Fasziniert betrachtete ich kürzlich, wie feinste Maschinentechnik extrem präzise diverse Komponenten zusammenfügt und ein paar Stationen weiter die gesamte Linie viele Lampen bereitstellt, fertig verpackt. "Die Greifroboter sind in der Lage, Handling-Ungenauigkeiten bis zu mehreren Zentimetern automatisch auszugleichen und die Komponenten auf ein hundertstel Millimeter genau zu fügen", erklärt der Inhaber.
Ich war zu Gast bei einem mittelständischen Unternehmen, das LED-Lampen produziert. Das innovative Produkt hat mittlerweile den Zugang in den Massenmarkt gefunden. Der Chef war zu recht sehr stolz auf seine vollautomatische Produktionsstraße, die komplett ohne menschliche Eingriffe auskommt und am Ende fertig verpackte Lampen auswirft. Eine hocheffiziente und innovative Fertigung für hocheffiziente Produkte. "Die Investition in diese Lampen amortisiert sich bereits innerhalb eines Jahres, da sie ca. 90 Prozent weniger Strom verbrauchen", ergänzt der Produktionsleiter. Der Vertrieb läuft über Handelspartner und einen eigenen Online-Direktvertrieb.
Alles war gut, bis ich die Internetseite und den Shop des Unternehmens sah. Da war er wieder. Dieser Bruch im innovativen Denken.
Innovation ohne Innovation
Ob der Direktvertrieb denn gut laufe, fragte ich. Die Antwort war diplomatisch. "Da ist sicherlich noch Luft nach oben. Wir stehen hier am Anfang".
Die Seite sah zwar nicht so aus, wie von so manchem Handwerker oder Maschinenbauer, der vor gefühlten 15 Jahren scheinbar direkt aus Word HTML Dokumente ins Netz gestellt hat und das bis heute als völlig ausreichend bezeichnet. Aber wenn man in ein hochmodernes, energieeffizientes Gebäude mit einer modernen Produktion kommt, die tollen Produkte erlebt und dann so schlechte Medien sieht, ist man erstmal geschockt.
Warum endet das innovative Denken immer nach der Produktion? Gerade diese Erfahrungen sind es, die mir eines sehr deutlich machen: Der deutsche Mittelstand ist innovativ. Und er ist massiv veraltet. Mit so einer Fassade nach außen lässt sich keinen Eindruck machen.
Innovationsmanagement wird unterschätzt
Ich hatte vor einigen Monaten das Vergnügen, Prof. Dr. Heribert Meffert zu treffen -– ein Marketingexperte der ersten Garde. Geistig hochagil und inspirierend. Er bestätigte mich in meiner Aussage, dass Marketing den Abteilungen überlassen würde und die wiederum nur selten mit dem Vertrieb oder der Produktentwicklung innovativ zusammenarbeiten.
Marketing würde nach wie vor nicht als Führungsthema wahrgenommen und digitales Know-how selten ausgebaut. Eine Tatsache, der ich immer wieder begegne, wenn gestandene Unternehmensinhaber oder Geschäftsführer wertebasierte, innovative Markenführung innerlich als "schöngeistig" belächeln.
Ja, Markenentwicklung ist interessant. Aber das Geld wird mit smarter Produktion und Produkten verdient! Und für den Vertrieb haben wir Messen und Außendienstmitarbeiter, das funktioniert sehr gut, so die Einschätzung in vielen Unternehmen. Ein bewährtes Konzept aus dem vergangenen Jahrhundert. Spricht man derart selbstbewusste Führungskräfte darauf an, was sie unter Innovation verstehen, bekommt man meist die gleichen Antworten. Cleverer Einkauf, smarte Produktion, Lean Management, optimale Prozesse und so weiter. Kaum einer spricht von Digitalisierung, Innovationsmanagement oder gar internen Think Tanks, für ganzheitlich innovative Entwicklung. Ein fataler Fehler, der bereits heute eine Menge Geld kostet.
Nicht nur Innovationsmanagement im Ganzen wird unterschätzt. Auch das Thema Marketing wird in der Wahrnehmung von Innovation als nachrangig bewertet und das, obwohl wir durch Digitalisierung gerade die vierte industrielle Revolution erleben. Wenn ich in Unternehmen Themen wie automatisiertes Marketing, digitalisierten Vertrieb oder innovatives Markenbewusstsein anspreche, begegne ich fragenden Blicken. Doch in diesen Bereichen hat sich einiges getan. Marketing und Vertrieb sind smart geworden. Hier können Unternehmen eine Menge Geld sparen und massiv Marge und Absatz verbessern. Dazu braucht es aber holistische Denkweisen, um überhaupt solche Dinge zu erkennen.
Unternehmen müssen ganzheitlich innovativ sein
Ich bin davon überzeugt: Holismus mit breitem Horizont für Innovation ist der Schlüssel, der Unternehmen mit guten Produkten heute nach vorne bringt. Nicht nur die Produktion muss innovativ sein, sondern das ganze Unternehmen. Dazu zählt moderne Führung ebenso wie Agilität. Diese Erkenntnis habe ich mir nicht ausgedacht. Sie ist Abbild der Realität, die Unternehmen heute umgibt. Doch gerade kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) scheuen oft umfassende Veränderungen, weil sie nicht nur Unruhe bringen, sondern auch Zeit, Geld und personelle Ressourcen kosten. Veränderungen sind auch mit Risiken verbunden. Machen Sie es trotzdem! Die Alternative ist wesentlich teurer und riskanter.
Im zweiten Teil dieser Kolumne gehe ich darauf ein, warum neue Denkweisen der Anker für höhere Marktanteile sind und wie Unternehmen ganzheitlich innovativer werden, um die Konkurrenz auszustechen.