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04.01.2024 | Bankenregulierung | Gastbeitrag | Online-Artikel

Finanzbranche sieht in ESG oft nur das Pflichtprogramm

verfasst von: Dr. Harald Glander

4:30 Min. Lesedauer

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Die grüne Transformation ist in der Finanzbranche besonders stark durch Gesetze getrieben. Deren Umsetzung ist daher vor allem Pflichtprogramm. Doch das greift zu kurz und lässt Wachstumschancen außer Acht, so eine Umfrage.

Am Thema ESG führt für Unternehmen längst kein Weg mehr vorbei. Produkte und Prozesse müssen nachhaltiger werden, andernfalls könnte Ungemach drohen: Kundinnen und Kunden könnten sich abwenden, auch Mitarbeitende präferieren zunehmend sozial und nachhaltig gut aufgestellte Unternehmen, und nicht zuletzt steht eine Firma im besonderen Fokus von Aufsichtsbehörden und Interessengruppen wie Investoren. Man muss kein großer Visionär sein, um zu dem Schluss zu kommen: Wer das Umsetzen von ESG-Maßnahmen aktiv vorantreibt und dies auch als Wachstumschance begreift, wird einen wichtigen Beitrag zum künftigen Unternehmenserfolg leisten. 

ESG-Projete der Finanzbranche gesetzlich getrieben

Daher lässt das Ergebnis einer weltweiten Umfrage von Simmons & Simmons unter 600 C-Level-Führungskräften verschiedener Branchen vor allem mit Blick auf die Finanzindustrie aufhorchen. Für mehr als drei Viertel (82 Prozent) der befragten Finanzunternehmen sind Investments in Nachhaltigkeit primär getrieben durch Verpflichtungen gegenüber dem Gesetzgeber oder Investoren, nur 69 Prozent stimmen der Aussage zu, dass ihr Unternehmen in erster Linie in nachhaltige Projekte investiert, um Wachstumsziele wie etwa steigende Gewinne zu verfolgen. 

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Nachhaltigkeitsmanagement in Banken – Regulatorische Pflichtübung oder Beitrag gegen den Klimawandel?

Angesichts des fortschreitenden Klimawandels justieren Unternehmen nahezu aller Branchen ihre Geschäftsmodelle unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten sukzessive neu. In diesem Kontext hat auch das Nachhaltigkeitsmanagement in Banken in den letzten Jahren einen zunehmenden Stellenwert eingenommen. Neben den branchenübergreifend zu berücksichtigenden europäischen und nationalen Regelwerken mit dem Ziel der schrittweisen Reduktion der Treibhausgasemissionen bis hin zur Klimaneutralität haben in funktionaler Hinsicht insbesondere die Sustainable Finance-Initiativen sowie in branchenspezifischer Sicht die Verlautbarungen von EZB, EBA und BaFin zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken praktische Relevanz. 

Für andere Branchen wie Gesundheit, Technologie und Telekommunikation, Energie sowie Immobilien und Infrastruktur ist es hingegen umgekehrt - für sie stehen primär Wachstumschancen im Zusammenhang mit ESG-Aktivitäten im Vordergrund.

Führungskräfte wissen um Chancen

Interessanterweise sind die Führungskräfte im Finanzsektor in der Theorie aber durchaus überzeugt davon, dass ein nachhaltiges Aufstellen positive Auswirkungen hat: 89 Prozent von ihnen stimmen zu, dass Unternehmen, die am effektivsten in Nachhaltigkeit investieren, in den nächsten fünf bis zehn Jahren finanziell am besten abschneiden werden. Auch gehen 79 Prozent davon aus, dass das Engagement für Nachhaltigkeit neue Verbrauchermärkte erschließen kann. Doch scheint nicht zuletzt eine gewisse Gesinnungshaltung hinderlich zu sein: Demnach sind 42 Prozent davon überzeugt, dass Fortschritt im Bereich Nachhaltigkeit behindert wird von Führungskräften, die dies nur als Abhaken von Anforderungen ansehen, und nicht als Chance. 

Auch zeigt sich, dass mit dem Thema ESG in der Finanzbranche vor allem Risiken verbunden werden - deutlich stärker als in anderen Sektoren. Besonders ausgeprägt ist die Sorge vor Rechtsstreitigkeiten oder Strafen aufgrund der Nichteinhaltung von ESG-Regularien (58 Prozent), gefolgt von der Sorge, Investitionen zu verlieren aufgrund unzureichender Nachweise über nachhaltiges Handeln (47 Prozent). 

Greenwashing-Vorwürfe befürchtet

Reputationsverluste durch eine mögliche Wahrnehmung als Greenwasher befürchten 41 Prozent der Finanzunternehmen. Beim Thema Greenwashing sehen viele von ihnen auch eine besonders offene Flanke: Nur 59 Prozent sehen ihr eigenes Unternehmen gut aufgestellt, um die geltenden Vorschriften im Zusammenhang mit Greenwashing zu erfüllen. Zum Vergleich: Bei der Erfüllung von Regularien rund um Diversity und Inklusion sehen sich 84 Prozent der Finanzunternehmen gut aufgestellt. 

Beim Thema Greenwashing wird das Dilemma gerade für den Finanzsektor deutlich. Denn die Regularien sind dort einerseits besonders umfassend, andererseits sind die regulatorischen Entwicklungen auch sehr dynamisch. Nicht jeder Bank oder jedem Asset Manager ist eindeutig klar, wo Greenwashing bereits anfangen könnte. Wer den regulatorischen Rahmen zu weit auslegt, könnte sich schnell Vorwürfen ausgesetzt sehen. 

Gefahren durch Greenhushing

Generell gilt für ein Unternehmen rund um ESG die Maxime, dass das, was es sagt, korrekt ist, und dass es auch das tut, was es sagt. Gleichwohl ist immer häufiger ein Trend hin zum sogenannten Greenhushing zu beobachten: Viele Unternehmen werden immer zurückhaltender, über nachhaltige Aktivitäten zu sprechen, um sich nicht angreifbar zu machen. Es wird nur das getan und veröffentlicht, was streng verpflichtend ist. Allerdings können auch hier Fallstricke lauern - denn inzwischen wird auch das, was nicht explizit gesagt wird, kritischer unter die Lupe genommen. 

Was ist zu tun, um mit diesen steigenden Unsicherheiten beim Thema ESG umzugehen? Auf der einen Seite ist es wichtig, sich aktiv mit bestehenden und kommenden Regularien zu beschäftigen. Wer dies vorausschauend tut, kann auch seine Wertschöpfungskette frühzeitig darauf ausrichten. Auf der anderen Seite heißt es für Finanzunternehmen auch, die eigenen Kompetenzen im Bereich ESG zu stärken. 61 Prozent der Befragten wollen dies gemäß der Umfrage tun, um sich im Bereich Nachhaltigkeit besser aufzustellen. 

ESG-Anforderungen brauchen mehr Klarheit

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, mehr Klarheit über die Kriterien zur Erfüllung von ESG-Anforderungen zu erhalten. Jedes zweite Finanzunternehmen wünscht sich einen engeren Dialog mit dem Gesetzgeber, 45 Prozent setzen auf klarere Anforderungen hinsichtlich der Daten, die geliefert werden müssen, um die Erfüllung von Nachhaltigkeitsstandards zu belegen. 
 
Fazit: Den Verantwortlichen im Finanzsektor ist aus unserer Sicht durchaus klar, dass Nachhaltigkeit ein entscheidender Teil der Kernstrategie ihres Unternehmens ist, sogar sein muss. Doch besteht eine gewisse Gefahr, dass ESG-Bemühungen aufgrund der großen regulatorischen Anforderungen - und auch damit verbundenen Unsicherheiten - eine negative Konnotation bekommen. Aktives Beschäftigen mit den ESG-Herausforderungen und das Stärken der Kompetenzen sind wichtige Pfeiler, um den Weg der Nachhaltigkeit positiv nach vorne gerichtet und wachstumsorientiert zu beschreiten.

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