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17.10.2023 | Organisationsentwicklung | Interview | Online-Artikel

"New Work ist oft ein Sammelsurium von Maßnahmen"

verfasst von: Andrea Amerland

6:30 Min. Lesedauer

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Nicht alles, was in der Arbeitswelt neu und modern ist, verdient die Bezeichnung New Work, so Expertin Katherina Harsch. Im Interview spricht sie über Frithjof Bergmanns Konzept, was davon übrig blieb und wie mit New Work eine Win-Win-Situation für Unternehmen entsteht.

springerprofessional.de: Jeder versteht unter New Work etwas anderes, in jedem Unternehmen wird New Work anders gelebt. Was verstehen Sie genau darunter?

Katherina Harsch: New Work ist ein Konzept, das Arbeit neu definiert und den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Es zeigt sich im strukturellen Wandel der Arbeitswelt, weg von traditionellen Hierarchien, starren Strukturen und vordefinierten Prozessen à la Command and Control hin zu Sinnhaftigkeit, Flexibilität und Selbstbestimmung bei der Arbeit.

Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels stehen viele Unternehmen vor der Herausforderung, talentierte Mitarbeitende zu finden und zu binden. Rund 44 Prozent der Berufsgruppen leiden laut Bundeswirtschaftsministerium unter diesem Mangel, Stellen bleiben lange unbesetzt. Faktoren wie hohe Gehälter, prestigeträchtige Titel und teure Dienstwagen sind heute nicht mehr so entscheidend. Stattdessen suchen viele Menschen ein Arbeitsumfeld, in dem sie sich wohl fühlen, Wertschätzung erfahren und ihre Fähigkeiten weiterentwickeln können. Arbeit soll Sinn stiften.

Um die besten Talente anzuziehen und zu halten, ist es für Unternehmen entscheidend, sich mit New Work auseinanderzusetzen. In der Praxis bedeutet dies häufig Maßnahmen wie flexible Gestaltung von Arbeitsort und -zeit, flache Hierarchien, agile Arbeitsmethoden, neue Führungsansätze und die Schaffung einer Vertrauenskultur.

Was haben aktuelle Definitionen von New Work überhaupt noch mit dem ursprünglichen Ansatz von Frithjof Bergmann gemein?

Frithjof Bergmann entwickelte den New-Work-Ansatz als Alternative zum kapitalistischen Arbeitsmodell. Sein Ziel war es, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und die Lohnarbeit, wie wir sie kennen, abzuschaffen. Damals, in den 1970er Jahren, erlebte er bei General Motors ähnliche Umwälzungen wie heute durch die Digitalisierung. Bergmann schlug vor, die gewonnene freie Zeit sinnvoll zu nutzen, basierend auf persönlichen Interessen, Fähigkeiten und Werten.

Das moderne New-Work-Konzept versucht, Arbeit attraktiver zu machen, ist aber weniger radikal als Bergmanns Ansatz. Die größte Herausforderung bei New Work besteht heute darin, dass es oft als ein Sammelsurium von Maßnahmen angesehen wird, in das alles Moderne und Neue hineingepackt wird. Der ganzheitliche Ansatz von New Work wird oft vernachlässigt und instrumentalisiert, um das Image des Unternehmens zu verbessern. Agile Methoden, flache Hierarchien, Homeoffice,Tischfußball und Obstschalen allein schaffen nicht zwangsläufig Sinn und Selbstbestimmung bei der Arbeit. Oft stehen Effizienzsteigerung und Produktivität im Vordergrund, während die Bedürfnisse der Beschäftigten vernachlässigt werden.

New Work bietet jedoch die Chance, eine Win-Win-Situation für Unternehmen und Beschäftigte zu schaffen, indem Arbeitspraktiken und -kulturen modernisiert werden, um den veränderten Anforderungen der Arbeitswelt und den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden.

Hybrides Arbeiten wird in vielen Unternehmen inzwischen praktiziert. Allerdings gelingt der Wechsel zwischen Online- und Büropräsenz nicht überall gut. Wie sollte eine New Work-Arbeitsumgebung gestaltet werden, damit mobiles Arbeiten funktioniert?

Die Flexibilisierung von Arbeitsort und -zeit kann zweifellos zur Selbstbestimmung bei der Arbeit beitragen, das Wohlbefinden der Beschäftigten steigern und die Work-Life-Balance verbessern. Dies entspricht dem New-Work-Konzept. Aber auch die Arbeit im Büro hat ihre Vorteile: Der informelle Austausch mit Kollegen, gemeinsame Pausen und die physische Zusammenarbeit an Projekten fördern Vertrauen, Identität und Zusammenhalt. Dies wirkt sich positiv auf die Unternehmenskultur und das informelle Lernen aus.

Hybrides Arbeiten zielt darauf ab, das Beste aus beiden Welten zu kombinieren. Um dies erfolgreich umzusetzen, müssen mehrere Aspekte berücksichtigt werden, darunter geeignete Technologie, Datenschutz und Sicherheit, Vertrauenskultur, Schulung der Mitarbeitenden im Umgang mit Technologie, Kommunikation, Zusammenarbeit und Work-Life-Balance.  

Neue Arbeitsmodelle werden in Hinblick auf soziales Miteinander, Mitarbeiterbindung oder Karrieremöglichkeiten durchaus auch kritisch gesehen. Welche Ansatzpunkte gibt es, um diesen negativen Effekten entgegenzuwirken?

Die Flexibilisierung von Arbeitsort und -zeit kann nicht nur das soziale Miteinander im Team, sondern auch in der gesamten Organisation beeinträchtigen, auch in Hinblick auf die Unternehmenskultur, das organisationale Lernen und die Mitarbeiterbindung. Es ist wichtig, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um den Zusammenhalt zu stärken, etwa regelmäßige interdisziplinäre Besprechungen, Teamevents zur Beziehungspflege, Retrospektiven zur Verbesserung der Teamarbeit sowie erlebnisorientierte Teambuildingmaßnahmen oder -coaching.

Wie sieht es mit der Mitarbeiterbindung aus?

Studien zeigen, dass mehr Selbstbestimmung, Flexibilität und Sinnhaftigkeit in der Arbeit, also die Grundprinzipien von New Work, die Zufriedenheit der Mitarbeitende steigern und ihre Bindung an das Unternehmen erhöhen. Möglicherweise erkennen Beschäftigte, dass sie Erfüllung eher außerhalb des Arbeitskontextes finden. Unternehmen können Maßnahmen wie Sabbaticals oder Arbeitszeitverkürzungen einführen, um Beschäftigten eine Auszeit zu ermöglichen.

Die häufigsten Gründe, das Unternehmen zu verlassen, sind mangelnde Wertschätzung und fehlende Entwicklungsmöglichkeiten. Führungskräfte spielen dabei eine entscheidende Rolle, indem sie auf Augenhöhe kommunizieren, Mitarbeitende in Entscheidungsprozesse einbeziehen, Verantwortung übertragen, Sichtbarkeit schaffen und Erfolge anerkennen.

Und was müssen Unternehmen hinsichtlich der Karrieremöglichkeiten in der der hybriden Arbeitswelt beachten?

Flache Hierarchien, die häufig mit New Work verbunden sind, können dem traditionellen Karriereverständnis widersprechen. Daher ist es notwendig, Karrierepfade zu überdenken und individuelle Optionen zu fördern. Kreative Ansätze wie die horizontale Fachkarriere, Mosaikkarrieren, Job Crafting, Job Enrichment oder Job Sharing bieten vielfältige Möglichkeiten für die individuelle Entwicklung. Individualisierung und Eigenverantwortung sind heute zentrale Elemente des Talent Management, für die Unternehmen den Rahmen schaffen sollten, etwa durch informelles Lernen, Peer-to-Peer-Austausch, Entwicklungsbudgets, Mentoring oder Coaching.

Welche Bausteine braucht es Ihrer Ansicht nach noch, um die Arbeitswelt zugunsten von Unternehmen und Beschäftigten zu transformieren?

Die fortschreitende Digitalisierung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz sollten als Chance für New Work gesehen werden. Wir können die frei werdenden Ressourcen nutzen, um unserer Arbeit mehr Sinn, Selbstbestimmung und Flexibilität zu geben. Wir sollten Dinge hinterfragen, ausprobieren und herausfinden, was wir wirklich von unserer Arbeit wollen, wie es Frithjof Bergmann ausdrückte.

Mehr Freiräume und Zeit können zu mehr Kreativität und Innovation führen, wovon Unternehmen profitieren. Um eine solche Win-Win-Situation im Rahmen von New Work zu schaffen, ist es wichtig, Maßnahmen entsprechend dem eigenen Unternehmenskontext zu entwickeln, anstatt einfach Best Practices anderer Unternehmen zu übernehmen. Diese sollten lediglich als Inspiration dienen und an den eigenen Kontext angepasst werden.

Jedes Unternehmen ist einzigartig und hat seine eigenen Werte, Stärken und Herausforderungen. Um die Akzeptanz der Maßnahmen zu gewährleisten, sollten die Mitarbeitenden frühzeitig in die Entwicklung einbezogen werden und das Top-Management die Maßnahmen unterstützen. Darüber hinaus müssen insbesondere die Führungskräfte in der Organisation befähigt werden, die neue, demokratischere Form der Führung zu praktizieren und ihre Teammitglieder zu ermutigen, ihre Rolle zu gestalten. 

Die drei wichtigsten Punkte, um hybrides Arbeiten im Sinne von New Work erfolgreich zu machen, sind für Katherina Harsch:

  1. Echte Flexibilität: Mitarbeitende sollten die Freiheit haben, ihren Arbeitsort und ihre Arbeitszeit flexibel zu wählen. So können sie ihre Arbeit selbstbestimmt an ihre Bedürfnisse anpassen. Ein starres Modell wie der Home-Office-Freitag bietet wenig echte Flexibilität und Selbstbestimmung.
  2. Teamzeit ist unverzichtbar: Gemeinsame Zeit im Team ist entscheidend für den Zusammenhalt, den informellen Austausch und das Zugehörigkeitsgefühl. Regelmäßige Treffen, sowohl online als auch offline, fördern das Teamgefühl und etablieren gemeinsame Werte. Die Gestaltung der Teamräume kann die Interaktion und Zusammenarbeit unterstützen.
  3. Fokus auf Ergebnisse: Remote-Arbeit birgt das Risiko, dass Leistung weniger sichtbar wird, was sich negativ auf die Karriere auswirken kann. Eine ergebnisorientierte Vertrauenskultur und Vorbilder können hier Abhilfe schaffen. Führungskräften kommt in diesem Zusammenhang eine neue Rolle zu, die erlernt werden muss.
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