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30.03.2023 | Wirtschaftsrecht | Gastbeitrag | Online-Artikel

Umsetzung der Verbandsklage-Richtlinie läuft schleppend

verfasst von: Dr. Malte Stübinger

5 Min. Lesedauer

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Die EU hat im Jahr 2020 die sogenannte Verbandsklage-Richtlinie erlassen. Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten, bis Mitte 2024 ein System zur kollektiven Rechtsdurchsetzung zu schaffen. In Deutschland rangeln die Interessenvertreter derzeit noch um die Umsetzungsdetails.

Hintergrund der Verbandsklage-Richtlinie, mit der Verbraucher gemeinsam Ansprüche gegen Unternehmen durchsetzen können sollen, war der Befund der EU-Kommission, dass die Rechtslage in den Mitgliedstaaten stark voneinander abweicht und Verbraucher häufig zu große Hürden bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche überwinden mussten. Dies ging aus Sicht der Kommission mit einem massiven Vollzugsdefizit einher. Die entsprechenden nationalen Rechtsakte mussten bis Ende 2022 implementiert sein und bis Mitte 2023 in Kraft treten. Bislang haben einzig die Niederlande die Verbandsklage-Richtlinie vollständig umgesetzt.

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EU-Verbandsklage, Musterfeststellungsklage und Gewinnabschöpfungsklage

Die EU-Verbandsklagerichtlinie wird den kollektiven Rechtsschutz zur Durchsetzung von Verbraucherrechten in der EU und in Deutschland im Vergleich zur Musterfeststellungsklage und der Gewinnabschöpfungsklage auf ein neues Niveau heben. Ob die bis Ende 2022 von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzende Richtlinie und ab Juni 2023 anzuwendenden Vorschriften den kollektiven Verbraucherrechtsschutz, der nunmehr erstmalig EU-weit auch Abhilfemaßnahmen zum Gegenstand haben wird, tatsächlich verbessern wird, hängt unter anderem von der Art und Weise der Umsetzung mit Blick auf die adressierten Kollektivschadensereignissen, aber etwa auch von den Regeln zur Finanzierung der klagebefugten Einrichtungen ab.

Umsetzung in Deutschland wird ein Kompromiss

In Deutschland herrscht (auch) in dieser Frage Koalitionsstreit. Bereits im Herbst 2022 war ein noch unabgestimmter Entwurf für ein Umsetzungsgesetz informell an die Presse durchgesickert. Später hieß es aus informierten Kreisen, dass es im Zuge der Häuserabstimmung zwischen den beteiligten Ministerien erhebliche Konflikte gebe. Insbesondere das Justizministerium und das Verbraucherschutzministerium hadern bezüglich wesentlicher Fragen, die das künftige Kräftegleichgewicht zwischen klagenden Verbrauchern und beklagten Unternehmen ganz erheblich mitentscheiden werden.

Der nun im Februar 2023 vom Justizministerium veröffentlichte Entwurf bedarf nach wie vor einer Abstimmung. Das Ministerium hat interessierte Kreise aufgerufen, Stellungnahmen abzugeben. Davon sind in den vergangenen Wochen zahlreiche eingegangen. 

Die Positionen sind wenig überraschend: Auf der einen Seite begrüßen Verbraucherverbände grundsätzlich den Ansatz des Entwurfs. Er geht ihnen aber nicht weit genug, um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen und die Entscheidung, sich einer Sammelklage anzuschließen, möglichst niedrigschwellig auszugestalten. Die Industrieverbände auf der anderen Seite hingegen fürchten, dass Unternehmen künftig maßlos mit unbegründeten Sammelklagen überzogen und geradezu gelähmt werden. Sie mahnen an, buchstabengetreu nur so viel umzusetzen, wie es das EU-Recht minimal verlangt. Noch ist nicht absehbar, wie das finale Gesetzeswerk aussehen wird. Sicher ist, dass beide Seiten Kompromisse eingehen werden müssen.

Gericht soll Zahlungspflichten bestimmen können

Der Entwurf sieht vor, dass es neben der 2018 im Zuge der Aufarbeitung des Dieselskandals geschaffenen - und in der Praxis wenig erfolgreichen - Musterfeststellungsklage künftig auch eine sogenannte Abhilfeklage geben soll. Der wesentlichste Unterschied: Anders als im Korsett der ungeliebten MuFeKl, wie sie im Fachjargon heißt, soll die Abhilfeklage tatsächlich zu einem vollstreckungsfähigen Urteil führen können, in dem das Gericht nicht nur feststellt, dass ein bestimmtes Verhalten oder Produkt eines Unternehmens rechtswidrig war, sondern im Urteil auch eine Pflicht zur Zahlung von Schadensersatz oder zur Unterlassung einer bestimmten Geschäftspraktik aussprechen kann, ohne dass die einzelnen Betroffenen hierfür im Anschluss erneut individuell klagen müssten.

Das Verfahren läuft in mehreren Schritten: Zunächst muss die klagende Stelle nachweisen, dass mindestens 50 Verbraucher von der Angelegenheit in hinreichend gleicher, schablonenartiger Weise betroffen sind. Dann können sich Verbraucher und kleine Unternehmen dem Verfahren anschließen, um mit von einem obsiegenden Urteil zu profitieren - dies allerdings nach gegenwärtigem Stand nur bis zum Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung, also nur, bevor das Gericht sich typischerweise erstmalig grob zu der Frage äußert, wie es die Erfolgsaussichten der Klage sieht.

Abhilfe-Grundurteil und zwingende Vergleichspause

Gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Klage begründet ist, kann es zunächst ein sogenanntes Abhilfe-Grundurteil erlassen. Es schließt sich eine zwingende Vergleichspause an, in der die Parteien prüfen sollen, ob sie zu einer einvernehmlichen Lösung gelangen, etwa zur Berechnung der an die jeweiligen Verbraucher zu zahlenden Entschädigung. 

Gelingt eine solche Einigung nicht, prozessieren die Parteien weiter und es ergeht ein Abhilfe-Endurteil. Soweit das Gericht auf eine Zahlung von Geld, etwa Schadensersatz, erkennt, wird anschließend ein Umsetzungsfonds eingerichtet, den ein hierfür bestellter Sachwalter verwaltet und daraus die Beträge an die Verbraucher auskehrt. Die Kosten hierfür trägt das verurteilte Unternehmen.

Klagemöglichkeiten für KMU

Wesentliche Streitlinien folgen entlang derer Punkte, an denen der Entwurf über das aus Brüssel geforderte Minimum hinausgeht. So sollen sich neben Verbrauchern auch kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von unter zehn Millionen Euro der Klage anschließen können. 

Zudem soll die Abhilfeklage nicht nur für die Verletzung bestimmter, auf EU-Recht basierender Vorschriften zur Verfügung stehen, sondern ein weites Feld von möglichen Verbraucheransprüchen abdecken und auch etwa wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklagen erfassen.

Nur "qualifizierte Einrichtungen" sollen klagen dürfen

Der Entwurf zieht aber auch starke Brandmauern gegen eine missbräuchliche Nutzung des neuen Instruments, um Unternehmen vor schikanösen Klagen zu schützen, die einzig bezwecken, das Unternehmen durch ihren Lästigkeitswert in kostspielige Vergleiche zu drücken. Es beginnt damit, dass Kläger nur sogenannte "qualifizierte Einrichtungen" sein können. Dies sind nach aktuellem Entwurfsstand neben anerkannten Verbraucherschutzverbänden nur solche Vereinigungen, die allein nicht-kommerzielle Interessen verfolgen, mindestens 350 Mitglieder haben und seit vier Jahren bestehen. Die Gründung einer Vereinigung allein zu dem Zweck, ein bestimmtes Unternehmen zu verklagen, fällt damit als Option von vornherein heraus.

Die Klage darf drittfinanziert sein, jedoch darf der Finanzierer kein Mitbewerber des beklagten Unternehmens sein und soll keinen bestimmenden Einfluss auf die Verfahrensführung nehmen dürfen. Hat das Gericht insoweit Zweifel, kann es die Vorlage der Finanzierungsvereinbarung einfordern.

Kein Zwang zur Dokumentenherausgabe

Es soll keine erweiterten Möglichkeiten geben, die beklagten Unternehmen zur Herausgabe von Dokumenten oder Informationen zu verpflichten, auf die die Klägerseite zur Begründung ihrer Ansprüche angewiesen ist. 

Von einem Urteil profitieren schließlich nur diejenigen, die sich der Klage angeschlossen haben, ein sogenanntes Opt-in. Hier besteht weiterhin ein wesentlicher Unterschied zur anglo-amerikanischen Class Action. 

Ausblick: In Sachen Verbandsklage ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. Grund zur Panik besteht für Unternehmen nicht, auch die Klägervertreter sind nicht in Feierstimmung. Viele Details des Entwurfs sind zudem noch handwerklich unsauber und müssen geklärt werden, bevor das neue Instrument verabschiedet werden kann. Hiervon hängt auch ab, ob der neue Mechanismus sich in der Praxis bewähren wird.

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