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10.07.2019 | Compliance | Interview | Online-Artikel

"Sexuelle Grenzverletzungen belasten Arbeit und Menschen"

verfasst von: Andrea Amerland

3:30 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Prof. Dr. Thorsten Krings

ist Hochschulprofessor sowie Berater.

Nicht erst, wenn eine sexuelle Grenzverletzung am Arbeitsplatz geschehen ist, müssen Unternehmen handeln. Sie müssen bereits präventiv tätig werden und Schutzkonzepte entwickeln sowie ein diskriminierungsfreies Umfeld schaffen, sagt Thorsten Krings.

Springer Professional: Was sind konkret sexuelle Grenzverletzungen am Arbeitsplatz? Können Sie vielleicht Beispiele nennen?

Thorsten Frings: Strafrechtlich ist der Rahmen für sexuelle Belästigung relativ eng abgesteckt: Es muss zu tätlichen Übergriffen kommen. Aber es gibt ja Vorfälle, die nicht mit körperlicher Gewalt verbunden sind und die eine Zusammenarbeit einfach unangenehm oder gar unerträglich machen. Sexuelle Grenzverletzungen belasten Arbeit und Menschen. Deshalb muss man als Unternehmen klare Spielregeln definieren, die auch Grauzonen regeln. Es gibt Übergriffe, die eindeutig kriminell sind, so zum Beispiel, wenn ein Vorgesetzter eine Mitarbeiterin zum Sex erpressen oder eine Mitarbeiterin einen Azubi zu sexuellen Handlungen nötigen will. Beides sind Fälle, die ich erlebt habe.

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Sexuelle Grenzverletzungen am Arbeitsplatz

Dieses essential beschäftigt sich zunächst mit der Klassifizierung sexueller Grenzverletzungen am Arbeitsplatz und den sich dadurch ergebenden rechtlichen Implikationen für den Arbeitgeber. Ferner werden Eskalationsprozesse vorgestellt.


Aber vieles ist eben nicht so eindeutig, aber trotzdem unangenehm oder unpassend. Das können schlüpfrige Bemerkungen, anzügliche Blicke oder aber auch ungewünschte Aufmerksamkeit bis hin zur Nachstellung, Stalking genannt, sein. Was alle sexuellen Grenzverletzungen gemeinsam haben ist, dass sie unerwünscht sind und den anderen herabwürdigen oder in seiner Selbstbestimmung einschränken. Wichtig ist nur, dass man sich immer vor Augen hält, dass jeder Opfer sein jeder Täter sein kann. 

Wie sieht der rechtliche Rahmen bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz aus?

Grundsätzlich reicht es nicht, wenn ein Unternehmen erst bei konkreten Fällen handelt. Laut AGG hat ein Unternehmen die Pflicht, ein diskriminierungsfreies Umfeld herzustellen. Dazu gehören ein Schutzkonzept, Ansprechpersonen und klar definierte Eskalationsmechanismen. Bei konkreten Vorfällen muss zum Schutz der Opfer konsequent arbeitsrechtlich durchgegriffen werden. Aber es gilt natürlich zunächst auch für jeden die Unschuldsvermutung. Das macht es oft nicht einfach, mit Verdachtsfällen umzugehen. Das Opfer kann dann natürlich auch weitere Schritte einleiten, sofern das Verhalten strafrechtlich relevant ist. Das wären dann zum Beispiel Beleidigung, Nachstellung oder eben tätliche Übergriffe.

Setzen Unternehmen das auch in der Praxis um?

Ich habe es in meiner Tätigkeit als Führungskraft im Personalbereich in der Vergangenheit leider immer wieder erlebt, dass Unternehmen Dinge unter den Tisch gekehrt haben und übergriffige Mitarbeiter geschützt haben. Diese Zeiten sind Gott-sei-Dank vorbei. Aber leider tun sich viele Organisationen immer noch schwer, Schutzkonzepte zu erarbeiten und umzusetzen. Dahinter steckt oft die Hybris, dass "so etwas bei uns" nicht passiert. Oder aber – meist sind es leider Männer – einige versagen sich klaren Regelungen, weil sie sich diesen eben nicht unterwerfen möchten. Jeder der sich gegen solche Konzepte stellt, muss sich aber darüber im Klaren sein, dass er sich mit den Tätern gemein macht – ob er das will oder nicht.

Was sollten Betroffene tun?

Betroffene müssen sich zunächst darüber im Klaren sein, dass sie Opfer sind und keine Schuld an den Übergriffen haben. Das ist in der Realität leider oft gar nicht so einfach, weil die Opfer meist Scham und Ohnmacht empfinden. Deshalb ist es sehr wichtig, dass es in Organisationen Ansprechpartner gibt, die die Opfer begleiten. Wichtig ist vor allem aber auch, dass Betroffene immer sofort klare Grenzen setzen, insbesondere dann, wenn es sich um Vorfälle in einer Grauzone handelt, denn Wesensmerkmal der sexuellen Grenzverletzung ist ja ihre Unerwünschtheit. Auf keinen Fall sollte das Opfer darüber hinwegsehen oder sich Angst machen lassen. Wenn die Organisation nicht angemessen reagiert, sollte man Opferhilfeorganisationen wie zum Beispiel den Weißen Ring einschalten.

Was können Arbeitgeber präventiv tun?

Wichtig ist es klare Regeln zu definieren. Letztlich geht es ja um einen respektvollen Umgang miteinander. Deshalb muss sich das Thema in allen Führungsleitsätzen und Aussagen zur Unternehmenskultur finden. Die Organisation muss für das Thema sensibilisiert werden. Dazu gehört dann aber auch, dass man klar macht, dass niederschwellige Belästigung wie etwa, einen neuen Kollegen als "Sahneschnittchen" zu bezeichnen, nicht okay sind. Wichtig sind - wie bereits erwähnt - Schutzkonzepte, die klare Aussagen treffen und eindeutig nicht akzeptiertes Verhalten benennen. Aber auch Infrastrukturmaßnahmen wie zum Beispiel die Beleuchtung eines dunklen Parkplatzes, Videoüberwachung oder aber bessere Zugangskontrollen sind wichtige Elemente eines Schutzkonzepts. Aber das alles nutzt nichts, wenn eine Organisation nicht auch glaubwürdig vermittelt, dass sie es ernst meint.

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