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28.07.2020 | Interieur | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wie das Interieur zum neuen Exterieur wird

verfasst von: Christiane Köllner

7 Min. Lesedauer

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Lange war das Exterieur der maßgebliche, emotionale Faktor beim Autokauf. Diese Emotionalisierung wird nun immer stärker auf den Fahrzeug-Innenraum übertragen. Was bedeutet das für die Entwicklung des Interieurs? 

Die Ausstattung im Fahrzeuginnenraum ist auf dem Weg, ein Schlüsselelement bei der Kaufentscheidung zu werden – insbesondere der Bedarf nach hochwertigen, hygienischen und schallabsorbierenden Oberflächen steigt, wie der japanische Automobilzulieferer Asahi Kasei Europe gemeinsam mit dem Kölner Marktforschungsinstitut Skopos in einer Umfrage herausgefunden hat. Befragt wurden im Oktober 2019 insgesamt 1.200 Autonutzer in Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien zu ihren Präferenzen für den automobilen Innenraum der Zukunft. 

Rasanter Wandel des Fahrzeuginnenraums

Als Folge dieser Entwicklung soll sich der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit beim Kunden vom jahrzehntelang dominierenden Exterieur zum Interieur verlagern. Teilweise unterstützt durch neu aufkommende Antriebstechnologien und Mobilitätsmodelle wie innovativer Shared-Mobility-Konzepte wird der Fahrzeuginnenraum neben dem Exterieur, dem Kraftstofftyp und dem Kraftstoffverbrauch zu einem immer wichtigeren Faktor. Durch die zunehmende Autonomie des Autos werden sich die Fahrzeuginsassen weniger auf den Verkehr konzentrieren müssen – und mehr Zeit für Arbeit, Entertainment oder einfach nur Entspannung haben. 

Der automobile Innenraum wird sich in den nächsten zehn Jahren mehr verändern als in den letzten fünf Jahrzehnten zuvor", prognostiziert die Autoren von Yanfeng Automotive Interiors (YFAI) und Kostal im Artikel Oberflächeninnovationen für das Interieur künftiger Fahrzeuge aus der ATZ 6-2019

In den letzten Jahren haben Automobilhersteller und Zulieferer eine Vielzahl von Konzepten für den Fahrzeuginnenraum vorgestellt – so auch Asahi Kasei mit dem Konzeptfahrzeug AKXY. Oder Yanfeng, die das Innenraumkonzept Experience-in-Motion2020 (XiM20) entwickelt haben. Doch wie gestaltet sich eigentlich der Bedarf beim Kunden? Was erwartet der Autonutzer vom zukünftigen automobilen Interieur?

Interieur entscheidend mehr und mehr beim Autokauf

Beim Kauf des aktuellen Autos war die Innenausstattung (zum Beispiel Sitze, Oberflächen usw.) für rund 55 Prozent wichtig, verglichen mit rund 57 Prozent, die dem Exterieur mehr Aufmerksamkeit schenkten, wie die Asahi-Kasei-Umfrage herausgefunden hat. Mit Blick auf den Kauf des nächsten Autos steige laut Umfrage die Bedeutung des Interieurs um fünf Prozentpunkte (fast 60 Prozent), die des Exterieurs um vier Prozentpunkte (rund 61 Prozent).

Heiko Rother, General Manager Business Development Automotive bei Asahi Kasei Europe, zur zunehmenden Bedeutung des Fahrzeuginterieurs: "Die Kundenerwartungen ändern sich nicht über Nacht, aber dennoch viel schneller, als wir es in der Vergangenheit gesehen haben. Mehr als die Hälfte der Autokäufer in Europa sind bereit, die Marke zu wechseln. Eine große Chance für die OEMs, neue Kunden zu gewinnen, indem sie überzeugende Technologien einsetzen, die alle Sinne berühren und die Emotionen und Bedürfnisse der Menschen ansprechen." 

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Konnektivität und intuitive Bedienoberflächen gewünscht

Im Innenraum spielen HMI-Funktionen (Human-Machine-Interface) eine immer wichtigere Rolle. Das hängt mit der fortschreitenden Autonomie der Fahrzeuge, aber insbesondere mit der Tatsache zusammen, dass sich die Erwartungen der Nutzer verändern. Wichtig dabei: HMI-Lösungen tragen wesentlich zum Komfort und zur Sicherheit des Autos bei. Für die Teilnehmer der Asahi-Kasei-Umfrage ist der Mangel an Konnektivität der größte Störfaktor im aktuellen Fahrzeug, gefolgt von den zu lauten Fahrgeräuschen. Beim Kauf des aktuellen Autos war Konnektivität – etwa zwischen Smartphone und Fahrzeug – wichtig für rund 42 Prozent der Befragten in den vier großen europäischen Automobilmärkten. Beim Kauf des nächsten Autos ändere sich diese Zahl erheblich, so die Umfrage: Für rund 57 Prozent der Autonutzer wird Verbindungsfähigkeit eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung für das nächste Auto spielen. 

Jedoch ist die Konnektivität nur ein Aspekt der HMI. Eine weitere Herausforderung ist die intuitive Steuerung von Entertainment- und Navigationssystem sowie anderen Funktionen im Fahrzeug. Rund 73 Prozent der Autonutzer sprechen sich laut Asahi Kasei für eine intuitive Bedienung aus. Bei der Frage nach der Bedienoberfläche stimmen rund 68 Prozent der Befragten für die Option "Touchscreen/Touchpanel", gefolgt von der Sprachsteuerung (rund 65 Prozent). Demgegenüber stimmten nur rund 49 Prozent aller Fahrzeugnutzer der Option "ein Hauptdrehknopf für alle Funktionen" zu – der am weitesten verbreiteten Bedienoberfläche in heutigen Fahrzeugen. 

Nur rund 39 Prozent stimmten für die Gestensteuerung, wobei die "Gesteninteraktion mit dem Fahrzeug auf dem Vormarsch" sei, so die Springer-Autoren Schmidt-Fischer, Krannich, Findeisen, "wodurch die Akzeptanz und Bedienung der Systeme gut untersucht und Hardware als auch Software stetig verbessert wird". Die Anwendungsgebiete seien mannigfaltig, erklären die Springer-Autoren im Kapitel 3-D-Sensorik auf Basis einer Time-of-Flight-Kamera zur kontaktlosen Fahrzeugbedienung aus dem Buch Automobil-Sensorik 3.

Wunsch nach Nachhaltigkeit

Als direkte Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Nutzer müssen Oberflächen im Fahrzeuginnenraum für das Auge attraktiv und angenehm für die Haut sein. Sie beeinflussen zudem, wie Menschen den Innenraum des Fahrzeugs und das Fahrerlebnis wahrnehmen. Einer von zehn Umfrageteilnehmern sieht die schlechte Verarbeitungsqualität von Oberflächenmaterialien im Innenraum als größtes Ärgernis in seinem aktuellen Auto. Rund 45 Prozent aller Teilnehmer sehen einen Vorteil in Oberflächen, die besonders hochwertig aussehen und sich besonders gut anfühlen – zum Beispiel für Sitze, Armaturen oder Dachhimmel – im Vergleich zu nur rund elf Prozent, die dies nicht tun. 

Nach dem Oberflächenmaterial selbst befragt, glauben 57 Prozent, dass nachhaltige Materialien für Sitzbezüge und Oberflächen in den nächsten fünf bis zehn Jahren immer wichtiger werden, während Echtledermaterialien aus Sicht der Teilnehmer in der Bedeutung verlieren.

Funktionsintegration soll Fahrerlebnis verbessern

Neben der Optik und Haptik zeigen die Ergebnisse der Umfrage einen wachsenden Bedarf nach Innenoberflächen mit weiteren Funktionen, die das Fahrerlebnis insgesamt verbessern. YFAI und Kostal haben sich beispielsweise gemeinsam das Ziel gesetzt, Oberflächen im Fahrzeuginnenraum, die bislang rein dekorativen Charakter hatten, zu nahtlos integrierten mechatronischen Benutzeroberflächen weiterzuentwickeln.

Nach zusätzlichen Funktionen der Sitzbezüge und Oberflächen befragt, sehen 49 Prozent aller Umfrageteilnehmer einen Nutzen in antibakteriellen Eigenschaften. Der gleiche Trend lässt sich bei Sitzbezügen und Oberflächen mit geruchshemmenden Eigenschaften feststellen. Rund 49 Prozent sehen einen Nutzen in diesen Oberflächen. Im XiM20 ist beispielsweise "ein selbstentwickeltes ultraviolettes Licht integriert, das die Oberflächen und die Luft hygienisch einwandfrei macht", erklärt Tim Shih, Vice President Design and User Experience bei Yanfeng Technology, im Interview "Das Innenraumerlebnis ist wichtiger als der Besitz des Autos" aus der ATZ 11-2019. Die HS München und Kolon Plastics berichten im Artikel Emissionsreduzierte POM-Kunststoffe für den Pkw-Innenraum aus der ATZ 5-2020 über Polyoxymethylen, das signifikante Reduzierungen der Formaldehydemission bieten soll und dabei neue Perspektiven bei Verstärkung, Verarbeitungsverhalten und Einfärbbarkeit aufweist.

Keine Störgeräusche im Innenraum

Mit dem sich wandelnden Fahrerlebnis im Auto wird sich auch die Geräuschwahrnehmung verändern. Bereits heute betrachten rund 16 Prozent der Umfrageteilnehmer das Fahrgeräusch als größtes Ärgernis im aktuellen Fahrzeug. Mit Blick auf das Automobil der Zukunft wird die Unterdrückung von Straßen- und Motorgeräuschen noch wichtiger werden. Während verschiedene Materialien und Technologien im Fahrzeuginnenraum dieses Problem lösen können, leisten auch sichtbare Oberflächen im Innenraum ihren Beitrag. Fast 52 Prozent sehen einen Nutzen in geräuschabsorbierenden Sitzbezügen und -oberflächen, rund 36 Prozent sind sogar geneigt, diese Oberflächen gegen zusätzliche Kosten zu buchen.

Um den Komfort hoch zu halten, muss es auch bei den leisen, elektrischen Antrieben vermieden werden, unangenehme Geräusche ans Ohr dringen zu lassen. Dafür ist die Lagerstellengestaltung – etwa an der Sitzverstellung – nach NVH-Vorgaben wichtig, wie Julian Lethbridge von Saint-Gobain Performance Plastics im Artikel Komfortsteigerung für den Fahrzeuginnenraum der Zukunft aus der ATZ 11-2019 erklärt.

Asahi-Kasei-Experte Heiko Rother hält abschließend fest: "Da der Fahrzeuginnenraum immer mehr in den Mittelpunkt rückt und zu einem zentralen Entscheidungsfaktor im Kaufprozess wird, sehen wir erhebliche Potenziale für differenzierende Technologien, die die Sinne der Insassen ansprechen und höchste Ansprüche erfüllen". So wird die "emotionale Bindung zum Fahrzeug [...] zukünftig mehr durch das Erlebnis des Passagiers während der Nutzung bestimmt als über das Fahrzeug als Objekt selbst", bringen es die Autoren von YFAI und Kostal auf den Punkt.

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