Skip to main content

22.01.2024 | E-Commerce | Gastbeitrag | Online-Artikel

Neue Compliance-Richtlinien für den Online-Handel

verfasst von: Gabriele Horcher

5 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
loading …

Der European Accessibility Act, in Deutschland als so genanntes Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) umgesetzt, verpflichtet erstmals auch private Wirtschaftsakteure zu mehr digitaler Barrierefreiheit – bisher galt das nur für öffentliche Einrichtungen. Produkte und Dienstleistungen, die für den Internetzugang und den Online-Vertragsabschluss genutzt werden, müssen vom 29.06.2025 an barrierefrei(er) sein. Kunden ermöglicht das mehr digitale Teilhabe.

Zu den Produkten, die zukünftig barrierefrei gestaltet sein müssen, gehören beispielsweise Computer und Smartphones. Zu den relevanten Dienstleistungen zählen zum Beispiel Telekommunikations- und Bankdienstleistungen. Das BFSG betrifft also ganz direkt Hersteller, Importeure, Distributoren und Reseller der Produkte sowie Anbieter und Channel-Partner der jeweiligen Services.

Aber auch Unternehmen, Verbände und Vereine, die sich an Verbraucher wenden, sind betroffen. Denn diese Organisationen müssen – unter bestimmten Voraussetzungen – bis zum Stichtag 28.06.2025 ihre Apps, Online-Shops, Dokumente und Webseiten barrierefrei gestalten. Denn viele Organisationen nutzen bei der digitalen Kommunikation mit Verbrauchern Dienstleistungen der Telemedien, Bankdienstleistungen oder Leistungen des elektronischen Geschäftsverkehrs (E-Commerce). Damit werden sie – dem BFSG nach – zu sogenannten Leistungserbringern.

Kurz-Check: Wann werden Organisation zu Leistungserbringern?

Unternehmen, die nicht zu den Kleinstunternehmen (mit weniger als zwei Millionen Euro Umsatz oder weniger als zehn Mitarbeitern) zählen, und die wenigstens einen der folgenden Services in der Kommunikation mit Verbrauchern anbieten, gehören zu den Wirtschaftsakteuren. Bis zum Stichtag müssen sie 

  • Apps, 
  • Online-Shops,
  • Vertragsdokumente oder 
  • Webseiten für Verbraucher barrierefrei(er) gestalten. 

Bei der Ermittlung der Umsätze kommt es nicht nur auf den Jahresumsatz mit der App oder mit dem Online-Shop und die Anzahl der dafür beschäftigten Mitarbeiter an, sondern auf die Zahlen des gesamten Unternehmens. Es sei denn, App oder Online-Shop wurden als eigenständiges Unternehmen ausgegründet. Relevante Aspekte des BFSG im Überblick:

Apps/Online-Shop

  • Können Verbraucher beispielsweise Produkte per App bewerten oder per App an Gewinnspielen teilnehmen?
  • Können Verbraucher über den Online-Shop Dienstleistungen, Produkte (mit oder ohne Verträge), Zubehör oder Geschenkgutscheine einkaufen?

Wenn App oder Online-Shop auf der Website integriert sind, müssen sowohl die App beziehungsweise der Shop als auch die gesamte Website barrierefrei gestaltet sein. Wenn die Website aber nur auf eine separate App oder einen separaten Online-Shop verlinkt, wenn diese also nicht direkt mit der Website verknüpft sind, müssen nur die App oder der Online-Shop barrierefrei gestaltet werden. 

Website

  • Können Verbraucher über die Website Termine buchen – zum Beispiel für Beratungen oder die Durchführung einer Leistung?
  • Können sich Verbraucher auf der Seite in einen Kundenbereich einloggen, um zum Beispiel auf ihre Bestellhistorie zuzugreifen, Verträge zu verlängern oder zu kündigen?
  • Können Verbraucher über ein Help-Desk-System ein Support-Ticket eröffnen, wenn sie Fragen oder Reklamationen haben?
  • Können Verbraucher über ein Kontaktformular, einen Chatbot oder einen Rückrufservice Kontakt herstellen?

Wenn die Online-Services mit einer Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr in Verbindung stehen, bedeutet das nach den Vorschriften des BFSG, dass die gesamte Website barrierefrei gestaltet sein muss.

Wer profitiert von Barrierefreiheit?

Jeder zweite Mensch in Deutschland würde von mehr digitaler Barrierefreiheit profitieren. Denn als motorisch behindert gilt theoretisch schon, wer ein Kind auf dem Arm hält. Eine Sehbehinderung bemerkt jeder, wenn er bei Sonneneinstrahlung nicht mehr alles auf dem Bildschirm erkennen kann. Eine Hörbehinderung kann schon durch den Umgebungslärm in einem Großraumbüro entstehen. Kognitiv beeinträchtigt ist, wer versucht, Multitasking zu betreiben. Situative Behinderungen sind also vielfältig.

Die Zahl der Menschen, die mit situativen und temporären Behinderungen zu kämpfen haben, ist statistisch schwer zu erfassen. Die Zahl derer, die dauerhaft betroffen sind, ist jedoch höher als gedacht:

  • In Deutschland leben rund 10,4 Millionen Menschen mit einer dauerhaften, 7,8 Millionen mit einer schweren und 2,6 Millionen mit einer leichten Behinderung. Das sind rund 12,5 Prozent der Bevölkerung.
  • Und in einer immer älter werdenden Bevölkerung nimmt der Anteil der Menschen mit Behinderungen zu. 18,6 Millionen Menschen – rund 22 Prozent – sind älter als 65 Jahre.
  • Zudem sprechen 12,3 Millionen – rund 15 Prozent – der in Deutschland lebenden Menschen die deutsche Sprache nicht als Muttersprache.
  • Hinzu kommen 6,2 Millionen Menschen in Deutschland, die nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben können. Das entspricht 7,5 Prozent der Bevölkerung.

Insgesamt sind 47,5 Millionen Menschen betroffen. Sicherlich gibt es Überschneidungen der Betroffenengruppen und damit eine gewisse Mehrfachzählung in dieser Zahl. Dennoch trifft es wohl zu, dass jeder Zweite in Deutschland von digitaler Barrierefreiheit profitieren würde.

Welche Anforderungen stellt das BFSG?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verlangt, dass Produkte, Dienstleistungen, Apps, Online-Shops, Websites, E-Books und digitale Dokumente für Menschen mit Behinderungen ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Dazu müssen diese digitalen Angebote über mehr als nur einen Sinneskanal zugänglich gemacht werden. So reicht es beispielsweise nicht mehr aus, in einem Online-Shop die zu erwerbenden Produkte und Dienstleistungen in Text und Bild darzustellen. In Zukunft müssen die Inhalte und Bildbeschreibungen zum Beispiel auch über Sprachausgabe hörbar und damit auditiv wahrnehmbar sein.

Digitale Barrierefreiheit ist sogar meist mit bestehenden Mitteln in der Kommunikation umsetzbar – dank KI-Unterstützung:

  • Text in Sprache umwandeln: zum Beispiel durch die automatische Erstellung von Audio-Dateien oder den Einsatz einer Vorlese-Funktion.
  • Sprache in Text umwandeln: durch Live-Untertitel bei Meetings, Closed Capitioning oder Untertitelung von Videos bis hin zur Nutzung eines Gebärdensprache-Avatars.
  • Alternative Bedienmethoden des Mauszeigers: mittels Spracheingabe oder Augensteuerung.
  • Texte in einfache Sprache umformulieren: durch generative KI.
  • Oder durch die Nutzung eines KI-Services, der einen Shop oder eine Website durch die Integration einer einzigen Codezeile barrierefrei(er) macht.

Digitale Teilhabe ermöglichen und Wettbewerbsvorteile sichern

Die Frage, ob Organisationen rein rechtlich unter das BFSG fallen, ist nicht allein entscheidend. Bedeutsamer ist, ob die wichtige Zielgruppe der Menschen mit einer dauerhaften, temporären oder auch nur situationsbedingten Beeinträchtigung als Kunden weiter ausgeschlossen bleiben sollen. Unternehmen können mit ihren bestehenden Mitteln und unterstützt durch Künstliche Intelligenz Menschen mit Behinderungen nicht nur ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen – gleichzeitig können sie auch ihre Wettbewerbsfähigkeit durch eine verbesserte User Experience stärken und ganz neue Kunden gewinnen.

Mehr zum Thema Barrierefreiheit im E-Commerce lesen Sie in
der März-Ausgabe von Sales Excellence.

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

Das könnte Sie auch interessieren

16.10.2023 | Salestech | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wie KI Marketing und Vertrieb durchdringt

31.10.2023 | E-Commerce | Infografik | Online-Artikel

E-Commerce bleibt ein Wachstumsbooster

25.01.2022 | E-Commerce | Schwerpunkt | Online-Artikel

Mit Barrierefreiheit im Markenerlebnis punkten