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24.11.2023 | Wertpapiergeschäft | Gastbeitrag | Online-Artikel

Datenticker für EU-Kapitalmarkt steht in den Startlöchern

verfasst von: Dr. Rupert Graf Kerssenbrock

3:30 Min. Lesedauer

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Die fragmentierten Handelsdaten des europäischen Kapitalmarktes soll künftig der konsolidierte Datenticker zusammenführen. Davon verspricht sich die EU-Kommission mehr Wettbewerbsfähigkeit. Dabei gibt es Profiteure und Verlierer.

Der EU-Kapitalmarkt ist stark fragmentiert und zählt mehr als 50 Börsen und alternative Handelsplattformen, die durch zahlreiche Investmentbanken in ihrer Rolle als systematische Internalisierer ergänzt werden. Dies hat eine sehr heterogene Datenlage für die verschiedenen Anlageklassen wie Aktien, ETFs, Anleihen und Derivate zur Folge. Der Handel und die Kapitalanlage im gesamteuropäischen Kontext werden unnötig erschwert, weil vergleichbare Live-Daten, beispielsweise zu gezahlten Preisen, gehandelten Volumina und Transaktionszeitpunkten, für eine Vielzahl an Handelsplätzen komplett fehlen oder nur verzögert verfügbar sind. Für Nicht-EU-Investoren ist der EU-Kapitalmarkt zudem oftmals ein teures Pflaster in Sachen Datenbeschaffung. Gerade Kleinanleger können häufig nicht nachvollziehen, ob ihre Broker die bestmögliche Ausführung erzielt haben.

Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Fragmentierung des EU-Kapitalmarkts und die daraus fehlende internationale Wettbewerbsfähigkeit ein wesentlicher Grund dafür sind, dass der EU-Kapitalmarkt im Kontrast zum US-amerikanischen erheblich kleiner ist und damit als Wachstumsmotor für die Wirtschaft hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.

Anleger wünschen effizienten Preisvergleich

Das Problem der Datenfragmentierung und der damit einhergehenden Kosten ist nicht neu. Bereits 2011 stellte die EU-Kommission fest: 

Neben der Anforderung, dass Marktdaten verlässlich, rechtzeitig und zu vernünftigen Kosten verfügbar sein sollten, ist es für Anleger entscheidend, dass Marktdaten so zusammengeführt werden können, dass ein effizienter Vergleich von Preisen und Geschäften möglich ist."  

In dem Sinne sah sie bereits damals die Einführung eines gewerblich organisierten konsolidierten Datentickers für Aktien vor, welcher jedoch aufgrund fehlender ökonomischer Anreize, nicht-harmonisierter Daten und -formaten und komplexen Lizenzverhandlungen mit den Bereitstellern der Daten nicht zustande kam. 

MiFIR Review soll konsolidierten Datenticker ermöglichen

Mit der erneuten Überarbeitung des MiFID II / MiFIR-Rahmenwerks, kurz MiFIR Review genannt, soll den konsolidierten Datentickern endlich zum Durchbruch verholfen werden. Nach intensiver Trilog-Verhandlung steht die erste Lesung des Kompromisstextes im EU-Parlament am 15. Januar 2024 an. 

Demnach soll die European Securities and Markets Authority (ESMA) ermächtigt werden, einen gewerblichen Anbieter pro Anlageklasse auszuwählen. Jeder Auswahlprozess läuft bis zu sechs Monate. Die anschließende Prüfung des formalen Lizenzantrages kann nochmal drei Monate dauern. Kapitalmarktexperten gehen deshalb davon aus, dass wir den ersten operativ tätigen Anleihen- oder Aktien- und ETF-Ticker nicht vor 2026 sehen werden.

Drei Bewerbungen für die drei Ticker-Rollen

Stand heute sind drei Bewerbungen für die drei Ticker-Rollen bekannt. Zwei Bewerbungen für den Aktien- und ETF-Ticker von jeweils einem Börsen- und Fondmanager-Konsortium. Für den Anleihe-Ticker interessieren sich wiederum Bloomberg, Market Axess and Tradeweb.  

Anders als früher besteht tatsächlich nunmehr die Möglichkeit, mit dem Betrieb eines Datentickers Geld zu verdienen. Handelsplätze und Datendienstleister, sind gemäß Kompromissfassung verpflichtet, ihre Vor- und Nachhandels-Transparenzdaten dem Datenticker-Anbieter nach harmonisierten Datenstandards gegen eine faire Vergütung zur Verfügung zu stellen. Der Datenticker-Anbieter wird wiederum durch die professionellen Marktteilnehmer und Broker vergütet, wobei Verbraucher kostenlos Zugang erhalten.

Börsen verlieren, Banken und professionelle Anleger profitieren

Im Ergebnis sind die Börsen die klaren Verlierer der Gesetzesnovelle. Zum einen verlieren sie wohl Umsätze aus dem Verkauf ihrer wertvollen Daten. Es gilt abzuwarten, ob ihre Bewerbung gegen Wettbewerber besteht und zumindest Teile der Erträge gerettet werden können. Zum anderen sehen sie sich erheblichen Projektaufwänden und zusätzlichen laufenden Kosten gegenüber. 

Die Banken in ihrer Eigenschaft als systematische Internalisierer bleiben hingegen bis auf Weiteres verschont. Sie treffen Veränderungen nur indirekt über veränderte Anforderungen der genehmigten Veröffentlichungssysteme. Hier gibt es sogar Erleichterung in Form von Designated Reporting Entities, die Arbeit abnehmen.

Professionelle Anleger wie Hedge-Fonds, Banken und Hochfrequenzhändler profitieren klar, auch wenn relevante Informationen wie der Transaktionsort durch den Datenticker nicht offengelegt werden. 

Für Verbraucher ist das Bild bis dato nicht so klar. Hier wird sich zeigen, ob ein besserer Preisvergleich möglich ist oder doch ein Information Overload überwiegt. Die verbesserte Transparenz sollte perspektivisch allerdings dazu führen, dass der Spread beim Kauf von Wertpapieren geringer wird. Gute Aussichten für den preissensiblen Anleger! 

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