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16.03.2021 | Compliance | Schwerpunkt | Online-Artikel

Beim Whistleblower-Schutz handeln Unternehmen zögerlich

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

4 Min. Lesedauer

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Bis Ende des Jahres haben Unternehmen Zeit, Systeme einzuführen, mit denen Whistleblower Rechtsverstöße melden können. Allerdings hinken Firmen hierzulande bei der Umsetzung hinterher und informieren ihre Mitarbeiter nicht über interne Maßnahmen. 

Hätten die Wirecard-Bilanzfälschungen oder Diesel-Abgasskandale weniger Schäden verursacht, wenn Whistleblower besser geschützt wären und Kontrollorgane ihnen mehr Beachtung schenkten? Hinweisgeber haben bislang kaum eine Chance, Verstöße zu melden, ohne zugleich ihre gesamte Persönlichkeit preiszugeben und auszuliefern. In nur einem Dreivierteljahr soll sich das geändert haben. Zumindest bei Verstößen gegen EU-Recht. 

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Das Fundament der Compliance

Compliance, welche sich auf die Einhaltung von Gesetzen beschränkt, wird der Entwicklung im Unternehmen hinterherlaufen, anstatt diese (mit) zu gestalten. Die Auseinandersetzung mit dem theoretischen Konstrukt der Ethik und der praktischen Umsetzung im Unternehmen ermöglicht die Entwicklung des individuellen Ethikverständnisses des einzelnen CO. 

Zum 17. Dezember 2021, müssen Unternehmen ab 50 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mehr als zehn Millionen Euro sowie Ortschaften ab 10.000 Einwohner, Kanäle eingerichtet haben, mit denen Verstöße anonym und ohne Furcht vor Repressalien wie Kündigung, Versetzung, Mobbing oder Gehaltskürzungen angezeigt werden können. 

Grundlage dafür ist die im Oktober 2019 in Kraft getretene EU-Richtline zum Schutz von Whistleblowern, die in einem Jahr in den Mitgliedsstaaten umgesetzt sein muss. Justizministerin Lamprecht kündigte in einem Zeitungsinterview mit der Funke-Mediengruppe weiterhin an, die Richtlinie auf Verstöße gegen deutsches Recht ausdehnen zu wollen. 

Whistleblower: Halb Verräter, halb Held?

Damit wären Zivilcourage und mutiges Handeln vor internen Konsequenzen geschützt und Angestellte oder Beamte, die Skandale oder Compliance-Verstöße in Unternehmen und Behörden mit Insider-Wissen aufdecken aus der Denunzianten-Ecke geholt. Deutsche Unternehmen, begegnen der Richtlinie allerdings mit stoischer Gelassenheit oder ignorieren sie, wie die Befragung von 500 deutschen Arbeitnehmern durch die TU Darmstadt für die Studie "Verantwortungsbewusst durch die Krise" zeigt. Ziel der Erhebung war, dem unternehmensinternen Verständnis für die EU-Richtlinie auf den Zahn zu fühlen. Und genau das ist der Knackpunkt:

  • 73 Prozent sind nicht vom Unternehmen über die Meldeprozesse informiert worden.
  • 19 Prozent hatten bislang Gelegenheit im Unternehmen über das Thema zu diskutieren.
  • 26 Prozent wurden konkrete Ansprechpartner im Unternehmen genannt.
  • Der Durchschnitt der Befragten stuft die schützende Wirkung der Richtlinie als "mittelmäßig" ein.
  • Jeder zweite Befragte bewertet sowohl seine Meldebereitschaft als auch den Schutzbedarf als "eher hoch" bis "hoch".

Whistleblowing hat immer noch einen unangenehmen Beigeschmack und wird negativ assoziiert. Kein Wunder, dass Mitarbeiter, die einen Verstoß in ihrem  Unternehmen melden wollen, sich ihren Rückhalt laut Studie zu 70 Prozent innerhalb der Familie oder ihrem privaten Umfeld suchen und immerhin 57 Prozent auf Beistand aus dem Kollegenkreis vertrauen. Und auch die Unternehmenskultur spielt eine nicht unwesentliche Rolle: In einem vertrauensvollen Arbeitsumfeld fühlt sich etwas mehr als jeder zweite Befragte vor Benachteiligung und Stigmatisierung geschützt. 

Was Arbeitnehmer bei Compliance-Verstößen tun können

Allerdings sollten Arbeitnehmer, die Auffälligkeiten melden wollen, ihre Hinweise zunächst an Ort und Stelle äußern. Verstöße wie Verbrauchertäuschung, Bilanzfälschung oder das Ausnutzen von Lieferantenbeziehungen sind im ersten Schritt intern zu melden. Bleibt eine Resonanz aus, kann eine zuständige Behörde informiert werden, ohne dass die Hinweisgeber sanktioniert werden. 

Mit den Missständen an die Öffentlichkeit zu gehen, ist stets als letzter Ausweg zu sehen, wenn alle anderen Beschwerdewege versagt haben. "Öffentliche Hinweise sind auch ohne vorherige Meldung erlaubt, wenn eine Gefahr für die Öffentlichkeit droht oder Vergeltungsmaßnahmen gegen den Hinweisgeber drohen", erklärt Springer-Autor Christian A. Conrad in "Ethiktools der Unternehmensführung" auf Seite 280.

Auf der anderen Seite nimmt die Whistlerblower-Richtlinie Arbeitgeber in die Pflicht, die Identität der Hinweisgeber anonym zu behandeln und vertraulich mit deren Daten umzugehen. Unternehmen, die das Thema bis jetzt auf die lange Bank geschoben haben, müssen sich nun auf die  Erfüllung einer ganzen Reihe gesetzlicher Pflichten vorbereiten: Es sind interne Meldekanäle einzurichten, über die Hinweise anonym eingegeben werden können. Das kann eine dauerhaft erreichbare Telefon-Hotline sein, die Möglichkeit mit einer Vertrauensperson zusammen zu kommen oder über ein IT-gestütztes System zu kommunizieren, das eine anonyme Meldeabgabe ermöglicht. Wichtig sind dabei die Datensicherheit und die Verschlüsselung der sensiblen Daten. Außerdem sind speziell geschulte Whistleblower-Verantwortliche zu benennen, welche die Hinweise verwalten. 

Ethische Unternehmen schätzen ihre Hinweisgeber

Die Einführung der Hinweisgeber-Systeme ist übrigens mitbestimmungspflichtig. Höchste Zeit also, sich gemeinsam mit dem Betriebsrat auf die neue Richtlinie vorzubereiten. Die Schritte zum Betreiben eines internen Meldekanals als Beitrag zum Compliance Management beschreibt Springer-Autorin Claudia Kreipl (Seite 166):

  1. Meldekanal einrichten: Berichtsweg persönlich, schriftlich, telefonisch oder elektronisch
  2. Ansprechperson festlegen: interne Personen und Whistleblowing-Abteilung oder externe  Personen und Institutionen
  3. Reaktionsweisen inklusive Rückkopplungen zum Hinweisgeber festlegen: Vorgehen festlegen
  4. Schutzmechanismen für den Whistleblower definieren: Aufklärung der Mitarbeiter und Kontrolle der Mechanismen
  5. Interne Kommunikation des Meldekanals: Schulung, Aufklärung und Bewusstmachung der Mitarbeiter
  6. Externe Kommunikation des Meldekanals: Aufbau von Vertrauen nach außen

Kein Unternehmen kann sich ethische Verstöße leisten. Es sollte also im Interesse der Unternehmenskultur sein, dass Hinweisgeber Auffälligkeiten angstfrei ansprechen können. Unternehmen, deren Management eine Kultur des Wegschauens und des Schweigens fördern, erzeugen Furcht und Heimlichkeiten. Eine Kultur, die ethisches Verhalten durch Schulungen, Leitbilder oder Benefits begünstigt, dreht den Spieß um. Whistleblowing wird dann als Akt der Aufklärung und loyale Haltung zur Unternehmenskultur geschätzt. 

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