Skip to main content

25.06.2019 | Fahrwerk | Nachricht | Online-Artikel

Chassisentwickler sollten mehr auf die Details achten

verfasst von: Michael Reichenbach

5:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Es zählt nicht immer das Gesamtbild, die Details sind für den Fortschritt viel wichtiger, sagt Nico Rosberg. Auf der 10. chassis.tech plus erklärt der Ex-F1-Weltmeister, welcher Aspekt unbedingt beim automatisierten Fahren zu lösen ist.​​​​​​​

Automatisiertes Fahren, Fahrdynamik und Fahrwerk gehören zusammen. Nico Rosberg stellt bei seiner Keynote auf der 10. chassis.tech plus in München das Thema Fahrdynamik in den Vordergrund. "Die Seekrankheit ist derzeit das drängendste Problem, das wir für das zukünftige automatisierte Fahren lösen müssen", sagte der gebürtige Wiesbadener. Aber schon heute werde vielen Passagieren auf der Rückbank schlecht, so auch seinen Kindern, wenn er als Fahrer einmal zu sportlich in die Kurven gehe. Beim späteren autonomen Fahren wolle man ja auch nicht erleben, dass die Kaffeetasse überschwappt, wenn der People Mover zu abrupt lenke. Als Lösung bietet er ein aktives Chassis an, dass das Fahrzeug über Daten aus der Cloud darauf vorbereite, welches Fahrmanöver anstehe. Rosberg und TRE setzen in der Fahrwerkentwicklung stark auf Simulation, also die virtuelle Entwicklung mit mächtigen Modellen zum Abbilden der Wirklichkeit. Dabei geht es ihm um Folgendes, was er aus seinem Formel-1-Leben mitgenommen hat: "Entwickler, achtet mehr auf die Details, nicht nur auf das Gesamtbild, denn die Verbesserung von vielen Details kann in Summe auch ein großes Ganzes ergeben."

Nico Rosberg ist Mitbesitzer der TRE GmbH in Neustadt an der Weinstraße, wo 50 Ingenieure seit über 20 Jahren die Fahrwerkentwicklung von Serien-Pkw vorantreiben. TRE ist mittlerweile mit der IAV verbunden. Doch den meisten wird Rosberg als Formel-1-Weltmeister von 2016 besser bekannt sein. Er engagiert sich zudem für Elektromobilität und die Rennserie Formel E. Für den Schaeffler Mover mit seinen vier Radnabenmotoren und Allradlenkung hat TRE die Fahrwerkentwicklung gemacht. Das Wenden auf der Stelle gefällt ihm noch aus der F1-Zeit: "So you can do a 360, that’s what I love to do", konstatiert Rosberg.

chassis.tech zum 10. Mal

Zuvor konnten Dr. Alexander Heintzel, Chefredakteur der ATZ-MTZ-Gruppe, und Tagungsleiter Professor Peter E. Pfeffer, HS München, die 450 Teilnehmer im Bayerischen Hof willkommen heißen. Der Anmelderekord vom Vorjahr konnte nicht geknackt werden, es waren aber mehr als 2017 bei einer Beteiligung von 20 Prozent aus dem nicht-deutschsprachigen Bereich. Diese Jubiläums-chassis.tech-plus findet gemeinsam mit dem Partner TÜV Süd und den Sponsoren AVL und ZF zum zehnten Mal statt und wird seit 20 Jahren durchgeführt. Pfeffer: "Nach 20 Jahren darf man einmal zurückblicken". Damals 1999 als Fahrwerk-Tech wurde die Tagung für den Umbruch gegründet, weg von der Mechanik, hin zur Mechatronik und Elektronik. Dieser Umbruch stünde auch in diesen Tagen wieder mit der Automatisierung des Fahrens sowie der Elektrifizierung und Digitalisierung für die Chassisentwickler an.

Die erste brake.tech wurde als Brems-Tech im Rahmen des µ-Clubs von Professor Eberhard Drechsel 1998 zusammen mit dem TÜV Süd gegründet. Die Idee, auch eine Fahrwerk-Tech zu veranstalten, kam durch das Debakel der Mercedes-Benz A-Klasse im Elchtest auf, sodass 1999 die erste Tagung von Professor Bernhard Schick geleitet werden konnte. 2004 kam die tire.wheel.tech hinzu, denn auch die Reifenentwicklung sollte in diese Tagungsreihe gehören. 2008 folgte die steering.tech mit ihren Lenkungsthemen. Alle vier Tagungen wurden in einer Kooperation zwischen TÜV Süd und dem Magazin ATZ zum Gesamtevent chassis.tech plus in 2010 geformt. Dies war die Antwort auf sinkende Teilnehmerzahlen, die durch die Wirtschaftskrise bedingt waren. In dieser Form tritt das Fahrwerk-Symposium noch heute in München auf.

Braess fordert Engagement für das Fahrwerk

Aus dem historischen Anlass heraus hielt Professor Hans-Hermann Braess, Ehrenvorsitzender der steering.tech und ehemaliger BMW-Forschungsleiter, ein Grußwort, in dem er die Ingenieure vor Ort dazu aufforderte: "Engagieren Sie sich weiter für das Fahrwerk, es lohnt sich." Der Erfinder der Weissach-Achse von Porsche zeigte die zeitliche Abfolge kurz auf. In den 1950er-Jahren waren die Konstrukteure froh, alte Entwicklungen aus der Vorkriegszeit übernehmen und realisieren zu können. In den 60ern gab es neue Achskonzepte, neue Berechnungsmethoden kamen auf. Dazu trug auch der massive Ausbau des Autobahnnetzes in Deutschland bei, denn nun konnten höhere Geschwindigkeiten und kürzere Fahrzeiten erzielt werden.

Braess weiter: "Erwähnen sollte ich auch noch die Objektivierung des Fahrverhaltens, die auf theoretisch-physikalische Grundlagen gestellt wurde, da bis dato nur Testfahrer-Erfahrungen in die Konstruktion einflossen". Dazu zählt Braess seinen ersten Artikel in der ATZ im Jahr 1965 über die Fahrtrichtungshaltung des Kraftwagens bei Geradeausfahrt, aber auch jenen in der ATZ 1975 mit der Bestimmung des ideellen negativen Lenkrollhalbmessers. In den 80ern und 90ern wurden die Möglichkeiten der Computertechnik in der Simulation immer mehr genutzt, die Elektronik hielt Einzug in das Fahrwerk, das waren oft Pionierarbeiten. "Die Aufgaben sind heute viel umfassender und komplexer", stellte Braess für die junge Generation fest, etwa wenn es um Lösungen für neue Fahrzeugkonzepte in der Stadt mit kleinem Wendekreis gehe. Dafür stünden heute aber auch wesentlich bessere und mächtigere Simulations- und Berechnungsmethoden zur Verfügung als damals.

Sensorfusion ist für Eichler kein Kindergeburtstag

Der Fahrwerk-Entwicklungsleiter von Volkswagen, Friedrich Eichler, stellte sich in seiner Keynote der Frage, wie das automatisierte Fahren (AD) die Anforderungen an die klassische Chassisentwicklung verändert. Diesem Thema könne man sich umso besser annehmen, je besser und zuverlässiger die Systeme funktionieren und je weniger Überraschungen für den Fahrer oder Passagier entstünden. Den richtig großen Schritt zum AD hätte man immer noch nicht getan, weil man sich schon mit Level-2- und -3-Systemen schwer tue, sie zu homologieren. Dabei wird die Längs- und Querführung des Pkw auf befestigten Straßen wie Autobahnen schon beherrscht, aber Offroadfahrten mit Dreck auf den Sensoren werden schon zu einer großen Herausforderung.

Auch die Verkehrszeichenerkennung sei noch nicht optimal aufgestellt; zu viele Schilder an einer Ampel in den USA können die Kamera verwirren. Die Gesetzgeber in unterschiedlichen Regionen erstellten verschiedene Vorgaben, was Weltautos schwierig macht. Ein weiteres Problem, das es zu lösen gelte, sei die Sensorfusion. Das Fahrzeug erkenne zwar per Kamera schon gut die Umgebung, aber wenn diese Daten mit denen des Radars fusioniert werden sollen, ist das sauber noch nicht ganz möglich: "Das ist nicht einfach, das ist kein Kindergeburtstag", sagte Eichler. Und wenn dann noch Laserdaten hinzukämen, seien große Entwicklungsmannschaften notwendig.

Die chassis.tech plus läuft auch noch morgen (26. Juni 2019) im Bayerischen Hof mit ihrem zweiten Tag und zahlreichen Vorträgen zu Fahrwerk, Lenkung, Bremse und Räder/Reifen.

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

Das könnte Sie auch interessieren

22.04.2024 | Fahrwerk | Dossier | Online-Artikel

Auf der Suche nach dem perfekten Fahrwerk

08.05.2018 | Fahrwerk | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wie sich die Fahrwerktechnik weiterentwickelt

    Premium Partner