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21.06.2023 | Diversitätsmanagement | Schwerpunkt | Online-Artikel

Deutsche Unternehmen integrieren Flüchtlinge gut

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

5 Min. Lesedauer

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Partizipation ermöglichen, dem Fachkräftemangel begegnen und die Wettbewerbsfähigkeit steigern: Es gibt gute Gründe für die Beschäftigung von Geflüchteten. In deutschen Unternehmen scheint das angekommen zu sein.

Mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung ist derzeit auf der Flucht. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen waren Mitte 2022 rund 103 Millionen gewaltsam vertriebene Menschen. Darunter der von der russischen Invasion ausgelöste Flüchtlingsstrom innerhalb der Ukraine und zu den europäischen Nachbarn. Er gilt als der größte Exodus in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung musste fliehen und findet sich nun als Binnenvertriebene oder Geflüchtete in den Statistiken wieder. Unter den Aufnahmeländern liegt Deutschland hinter der Türkei und Kolumbien auf dem dritten Platz. Rund 2,2 Millionen Menschen fanden bis Ende 2021 hier Zuflucht.

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Börsennotierte Unternehmen mit Vorbildcharakter

Ankommen, neue Beschäftigungsperspektiven in der Aufnahmegesellschaft finden und den Arbeitsmarkt entlasten. Knapp acht Jahre nach "Wir schaffen das", zeigt sich, dass die berufliche Integration von Migranten und Schutzsuchenden in Deutschland gelingt. Einen großen Anteil daran haben die Integrationsarbeit von NGOs, Angebote zur Arbeitsvermittlung und Integrationsinitiativen der Wirtschaft wie das Netzwerk "Wir zusammen"

Das Ergebnis des koordinierten Engagements spiegelt der Report "Corporate Leaders in Refugee Economic Integration" des auf Flüchtlingsdaten aus der Privatwirtschaft spezialisierten Datenanbieters Refugee Economic Integration (RII). Im Ranking werden 1.807 börsennotierten Unternehmen aus 35 Ländern weltweit nach ihrem Beitrag zur wirtschaftlichen Integration von geflüchteten Menschen gelistet. Die Unternehmen wurden danach bewertet, wie viele Geflüchtete sie einstellten und wie sie ihnen halfen, wirtschaftlich Fuß zu fassen. 

Das Feld der Top 50 wird von deutschen Wirtschaftsunternehmen mit einem Anteil von 30 Prozent (15 Unternehmen) dominiert, dahinter folgen Firmen aus den USA (20 Prozent). Die Mehrheit dieser Unternehmen (74 Prozent) engagieren sich in mindestens einer prominenten Flüchtlingsorganisation. Rund 90 Prozent der Top 50 stellen geflüchtete Menschen ein, darunter 71 Prozent in Vollzeit. Mit der Bereitstellung von Krediten, maßgeschneiderten Finanzdienstleistungen, Unternehmensschulungen, Mentoring oder Programmen zur Vermittlung von Finanzwissen fördern 28 Prozent das Unternehmertum von Geflüchteten. Selbstverständlich für alle Top-50-Unternehmen sind Maßnahmen und Schulungen im Bereich Bildung und Kompetenzentwicklung.

Höchste Einstellungszahlen bei Starbucks und Deutscher Post

Unter der zehn Unternehmen mit dem höchsten Refugee Integration Score befindet sich die Deutsche Post DHL Group auf Platz acht und Adidas auf Platz zehn. Zudem belegt die Deutsche Post nach Starbucks beim Einstellen von Geflüchteten den zweiten Platz weltweit. Der Konzern hat nach eignen Angaben seit 2015 rund 19.650 Geflüchteten ein Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis ermöglicht, darunter 435 Ukrainerinnen und Ukrainer. 

The strong performance of German companies is in part due to the role of the German Federal Employment Agency, which partnered with a number of the Top 50 companies on hiring and education and skills development programs. (Refugee Economic Integration)

Geflüchtete Menschen würden häufig übersehen und zur wenig einbezogen, schreiben die Studienautoren. Dabei profitierten Unternehmen, die bei der Bewältigung der Flüchtlingsfrage gesellschaftliche und soziale Verantwortung übernehmen, von einem verbesserten Image, das sich wiederum positiv auf die Bindung von Mitarbeitenden und Kunden auswirke. 

Die vielfältigen Perspektiven und Skills der neuen Beschäftigten bereicherten den Arbeitskräftepool und federten den Fachkräftemangel ab. Weitere indirekte Vorteile seien: Steigerung der Unternehmensleistung in Bezug auf Vielfalt und Integration, Verbesserung der Menschenrechtspraktiken, Verbesserung der Markenstimmung und Minderung sozialer Risiken as the ‘S’ in ESG gains importance for companies and their shareholders and stakeholders".

Integration zwischen Vielfalt und Konflikten

Die Förderung und Integration von Flüchtlingen mit unbekannten Bildungshorizonten ist angesichts des Nachwuchs- und Fachkräftemangels in Deutschland eine Aufgabe, die Akteure in Politik, Gesellschaft und Unternehmen kollektiv herausfordert. Auf Unternehmensebene profitieren diverse Belegschaften zwar durch ein mehr an Zufriedenheit, Kreativität, Erfahrungsreichtum, vielfältigen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie dem Wissen um die Besonderheiten der Heimatmärkte. 

Diese Vielfalt der Perspektiven wirkt auf die Kreativität, treibt Innovationen voran und steigert den Unternehmenswert.. Auf der anderen Seite lauern die Risiken: Missverständnisse, interpersonelle Konflikte, Kommunikationsprobleme und verfehlte soziale Integration (Seite 157). Die Springer-Autoren Andy Schäfer und Rolf Dobischat trennen deshalb zwischen Beschäftigung und Integration. 

In ihrer Zwischenbilanz über die Risiken und Chancen der Berufs- und Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten befürchten sie, dass es einen "langen Atem" braucht bis aus Integration in den Arbeitsmarkt, soziokulturelle Integration wird. Sie gehen davon aus, dass nur "eine kontinuierliche und langfristige Beschäftigung(sperspektive) bei Geflüchteten die soziale Integration und die selbstbestimmte gesellschaftliche Partizipation befördert (Seite 132)." Prekäre Beschäftigungs- und Lebenssituationen wirkten destabilisierend. 

Barrieren und Hemmnisse auf dem Weg der Arbeitsmarkteinmündungen, die noch geschafft werden müssen (Seite 136 ff.):

  • Mangelnde Sprachkenntnisse: Die Qualität der Sprachkurse ist zu hinterfragen, es fehlen bei eingeschränkter Wohnsituation Rückzugsorte zum Lernen, aus Mobilitätsgründen sind Sprachkurse nicht erreichbar.
  • Fehlende Kenntnisse über das Aus- und Berufsbildungssystem: Überhöhte oder falsche Erwartungen an Beschäftigungsoptionen, lange Ausbildungszeit mit hohem Lernaufwand bei vergleichsweise wenig Einkommen kollidieren mit Erwartungen an die Einkommenshöhe.
  • Anerkennung von erworbenen Abschlüssen und Qualifikationen: Die Unterschiede zu den Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftssystemen der Herkunftsländer erschweren die Zuordnung der formell oder informell erworbenen Qualifikationen zu deutschen Berufsbildern.
  • Betriebliche und arbeitgeberbezogene Hemmnisse: Betriebe wünschen sich für die Ausbildung von Geflüchteten finanzielle Unterstützung, die vorhandenen öffentlichen Förderprogramme passen nicht zum Bedarf, hoher finanziellen und bürokratischer Aufwand, hoher Betreuungsaufwand, KMU fehlen zeitliche und finanzielle Ressourcen, Planungsunsicherheit in Bezug auf Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.
  • Institutionell-strukturelle Einflussfaktoren: Bildungsprozesse zur Arbeitsmarktintegration enden oder werden abgebrochen, wenn eine vorzeitige Beschäftigungsaufnahme möglich erscheint und damit eine weitere Förderung nicht mehr notwendig ist.

Zum Schluss noch ein Wort zum Begriff: Heißt es nun Flüchtling oder Geflüchteter? Sprache schafft Realitäten und manifestiert Verhältnisse. Debatten um Sprache und Ausdrucksweisen sind also absolut gerechtfertigt. Für Pro Asyl ist ein "Flüchtling" jemand, der Rechte hat, die in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 verankert sind: "Wer 'Flüchtling' sagt, transportiert auch den historischen und rechtlichen Bedeutungshorizont." Das UNHCR lehnt den Begriff 'Geflüchtete' als zu banal ab. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales verwenden beide auch den Begriff 'Geflüchtete'. 

In diesem Artikel wird ebenfalls über 'Geflüchtete' geschrieben, weil das Suffix -ling im deutschen Sprachgebrauch üblicherweise zur ironischen, verniedlichenden oder abwertenden Charakterisierung benutzt wird. Der "Tagesspiegel" schreibt: "Geflüchtete, das steckt schon im Partizip Perfekt, waren und sind aktiv." Es komme darauf an, sie als tätige Menschen und nicht als bemitleidenswerte Opfer wahrzunehmen. 

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