Werte sind die Basis für jede Unternehmensstrategie, betont Jessica Lange im Interview mit Springer Professional. Das Konzept der werteorientierten Führung knüpfe daran an und fußt auf den drei Säulen Vorbildfunktion sowie Führungs- und Mitarbeiterwerten.
Springer Professional: Welche Bedeutung haben Werte für Unternehmen?
Werte sind zentral für die normative Unternehmensführung, die das Fundament eines jeden Unternehmens bildet. Diese bestimmt, welche Wettbewerbsstrategien für ein Unternehmen funktionieren. Nur im Einklang mit den Unternehmenswerten können Unternehmensstrategien effektiv und effizient umgesetzt werden. Leider sind sich in der Praxis zu viele Unternehmen dieser normativen Ebene nicht bewusst und agieren an dieser vorbei, was zu Konflikten führt und Potenziale liegen lässt. Ob eine Unternehmensstrategie sinnvoll ist, sollte nicht nur anhand von finanziellen Zahlen bewertet werden, sondern auch daran, ob diese zum Charakter des Unternehmens passt. Nicht jedes Unternehmen kann alles gleichzeitig sein. Das ist unmöglich und unglaubwürdig.
Was bedeutet Werteorientierung im Unternehmenszusammenhang?
Als Unternehmen die eigenen Unternehmenswerte und die eigene Unternehmensidentität zu kennen und danach konsistent zu handeln. Viele Unternehmen wissen – platt gesagt – gar nicht wer sie sind. Sie haben ein anderes, oft positiveres Selbstbild von sich, als das von außen wahrgenommen wird. Werteorientierung bedeutet, sich als Unternehmen seiner gesellschaftlichen Einbettung und Verantwortung bewusst zu sein und die eigene Identität entsprechend zu gestalten und zu leben.
Wie kann Werteorientierung in der Führung eingesetzt werden?
Die Unternehmenswerte müssen auf den Führungskontext heruntergebrochen werden. Werteorientierung bedeutet für eine Führungskraft drei Dinge: die Unternehmenswerte als Vorbild vorleben, die eigenen Führungswerte kennen und nach diesen konsistent handeln sowie die persönlichen Werte der jeweils geführten Mitarbeiter wahrnehmen und ernst nehmen. Das ist herausfordernd, zumal diese drei Wertebereiche nicht immer deckungsgleich sind und es auch Wertekonflikte gibt. Führungskräfte sollten auf jeden Fall für Werteorientierung sensibilisiert und auch extra geschult werden.
Welche Vorteile bietet eine werteorientierte Führung?
Hier muss man sich die erwähnten drei Bereiche anschauen. Ein Unternehmen, das sich seiner Unternehmenswerte und -identität bewusst ist, handelt verlässlich und authentisch. Dies schafft Vertrauen bei Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten sowie anderen Stakeholdern und erhöht die Glaubwürdigkeit und Identifikation. Diese Dinge sind oft unbezahlbar und vereinfachen sämtliche Prozesse und Maßnahmen. Eine Führungskraft, die sich ihrer eigenen Führungswerte bewusst ist, handelt authentisch und verbessert so die Führungsbeziehung zu ihren Mitarbeitern.
Wie profitieren Unternehmen davon?
Durch werteorientierte Führung entsteht eine vertrauensvolle und damit gerade auch in Krisenzeiten belastbare Beziehung sowie ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Ein Mitarbeiter, dessen eigene Werte im Unternehmen wahr und ernstgenommen werden, ist zufriedener mit seiner Arbeit, motivierter und produktiver. Die Gallup-Studie zeigt jedes Jahr, dass durch fehlende Mitarbeiterbindung ein enormes Potenzial verloren geht. Einer der häufigsten Kündigungsgründe ist fehlende Wertschätzung und Bindung an Vorgesetzte und Team. Genau diesen Punkten wirkt Werteorientierung entgegen, viel wirksamer als mehr Gehalt oder andere monetäre Faktoren das könnten.
Welchen Einfluss hat die Corona-Krise auf das Thema Unternehmenswerte und das Konzept der werteorientierten Führung?
Werteorientierung ist unabhängig von Krisen immer aktuell. Menschen als soziale Wesen und Unternehmen als soziale Systeme funktionieren nach diesen Schemata. Auch wenn die Forschung dazu erst in den 1960er Jahren richtig begann, gab es diese Mechanismen schon in der Steinzeit. Krisen – und die Corona-Pandemie ist hierbei seit den Weltkriegen sicherlich eine der größten – zeigen die Bedeutung dieser sozialen Funktionsweisen verstärkt auf.
In der Corona-Pandemie wird vielen Menschen, bewusst, dass der persönliche Austausch fehlt. Das Leben von Werten im sozialen Kontext ist ein wichtiger Teil dieses Austauschs. Selbst beim Smalltalk versuchen wir die Werte und Prinzipien eines Menschen einzuschätzen und so Vertrauen aufzubauen. Dies fällt im digitalen Austausch schwerer, weil nicht alles so sichtbar ist, wie im persönlichen Gespräch. Wir können unser Gegenüber wenig einschätzen, verlieren die Identifikation und Bindung und werden in der Interaktion unsicherer. Daher steigt die Bedeutung von Werteorientierung in Krisen eher an.