insofern erhebliche Einschränkungen, als sie extrem einfache, d.h. in weiügen Reizdünensionen parametrisierbare, Bildmuster voraussetzen. Ferner folgen sie einer psychometrischen Tradition, die den zentralen Begriff der Ähnlichkeit weitgehend von der physikalischen Reizbeschreibung abgekoppelt hat: Objekte sind hier als Punkte in einem fiktiven psychologischen Raum repräsentiert, dessen Dimensionalität und Metrik mit Hilfe von Skaüerungsverfahren festgelegt wird. Damit geht der Bezug zu dem zugrundeliegenden physikalischen Merkmalsraum verloren (vgl. Shepard, 1987). Ohne Zusatzannahmen sind so keine quantitativen Aussagen darüber mehr möglich, wie Objektkategorien auf Grund physikalischer Objektmerkmale erlernt, und wie erworbene Kategorien auf neue, bislang noch nicht gesehene Objekte angewandt, d.h. generalisiert, werden. Diese Grundaspekte kategorialer Leistungen stehen im Mittelpunkt des nachfolgend vorgestellten evidenzgestützten Klassifikationsmodells.
Martin Jüttner

Wissensrepräsentation und Wissenserwerb

Phonologische, syntaktische und prosodische Information beim Behalten von Sätzen
Zusammenfassung
Dieses Papier soll einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, inwieweit phonologische, prosodische und syntaktische Information beim unmittelbaren seriellen Recall (ISR) von Sätzen behaltenswirksam ist. Bevor wir zwei Experimente referieren, die dieser Frage nachgehen, skizzieren wir, ausgehend von Baddeleys Modell der phonologischen Schleife (PL), den gegenwärtigen Diskussionsstand zum ISR von syntaktisch strukturiertem verbalem Material. Abschüeßend schlagen wir einen theoretischen Rahmen vor, der sowohl unseren eigenen als auch den in der Literatur publizierten Befunden zum Satzrecall Rechnung trägt.
Ralf Rummer, Johannes Engelkamp
Erwerb und Anwendung von Strukturwissen: Effekte auf das Lernen und den Transfer bei der Systemsteuerung
Zusammenfassung
Welche Bedeutung dem Wissen über die Beziehungen zwischen den Variablen eines dynamischen Systems für die erfolgreiche Bearbeitung von Steuerungsproblemen zukommt, ist empirisch noch nicht ausreichend geklärt. In Korrelationsstudien konnte zwar gezeigt werden, daß Problemlöser, die gute Steuerleistungen erzielen, über mehr Strukturwissen verfügen als wenig erfolgreiche Problemlöser (Beckmann, 1994; Funke, 1992; Müller, 1993), doch liegen auch widersprechende Befünde vor. So waren in manchen Studien Wissen und Steuerleistung nicht oder sogar negativ korreliert (Berry & Broadbent, 1984, 1987, 1988). Aus den in ihrer Forschungsgruppe beobachteten Dissoziationen zwischen dem Wissen und der Leistung folgerten Berry und Broadbent (1988), daß das Strukturwissen beim Erlemen der Systemsteuerung keine wesentliche Rolle spielt. Erst beim Transfer, also dami, wenn Problemloser mit einem bekannten System unter geänderten Bedingungen arbeiten, ist eine enge Beziehung zwischen dem Steuererfolg und dem Strukturwissen zu erwarten (Broadbent, 1992).
Walburga Preußler
Diskrete Struktur von Entscheidungszeiten in sozialen Urteilen
Zusammenfassung
Die Analyse von Reaktionszeiten ist seit den Arbeiten von Sternberg (1966) zu einem auβerordentlich weitverbreiteten Zugang zum Verständnis kognitiver Prozesse geworden. Es gelingt damit, Komponenten kognitiver Prozesse zu separieren und Merkmale dieser Komponenten zu ermitteln. Dabei wird meist angenommen, daß ein Zeitkontinuum vorliegt, das heißt, für die Dauer eines kognitiven Prozesses sind im Prinzip alle Zeiten möglich. Diese Sichtweise kommt beispielsweise in Untersuchimgen zur einfachen Reaktionszeit zum Ausdmck: Versuchspersonen haben eine Taste zu betätigen, wenn ein Ton erklingt. Gefragt ist, wie die Reaktionszeit (RT) von der Intensität des Tones (I) abhängt. Es zeigt sich, daß sie mit Zunahme der Intensität abnimmt. Um dies genauer zu erfassen, wird die Funktion RT = f (I) gesucht. Dabei wird vorausgesetzt, daß f eine stetige Funktion ist. Das bedeutet, daß eine kleine Änderung der Intensität auch eine kleine Änderung der Reaktionszeit zur Folge hat.
Brigitte Edeler, Peter Petzold

Neurowissenschaftliche Aspekte der Informationsverarbeitung

Modifikation sensorischer und motorischer cortikaler Repräsentationen durch motorisch-sensorische Wechselwirkungen
Zusammenfassung
In den letzten Jahren wurden auf psychophysischer als auch neurobiologischer Ebene zahlreiche Hinweise auf sensomotorische Wechselwirkungen aufgezeigt, die einerseits instantan sein können, also unmittelbar im Sinne einer „online“ Informationsverarbeitung, andererseits auch auf längerer Zeitskala stattfinde können, etwa im Sinne langfristiger adaptiver Prozesse.
Hubert R. Dinse, Marianne Jürgens, Heinrich Reinke, Roberto F. Zepka
Konflikt der Sinne: Wenn visuelle und propriozeptive Rückmeldung nicht übereinstimmen
Zusammenfassung
Um ein Ziel zu erreichen, modifizieren wir kontinuierUch unser Verhalten auf der Basis fortlaufender Erfahrungen und Eindrücke (Jeannerod, 1997). Diese Flexibilität unseres Verhaltens ist eine zentrale Komponente höheren Bewußtseins. Das Verfolgen unserer Absichten und das Beobachten der sich daraus ergebenden Konsequenzen ermöglicht es uns, zwischen Ereignissen, die wir selber verursachen, und Ereignissen, die von der Umwelt verursacht auf uns einwirken, zu unterscheiden (Frith, 1992).
Gereon R. Fink
Zeitliche Bindung und der Aufbau visueller Objektrepräsentationen
Zusammenfassung
Wie man heute annimmt, beruhen fast alle kognitiven Fimktionen auf einer parallelen und distribuierten Informationsverarbeitung, an der stets viele Himareale beteiligt sind. Insbesondere mehren sich die Hinweise darauf, daß neuronale Repräsentationen von Objekten und Ereignissen der Außenwelt nie strikt lokalisiert sind, sondern durch hochgradig distribuierte Aktivitätsmuster implementiert werden. Das Sehsystem bietet ein inzwischen gut untersuchtes Beispiel für diese Art der Verarbeitung. Inzwischen sind mehr als 30 visuelle Areale beschrieben worden, in denen unterschiedliche Arten visueller Information wahrscheinlich weitgehend separat verarbeitet werden. Aus die­sen Befimden ergibt sich, daß Objekte nicht durch das Feuern einzehier oder sehr weniger Neurone in der Hirnrinde repräsentiert werden, sondern durch ausgedehnte und über weite Bereiche verteilte Neuronenverbände — sog. Assemblies. Damit stellt sich jedoch die Frage, auf welche Weise große und hochgradig verteilte Neuronenpopulationen für die Bildung von Assemblies — und damit für die Bildung kohärenter Objektrepräsentationen — koordiniert werden können (Engel et al., 1992, 1997; Singer & Gray, 1995).
Andreas K. Engel, Michael Brecht, Pascal Fries, Wolf Singer
Zur kortikalen Organisation semantischer Informationsverarbeitung
Zusammenfassung
Menschen haben im Verlauf ihrer Entwicklung ein umfangreiches begriffliches Wissen über Gegenstände erworben. Dieses Wissen erlaubt ümen, Gegenstände zu erkennen und in adäquater Weise mit ihnen zu interagieren. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie begriffliches Wissen über Gegenstände im semantischen Gedächtnis, einer Teüstruktur des Langzeitgedächtnisses, organisiert ist. In der kogiütionspsychologischen und in der neurowissenschaftlichen Forschung werden zwei grundlegende Prinzipien diskutiert, nach denen Wissen über Objekte im semantischen Gedächtnis organisiert ist. (i) Dabei geht es zum einen um die Frage nach der modalitätsspezifischen Orgaiüsation des semantischen Gedächtnisses, d.h. ob mehrere modalitätsspezifische semantische Subsysteme vorliegen (z.B. eüi verbales semantisches Gedächtnis für sprachliche Reize und ein non-verbales semantisches Gedächtnis für nicht sprachhche Reize), (ii) Zum anderen wurde vorgeschlagen, daß das semantische Gedächtnis kategorienspezifisch organisiert ist, d.h. daß semantisches Wissen, das nüt bestimmten Objektkategorien verknüpft ist, in separierbaren Teilsystemen repräsentiert ist.
Markus Kiefer

Kognitive Aspekte der Software-Qualität

Die kognitive Dimension von Qualität in der Software-Entwicklung
Zusammenfassung
Wenn von Kognition in der Software-Entwicklung gesprochen wird, so kann damit eine Vielzahl von Phänomenen gemeint sein, die sich je nach der von emer Person in einem Prozeß der Teilprozeß eingenommenen Rolle erheblich unterscheiden. Von Interesse sind diese Phänomene wegen ihrer starken und multiplen Auswirkungen auf Qualität von Software (SW). Von der Diskussion eines SW-Designs über die Umsetzung der Spezifikation in Codebausteine bis hin zum Verstehen des von anderen geschriebenen Programmtextes in der Wartungsphase sind immer menschhche kognitive Prozesse wesenthch beteihgt, ungeachtet aller Bestrebungen, durch Normierung oder automatische Codegenerierung den Einfluß persönücher Neigungen und Gewohnheiten auf die produzierte Technologie zu reduzieren.
Marcus Spies
Expertise in der professionellen Software-Entwicklung: Anforderungen an eine anwendungsorientierte Forschung
Zusammenfassung
Die Untersuchung von Expertise ist ein wichtiges Teilgebiet der kognitiven Psychologie. Zu den wesentlichen Aufgaben dieses Forschungsbereichs gehört es, zu ermitteln, wie sich erfahrene bzw. leistungsstarke Personen von weniger erfahrenen bzw. leistungsschwächeren Personen im Hinblick auf kognitive Prozesse und insbesondere Wissen unterscheiden (Ericsson & Smith, 1991a; Reimann, 1996).
Sabine Sonnentag

Modelle und Mechanismen der Verarbeitung von Zeit

Die Kapazität des phonetischen Speichers des Arbeitsgedächtnisses als ‚auditive Präsenzzeit‘ und ihr Einfluß auf die Reproduktion von Zeitmustern
Zusammenfassung
Die meisten Menschen sind in der Lage, einen loirzen Rhythmus direkt nach seiner Darbietung nachzuklopfen oder eine unbekaimte Melodie von wenigen Tönen Dauer nachzusingen. Auch das sofortige Nachsprechen eines dreisilbigen Wortes ist eine leichte Aufgabe, selbst wenn es sich bei dem Wort um einen noch nie gehörten Fachbegriff handelt. Wie kann akustische Information kurzzeitig so zuverlässig gespeichert werden? Werden einzelne aufeinanderfolgende Klatigbausteine einerseits und ihre Abfolge andererseits bewußt enkodiert? Die subjektive Leichtigkeit entsprechender Aufgaben legt eher nahe, daß die Verarbeitungsprozesse größtenteils automatisch ablaufen.
Dietmar Grube
Modelle zur Zeitdauerdiskrimination: Ein neuer Zugang ihrer Überprüfbarkeit
Zusammenfassung
Einen großen heuristischen Wert in der Zeitwahmehmung besitzen innere Uhren, die auf einem neuronalen Pulsprozeß basieren (z.B. Killeen & Fetterman, 1988). Creehnan (1962) formulierte erstmals ein solches neuronales Zählermodell für die Diskrimination kurzer Zeitdauern. Dabei nahm er an, daß während der Darbietung eines Intervalls, dessen Dauer t beurteilt werden soll, ein neuronaler Taktgeber Pulse erzeugt. Die Anzahl N(t) der Pulse, die während dieses Intervalls registriert werden, stellen dami die interne Repräsentation der Intervalldauer dar. Je mehr Pulse registriert wurden, als desto länger empfindet man das Intervall. Der Pulsstrom verläuft jedoch nicht regelmäßig, sondem unterliegt zufälligen Schwankungen, wie sie im Nervensystem typischer weise auftreten. Deshalb erscheint uns dasselbe Intervall einmal als kürzer, ein anderes Mal als länger. Insbesondere nahm Creehnan an, daß die Anzahl der erzeugten Pulse durch einen Poisson-Prozeß mit einer mittieren Taktrate λ beschrieben werden kann. Allgemein gilt fiir einen Poisson-Prozeß, daß die mittlere Anzahl der registrierten Pulse und die Variabilität dieser Anzahl proportional mit der Intervalldauer t ansteigt.
Rolf Ulrich, Thomas Rammsayer
Backmatter
Metadaten
Titel
Intelligente Informationsverarbeitung
herausgegeben von
Uwe Kotkamp
Werner Krause
Copyright-Jahr
1998
Verlag
Deutscher Universitätsverlag
Electronic ISBN
978-3-322-85180-2
Print ISBN
978-3-8244-4322-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-85180-2