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1994 | Buch

Expertenwissen

Die institutionalisierte Kompetenz zur Konstruktion von Wirklichkeit

herausgegeben von: Ronald Hitzler, Anne Honer, Christoph Maeder

Verlag: Vieweg+Teubner Verlag

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Über dieses Buch

Vor gar nicht allzuvielen Jahren war das Vertrauen auf die Kompetenzen von Experten auch in modernen Gesellschaften noch nahezu ungetrübt. Heute erscheint die Erinnerung an jene konsensuellen Erwartungen in bezug insbesondere auf von diesen 'verkörperten' technischen Fortschritt und wissenschaftliche Rationalität wie ein 'Märchen aus uralten Zeiten': Zwischen dem Horrorszenario der "Entmündigung durch Experten" und dem vielbe­ klagten "Elend der Experten" wandelt sich der Experte vom kulturellen Hoffnungsträger zum sozialen Buhmann. Dafür, daß die Zukunft des Experten bereits hinter ihm liege, wie das mancher 'Berufslaie' verkündet, spricht, schon wenn man sich auch nur die in den Medien präsente Expertisen- und Debattenkultur mit ihren Rekrutie­ rungsstrategien, ihren Rekurs- und Repetitionskapazitäten vor Augen führt, gleichwohl nichts. Im Gegenteil: Die Expertise als solche hat Konjunktur. Daß die professionelle Autonomie der szientistischen Experten schon seit längerer Zeit nicht mehr gewahrt werden kann, das allerdings zeigen die symptomatischen Diskurse ebenfalls. Als eine zu simple Vorstellung dürfte sich aber auch erweisen, daß der naturwissenschaftlich-technische Experte nun mit dem einen Typus des sozial-moralisch reflektierenden Experten konfrontiert oder gar von einem neuen Meta-Typus des 'ganzheitlich-integra­ tiven' Experten abgelöst werden könnte.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Wissen und Wesen des Experten

Wissen und Wesen des Experten
Ein Annäherungsversuch — zur Einleitung
Zusammenfassung
Der größte Teil unseres Alltagswissens ist uns so zur Gewohnheit geworden, daß wir es normalerweise gar nicht mehr bemerken, zumindest so lange nicht, wie es ‘wie gewohnt’ funktioniert. Diesen Teil des Wissens können wir unter dem Etikett ‘Fertigkeiten’ versammeln. Fast ebenso selbstverständlich verfügen wir auch über unser ‘Gebrauchswissen’, also über solches problemloses Wissen, von dem wir wissen, daß wir es einmal gelernt haben. Und wir verfügen über Wissen, von dem wir wissen, daß wir es einmal gelernt haben und daß es einer gewissen regelmäßigen (oder unregelmäßigen) Anwendung bedarf, damit wir es nicht wieder vergessen — also über so etwas wie ‘Rezeptwissen’.
Ronald Hitzler

Professionell verwaltetes Wissen

Frontmatter
“Guck mal, Du Experte”
Wissenschaftliche Expertise unter ethnographischer Beobachtung und wissenssoziologischer Rekonstruktion
Zusammenfassung
Die Herkunftsbeziehungen unserer Sprache zeigen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Experte und Experiment, also wissenschaftlicher Tätigkeit, und eine gemeinsame Bedeutungs-Wurzel mit ‘Gefahr’.1 Spätestens seit den Diskussionen um die Gefahren und Risiken der wissenschaftlich-technischen Entwicklung, den Resultaten des Experimentierens, steht der faktische Zusammenhang auch im Mittelpunkt einer Auseinandersetzung um die Bedeutung und Rolle von Experten(wissen). Es bedarf keines besonderen Wissens mehr, um erkennen zu können, daß Expertenwissen oder — neutraler gesagt — Sachwissen politischen, juristischen, ökonomischen oder beliebigen andere Entscheidungskontexten Begründungen und Rechtfertigungen zu liefern vermag, ohne indessen eine übergeordnete Rationalität entsprechender Entscheidungen herbeiführen zu können. Wir wissen, daß beispielsweise wissenschaftliche Experten in Form von Gutachten und Begutachtungen Begründungsarbeit für andere leisten, und daß Gutachter als unabhängige gedacht und behandelt werden können. Die Inhalte ihrer Begründungen sind jedoch abhängig von einem komplexen disziplinären Beziehungsgeflecht, in dem ihr Wissen in der Wahl bestimmter Annahmen und Voraussetzungen ruht. Selbst Berechnungen, denen wir eine relativ starke Kausalität unterstellen, erscheinen im Lichte konkurrierender Expertisen so oder völlig anders durchführbar, mit entsprechend widersprüchlichen Resultaten.
Klaus Amann
Die Produktion von Geduld und Vertrauen
Zur audiovisuellen Selbstdarstellung des Fortpflanzungsexperten
Zusammenfassung
Wasser — plätscherndes, sprühendes, glitzerndes Wasser. Kinder — spielende, fröhliche, saubere Kinder. Und eine Melodie — eine leichte, heitere, harmonische Melodie. Bewegung, Farbe, Klänge, Licht: Klares Wasser und gesunde Kinder.
Anne Honer
Verstreute Expertisen
Psychologisches Wissen und Biographiekonstruktion
Zusammenfassung
Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf eine Untersuchung der Generierung alltagsweltlich verfügbarer Deutungsmuster für störungsbezogene biographische Zusammenhänge durch psychologisches Expertenwissen.1 In Auseinandersetzung mit der phänomenologisch orientierten Wissenssoziologie und der soziologischen Verwendungsforschung werden zuerst einige Überlegungen zur “Verwissenschaftlichung des Alltagswissens” durch die Verwendung psychologischen Wissens bei Biographiekonstruktionen vorgestellt. Daran anschließend werden vier “verstreute Expertisen”, d.h. vier Typen störungsbezogener biographischer Konstruktionsmuster erläutert, in die psychologisches Wissen eingeflossen ist.2
Reiner Keller
Ökonomen auf dem Weg von der Expertise zur Esoterik
Zusammenfassung
Die meisten Ökonomen sind selbstverständlich überzeugt davon, daß sie wesentliche Einsichten in wirtschaftliche Zusammenhänge besitzen, und daß es für die wirtschaftlichen Akteure nur von Nutzen sein kann, wenn sie ihre Ratschläge beherzigen. Nun können sich die Ökonomen zwar über Arbeit nicht beklagen. Insbesondere öffentliche Verwaltungen und Stäbe großer Unternehmungen und sonstiger Organisationen erteilen Aufträge für alle möglichen Studien und interessieren sich für Expertenwissen. Aber dennoch machen Ökonomen oft die Erfahrung, daß ihre Empfehlungen durch die letztlich Zuständigen nicht befolgt werden. Immer wieder werden Maßnahmen ergriffen, die ökonomisch gesehen weniger effizient oder gar ausgesprochen ineffizient sind. Und das ist sozusagen eine Sünde wider den heiligen Geist der Ökonomie und schmerzt den Fachmann.
Alfred Meier
Gemeinsame Denkfiguren von Experten und Laien
Über Stufen der Verwissenschaftlichung und einfache Formen sozialwissenschaftlichen Wissens
Zusammenfassung
Der vorliegende Text ist mit einem Textverarbeitungsprogramm geschrieben worden, das in den letzten Jahren von Version zu Version immer leistungsfähiger wurde. Fortgeschrittenere Programmversionen beseitigten jeweils Nachteile älterer Versionen — darunter auch solche, die von Updates selber neu produziert worden waren. Indem PC-Anwendungsprogramme ihren Benutzern laufend mächtigere Werkzeuge zur Verfügung stellen, mit denen sich wesentlich schneller und bequemer als früher immer mehr Effekte erzielen lassen, erweisen sie sich als kumulativ verbesserungs-, d.h. fortschrittsfähig. Das Fortschrittsschema, das der Regel folgt, Neuem höhere Leistungen zuzuschreiben als vom Fortschritt überholtem Altem, läßt sich offenbar problemlos auf diese Art “eindeutig fortschrittsfähiger” Prozesse technischen Wandels anwenden.
Emil Walter-Busch

Managementwissen

Frontmatter
Expertenschaft in Führungskritik
Zur Semantik und Struktur einer kasuistischen Praxis
Zusammenfassung
‘Human Relations’ heißt ein Stichwort, unter dem aus betriebs- und organisationspsychologischer Sicht seit nunmehr fast sechs Jahrzehnten eine ‘rein produktionsorientierte’ Betriebsführung (Taylorismus, Fordismus) kritisiert und einer ‘menschenorientierten Sichtweise’ gegenübergestellt wird. Die Human Relations-Bewegung wird ihrerseits von einer weitaus fundamentaleren Kritik begleitet. Aus Sicht der Klassen- und Entfremdungstheorien ist die Idee der Human Relations eine Ideologie, eine vordergründige und affirmative Kritik, die die Grundstrukturen des kapitalistischen Betriebes stärken hilft.1 Sicherlich könnte man die Institutionalisierung von Human Relations und verwandten Richtungen unter solchen Gesichtspunkten untersuchen und fände in den teilweise engen Beziehungen zwischen Forschungs-, Lehr-, Beratungs- und Trainingsinstituten einerseits und ‘kapitalistischen Einrichtungen’ (Betriebe, Konzerne, Stiftungen u.a.m.) andererseits zahlreiche Indizien für den genannten Grundverdacht.2 Im folgenden sollen jedoch nicht ideologische Aspekte, sondern vielmehr die strukturellen Bedingungen solcher Institutionalisierungsprozesse näher untersucht werden. Die Beziehungen zwischen Human Relations-Vertretern und Betriebsleitungen konstituieren eine Praxis, die keineswegs als problemlos gegeben betrachtet werden kann.
Achim Brosziewski
Zeitmanagement-Experten
Zusammenfassung
Bücher und Kurse zum Thema “Zeitmanagement” haben derzeit Hochkonjunktur. Worin besteht das Wissen der Zeitmanagement-Experten? Inwiefern können sie als “Experten” bezeichnet werden? Wie konstituiert sich die Experten-Laien-Relation? Und wie steht es um das Verhältnis von Theorie und Praxis des Zeitmanagements? — In einem ersten Zugriff sollen auf diese Fragen im folgenden einige Antworten skizziert werden.
Thomas Samuel Eberle
Expertenwissen von Wissensexperten
Zusammenfassung
Ein Charakteristikum moderner Gesellschaften ist ihre komplexe Wissensstruktur. Auf immer neue Felder ausweitend und in neue Tiefen vorstoßend, wird Tag für Tag eine Quantität und Qualität von Wissen erschaffen und verbreitet, die der Einzelne in der Gesamtheit kaum überblicken, geschweige denn auch nur in Teilen aufnehmen kann. Einerseits sind heute individuell nur noch Bruchstücke der Gesamtheit des Allgemeinwissens verfügbar. Andererseits differenzieren sich die Sonderwissensbestände zentrifugal aus.
Martin Pfiffner, Peter Stadelmann

Praktisches Verwaltungswissen

Frontmatter
Was müssen Nutzerinnen und Nutzer von Expertensystemen wissen?
Zusammenfassung
Geht es um die Entwicklung “experter” Expertensysteme im Dienstleistungs-bereich, stehen vor allem die Professionen des Domänenexperten, der das erforderliche Fachwissen liefert, und des Knowledge Engineers, welcher als Wissenstechniker den Transformationsprozeß von körpergebundenem zu maschinellem Wissen gestaltet, im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Die Protagonistinnen und Protagonisten des betrieblichen Einsatzes, nämlich die Nutzerinnen und Nutzer, fristen dagegen ein wenig beachtetes Mauerblümchendasein. Nicht zufällig zieht eine solche Ignoranz fatale Folgen nach sich — markieren letztere doch die entscheidende Akzeptanzschwelle, vor allem wenn es um den Mißerfolg von Expertensystemprojekten geht. Die Untersuchung anwendungsrelevanten Nutzerinnen- und Nutzerwissens macht somit einen Perspektivenwechsel erforderlich: Nicht der Modellierungsprozeß vom Expertenwissen zum Expertensystem, sondern die Transformation des im Expertensystem formalisierten Wissens durch die Nutzerinnen und Nutzer steht im Mittelpunkt dieses Beitrags. Dabei wird der Frage nachgegangen, warum auch technisch ausgereifte Expertensysteme so häufig Schiffbruch erleiden. Ihr Scheitern — so die These — gründet darin, daß der erfolgreiche Einsatz von Expertensystemen in einem schmalen Korridor realisiert wird.
Nina Degele
Vom Fertigmachen
Das Wissen von Experten zur Ordnungspraxis im Gefängnis
Zusammenfassung
Gefängnisse sind Orte, von denen wir alle wissen, daß sie verschiedene unangenehme Eigenschaften aufweisen. Einige der ersten Vorstellungen, die einem in den Sinn kommen, wenn man an Strafvollzugsanstalten denkt, sind wahrscheinlich diejenigen der Einschließung und der Absonderung. Doch was ‘dort’ auch noch geschieht und insbesondere, welche “Mikrophysik der Macht” (Foucault 1976) im Anschlag ist, erfährt man natürlich nur, wenn man sich dem Treiben dort genauer zuwenden kann — oder, fatalerweise, muß. Das Personal und die Insassen in einem großen schweizerischen Gefängnis verfügen als Mitglieder der Anstaltskultur über ein mannigfaltiges Wissen um Praktiken, wie man Insassen “fertigmachen” kann. Das heißt nun nicht, daß diese Praktiken besonders häufig anzutreffen sind, noch daß sie einfach zu beobachten wären, oder daß sie ausnahmslos gegen jeden Insassen eingesetzt würden. Doch sie kommen vor, und sie stützen sich auf ein bestimmtes Wissen. Anhand einer auszugsweisen Rekonstruktion dieses Wissens und eines kleinen, beobachteten Vorfalls wird eine Deutung des Vorgefundenen vorgenommen. Abschließend wird nach dem Substrat dessen gefragt, was in dieser Kultur aus der Insassenperspektive alltagssprachlich einen Aufseher als “Experten” erscheinen läßt. Dabei zeigt sich, daß umgangssprachlich der Begriff des Experten relativ diffus und unpräzise ist, aber mit gutem Grund eingeführt wird.
Christoph Maeder
Expertenwissen und Experteninterview
Zusammenfassung
In unserem Beitrag befassen wir uns mit wissenssoziologischen und handlungstheoretischen Aspekten des Experteninterviews.1 Wir legen einen Expertenbegriff zugrunde, der an die Funktion, die eine Person innerhalb eines Sozialsystems erfüllt, gebunden ist und nicht an Bedingungen formaler Qualifikation oder an eine offizielle Position. Das entsprechende Expertenwissen resultiert aus der praktischen Wahrnehmung von bestimmten Funktionen; insofern ist es spezialisiertes Sonderwissen. Und es ist nur solchen Personen verfügbar, die diese spezifische Funktion innehaben bzw. einmal innehatten, eventuell noch denjenigen, die sich im Dunstkreis der Funktionsträger bewegen. Insofern gilt Expertenwissen als Insiderwissen.
Michael Meuser, Ulrike Nagel
Polizeiliche Expertensysteme: Illusion oder Verheißung?
Zusammenfassung
“Nichts ist unmöglich. (...) Der Verstand ist der Meister aller Dinge. Wenn die Wissenschaft diese Tatsache in vollem Umfange anerkennen würde, hätten wir schon einen großen Schritt nach vorn gemacht.” (Futurelle 1987, S. 9). Das behauptet zumindest Prof. van Dusen (Pseudonym: Die Denkmaschine), seines Zeichens Hobbydetektiv und Titelheld einer Reihe von Kurzgeschichten, welche von Jacques Futurelle geschrieben wurden und von 1906 bis 1908 im amerikanischen Sunday Magazine erschienen sind.2 Das Meisterhirn läßt sich in der Regel erst den zu lösenden Fall ausführlich schildern, denkt dann ein wenig nach und weiß meist schon die Lösung — ohne sich den Tatort je angesehen zu haben. Dieser weitgehende Verzicht auf die Beobachtung ist das Hauptmerkmal, das ihn von seinem Berufskollegen Sherlock Holmes unterscheidet und trennt. Er verarbeitet das Gehörte, also sein Wissen mit den zwingenden Gesetzen der Logik, und die Logik bringt die Wahrheit an den Tag: van Dusen ist die Personifizierung des alleinigen und vollkommenen Vertrauens in die Aufklärungskraft zwingender Logik und damit eine Vorwegnahme der Hoffnungen, die heute (immer noch) die K-I-Forschung beflügeln.
Jo Reichertz
Routinisiertes Expertenwissen
Zur Rekonstruktion des strukturalen Regelwissens von Vernehmungsbeamten
Zusammenfassung
“Das Wissen des Experten ist auf ein beschränktes Gebiet begrenzt, aber darin ist es klar und deutlich. Seine Ansichten gründen sich auf gesicherte Behauptungen; seine Urteile sind keine bloße Raterei oder unverbindliche Annahmen.” (Schütz 1972, S. 87). So charakterisiert Alfred Schütz in seinem Aufsatz “Der gut informierte Bürger” die Wissensmerkmale, die den Experten zum Experten machen. Walter Sprondel greift den von Schütz vorgegebenen personalen Typus auf und spitzt die Bestimmung zu: “Der Prototyp des so gefaßten Experten ist der Wissenschaftler eines begrenzten Fachgebietes. Was immer seine persönlichen Motive gewesen sein mögen, in diesem Gebiet zu arbeiten: wenn und solange er es tut, übernimmt er dessen Bezugsrahmen als geltend, der es ihm erlaubt, gesichert begründete Aussagen über einen begrenzten Realitätsausschnitt zu machen. Die vordefinierten ‘auferlegten’ Relevanzen sind damit zu ‘intrinsischen’ Relevanzen seiner Arbeit geworden.” (1979, S. 145).
Norbert Schröer
Doing Death
Expertenpraktik in den Kontexten von Lebenserhaltung, Verlust und Wissenschaft
Zusammenfassung
Der Tod des anderen (und nicht nur er) wird gemeinhin als singuläres Ereignis und als Grenzsituation par excellence thematisiert. Impliziter Bezugspunkt dieser Betrachtung ist der moderne Mensch in seinen Privatbezügen, der einen vertrauten Anderen verliert. Doch die Modernisierung der Gesellschaft hat mit dem Singulärwerden des Todes im Privatbereich auch das Alltäglichwerden desselben im Berufsbereich hervorgebracht. Vor allem seit einigen Jahrzehnten verwandelt sich der Umgang mit dem Lebensende immer mehr zu einer Aufgabe, die (auch) der Berufsbereich übernimmt.1 In einem eigentlichen Expertisierungsschub wird das Problem ‘Lebensende’ seines dramatischen Charakters beraubt und einer Bearbeitung zugänglich gemacht, bei der vor dem Hintergrund eines spezialisierten Sonderwissens fall-unspezifische Regeln zum Einsatz gelangen.
Ursula Streckeisen

Sozialtechnologisches (Steuerungs-)Wissen

Frontmatter
Vom moralischen Kreuzzug zur Sozialtechnologie
Die Nichtrauchkampagne in Kalifornien
Zusammenfassung
Der “Streit um das Rauchen” ist so alt wie die Geschichte des Tabaks im Abendland. Schon von Anbeginn beschäftigte der Tabak politisch Verantwortliche, die moralischen Zerfall und vor allen Dingen negative Außenhandelsbilanzen befürchteten (vgl. Conti 1986, Kiernan 1991). Das Rauchen hat sich aber nicht nur gehalten; vor allem durch die Massenproduktion der Zigarette breitete es sich in diesem Jahrhundert in allen sozialen Schichten aus und wurde zu einem unangefochtenen Teil des Alltagslebens in westlichen Gesellschaften. Indessen zeichnet sich seit etwa 30 Jahren eine grundlegende Änderung ab: Verbote für Zigarettenwerbung, Warnaufschriften auf Zigarettenschachteln, Rauchverbote und Nichtrauchzonen sind ebenso selbstverständlich geworden wie das Wissen um die Gefährlichkeit des Rauchens. So hat sich die WHO dem Amerikanischen Surgeon General angeschlossen und das Rauchen zur “wichtigsten, vermeidbaren Einzelursache von Krankheiten und vorzeitigem Tod” erklärt und eine rauchfreie Gesellschaft bis zum Jahr 2000 gefordert.
Hubert Knoblauch
Strategien der Politikberatung
Die Interpretation der Sachverständigen-Rolle im Lichte von Experteninterviews
Zusammenfassung
Die Debatte um Politikberatung und um die Verwendung sozialwissenschaftlichen Wissens ist lange unter dem Vorzeichen geführt worden, wissenschaftliches Wissen sei per se qualitativ höherwertig als praktisches Wissen. Alle Modelle der Interaktion von Wissenschaft und Politik gehen — mehr oder weniger — von dieser Vorstellung aus. Ob man der zunehmenden Verwissenschaftlichung unterstellte, sie diene der aufklärerischen oder technokratischen Rationalisierung politischer Entscheidungen, oder Wissenschaft ließe sich für die Umsetzung politischer Ziele sozialtechnologisch instrumentalisieren oder könne zur Legitimationsbeschaffung genutzt werden — in all diesen Interpretationen war eine genuin wissenschaftliche Qualität des politisch verwendeten Wissens vorausgesetzt. Die Enttäuschungserfahrungen waren damit vorprogrammiert und sind an der sozialwissenschaftlichen Diskussion um Politikberatung ablesbar (vgl. dazu Wingens 1988).
Wolfgang Walter
Systeme des Nichtwissens
Alltagsverstand und Expertenbewußtsein im Kulturvergleich
Zusammenfassung
Einer empirischen Wissenssoziologie weisen Alfred Schütz und Thomas Luckmann (1979) die Aufgabe der Analyse konkreter Strukturen gesellschaftlicher Wissensvorräte, der historischen Wechselwirkung zwischen Sozialstrukturen und gesellschaftlichen Wissensvorräten sowie der Dynamik des Wandels der sozialen Verteilung des Wissens zu. Wissen wird als konstitutiv für Handeln angesehen (vgl. Luckmann 1986, S. 191), unabhängig von dem Bewußtheitsgrad des Wissenseinsatzes, der “Realitätsadäquanz” des Wissens und seinem subjektiven oder gesellschaftlichen Ursprung, wenn es auch keine hinreichende Bedingung ist und sich in der menschlichen Wirklichkeit vieles dem Handeln des einzelnen verschließt.
Gudrun Lachenmann
Backmatter
Metadaten
Titel
Expertenwissen
herausgegeben von
Ronald Hitzler
Anne Honer
Christoph Maeder
Copyright-Jahr
1994
Verlag
Vieweg+Teubner Verlag
Electronic ISBN
978-3-322-90633-5
Print ISBN
978-3-531-12581-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-90633-5