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14.06.2022 | Verkehrswende | Schwerpunkt | Online-Artikel

Zeitenwende E-Mobilität

verfasst von: Dieter Beste

5:30 Min. Lesedauer

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Was ist gewonnen, wenn statt eines Verbrenners ein Elektromotor das Auto antreibt? Für die Einhaltung der Klimaschutzziele reicht die Antriebswende nicht aus. Sie kann nur Teil einer Mobilitätswende sein – aber da fangen die Probleme erst richtig an. 

Die Würfel sind gefallen. Am 8. Juni nahm eine Mehrheit der Abgeordneten im Europa-Parlament dem Verbrennungsmotor die Zukunftsperspektive. Ab 2035 soll der CO2-Ausstoß von Neuwagen auf null gesenkt werden. Damit zeigt das EU-Parlament auch den E-Fuels die rote Karte; Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 t werden künftig nur noch elektrisch fahren, sollte sich das Parlament in den kommenden Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten durchsetzen. 

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2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

Die drei Revolutionen des Elektroautomobils

Das Autonomobil der Zukunft, absolut selbstständig fahrend, ganz digitalisiert und mit maximaler Konnek-tivität wäre ohne elektrischen Antrieb nicht denkbar, so die weit verbreitete Meinung. Revolutioniert also das Elektroauto die moderne Kraftfahrzeugtechnik? Dazu gibt es eindeutig Klärungsbedarf.

Die Dimension des intendierten Paradigmenwechsels ist gewaltig: Am 1. Januar 2022 waren immerhin noch rund 31 Millionen Verbrenner auf Deutschlands Straßen unterwegs – demgegenüber hat die Anzahl der Elektroautos hierzulande die Millionengrenze noch nicht überschritten. "Der Weltbestand von Automobilen mit allen Arten von Antrieben beträgt derzeit (01/2021) 1,345 Milliarden Einheiten, die 7,9 Millionen Elektroautos machen dabei 0,5 % aus", zitiert Springer-Autor Cornel Stan im Kapitel Die drei Revolutionen des Elektroautomobils (Seite 38) des Buchs Automobile der Zukunft die Statistik. Demnach kamen 2019 die meistverkauften Elektroautos weltweit von Tesla: 0,361 Millionen. Im gleichen Jahr verkaufte VW rund 11 Millionen Autos und Mercedes 2,34 Millionen, nahezu alle mit Verbrennungsmotoren.

Die gegenwärtig sich vollziehende Zeitenwende hin zur Elektromobilität hatte eine nur kurze "Inkubationszeit". Das Pionierunternehmen Tesla, das die Entwicklung in den letzten Jahren konsequent vorantrieb, wurde erst 2003 aus der Taufe gehoben und eigentlich erst vor etwa 10 Jahren von klassischen Automobilherstellern als ernsthafter Konkurrent wahrgenommen. Genaugenommen, so Springer-Autor Cornel Stan, handelt sich beim jetzigen Anlauf zur Elektromobilität aus der Perspektive der Technikgeschichte schon um die dritte Revolution auf Basis des Elektroantriebs. Auf der Weltausstellung in Paris 1900 hatte Ferdinand Porsche zusammen mit Ludwig Lohner erstmals ein patentiertes Automobil mit vier elektrischen Radnabenmotoren vorgestellt. Im Buchkapitel Die drei Revolutionen des Elektroautomobils zeichnet Stan ein facettenreiches Bild der Entwicklung seither nach. 

Wurde der Weg zur Elektromobilität verpasst? 

Teslas Mission: Der Konstrukteur des Autos der Zukunft solle nicht mehr wie bislang üblich die Art des Antriebs zum Ausgangspunkt nehmen, sondern es als eine unter vielen materiellen Entitäten des Internet of Things ansehen. Das Automobil der Zukunft, absolut selbstständig fahrend, vollkommen digitalisiert und mit maximaler Konnektivität wäre ohne elektrischen Antrieb nicht denkbar, so die inzwischen weit verbreitete Meinung. Allerdings, so stellt Cornel Stan klar: "Weder das vollautomatisierte Fahren noch eine umfassende Konnektivität bedingen per se ein ausschließlich elektrisches Antriebssystem". Auch lässt er den Vorwurf nicht gelten, dass die deutsche Automobilindustrie den Weg zur Elektromobilität verpasst habe: "In diesem Zusammenhang ist nicht außer Acht zu lassen, dass Mercedes, Porsche und Audi Limousinen bauen, die Raffinesse, Komfort und technische Details bieten, die seit jeher auf dem ganzen Globus begehrt sind." Und er warnt: "Mit Strom aus Kohle oder Gas löst die Elektromobilität keine Probleme im Zusammenhang mit dem Welt-Klimawandel."

Von der Antriebswende zur Mobilitätswende

Unter der Überschrift "Klimaschutz im Verkehrssektor" plädiert Peter Kasten in der Zeitschrift Wirtschaftsdienst – Journal for Economic Policy 1-2022 folglich nicht nur für eine Antriebswende, sondern fordert eine Mobilitätswende. Tatsächlich verharren die Zahlen für die Treibhausgas (THG)-Emissionen des Verkehrssektors immer noch auf einem hohen Niveau: 164 Mio. t CO2-Äquivalente im Jahr 1990, 164 Mio. t CO2-Äquivalente im letzten Jahr vor der Covid-Pandemie (2019). Die beiden Werte für die THG-Emissionen zeigten auf beeindruckende Art und Weise, wie stark der Verkehrssektor hinsichtlich des Klimaschutzes seit 30 Jahren hinterherhinke, stellt Kasten fest und hält die Antriebswende zu elektrischen Nullemissionsantrieben im Straßenpersonen-, aber auch im Straßenschwerlastverkehr, für ein Kernelement, um eine notwendige THG-Emissionsminderung zu erreichen. Ausreichend für die Einhaltung der Klimaschutzziele sei die Antriebswende aber nicht. "Vielmehr sind auch infrastrukturelle Änderungen sowie die Angebotserweiterungen und Qualitätsverbesserungen im öffentlichen Verkehr eine Voraussetzung dafür, den Verkehrssektor auf einen Pfad zur Klimaneutralität bis 2045 zu bringen."

Die aktuelle Entscheidung des Europa-Parlaments schreibt die Antriebswende fest. Aber wie gelangt man von der Antriebswende zur Mobilitätswende? Noch vor ein paar Jahren schien die Sache klar: Selbstfahrende Autos werden schon bald ein normaler Bestandteil unseres Lebens sein – automatisierte und vernetzte Fahrzeuge machen den Verkehr sicherer und effizienter und leisten so einen Beitrag zur Verkehrswende. Wie vertrackt das Zusammenspiel neuer technischer Möglichkeiten und gesellschaftlicher ebenso wie städtebaulicher Bedingtheiten aber tatsächlich ist, erforscht ein interdisziplinäres Team am Institut für Raumplanung der TU Wien im Projekt Avenue21. Für die Buchpublikation Avenue21: Politische und planerische Aspekte der automatisierten Mobilität hat das Team Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt eingeladen, den Rahmen für eine Mobilitätswende hin zu einer nachhaltigen Zukunft mit automatisierten Fahrzeugen abzustecken. Die Quintessenz: Das automatisierte Fahren bietet nicht nur neue Möglichkeiten, sondern birgt auch Gefahren, die dringend diskutiert werden sollten.

Besessen vom Laplace‘schen Dämon?

So weisen beispielsweise die Autoren Ian Banerjee, Peraphan Jittrapirom und Jens S. Dangschat im Kapitel Data-driven urbanism, digital platforms, and the planning of MaaS in times of deep uncertainty: What does it mean for CAVs? darauf hin, dass zum autonom fahrenden Auto sozusagen spiegelbildlich in Stadt und Land eine digitalisierte Umgebung gehört. Der Kern eines computergestützten Verständnisses der Stadt sei jedoch der Glaube, dass alle Funktionen einer Stadt gemessen und überwacht und dass alle Störungen als technische Probleme behandelt werden könnten: "Die rechnergestützte Sicht der Welt scheint die Wiederauferstehung einer 200 Jahre alten Idee zu sein, die aus der damals aufkeimenden Disziplin der klassischen Mechanik stammt. Man ging davon aus, dass der Laplace‘sche Dämon, eine Figur, die in den Wissenschaften des frühen 19. Jahrhunderts populär wurde, die Lage und den Impuls jedes Atoms im Universum kennen und damit die Zukunft jedes beliebigen Objekts im Universum genau vorhersagen könnte. Die technokratische Sicht auf die Stadt impliziert, wie Laplaces Dämon, dass wir ihre Prozesse nur dann vollständig verstehen können, wenn wir über genügend Daten verfügen; und eine gute Regierungsführung ist nur möglich, wenn wir anschließend einen evidenzbasierten, algorithmisch verarbeiteten Mechanismus einsetzen, der diese Daten verarbeiten kann" (Seite 447). 

"Klimawandel und andere Umweltbelastungen, die der Verkehr verursacht, lassen nicht zu, dass wir unkritisch Wünsche und Hoffnungen auf eine künftige Technologie projizieren. Wir müssen zuerst die Grenzen dieser Technologie verstehen, bevor wir ihre Rolle im Mobilitätssystem der Zukunft gestalten", sagt Mathias Mitteregger, Leiter des Forschungsprojekts. 

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