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15.06.2021 | Antriebsstrang | Schwerpunkt | Online-Artikel

Das Konkurrieren der Antriebsarten

verfasst von: Christoph Berger

7:30 Min. Lesedauer

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Alternative Antriebe und Kraftstoffe sind für die Energiewende eine Grundvoraussetzung. Allerdings herrscht Uneinigkeit darüber, welche der zur Verfügung stehenden Technologien wo zum Einsatz kommen sollte - wie auch zwei aktuelle Studien zeigen.

Wasserstoff-Antriebe oder batterieelektrische Fahrzeuge? Die Debatte über Brennstoffe und Antriebe wird derzeit kontrovers diskutiert – sämtliche Antriebe werden im Kapitel Antriebe des Springer-Fachbuchs "Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik" ausführlich vorgestellt. Wird sich dabei eine Technologie durchsetzen? Wie zweischneidig die Situation ist, lässt sich an einem Beispiel zeigen. 

Am 20. Mai 2020 vermeldete Daimler einerseits, dass der Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck AG und der Lithium-Ionen-Batteriehersteller und -entwickler Contemporary Amperex Technology Co. Limited (CATL) ihre bestehende Partnerschaft intensivieren würden – beide Unternehmen würden die Vision eines CO2–neutralen, elektrifizierten Straßengüterverkehrs verfolgen: CATL werde Lithium-Ionen-Batterien für den vollelektrischen Mercedes-Benz eActros LongHaul liefern, dessen Serienreife für 2024 vorgesehen ist. 

Am gleichen Tag veröffentlichte der Automobilhersteller noch eine zweite Meldung, deren einer Hauptprotagonist wiederum Daimler Truck ist: Gemeinsam mit Shell New Energies NL B.V. (“Shell”) wolle man die Einführung von wasserstoffbasierten Brennstoffzellen-Lkw in Europa vorantreiben, heißt es darin. Es geht um den Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur und den Daimler-Plan, im Jahr 2025 die ersten schweren Wasserstoff-Lkw an Kunden zu übergeben. Bei den Stuttgartern setzt man derzeit also sowohl auf Wasserstoff-Antriebe als auch batterieelektrische Fahrzeuge. Wobei das vorgegebene Ziel die Schnittmenge bildet: Die Lösungen müssen wirtschaftlich und der Lkw-Transport der Zukunft CO2-neutral sein.

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Antriebe

In den über 100 Jahren des Gebrauchs von Kraftfahrzeugen hat sich der Hubkolben-Verbrennungsmotor mit einem Drehzahl-/Drehmomentwandler und einer Anfahr-/Schaltkupplung als bevorzugtes Antriebskonzept durchgesetzt und behauptet. Im Spannungsfeld zwischen immer strikteren Emissionsgrenzwerten und steigenden Anforderungen bezüglich des Treibhausgasausstoßes findet aktuell allerdings wieder eine Diversifizierung des Antriebsstranges statt.

Nun handelt es sich bei dem genannten Beispiel um Lkw. Doch die Ambivalenz zeigt sich genauso im Pkw-Bereich. In Japan zum Beispiel ist man davon überzeugt, dass Wasserstoff die Zukunft ist. Toyota gab Ende 2020 bekannt, durch Fahrzeuge der nächsten Generation, die Öffnung neuer Märkte und durch Technologie-Anwendungen erheblich in die Wasserstoff-Gesellschaft sowie in die Steigerung der Brennstoffzellenproduktion und in seine europäische Organisation zu investieren. Bei Volkswagen ist man hingegen überzeugt, dass das batterieelektrisch angetriebene Auto die beste Technologie für die individuelle, klimaneutrale Mobilität ist. E-Fahrzeuge seien für den Einsatz in der Großserie ausgereift und für die breite Masse der Kunden bezahlbar.

Sind wasserstoffbasierte Brennstoffe zu ineffizient und zu kostspielig?

Und wie wird das Thema vonseiten der Wissenschaft angegangen beziehungsweise bewertet? Wasserstoffbasierte Brennstoffe seien zu ineffizient, zu kostspielig, und ihre Verfügbarkeit zu unsicher, um damit fossile Brennstoffe auf breiter Front zu ersetzen – etwa in Autos oder beim Heizen von Gebäuden, so das Ergebnis der Studie "Potential and risks of hydrogen-based e-fuels in climate change mitigation". Wissenschaftler legen darin dar, dass für die meisten Sektoren die direkte Nutzung von Elektrizität, zum Beispiel in Elektroautos oder Wärmepumpen, die wirtschaftlich sinnvollere sei. Setzte man stattdessen in erster Linie auf Brennstoffe auf Wasserstoffbasis statt auf Elektrifizierung und behalte Verbrennungstechnologien bei, könnte eine Verlängerung der Abhängigkeit von fossilen Energien drohen – und weiterer Ausstoß von Treibhausgasen. Wasserstoffbasierte Brennstoffe seien vor allem in Sektoren wie der Luftfahrt oder industriellen Prozessen sinnvoll, die nicht elektrifiziert werden könnten.

"Wasserstoffbasierte Brennstoffe sind ein beeindruckend vielseitiger Energieträger – doch beeindruckend sind auch ihre Kosten und die damit verbundenen Risiken", sagt Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Leitautor der Studie. Solche Brennstoffe als universelle Klimalösung seien ein falsches Versprechen. Der Ersatz fossiler Brennstoffe auf breiter Front, wie er sagt, sei nur mit direkter Elektrifizierung möglich. Bei Langstreckenflügen, Teilen der chemischen Produktion, der Stahlerzeugung und möglicherweise bei einigen industriellen Hochtemperaturprozessen sei es hingegen unverzichtbar, auf die wertvollen wasserstoffbasierten Brennstoffe zu setzen, da diese sich kaum direkt elektrifizieren lassen würden.

Ueckerdt und seine Kollegen haben zudem errechnet, dass beim Einsatz wasserstoffbasierter Kraftstelle anstelle der direkten Elektrifizierung je nach Anwendung und den jeweiligen Technologien die zwei- bis vierzehnfache Menge an Strom benötigt werde – Effizienzverluste gegenüber der Elektrifizierung gebe es sowohl in den Produktionsprozessen als auch beim Verbrauch. Auch die Treibhausgasemissionen würden sich damit erhöhen. Und bezüglich des Preises errechneten die Forscher: Selbst wenn man von 100 % erneuerbarem Strom ausgehe, lägen die Kosten für die Vermeidung einer Tonne CO2 durch wasserstoffbasierte Kraftstoffe derzeit bei 800 Euro für flüssige und 1.200 Euro für gasförmige Brennstoffe. Damit liege man deutlich höher als die aktuellen CO2-Preise etwa im europäischen Emissionshandelssystem, die bei knapp 50 Euro pro Tonne liegen. Mit technologischem Fortschritt – getrieben durch eine ansteigende Bepreisung von CO2-Emissionen, durch massive Subventionen sowie durch Investitionen in Wasserstoff und verwandte Industrien – könnten diese CO2-Vermeidungskosten bis 2050 auf etwa 20 Euro für flüssige und 270 Euro für gasförmige Brennstoffe sinken. Nur bei steigenden CO2-Preisen sei bis 2040 eine kostenmäßige Wettbewerbsfähigkeit möglich. Doch dieser Zeitraum sei zu lang. 

Die Wissenschaftler betonen aber auch, dass die langfristige Vision von wasserstoffbasierten Brennstoffen vielversprechend sei. Gunnar Luderer, Ko-Autor der Studie, sagt: "Durch die Nutzung des riesigen Potenzials von Windkraft und Sonnenenergie im globalen Sonnengürtel in den Ländern des Südens können wasserstoffbasierte Brennstoffe global gehandelt werden und so Engpässe bei den erneuerbaren Energien in dicht besiedelten Ländern wie Japan oder in Europa beheben. Da die internationalen und nationalen Klimaziele jedoch sofortige Emissionsreduktionen erfordern, sollte heute die direkte Elektrifizierung an erster Stelle stehen, um eine sichere Zukunft für alle zu gewährleisten."

Die Lebenszyklus-Betrachtung hinzuziehen

Zu einer etwas anderen Einschätzung kommt die Studie "Wasserstoffantriebe im Wettbewerb mit Verbrennungsmotoren für fossile Kraftstoffe und dem batterieelektrischen Antrieb" der IAV GmbH Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr. Für diese haben die IAV-Experten den anzunehmenden CO2-Footprint der Fahrzeugklassen mittelschweres SUV, leichtes Nfz und schweres Nfz für das Jahr 2030 untersucht: jeweils die CO2-Äquivalente, die bei der Verwendung eines rein batterieelektrischen Antriebs, einer Brennstoffzelle und eines Wasserstoffverbrennungsmotors anfallen würden. Die Berechnungen erfolgten gemäß einer Tank-to-Wheel, Well-to-Wheel und Lebenszyklus (LCA) Betrachtungsweise – für letztere wurde der komplette Zyklus eines Fahrzeugs von der Rohstoffgewinnung über die Logistikkette, Produktion, Montage und Nutzung bis hin zum Recycling analysiert.

Die Kernergebnisse fasst Marc Sens, Studien- und Fachbereichsleiter bei IAV, folgendermaßen zusammen: "Mit allen drei untersuchten Antriebsvarianten ließe sich unter konsequenter LCA-Betrachtung der CO2-Footprint im Verkehrssektor im Jahr 2030 deutlich reduzieren. Dabei ist ein Fahrzeug mit Brennstoffzellenantrieb je nach untersuchter Fahrzeugklasse ähnlich klimafreundlich wie ein rein batterieelektrisches Mobil – und damit eine sinnvolle Ergänzung im Flottenmix."
Ebenso lasse sich der CO2-Ausstoss mit einem Wasserstoffverbrennungsmotor in allen untersuchten Fahrzeugklassen deutlich verringern. Allerdings verfehle die Technologie wegen des geringeren Wirkungsgrads knapp die Einsparpotenziale des untersuchten Brennstoffzellenantriebs. 

Sens sagt trotzdem: "Da der Wasserstoffverbrennungsmotor im Vergleich zur Brennstoffzelle deutlich robuster ist und zudem vergleichsweise schnell in die Serienreife überführt werden kann, ist er mehr als nur eine Brückentechnologie. Und das sowohl für schwere Pkw als auch für Nutzfahrzeuge." Brennstoffzelle wie Wasserstoffverbrennungsmotor würden dabei auch in der Gesamtkostenrechnung überzeugen, je nach Produktionsmethode und -ort seien sie zu rein batterieelektrischen Antrieben konkurrenzfähig.

Ausbau der erneuerbaren Energien ist Grundvoraussetzung

Alle drei Antriebsarten würden zudem im Kontext der aktuellen CO2-Gesetzgebung überzeugen, nach der neu in der EU zugelassene Pkw aktuell ein Durchschnittsziel von 95 g CO2/km nicht überschreiten dürfen – zu Grunde wird dabei Tank-to-Wheel Sichtweise gelegt. Die Studie zeige allerdings, dass sogar unter Verwendung von rein batterieelektrischen wie auch wasserstoffbasierten Antrieben und möglichst CO2-neutraler Produktions- und Recyclingverfahren im Pkw-Bereich ein Wert von knapp über 70 g CO2/km über den gesamten Lebenszyklus erreicht werden könnte. 

Marc Sens sagt: "Auch in Fahrzeugklassen wie leichte Nutzfahrzeuge sind unter LCA-Betrachtung deutliche Einsparpotenziale bis 2030 möglich. Dabei ist die Brennstoffzelle (132 bzw. 117 g CO2/km) nach unserer Kalkulation dem rein batterieelektrischen Antrieb (139 g CO2/km) aufgrund der für die 500 km Zielreichweite erforderlichen Batteriegröße sogar leicht überlegen." Für schwere Nutzfahrzeuge seien unter LCA-Gesichtspunkten bei allen Antriebsvarianten deutliche CO2-Einsparpotenziale vorhanden. Ungeachtet der höheren Produktionskosten und einer notwendigerweise potenteren Ladeinfrastruktur spiele der rein batterieelektrische Antrieb im Schwerlastbereich sein Potenzial über den gesamten Lebenszyklus besonders gut aus. Aufgrund der langen Laufleistung von Lastwagen falle die CO2-intensive Rohstoffgewinnung für Batteriesysteme hier weit weniger ins Gewicht als in anderen Fahrzeugklassen, weshalb der CO2-Footprint des rein batterieelektrischen Antriebs in der streckenspezifischen LCA-Betrachtung im besten Fall auf 126 g CO2/km sinke.

Eine deutliche CO2-Reduzierung im Verkehrssektor bedürfe des schnellen Ausbaus der erneuerbaren Energieproduktion, sowohl für eine möglichst saubere Strom- und Wasserstofferzeugung als auch für den konsequenten Einsatz in allen Lebensphasen des Fahrzeugs, so schreiben die IAV-Autoren.

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