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21.07.2023 | Investition | Schwerpunkt | Online-Artikel

Deutsche Firmen geraten ins Visier aktivistischer Investoren

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

4 Min. Lesedauer

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Viele Unternehmen fürchten aktivistische Investoren. Mit ihrem zum Teil aggressiven Vorgehen wollen sie eigene Interessen im Management durchsetzen. Immer häufiger geraten deutsche Firmen ins Fadenkreuz - vor allem in den Bereichen Industrie, Technologie und Konsumgüter. 

Deutschland rückt immer stärker in den Fokus aktivistischer Investoren. Wie das Beratungshaus Alvarez & Marsal in seinem aktuellen A&M Activist Alert feststellt, ist damit die Anzahl möglicher Zielunternehmen entsprechender Kapitalgeber um vier auf nunmehr 33 hierzulande gestiegen. Diese meist britischen oder US-amerikanischen Hedgefonds versuchen, mit teilweise bedeutenden Minderheitsbeteiligungen aktiv auf das Management in ihrem Sinne einzuwirken. A&M untersucht bereits seit 2019, welche europäischen Unternehmen innerhalb der nächsten 18 Monate Gefahr laufen, ins Visier dieser Investorengruppe zu geraten. Aktuell sind europaweit insgesamt 143 vor allem börsennotierte Betriebe auf der Liste von A&M.

Geringe Kosten, mehr Rendite im Fokus

"Deutsche Consumer- und Technology-Unternehmen stehen besonders unter Druck", erläutert Patrick Siebert, Managing Director A&M Germany. "Aktivisten fordern wettbewerbsfähige Kostenstrukturen und renditeorientierte Investitionsentscheidungen. Die Qualifikationen im Vorstand sowie Aufsichtsrat werden besonders kritisch beäugt." Auch in anderen Sektoren steige für hiesige Unternehmen aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten das Risiko, Ziel der Hedgefonds zu werden.

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In Deutschland nehmen aktivistische Kapitalgeber allerdings am häufigsten Kandidaten aus der Industrie unter die Lupe - derzeit ist das bei insgesamt elf Unternehmen der Fall. Das sind 33 Prozent aller gefährdeten Betriebe aus diesem Sektor in ganz Europa. "Besonders Unternehmen, deren Kapitalkosten die Kapitalrendite übersteigt, sollten erwarten, Ziel aktivistischer Kampagnen zu werden", so die Analysten. 

Wenn im Extremfall aktivistische Investoren auftreten und Management, Aufsichtsrat und Gesellschafter öffentlichkeitswirksam versuchen anzuzählen, dann ist dies nicht nur lästig, sondern kann wirklich schädlich für das Unternehmen sein. Kein Vorstand lässt sich gerne Lehrbuchgrafiken zu Performance und Corporate Governance mit dem Hinweis zusenden, dass es wohl im eigenen Unternehmen entsprechende Versäumnisse gebe", erläutern die Springer-Autoren Johannes Stankiewicz, Mark Hill und Peter Sielmann im Buch "Finanzielle Führung von Familienunternehmen". 

Derzeit 102 Fonds europaweit aktiv

Seit Jahresbeginn hat die Zahl aktivistischer Kampagnen in Europa kontinuierlich zugenommen. Steigende Kapitalkosten, die sich für viele Unternehmen zum Problem entwickeln, bieten den Investoren Ansatzpunkte für einen Einstieg. Bereits der Vorgängerreport von Dezember 2022 ging davon aus, dass Europa 2023 von einer aktivistischen Welle getroffen wird. Laut der Investmentbank Lazard fielen rund 30 Prozent der zusätzlichen weltweiten Vorstöße der Fonds im ersten Quartal auf europäische Zielunternehmen - die meisten mit Sitz in Großbritannien oder Deutschland. Mittlerweile verfolgen laut Analyse 102 Fonds in Europa entsprechende Strategien. Hierzulande sind laut A&M unter anderem Siemens und Fresenius betroffen. 

Doch nicht immer können die Investoren ihren Einfluss auch wunschgemäß geltend machen, wie das Beispiel des Chemikalienhändlers Brenntag aus Essen zeigt: Bei der Wahl der neuen Aufsichtsratsmitglieder auf der Hauptversammlung Mitte Juni konnte sich der britische Fonds Primestone Capital nicht mit seinen beiden Wunschkandidaten durchsetzen. Wie Brenntag auf seiner Homepage schreibt, hatten sich die Aktionäre mehrheitlich für die beiden vom Konzern vorgeschlagenen Anwärter entschieden. Mit rund 63 beziehungsweise 62 Prozent hatten Richard Ridinger und Sujatha Chandrasekaran aber nur knapp die Nase vorne. Ein möglicher Rechtsstreit mit dem Investor könnte die Folge sein. "Wir werden weiterhin den offenen und konstruktiven Dialog mit allen Investoren von Brenntag suchen", betonte der neue Aufsichtsratschef Ridinger nach der Wahl. 

Deutschland ist einer von fünf Schlüsselmärkten

"Seit 2020 haben wir eine gewaltige Volatilität im Markt erlebt", sagt Siebert. "Dieses für Unternehmen herausfordernde Umfeld gepaart mit dem zunehmenden Rendite-Appetit aktivistischer Investoren lässt darauf schließen, dass Richtung Jahresende die Welle in Europa weiter zunehmen wird." Der Experte prognostiziert, dass die gestiegenen Kapitalkosten bis in das Jahr 2024 hinein ein hauptsächlicher Treiber aktivistischer Kampagnen in Europa bleiben. 

Die Analyse geht davon aus, dass von dieser Entwicklung vor allem fünf europäische Schlüsselmärkte betroffen sind: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweiz und Skandinavien. Die Mehrheit der Ziele werde aus den Sektoren Industrie, Technologie und Konsumgüter kommen.

Investoren zunehmend ESG-getrieben

Laut einer Umfrage der Wirtschaftskanzlei Skadden in Zusammenarbeit mit dem Activistmonitor unter Managern führender europäischer Konzerne erwarten 86 Prozent, dass im weiteren Jahresverlauf neue Schwachstellen in den Organisationen für entsprechende Kamagnen genutzt werden. Mehr als zwei Drittel (71 Prozent) gehen von einem sogenannten "Shareholder Activism" aus. Und fast alle (96 Prozent) glauben, dass die Investoren dabei auch die Messlatte im Hinblick auf Umwelt, soziale und gesellschaftliche Aspekte (ESG) höher hängen werden. 

Auch die Studienautoren bei A&M kommen zu diesem Ergebnis: Allen voran Kampagnen, die vom ESG-Faktor Enviromental getrieben werden, haben im laufenden Jahr bereits um 143 Prozent zugenommen verglichen mit 2019. In Europa wurden 17 Kampagnen gestartet, die unter anderem auf eine gestiegene Zahl an ethisch getriebenen Investoren mit aktivistischen Strategien zurückzuführen sind, so die Analyse. Weniger ausschlaggebend für Investoren ist hingegen der Sozialfaktor. 

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