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15.01.2020 | Elektrofahrzeuge | Schwerpunkt | Online-Artikel

Kontroverse um den Klima-Rucksack von Elektroautos

verfasst von: Christiane Köllner

6:30 Min. Lesedauer

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Sie sind ein Hoffnungsträger in der Bekämpfung des Klimawandels: Elektroautos. Die Bundesregierung lockt mit Kaufprämien, die Autohersteller investieren stark in die Technik. Doch wie sauber sind E-Autos wirklich? Eine Analyse. 

Geht es nach den Plänen der Bundesregierung, sollen bis 2030 zehn Millionen Elektro-Pkw auf deutschen Straßen unterwegs sein. Um die Nachfrage zu fördern, hat sie ein Milliardenprogramm auf den Weg gebracht, mit aufgestockten Kaufprämien und der Ankündigung, eine Million öffentliche Ladestationen zu bauen. Auch das Tempo der Autohersteller in Richtung Elektromobilität nimmt rapide zu. Insbesondere BMW, Daimler und Volkswagen investieren massiv in den alternativen Antrieb. Das alles soll den Verkehr klimafreundlicher machen und dazu beitragen, die Klimaziele zu erreichen.

Aber sind Elektroautos wirklich eine saubere Lösung für das Klimaproblem? Kaum ein anderes umweltpolitisches Thema wird seit geraumer Zeit kontroverser diskutiert. In der Tat ist unstrittig, dass Elektrofahrzeuge nur lokal emissionsfrei sind. Indirekt belastet aber auch ein Elektrofahrzeug die Umwelt. Vor allem bei der Strom- und Fahrzeugproduktion, beim Bau der Batterie und der nachgelagerten Entsorgung der Energiespeicher. Vor allem der immer noch relativ schmutzige Strom in Deutschland und China mit einem hohen Kohleanteil belastet die Klimabilanz. Wie groß diese Umweltbelastung genau ausfällt, ist jedoch nicht leicht zu beziffern. 

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"Nachhaltigkeitsstudien müssen Verbesserungspotenzial einrechnen"

"Die Automobilbranche hat sich noch nie einen Gefallen damit getan, im Konkurrenzkampf von verschiedenen Antriebssystemen nur auf eine Lösung zu setzen, und wie aktuell beispielsweise das Elektroauto gegen das verbrennungsmotorisch angetriebene Fahrzeug zu favorisieren", sagt Prof. Dr. Uwe Dieter Grebe. Im Interview mit ATZelektronik plädiert der Geschäftsführer Global Business Development, Sales and International Operations der AVL List GmbH für ein ausgewogenes und nach sinnvollem Einsatzzweck ausgerichtetes Antriebsportfolio.

Veraltete Zahlen

An dieser Stelle setzen mehrere Untersuchungen an, die den großen CO₂-Rucksack der Elektrofahrzeuge über die gesamte Lebensdauer kritisieren. Gerade die Produktion leistungsstarker Batterien ist aufwändig und treibhausgas-intensiv, was sich wie ein schwerer "Klima-Rucksack" in der Bilanz niederschlägt. Dadurch gelangen einige Studien zu dem Ergebnis, dass bei der Herstellung eines E-Autos deutlich mehr CO₂ als bei einem Fahrzeug mit klassischem Benzin- oder Dieselmotor entstehe. Dieser Treibhausgas-Rucksack amortisiere sich erst über eine lange Zeit der Fahrzeugnutzung. Das rechnet etwa die aktuelle Lebenszyklus-Analyse der Forschungsgesellschaft Joanneum Research in Graz, die unter anderem im Auftrag des ADAC erstellt wurde, vor. Auch die Studie "Kohlemotoren, Windmotoren und Dieselmotoren: Was zeigt die CO2-Bilanz?" des Münchner Ifo-Institut postulierte, dass Elektroautos klimaschädlicher als Diesel sein sollen. Heikel ist nur, dass die scheinbar so sorgfältig ermittelten Zahlen oftmals veraltet oder lückenhaft sind.

Besonders eine Studie des Umweltinstituts IVL Swedish Environmental Research Institute hatte 2017 Schlagzeilen gemacht. Die Meta-Studie, die zahlreiche ältere Studien ausgewertet hatte, zeigte scheinbar, dass E-Autos wegen der aufwendigen Batterieproduktion keinen ökologischen Vorteil gegenüber konventionellen Fahrzeugen hätten. Nun hat das Institut eine Neuberechnung vorgelegt: Der CO₂-Fußabdruck fällt demnach deutlich geringer aus: Kamen die Forscher 2017 für die Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien noch auf einen durchschnittlichen Wert von 150 bis 200 Kilogramm CO2-Äquivalente pro kWh, ergaben ihre Berechnungen jetzt nur noch einen Wert von 61 bis 106 Kilogramm CO2-Äquivalente pro kWh. Werte, die auch Professor Dr. Uwe Dieter Grebe von AVL List im Interview "Nachhaltigkeitsstudien müssen Verbesserungspotenzial einrechnen" bestätigt: "Durch Verwendung von mehr regenerativer Energie in der Herstellung können heute die CO2-Emissionen im 'Rucksack' auf unter 100 kg pro kWh Batterie gesenkt werden".

Optimiertes Recycling für bessere Energiebilanz

Warum sind die IVL-Autoren jetzt zu einem so viel günstigeren Ergebnis gekommen als 2017? Die Forscher führen dieses Ergebnis zum einen auf vergrößerte Produktionsstätten zurück, die nun bei voller Kapazität liefen, was sie effizienter mache. Zum anderen aber auch auf genauere Daten und dem Umstand, dass die Wissenschaftler jetzt auch eine Produktion mit Ökostrom berücksichtigt haben. Damit die Emissionen unter 60 Kilogramm CO2-Äquivalente pro kWh sinken, so die IVL-Forscher, müssten auch die Emissionen aus dem Bergbau und der Wiederaufbereitung der Grundrohstoffe reduziert sowie ein höherer Anteil an recycelten Materialien eingesetzt werden. Derzeit liegt die gesetzliche Quote in der Europäischen Union bei 50 Gewichtsprozent.

Da zukünftig viel höhere Anteile von Ökostrom für die Herstellung der Batterien und zum Betrieb der Fahrzeuge zu erwarten sind, und die meisten Batterie- und Elektrofahrzeughersteller zu 100 Prozent erneuerbare Energien nutzen, ist der CO2-Fußabdruck deutlich geringer als bisher angenommen. Zudem führen technologischer Fortschritt und verstärkte Nachhaltigkeits- und Recycling-Standards dazu, dass weniger seltene Erden oder andere begrenzte Rohstoffe zum Einsatz kommen werden", kommentiert Professor Dr. Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt" vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) das IVL-Update gegenüber dem "Science Media Centre". 

Daher könnte es in Zukunft weitere Überraschungen geben, denn viele der bisherigen Studien gehen von zu hohen Treibhausgas-Emissionen während der Batterieproduktion aus, von einer zu kurzen Batterielebenszeit, von einer Stromerzeugung, die während der Lebenszeit eines Elektroautos nicht "sauberer" wird oder von unrealistischen Annahmen beim Energieverbrauch. 

Ungünstige Annahmen

Auf die Frage, inwieweit das IVL-Update womöglich die Aussagen anderer Lebenszyklusanalysen (Life-Cycle-Assessments; LCA), wie zum Beispiel die der eingangs erwähnten ADAC-Studie, verändere, äußert sich Dr. Marcel Weil, Forschungsgruppenleiter am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse und Helmholtz-Institut Ulm für elektrochemische Energiespeicher vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gegenüber dem "Science Media Centre" wie folgt: Die ADAC-Studie vom September 2019 aus Graz beruhe "auf den zu hohen Energieverbräuchen und Emissionen der alten Studie aus Schweden, obwohl schon neuere Daten bekannt waren", so Weil. Elektroautos seien nicht per se umweltfreundlich oder nachhaltig, jedoch "in den meisten realistischen Anwendungsszenarien über den gesamten Lebenszyklus nennenswert umweltfreundlicher, beziehungsweise nachhaltigerer. Das belegen zumindest die meisten unabhängigen LCA-Studien", resümiert Weil.

Ein anderes Beispiel ist die ebenfalls eingangs erwähnte Ifo-Studie, mit der sich bereits Andreas Burkert in seinem Kommentar Endenergiebezogene Analyse Diesel versus Elektromobilität kritisch auseinandergesetzt hat. Kritik an der Ifo-Studie kommt auch von Professor Dr. Martin Wietschel vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI). In einer Stellungnahme gibt er zu bedenken, dass die Ifo-Studie an entscheidenden Stellen Annahme treffe, "die zu einer ungünstigen Klimabilanz für Elektrofahrzeuge führen und diese Annahmen werden von den anderen Studien so i.d.R. nicht geteilt", so Wietschel. Zu den relevantesten davon gehörten, dass ein nicht repräsentatives E-Mittelklassefahrzeug mit sehr hoher Batteriekapazität gewählt werde, ein sehr wahrscheinliches Absinken der Treibhausgasemissionen aus der Stromproduktion in den nächsten Jahren nicht in die Bilanz einbezogen werde, anstelle von Realverbräuchen Normverbräuche bei Pkw unterstellt werden und die Tatsache nicht berücksichtigt werde, dass Elektrofahrzeugnutzer heute zu knapp 50 Prozent eine PV-Anlage besitzen, überproportional häufig kombiniert mit Speichern, und/oder einen Ökostromvertrag haben.

Herausforderung Lebenszyklus-Analyse

Was Studien zur Lebenszyklus-Analyse so schwierig macht, ist, dass sie nur den Status Quo analysieren oder in Szenarien zukünftige Entwicklungen beleuchten können. Dazu müssen immer die aktuellsten Informationen über Energieverbräuche oder Materialbedarfe zur Batterieproduktion aus verlässlichen Quellen vorliegen. Das ist oftmals jedoch schwierig: "Grundsätzlich ist ein großes Problem, bei LCA-Studien zu Batterien/E-Fahrzeugen an primäre Daten aus der Industrie zu kommen", so Weil. Grundsätzlich sei auch zu hinterfragen, ob realistische Verbräuche (Kurz- und Langstrecken, Kaltstartphase) bei den Benzin- und Dieselfahrzeugen berücksichtigt werden. "Maintenance wird oft bei Fahrzeugvergleichen vernachlässigt, aber genau da haben E-Fahrzeuge deutliche Vorteile", so Weil. Wie eine bessere Vergleichbarkeit von Ökobilanz-Studien zu erreichen ist, zeigt zum Beispiel das KIT im Artikel Ökobilanzierung – Kontroversen vorprogrammiert? aus dem ATZextra Mobilität der Zukunft auf.

Pessimistisch, optimistisch, realistisch. Fest steht: Studien gehen von verschiedenen Bedingungen aus. Damit ist die Kontroverse um die Elektromobilität auch ein Streit um Prognosen und Szenarien. Unter unterschiedlichen Voraussetzungen kommen durchaus andere Ergebnisse zustande. Dies bedeutet, dass die tatsächlichen CO2-Werte immer von mehreren Faktoren abhängig sind. Daher ist es umso wichtiger, dass jegliche Studien über die Lebenszyklusfolgen der Elektromobilität aktuelle, realistische Entwicklungen einbeziehen. Je mehr Ökostrom für die Herstellung und zum Fahren verwendet wird, je effizienter die Batterien und deren Produktion und je gründlicher das Recycling, umso besser wird die Klimabilanz ausfallen.

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