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2006 | Buch

Handbuch Militär und Sozialwissenschaft

herausgegeben von: Dr. phil. Sven Bernhard Gareis, Dr. rer. soc. Paul Klein

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einführung

Militär und Sozialwissenschaft – Anmerkungen zu einer ambivalenten Beziehung

Die Befassung der Sozialwissenschaften mit der Organisation Militär reicht bis weit in die Zeit vor der Etablierung etwa von Soziologie oder Politikwissenschaft als eigenständigen Disziplinen zurück. So verweist bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts Adam Smith (1723–1790) auf die engen Beziehungen zwischen der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung eines Staates und dem Militär. Diesen Gedanken nimmt mehr als ein Jahrhundert später auch Werner Sombart (1863–1941), einer der Gründungsväter der deutschen Soziologie auf, wenn er das Prinzip der Arbeitsteilung oder die Trennung von intellektueller und körperlicher Arbeit auf den urmilitärischen Grundsatz von Befehl und Gehorsam bezieht und in der hierarchischen Organisation und funktionalen Differenzierung der industriellen Arbeit die militärische Linien- und Stabsorganisation wiedererkennt. Während Auguste Comte (1798–1857) in seinem ‚Inkompatibilitätstheorem‘ von der grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Militär und demokratischer Industriegesellschaft ausgeht, ist es Max Weber (1864–1920), der im Militär ein geeignetes Vorbild für die zweckmäßige Ausrichtung gesellschaftlicher Kräfte sieht und die militärische Ordnung ebenfalls als ein Idealmuster für industrielle Produktionsprozesse auffasst. Im militärfreudigen Deutschland des Kaiserreiches finden sich auch bei anderen Klassikern militärbezogene Studien wie auch Analysen über den politischen Gebrauch des Militärs, beispielsweise bei Steinmetz’ „Soziologie des Krieges“ (1907), Nicolais „Biologie des Krieges“ (1919) oder Schumpeters „Soziologie der Imperialismen“ (1918/19). Karl Demeter schließlich legte 1930 mit einer Studie über die soziale Herkunft des deutschen Offizierkorps eine der ganz wenigen Arbeiten vor, welche die Entstehung der später weltweit führenden Militärsoziologie in den Vereinigten Staaten nachhaltig beeinflusste. Demeters Arbeiten stellten indes zugleich einen Höhepunkt wie auch das Ende der militärbezogenen Sozialwissenschaft in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg dar. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten waren Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaft keine erwünschten Disziplinen mehr und wurden zunehmend durch ‚Rassenkunde‘ und andere pseudobiologische Ideologieansätze in den Hintergrund geschoben.

Sven Bernhard Gareis, Paul Klein

Die Organisation des Militärischen

Frontmatter
Strukturprinzipien und Organisationsmerkmale von Streitkräften

Auch wenn sich die Aufgaben für die Streitkräfte weltweit gewandelt haben und Einsätze zur Bewahrung des Friedens sowie humanitäre Missionen zwischenzeitlich von großer Bedeutung sind, bleibt das Militär in seinem Wesen eine Organisation zur Androhung und Anwendung bewaffneter Gewalt. Aus diesem Potenzialcharakter der Organisation ergibt sich, dass sie stets, d. h. auch in konfliktfreien Zeiten, auf den Grenzfall des Gewalthandelns ausgerichtet bleiben muss. Aus diesem spezifischen Organisationszweck leiten sich besondere Strukturen ab, die in der Regel allen Militärorganisationen eigen sind, unbesehen ob es sich um ein Berufsheer, eine Miliz oder eine Freischärlertruppe handelt (vgl. grundlegend Roghman/Ziegler 1977; Geser 1981; Wachtler 1983). Zu diesen, eine „specificité militaire“ (Boëne 1990) begründenden Eigentümlichkeiten gehören:

Sven Bernhard Gareis, Karl Haltiner, Paul Klein
Militärische Sozialisation

Die militärische Sozialisation war zu keiner Zeit – weder in der Militärsoziologie noch in der Sozialisationsforschung – ein viel beachteter Gegenstand theoretischer Überlegungen oder empirischer Forschungen. Lediglich in den 1970er und Anfang der 1980er Jahre gab es eine größere Anzahl empirischer Untersuchungen und theoretischer Überlegungen zu diesem Thema. Das Interesse am Militär als Sozialisationsinstanz entwickelte sich kurzzeitig vor dem Hintergrund einer sich modernisierenden und individualisierenden Gesellschaft. Zum einen gab es Fragen nach den Wirkungen des Wehrdienstes auf das politische Bewusstsein. Zum anderen wurde versucht, die entwicklungshemmenden Einflüsse des Militärs als totale Institution empirisch einzufangen. Mit der zunehmenden Akzeptanz der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes und der Aussetzung des Wehrdienstes in anderen Staaten scheint das Interesse an den sozialisatorischen Wirkungen des Militärs zuerst stark zu steigen, dann aber fast gänzlich zu verschwinden.

Maja Apelt
Ökonomisierung in der Bundeswehr

Es ist noch nicht allzu lange her, dass in vielen Fällen bei der Gestaltung von betrieblichen Strukturen und Prozessen eine Organisation Pate stand, die von Industrie und Wirtschaft als höchst effizient und effektiv eingeschätzt wurde: Das Militär. Militärische Organisationsprinzipien wie die Linienorganisation oder das Prinzip der Abteilungsbildung fungierten als Vorbild für die Organisationsgestaltung in zahlreichen Unternehmen. Nicht nur was die Strukturen betrifft, sondern auch auf der sprachlich-symbolischen Ebene hat das Militär seine Spuren in der betrieblichen Arbeitswelt hinterlassen. So stellt Weick (1985: 75) fest, dass die die Geschäftswelt beherrschende Metapher das Militär sei: Unternehmen greifen ihre Konkurrenten an, sie rekrutieren Mitarbeiter, sie schicken gut gedrillte Vertreter in den Außendienst, bilden Stabsabteilungen und benutzen Ablenkungsmanöver, um den

shareholder value

zu erhöhen.

Gregor Richter
Frauen im Militär

Die Sozialwissenschaften haben sich zwischenzeitlich in beträchtlichem Umfang mit dem Themenkomplex Frauen, Krieg und Militär befasst. Dabei ist die Analyse des Verhältnisses von Frauen und Militär oder von Frauen und Krieg zu unterscheiden von der Untersuchung des Gegenstandes Frauen im Militär oder des Prozesses der Öffnung (und Schließung) von Streitkräften für Frauen. Für den ersten Bereich existieren Studien zu den Formen, in denen Frauen dem kriegerischen Tun und den Aktivitäten von Soldaten als Nicht-Kombattanten ausgesetzt sind bzw. waren. So wurden Frauen etwa als Geiseln oder als Beute genommen, sie wurden verwundet, getötet, gefangen genommen, gefoltert, vergewaltigt und zur Zwangsprostitution für einen soldatischen Personenkreis missbraucht (vgl. hierzu Albrecht-Heide/Bujewski-Crawford 1991; Pollock Sturdevant/Stoltzfus 1992; Stiglmayer 1994; Hicks 1994; Allen 1996; Moon 1997; Enloe 1998; Skjelsbaek 2001; Beck 2004; Seifert 2004). Das zweite Untersuchungsfeld beschäftigt sich mit der langen Geschichte der Einbeziehung von Frauen in die Streitkräfte, aber auch in paramilitärische oder revolutionäre Gruppen (vgl. etwa die Beiträge in DeGroot/Peniston-Bird 2000), wobei die Frauen sowohl in militärischen wie auch in zivilen Rollen in Erscheinung treten. So waren etwa Händlerinnen, Marketenderinnen, Ehefrauen oder Prostituierte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit schwer zu entbehrende zivile Quasi-Bestandteile des militärischen Trosses. Als Krankenschwestern, Revolutionäre, Spioninnen, als Männer verkleidet, als reguläre Soldatinnen und als für die Sicherheit/Verteidigung verantwortliche Politiker sind Frauen darüber hinaus in einer Vielzahl von militärischen Funktionen tätig gewesen, und sie sind es noch (Berkin 1980; Goldman 1982; Elshtain 1987; Isaksson 1988; Wheelwright 1989; Hurni et al. 1992; Howes/Stevenson 1993; Kraake 1992; Micewski 1997; Jones 1997; Seidler 1998; Hagemann/Pröve 1998; Alexijewitsch 2004).

Gerhard Kümmel
‚Armee der Einheit‘: Zur Integration von NVA-Soldaten in die Bundeswehr

Das staatliche Gewaltmonopol in der DDR war von Anfang nicht nur dem Militär vorbehalten, sondern verteilte sich auf unterschiedliche Kräfte (vgl. Wenzke 1994; Died-rich/Ehlert/Wenzke 1998). Gleichwohl stellte die Nationale Volksarmee (NVA) ohne Zweifel das größte und bedeutendste Element der Landesverteidigung der DDR dar. Laut Verfassung der DDR von 1968 hatte die NVA den Auftrag, „die sozialistischen Errungenschaften des Volkes gegen alle Angriffe von außen“ zu schützen. Gleichzeitig war die NVA eine Parteiarmee, die diesen Verteidigungsauftrag im Sinne der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zu erfüllen hatte: „Sie stand unter der Führung der Partei, handelte nach deren Beschlüssen und wurde rückhaltlos durch die Politik der SED vereinnahmt. (…) Durch die enge Symbiose zwischen Partei und Armee erhielten die Streitkräfte nicht zuletzt auch eine wichtige innenpolitische Sozialisierungsfunktion.“ (Wenzke 1998: 423) Angesichts dieser besonderen Verbundenheit von NVA und SED sowie der grundsätzlichen Ausrichtung der NVA gegen den Westen, speziell die Bundesrepublik, erscheint es im Rückblick nur logisch, dass das Ende der DDR auch das Ende der NVA einschloss – auch wenn das in den ersten Monaten nach dem Mauerfall von mancherlei Seite anders eingeschätzt bzw. erhofft worden war.

Nina Leonhard
Nationale, ethnisch-kulturelle und religiöse Minderheiten in der Bundeswehr

Während die Einwanderung von Ausländern vor allem in den USA, Kanada und Australien eine lange Tradition hat, die auf die koloniale Vergangenheit dieser Länder und den Mangel an ‚weißer‘ Bevölkerung zurückgeht, gehörte Deutschland ähnlich wie z. B. Irland oder Italien bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhundert zu den klassischen Auswanderungsländern in Europa. Erst um die Jahrhundertwende im Kaiserreich und dann besonders intensiv nach dem Zweiten Weltkrieg bahnte sich hier ein Wandel an, der jeweils vorwiegend auf die boomende Wirtschaft und den Mangel an Arbeitskräften zurückzuführen war. Mehr und mehr wurden Ausländer mit anderen kulturellen Hintergründen in die deutsche Gesellschaft integriert oder führten als nationale Minderheiten ein separiertes Eigenleben. Die Bundeswehr ist von dieser Entwicklung, so scheint es auf den ersten Blick, bisher kaum betroffen, da Ausländer in ihr aus rechtlichen Gründen keinen Dienst leisten dürfen (vgl. Klein 1999a).

Paul Klein
Wehrstrukturen im internationalen Vergleich

Streitkräfte können auf sehr unterschiedliche Weise organisiert, zusammengesetzt, ergänzt und rechtlich eingebunden sein. Für die Gesamtheit dieser Aspekte steht der Begriff der ‚Wehrstruktur‘ (Abbildung 1). Er lässt sich formal in Wehrsystem und Wehrverfassung unterteilen (Wehrstruktur-Kommission 1971: 94; Tolksdorf/Linnenkamp 1977: 340).

Ines-Jacqueline Werkner

Militär und Gesellschaft

Frontmatter
Militär als Instrument der Politik

Die Sicherheitspolitik gehört zu jenen Politikfeldern in Deutschland, die sich seit der Vereinigung Deutschlands im Oktober 1990 fundamental verändert hat. Noch vor wenigen Jahren wäre es beispielsweise ausgeschlossen gewesen, dass deutsche Soldaten sich in Afghanistan im Kampfeinsatz oder am Horn von Afrika im Antiterroreinsatz befinden. Dass sie inzwischen dort eingesetzt werden, passt auf den ersten Blick nicht mit dem traditionellen sicherheitspolitischen Rollenkonzept Deutschlands als „Zivilmacht“ (Harnisch/ Maull 2001) zusammen, welches zwar – so eine gängige Fehlperzeption – alles andere als eine pazifistische Politik und den völligen Verzicht auf militärische Mittel impliziert, dem aber eben doch eine besonders weitgehende nicht-militärische deutsche Verantwortung und der Verzicht auf klassische militärische Machtpolitik unterstellt wird. So ist es nur auf den ersten Blick zufällig, dass die letzte Entscheidung des 15. Deutschen Bundestags im Herbst 2005 mit der Verlängerung des ISAF-Mandats für Afghanistan ebenso einen Militäreinsatz betraf wie die erste Entscheidung des 16. Bundestags zur Verlängerung des Antiterroreinsatzes „Enduring Freedom“.

Johannes Varwick
Militärische Aufträge und die Legitimation der Streitkräfte

Die Streitkräfte können mit Carl von Clausewitz als ein Instrument des modernen Staates verstanden werden. Sie sind eine Hilfsagentur des politischen Systems einer Gesellschaft und eine Organisation, die politische Zwecke auf spezifische Weise, nämlich unter Beimischung organisierter Gewalt, zu erfüllen vermag. Ihr Gesicht und ihr Charakter verändern sich im Zeitablauf in ähnlichem Maße wie sich auch Gesellschaften insgesamt und die Gesamtheit der Gesellschaften weltweit im historischen Prozess verändern. Streitkräfte sind also keine statischen, sondern dynamische Gebilde. Der Wandel, den wir in der jüngeren Vergangenheit im Bereich des Militärischen erleben, lässt sich zunächst auf der phänomenologischen Ebene beschreiben: Streitkräfte werden im Namen und zum Zwecke der Sicherheit eines individuellen Staates und seiner Gesellschaft aufgestellt, bezahlt und eingesetzt. Dabei bezieht sich der Begriff der Sicherheit vor allem, aber nicht ausschließlich, auf die Sicherheit eines Staates nach außen; etwaige Bedrohungen durch andere Staaten sollen durch die Fähigkeit zur Abschreckung und zur Selbstverteidigung abgewehrt werden. Diese defensive Rolle wird durch eine andere, eine offensive Rolle erweitert, die indes im Verlauf des 20. Jahrhunderts nach und nach ihre Legitimität eingebüßt hat, bezieht sie sich doch auf die Fähigkeit zum Angriff auf einen anderen Staat, um nationale Interessen oder hegemoniale Ansprüche durchzusetzen.

Gerhard Kümmel
Einsatz der Bundeswehr im Innern: Möglichkeiten und Grenzen

Die Aufteilung der Aufgaben und Kompetenzen von Polizei und Bundeswehr im Grundgesetz, wie sie in der Wehrverfassung (1956) grundsätzlich und im Zuge der Notstandsverfassung (1968) in den Einzelheiten festgelegt worden ist, stellt ein Novum in der deutschen Verfassungsgeschichte dar. Denn im Gegensatz zu Verfassung und Staatspraxis von deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik sieht das Grundgesetz eine grundsätzliche Trennung von polizeilichem und militärischem Auftrag vor, die lediglich in sehr eng umgrenzten Fällen durchbrochen werden darf. Während die Staatsaufgabe innere Sicherheit der Polizei (und den Einrichtungen der Strafrechtspflege) zugewiesen ist, besteht die Aufgabe der Bundeswehr in der Wahrung der äußeren Sicherheit. Sieht man von den Ausnahmesituationen des inneren Notstandes und des Verteidigungs- oder Spannungsfalles ab, dann kann die Bundeswehr nach der Konstruktion des Grundgesetzes im Innern lediglich bei schweren Unglücksfällen und Naturkatastrophen eingesetzt werden, sofern die Kräfte von Länder- und Bundespolizeien nicht ausreichen.

Wilhelm Knelangen
Demokratische Kontrolle von Streitkräften und Sicherheitspolitik

In Demokratien pflegt man implizit von einer uneingeschränkten zivilen Kontrolle über die Streitkräfte auszugehen. Wäre sie nicht in dieser absoluten Weise gegeben, so müsste die jeweilige Demokratie als unvollkommen gelten (Luttwak 1999: 99). Doch was genau bedeutet demokratische Kontrolle und wie kann man sie beschreiben? Im Allgemeinen betrachtet man die Art und Weise der Ausübung demokratischer Kontrolle in einem Staatswesen als Konsequenz der jeweiligen Staatsform eines Landes, seiner Politik, Geschichte und Kultur. Infolge der Vielzahl existierender unterschiedlicher Kulturen und Staatsformen bestehen unterschiedliche Normen und Praktiken der Aufsicht über die Waffenträger in demokratischen Gemeinwesen. Aus diesem Grunde, man mag dies bedauern oder nicht, gibt es kein allgemein gültiges normatives Modell solcher Kontrolle sondern eine Vielzahl von Vorstellungen, die sich teilweise sogar widersprechen. Die Fragestellung für den folgenden Beitrag lautet deshalb: Wie kann die Ausübung demokratischer Kontrolle beschrieben werden?

Hans Born
Das sicherheits- und verteidigungspolitische Meinungsbild in Deutschland

Im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung führt das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr repräsentative Bevölkerungsbefragungen durch, um die Einstellungen der Menschen in Deutschland zu sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen zu ermitteln. Das Themenspektrum dieser Studie umfasst unter anderem das Sicherheitsund Bedrohungsempfinden der Bundesbürger, die Einstellungen zu grundlegenden sicherheitspolitischen Fragen, die Wahrnehmung und Bewertung der Bundeswehr, die Auffassungen zu den Aufgaben und Einsätzen der Bundeswehr, die Meinungen zur Pflege militärischer Traditionen, die Einstellungen zur Wehrpflicht und die Auffassungen zur internationalen militärischen Zusammenarbeit. Im Folgenden werden die wichtigsten Resultate der im Jahr 2005 durchgeführten Studie präsentiert. Der vollständige Ergebnisbericht ist über das Internet zu beziehen (

www.sowi-bundeswehr.de

).Für Angaben zum methodischen Design der Studie vgl. den Kasten am Ende des Beitrages auf S. 148.

Thomas Bulmahn
Sozialer Wandel und Streitkräfte

Soziale Strukturen von Gesellschaften unterliegen einem stetigen Wandel, dies gilt besonders dann, wenn wir westliche Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften betrachten. Auch erfolgte die Etablierung der Soziologie als eigenständige Wissenschaft im Zuge der massiven sozio-ökonomischen Veränderungen des 18. und 19. Jahrhunderts, die zu einer Nachfrage nach gezielten Deutungsangeboten der Wandlungsprozesse führten. Die mit der Untersuchung des sozialen Wandels verbundenen Aufgaben und Probleme sind so vielschichtig, dass sich eine spezielle Soziologie des sozialen Wandels herausgebildet hat, die nach Ursachen, Verlauf und Prognostizierbarkeit der komplexen Transformationsprozesse fragt (vgl. Schäfers 1995; Zapf 1970; Müller/Schmid 1995; Weymann 1998; Jäger/Meyer 2003). Ein Blick zurück zu den Anfängen der soziologischen Theoriebildung zeigt, dass bereits damals die Frage der Wechselwirkung zwischen Militär und Gesellschaftsentwicklung im Fokus der Erörterung stand.

Sabine Collmer
Militär- und Verteidigungsökonomie

Mit dem Ökonomie-Nobelpreis für Thomas Schelling und Robert Aumann ehrte die Schwedische Akademie der Wissenschaften im Herbst 2005 zwei Spieltheoretiker der ersten Stunde. Neben seinen praxisbezogenen wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten ist einer der beiden Preisträger auch ein ausgewiesener Experte für Militärstrategie und Abrüstung. Mit dem bahnbrechenden Buch „Strategy of Conflict“ von 1960 hat Thomas Schelling eindrucksvoll unter Beweis gestellt, welche Erklärungskraft und welchen Nutzen das wirtschaftswissenschaftliche Instrumentarium bereithält, um Probleme in internationalen Beziehungen und Abrüstungsfragen zu analysieren. Definiert man Militärökonomie als eine Disziplin, die wirtschaftswissenschaftliche Theorien und Methoden auf den Gegenstandsbereich des Militärs, des Krieges und der Rüstung anwendet, so kann man Schelling als Vertreter dieser Disziplin in Anspruch nehmen – und die Militärökonomie kann zu einem gewissen Grad die Meriten auch für sich beanspruchen. Im folgenden werden die Breite und die wesentlichen Entwicklungslinien dieser Disziplin skizziert.

Gregor Richter
Staatsbürger in Uniform in Baudissins Konzeption Innere Führung

Der Begriff ‚Staatsbürger in Uniform‘ ist heute ohne Zweifel eindeutig mit dem Soldaten der Bundeswehr verbunden. Er ist eine Konstante in der Konzeption Innere Führung. Entsprechend formulierte Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan beim Baudissin-Symposium an der Führungsakademie der Bundeswehr 2003 mit Stolz über die Leistungen der Soldaten der Bundeswehr als Staatsbürger in Uniform: „Die besonderen Leistungen, die wir Soldaten im Dienst für Staat und Gesellschaft erbringen müssen, rechtfertigen keine

sui generis

-Ideologie. Wir sind und bleiben Teil der deutschen Gesellschaft, und wir bleiben ihrer politischen und ihrer Rechtsordnung unterworfen. Das alles leistet die Armee, weil ihre Angehörigen Staatsbürger in Uniform sind, in vollem Besitz ihrer Menschen- und Bürgerrechte. Das alles leisten die Soldaten, weil – entsprechend Baudissins Forderung – sie demokratische Werte sowohl in der Gesellschaft als auch in der Bundeswehr erleben.“ (Schneiderhan 2004: 183)

Claus Frhr von Rosen
Soldat und ziviler Beruf

Verfolgt man die Entwicklung des Soldatenberufs in der Geschichte Deutschlands, so steht am Anfang der germanische Krieger oder Kämpfer, der dann, wenn sein Stamm oder seine Gruppe angegriffen wurde oder wenn diese andere angriffen oder Beutezüge veranstalteten, zur Waffe griff. Seine Tätigkeit dabei war nichts Besonderes, weil jeder waffenfähige Mann zu ihr verpflichtet war und der Umgang mit Schwert, Speer und Lanze und bisweilen auch mit Bogen und Pfeil für Männer als eine Selbstverständlichkeit angesehen wurde. Später wurde diese Pflicht in ein Recht des Waffentragens nur für bestimmte Schichten der Gesellschaft umgewandelt, zu einem eigenständigen Beruf wurde das Soldatsein in Deutschland allerdings erst im Mittelalter mit der Entstehung von Söldner- und dann von stehenden Heeren. Nunmehr fügte sich das Kriegshandwerk in den Rahmen zunehmender innergesellschaftlicher Arbeitsteilung ein. „Der Landsknecht oder Söldner erhält dabei in der lutherischen Überlieferung mit ihrer Ineinssetzung von Stand und Beruf seine ‚Würde‘ und ein eigenes Berufsethos. Dies prägt zunehmend auch das Selbstverständnis des Soldaten in den stehenden Heeren, nachdem diese im Gefolge der französischen Revolution aus Zwangseinrichtungen zu nationalen Institutionen geworden waren.“ (Ellwein 1977: 52) Daran änderte auch das Aufkommen der allgemeinen Wehrpflicht nichts, allerdings musste der Beruf des Soldaten nunmehr vor einem in der Wehrpflicht verankerten Soldatentum sein Profil gewinnen.

Paul Klein
Militärseelsorge

Aus dem 7. Jahrhundert vor Christus stammt die wohl älteste Vorschrift für den Dienst eines Priesters bei einem Heer vor einer Schlacht. Im deuteronomistischen Gesetzeswerk des Pentateuch im Alten Testament heißt es in den Kriegsgesetzen: „Wenn du in einen Krieg ziehst gegen deine Feinde und siehst Rosse und Wagen eines Heeres, das größer ist als du, so fürchte dich nicht vor ihnen; denn der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat, ist mit dir. Wenn ihr nun auszieht zum Kampf, so soll der Priester herzutreten und mit dem Volk reden und zu ihnen sprechen: Israel höre zu! Ihr zieht heute in den Kampf gegen eure Feinde. Euer Herz verzage nicht, fürchtet euch nicht und erschreckt nicht und lasst euch nicht grauen vor ihnen; denn der Herr, euer Gott, geht mit euch, dass er für euch streite mit euren Feinden, um euch zu helfen.“ (5. Mose 20, 1–4) Diese alttestamentliche Anweisung gründet ganz in der Idee des heiligen Krieges, in der Schlacht werde für die gerechte Sache Gottes und auch mit der helfenden Unterstützung Gottes gekämpft.

Horst Scheffler
Militär und Gesellschaft: ein transatlantischer Vergleich

Eine umfassende Bestimmung des Verhältnisses von Militär und Gesellschaft ist seit Jahrzehnten ein besonderes Anliegen der Militärsoziologie. Dabei kommen bis heute unterschiedliche sozialwissenschaftliche Annahmen und Theorieansätze zum Tragen, die folglich auch divergierende wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. Einsichten zu Tage fördern. Einer der wichtigsten Ansätze in diesem Zusammenhang ist jener der Systemtheorie. Diesem Ansatz zufolge wird das Militär als ein Teil- oder Subsystem der Gesellschaft aufgefasst, das in einer bestimmten Beziehung zu seiner Umwelt steht – zu den anderen Teilsystemen der Gesellschaft wie beispielsweise Politik, Ökonomie, Religion, Wissenschaft etc. Die zentrale Aufgabe einer solcherart konzipierten Soziologie besteht dann darin, dieses Beziehungsgeflecht näher zu bestimmen, d. h. es wird die Relation und Interaktion zwischen dem gesellschaftlichen Teilsystem Militär und seiner Umwelt bzw. den anderen Teilsystemen in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses gerückt.

Franz Kernic

Das Internationale System und die Aufgaben des Militärs

Frontmatter
Neue Kriege

Bereits 1991 stellte Martin van Creveld die These auf, dass die herkömmliche Auffassung vom Krieg als Krieg zwischen Staaten überholt sei. Vielmehr hätten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht-staatliche Akteure und innerstaatliche Kriege zunehmend an Bedeutung gewonnen. Er bezeichnete diese neue Art von Kriegen als „low intensity conflicts“ (Creveld 1991). Andere Autoren, die ähnliche Phänomene beschreiben, sprechen von „wars of the ‚third kind‘“ (Holsti 1996), von „kleinen Kriegen“ (Daase 1999) oder auch von „wilden Kriegen“ (Sofsky 2002). Mary Kaldor verwendete 1997 in ihren empirischen Studien über die Kriege im ehemaligen Jugoslawien erstmalig den Begriff der „neuen Kriege“ (Kaldor/Vashee 1997), den sie danach systematisierte (Kaldor 2000) und den Herfried Münkler (2002) aufgriff, um Neues in den Kriegen der Gegenwart zu erfassen.

August Pradetto
Internationale Friedensmissionen im Rahmen der Vereinten Nationen

Nach der Zeitenwende von 1989/90 gelangte die Geschichte entgegen dem Diktum von Francis Fukuyama doch nicht zu ihrem Ende. Vielmehr war ihre dynamische Fortsetzung durch eine Vielzahl von Krisen und Auseinandersetzungen in praktisch allen Regionen der Welt gekennzeichnet (s. den Beitrag von Pradetto in diesem Band). Es galt, in Asien (Afghanistan, Kambodscha), in Afrika (Namibia, Angola, Mosambik) und in Lateinamerika (El Salvador, Nicaragua) die Folgelasten des Ost-West-Konfliktes zu bewältigen, der Überfall des Irak auf Kuwait machte rasch die Hoffnungen auf eine Welt ohne zwischenstaatliche Kriege zunichte,

failed states

stellten die internationale Gemeinschaft vor neue Aufgaben und mit dem Zerfall Jugoslawiens schließlich kehrte der Krieg auch nach Europa zurück. Während die meisten dieser – zunehmend innerstaatlichen – Konflikte trotz ihrer geläufigen Etikettierung als ‚neue Kriege‘ überwiegend recht traditionelle Ursachen und Verläufe aufwiesen, änderte sich binnen kürzester Zeit die Herangehensweise der Staatenwelt an diese Herausforderungen. Nach Jahrzehnten der Lähmung im Ost-West-Konflikt gerieten die Vereinten Nationen und vor allem ihr Sicherheitsrat wieder ins Zentrum des internationalen Politikgeschehens. Für eine Zeit sah es so aus, als seien die VN in die greifbare Nähe ihres Gründungszieles gelangt, die Verantwortung für den Frieden in die Hände einer starken Weltorganisation zu legen. Tatsächlich erlangte der Sicherheitsrat durch die Bereitschaft seiner fünf Ständigen Mitglieder, miteinander zu kooperieren, eine bislang nie gekannte Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit. Statt Konflikte im Sinne von Großmachtinteressen zu instrumentalisieren oder sie dort, wo sie keine ‚Ost-West-Relevanz‘ hatten, einfach ausbrennen zu lassen, entstand die Bereitschaft zum internationalen Engagement im Management von Konflikten sowie der Bewältigung ihrer Folgen. Dieser durchaus nicht unumstrittene „Neue Interventionismus“ (Debiel/Nuscheler 1996) zeigt sich augenfällig in der explosionsartigen Zunahme von internationalen Friedensmissionen weltweit. VN-Blauhelme waren plötzlich keine „exotische Randerscheinung der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik“ mehr, sondern vielmehr „einer ihrer wichtigsten Pfeiler“ (Kühne 1993a: 18). Wichtiger noch musste sich das in rund vierzig Jahren eingeübte und vielfach bewährte System des

peacekeeping

durch Blauhelme auch in qualitativer Hinsicht den Erfordernissen der neuerdings zu bearbeitenden Szenarien anpassen. Die meisten der seit 1990 begonnenen Friedensmissionen sind in Umfang und Komplexität nicht mehr mit den klassischen Blauhelmeinsätzen früherer Jahrzehnte zu vergleichen.

Sven Bernhard Gareis
Die ‚Neue NATO‘ - Eine Allianz im Wandel

„Die NATO ist, als ein Instrument transatlantischer und auch globaler Politik, an einen Endpunkt gelangt. (…) Gewiss, die teuren Strukturen der NATO existieren noch, die NA-TO-Bürokraten versorgen die Politiker noch immer mit den alten Phrasen über die neue Rolle des Bündnisses - aber wer wird all das wie lange noch wirklich ernst nehmen?“ (Birnbaum 2000: 99). Diese Frage beschreibt das Kernproblem, vor dem die wissenschaftliche Analyse des historisch gesehen wohl erfolgreichsten Verteidigungsbündnisses der Geschichte heute steht: Dem Gegensatz zwischen der institutionellen Vitalität des Bündnisses auf der einen Seite und den anscheinend immer heftiger werdenden Konflikten innerhalb der Allianz auf der anderen Seite.

Olaf Theiler
Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie ihre Erweiterung durch die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) bilden die so genannte Zweite Säule der Europäischen Union. Sie haben sich in Reaktion auf die neuen transnationalen Sicherheitsprobleme nach dem Ende des Kalten Krieges und auf Grundlage der Einsicht entwickelt, dass – angesichts der hohen Komplexität der neuen Konflikte, aber auch aufgrund mangelnder Ressourcen – kein Staat im Alleingang Sicherheit, Frieden und Stabilität gewährleisten kann (Solana 2003: 1) und dass Europa eine seinem wirtschaftlichen Gewicht angemessene Verantwortung in der Welt übernehmen muss.

Cathleen Kantner
Die Handhabung militärischer Macht – Ein Vergleich zwischen Europa und den USA

Das Titelblatt der ersten Ausgabe im Jahr 2004 des amerikanischen Wochenblatts ‚Time‘ zeigt ein Photo von drei amerikanischen Soldaten, unter ihnen eine Frau und ein afroamerikanischer Unteroffizier, das im Dezember 2003 in Bagdad aufgenommen worden war, und das die ‚Person des Jahres‘ kennzeichnen sollte. Damit unterstreicht das Blatt symbolisch die aktuelle Bedeutung der Streitkräfte, der Soldaten und ihrer Aufträge zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Dieses Herausstreichen des Soldaten verdeutlicht gleichzeitig aber auch die unterschiedlichen Auffassungen oder vielleicht sogar Gegensätze in den Vorstellungen diesseits und jenseits des Atlantiks im Hinblick auf den Irak im Jahr 2002 und besonders im Jahr 2003. Die verantwortlichen Politiker in einigen europäischen Ländern wie z. B. in Frankreich und in Deutschland haben, wenn auch mit gewissen Unterschieden, zur Lösung von internationalen Krisen andere Akteure als die Soldaten und andere Methoden als den Gebrauch von Gewalt in den Vordergrund gerückt. Dies wirft die Frage auf, wie militärische Macht und die Streitkräfte in den Vereinigten Staaten und in Europa begriffen, aber auch eingesetzt werden. Es soll Ziel dieses Beitrages sein, hierauf zumindest teilweise eine Antwort zu geben.

Pascal Vennesson

Der Soldat im Einsatz

Frontmatter
Auslandseinsätze der Bundeswehr

Am 21. Mai 2003 legte der Bundesminister der Verteidigung seine neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) vor. Sie verdeutlichen, dass die klassische Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angriff nicht länger die „allein strukturbestimmende Aufgabe der Bundeswehr“ ist und die „nur für diesen Zweck bereitgehaltenen Fähigkeiten“ nicht mehr benötigt werden (BMVg 2003: Ziff. 12). Weniger als ein Jahr später stellten Verteidigungsminister und Generalinspekteur am 30. März 2004 erste Details des weiteren umfassenden Transformationsprozesses der Bundeswehr vor, der dann in den im August 2004 vorgestellten ‚Grundzügen der Konzeption der Bundeswehr‘ seine konzeptionelle und organisatorische Ausgestaltung erfuhr (s. BMVg 2004). Die Strukturen und die Ausrüstung einer nochmals verkleinerten Bundeswehr orientieren sich demnach an einem neuen Aufgabenspektrum, in welchem Auslandseinsätze den Regelfall darstellen. Zwar knüpfen auch die neuen VPR an den Verteidigungsauftrag gemäß Art. 87a des Grundgesetzes als der Grundlegitimation für die Bundeswehr an. Sie stellen aber auch heraus, dass dieser Verteidigungsbegriff in inhaltlicher wie geographischer Hinsicht entgrenzt ist: Verteidigung umfasst sowohl Einsätze zur Prävention von Krisen und Konflikten, zu ihrem Management wie auch zu ihrer Nachsorge und sie kann an jedem Ort der Welt stattfinden, von dem Gefahren für die deutsche Sicherheit ausgehen (BMVg 2003: Ziff. 5). Zumindest hinsichtlich dieser Klarstellung können die neuen VPR als eine Zäsur mit weitreichenden Folgen für die Bundeswehr betrachtet werden: Eine Armee, die für die Landes- und Bündnisverteidigung in Bereitschaft gehalten wurde, wandelt sich zu einer Einsatzarmee mit weltweitem Aktionsradius. Der „Soldat für den Frieden“ (Baudissin 1970), dessen Hauptaufgabe unter den Vorzeichen der Ost-West-Konfrontation darin bestand, Kampf und Krieg durch glaubwürdige Verteidigungsbereitschaft zu verhindern, hat ausgedient. Der Frieden besteht längst nicht mehr allein im Schutz der eigenen Grenzen vor aggressiven Nachbarn. Die Globalisierung hat abstraktere Erfordernisse hervorgebracht. Die neuen sicherheitspolitischen Zusammenhänge und Herausforderungen verlangen den „Soldat für den Weltfrieden“ (Gareis 2003), der gegebenenfalls auch an entlegenen Schauplätzen im Auftrag seines Staates kämpfen muss.

Sven Bernhard Gareis
Führen im Einsatz

Führen im Einsatz erfordert von militärischen Führern aller Ebenen ein Höchstmaß an Flexibilität im Denken, Entscheidungsfreude und Handeln mit kurzen Reaktionszeiten. Doch was sich im Abstrakten als stets wiederkehrender Ablauf des Führungsprozesses in komplexen Führungssituationen darstellt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als vielgestaltiges Anforderungsprofil in differenzierten Handlungsräumen. Die tradierte militärische Organisationshierarchie in einem Einsatzkontingent wird durch die parallel existierende formale Arbeitsstruktur ergänzt, in der Hierarchieebenen den tatsächlichen Funktionserfordernissen angepasst werden. So spiegelt die Führungsstruktur eines Einsatzbataillons die vertraute Aufbauorganisation vom Trupp mit drei bis vier Soldaten über Gruppen, Züge und Einheiten wieder, während zum Beispiel eine für zivilmilitärische Zusammenarbeit und Wiederaufbauhilfen zuständige CIMIC-Kompanie nach den jeweiligen Projektgruppen strukturiert ist, deren Personal größtenteils aus Spezialisten besteht, die nicht selten als Reservisten aus der zivilen Arbeitswelt rekrutiert sind.

Gerhard Kupper
Kampfmoral und Einsatzmotivation

In seinem zum Standardwerk gewordenen Buch „Das Antlitz des Krieges“ (engl. Original:

The Face of Battle

) fordert John Keegan (1978: 29) eine Neuorientierung der Militärgeschichte. Weil der Kampf die Daseinberechtigung von Armeen sei, müsse „Militärgeschichte letztlich von der Schlacht handeln“. Dabei mangelt es keineswegs an historiographischen Arbeiten über entscheidende Schlachten der Weltgeschichte, allerdings behandeln diese zum größten Teil die Sicht ‚von oben‘, das Verhalten, die Strategie und den Einfluss der Generäle und Admirale. Keegan (ebd.: 83) plädiert hingegen für eine „Schwerpunktverlagerung vom Feldherrn zum gemeinen Mann“.

Heiko Biehl
CIMIC als militärische Herausforderung

Für die Bundeswehr hat seit dem Ende des Kalten Kriegs die Zusammenarbeit mit zivilen Dienststellen und Organisationen eine neue Dimension und zunehmende Bedeutung erhalten. Zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ), die häufig auch in Deutschland als

civil military cooperation

(CIMIC) bezeichnet wird, gehört zu den neuen Aufgaben, denen sich die Streitkräfte ganz besonders in Auslandseinsätzen gegenübersehen. Dies erfordert naturgemäß zahlreiche Anpassungen in den Bereichen Ausbildung, Ausrüstung und Einsatzdoktrin sowie im Selbstverständnis der Soldaten. Die Missionen der Bundeswehr, insbesondere auf dem Balkan und in Afghanistan sind seit Anfang der 1990er Jahre auf großes Interesse in der deutschen Öffentlichkeit gestoßen und haben nachhaltig das Bild der deutschen Streitkräfte im Einsatz geprägt. Im Rahmen dieser Verwendungen spielen die langfristige und nachhaltige Friedenssicherung und der Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen in den jeweiligen Ländern eine wichtige Rolle für die Politik der Bundesregierung. Die öffentliche Wahrnehmung der CIMIC bleibt häufig auf mehr oder minder medienwirksame Hilfseinsätze im Ausland beschränkt. Der Bau von Schulen oder das Verlegen von Wasserleitungen sind jedoch nur einige Aspekte aus der gesamten Bandbreite der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Allgemein wird gegenwärtig CIMIC als Summe aller Maßnahmen definiert, die in Koordination bzw. Kooperation zwischen Streitkräften und zivilen Organisationen und Einrichtungen zur Erfüllung eines bestimmten Auftrages erforderlich sind (vgl. NATO 2003: 1).

Jan C. Irlenkaeuser
Kämpfer und Sozialarbeiter – Soldatische Selbstbilder im Spannungsfeld herkömmlicher und neuer Einsatzmissionen

In der langen Geschichte organisierter Gewalt zwischen Menschengruppen und Staaten hat es immer mehrere Typen von Gewaltarbeitern gegeben, mindestens zwei: die Kämpfer und die Planer. Zuweilen vereinigten sich diese beiden militärischen Funktionsbereiche in ein und derselben Person. Jedoch neigten sie im Verlauf der Entwicklung von Militärorganisationen und Militärtechnologie immer mehr dazu, sich weiter auszudifferenzieren. Das bedeutete allerdings nicht, dass es nicht doch über solche Differenzierungen und den damit häufig einhergehenden inner-organisatorischen Konflikten hinweg ein alle Mitglieder der Streitkräfte übergreifendes kollektives Selbstverständnis und Selbstbewusstsein gegeben hätte. Ja, es lässt sich beobachten, wie mit zunehmender organisatorischer Verästelung der Streitkräfte in der Moderne deren Zusammengehörigkeitsgefühl über symbolische Formen und über einen Kanon ausgewählter Werte besonders kräftig zusammengeschweißt wird.

Wilfried von Bredow
Physische und psychische Belastungen im Einsatz

Seit Beginn der 1990er Jahre beteiligt sich die Bundeswehr zunehmend an Auslandseinsätzen. Die Zahl der Einsätze, ihr personeller und materieller Umfang, die Aufgabenstellungen und die daraus resultierende Verantwortung sind dabei kontinuierlich gewachsen. Friedenserhaltende oder stabilisierende Einsätze auf dem Balkan (EUFOR, KFOR) und in Afghanistan (ISAF), Einsätze im Rahmen von

Enduring Freedom

(Afghanistan, Indischer Ozean, Afrika), Einsätze des Kommando Spezialkräfte (KSK) sowie Beobachtermissionen der Vereinten Nationen z. B. in Georgien, Sudan (UNOMIG, UNMIS) haben jeweils ihren eigenen Charakter: Sie unterscheiden sich hinsichtlich der Entfernung von der Heimat (kulturell wie in Kilometern), des Klimas und der Lebensbedingungen der Truppe. Den Herausforderungen und Belastungen im Einsatzgebiet wird durch ein ganzes Bündel an fachlicher, allgemein militärischer und landeskundlicher Vorausbildung Rechnung getragen. Gleichwohl hat sich parallel zu dieser Entwicklung aber auch die Gefährdung für Leib und Leben der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten vergrößert. Die neuen Einsatzformen setzen die Soldatinnen und Soldaten vielfältigen und intensiven Belastungen aus, die unterschiedlich wahrgenommen und verarbeitet werden.

Michael Feller, Claudia A. Stade
Verwundung und Tod – Ursachen und Folgen traumatischer Erfahrungen

Der Themenkomplex ‚Verwundung und Tod‘ galt in früheren Jahren für die Soldaten der Bundeswehr häufig als Tabuthema. Dabei ist die Auseinandersetzung mit der verwundenden oder letalen Wirkung von Waffen gegen sich selbst oder gegen andere auch bisher unabdingbar gewesen, galt es doch die Konsequenzen eigenen Handelns vor sich selbst und dem Gesetz zu verantworten. Junge Wehrpflichtige wurden Freitags regelmäßig darauf hingewiesen, langsam und vorsichtig nach Hause zu fahren um die Gefahr von Verkehrsunfällen zu verringern. Ein breites System von Sicherheitsbestimmungen sollte zudem die Gefahren des allgemeinen Dienstbetriebs verringern. Doch es gab sie: Verkehrsunfälle, Verwundungen bei Übungen, Flugzeugabstürze mit Todesfolge und auch Suizide. Nur gesprochen wurde nicht viel darüber und wenn, bestand im Einzelfall die Gefahr der Bagatellisierung oder der (zu) schnellen Verdrängung. Noch 1995 wurde bei einer sozialwissenschaftlichen Befragung nachgewiesen, dass sich zwei Drittel der befragten Soldaten noch nicht mit dem eigenen Tod in Zusammenhang mit Kampfhandlungen während eines Auslandseinsatzes auseinandergesetzt hatten (Puzicha 2001: 91ff). An Auslandseinsätzen, an denen die Bundeswehr mit unterschiedlichen Mandaten beteiligt ist, haben bis heute viele Soldaten mindestens einmal, häufig aber auch mehrfach teilgenommen. Verkehrs- und Minenunfälle auf den unwegsamen Gebirgsstraßen im Kosovo und in Bosnien, Raketenanschläge auf das Feldlager in Kabul (Afghanistan), das Attentat Anfang 2003 auf einen deutschen Bus mit Heimkehrern, Angriffe auf verbündete Streitkräfte mit tödlichem Ausgang in Afghanistan, haben einen deutlichen Wandel der individuellen Bedeutsamkeit und auch der militärischen Betrachtungsweise bewirkt. Die Konfrontation mit verwundeten und getöteten Soldaten im eigenen, oft multinational zusammengesetzten Kontingent, schweren Verletzungen und Toten bei der Zivilbevölkerung – diese Erfahrungen betreffen heute nicht mehr nur einzelne Soldaten. Damit rückt die persönliche Betroffenheit in den Vordergrund und lässt nicht mehr so leicht eine innere Distanz zu. Das Thema ‚Umgang mit Verwundung und Tod‘ ist heute Teil jeder Einsatzvorbereitung und verringert so die weiterhin latent bestehende Tendenz zur Tabuisierung des Themas Verwundung und Tod.

Ulrike Beckmann
Militärseelsorge im Auslandseinsatz

Vor der Wiedervereinigung Deutschlands spielte das Thema ‚Einsatzbegleitung‘ in der Militärseelsorge für die Bundeswehr nur eine Nebenrolle. Dienste im Ausland kamen für Militärgeistliche nur in der Begleitung von Übungen der Teilstreitkräfte sowie im Rahmen der Not- und Katastrophenhilfe in Betracht. Im Jahre 1990 begleiteten zum ersten Mal deutsche Militärpfarrer Soldaten der Bundeswehr in den Einsatz nach Kambodscha. Die schrittweise Neuausrichtung der Bundeswehr zu einer ‚Einsatzarmee‘ wurde auch für die Militärseelsorge zu einer inhaltlichen und organisatorischen Herausforderung.

Joachim Simon
Interkulturelles Konfliktmanagement

Fast 40 Jahre lang war die Bundeswehr als Armee zur Landes- und Bündnisverteidigung organisiert. Die weltpolitischen Veränderungen nach dem Ende des Kalten Krieges führten zu einem grundlegend veränderten Auftrag der Streitkräfte der seinen deutlichsten Ausdruck in den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21. Mai 2003 findet. Der Bundesminister der Verteidigung setzt darin u. a. neue Akzente für das Einsatzspektrum der Bundeswehr. Einsätze für die „Internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung“ werden demnach zu den künftig strukturbestimmenden Aufgaben der Bundeswehr (vgl. Bundesministerium der Verteidigung 2003: 25) anstelle der bisherigen Konzentration auf die Landesverteidigung.

Andreas Berns, Roland Wöhrle-Chon

Militär und Multinationalität

Frontmatter
Multinationalität als europäische Herausforderung

Multinationalität ist seit Jahrhunderten eine gängige Erscheinung im Militärwesen. Stets hat es Bündnisse und Allianzen gegeben, die sich bildeten, füreinander einstanden und sich auch wieder auflösten. In der jüngeren Geschichte war es im euro-atlantischen Kontext vor allem die integrierte Kommandostruktur der NATO, welche das Prinzip der Multinationalität verkörperte. Auch die vielfältigen Friedensmissionen unter dem Dach der Vereinten Nationen waren stets aus Kontingenten einer Vielzahl von Staaten zusammengesetzt. Dabei aber spielte sich Multinationalität vorwiegend auf den Führungsebenen ab, während die Abläufe auf der Durchführungsebene weitestgehend national geprägt blieben. Seit Anfang der 1990er Jahre erfuhr Multinationalität als Strukturprinzip von Streitkräften in Europa jedoch eine neue, tiefer greifende Entwicklung. Wenn heute von Multinationalität gesprochen wird, so wird darunter zumeist die dauerhafte koordinierte Zusammenarbeit zwischen Soldaten verschiedener Nationen in einem gemeinsamen Truppenkörper auf verschiedenen Hierarchieebenen verstanden, die noch bis vor wenigen Jahren rein nationale Domänen waren (vgl. Lang 2001: 755).

Sven Bernhard Gareis
Multinationale Einsatzführung in Peace Support Operations

Die Bundeswehr war mit Beginn ihrer Aufstellung vor nunmehr über 50 Jahren als Armee im Bündnis konzipiert. Soldaten von Heer, Luftwaffe und Marine waren von Anfang an damit vertraut, eng mit den Angehörigen der anderen NATO-Staaten zusammenzuarbeiten. Die Truppe war dabei in nationalen Großverbänden strukturiert, die NATO-Führungsstäbe dagegen nach dem Modell der militärischen Integration. In gemischt nationalen Stäben stellte jede beteiligte Nation die vorgesehenen personellen Anteile. Unter Multinationalität wird die Übertragung des auf höherer Planungsebene bewährten Integrationsmodells auf die militärische Durchführungsebene verstanden. Schon vor 1990 gab es multinationale NATO-Eingreifverbände bei den Land-, Luft- und Seestreitkräften.

Robert Bergmann
Die Deutsch-Französische Brigade

Die Deutsch-Französische Brigade (D/F-Brigade) ist der erste in Europa aufgestellte einsatzfähige militärische Großverband, dessen rund 5 000 Soldaten sich auf Dauer aus zwei Nationen rekrutieren. Er basiert in seiner Grundidee auf dem Elysée-Vertrag zwischen Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer vom 22. Januar 1963, der schließlich auch dazu führte, dass Staatspräsident François Mitterand und Bundeskanzler Helmut Kohl auf ihrem Gipfeltreffen in Karlsruhe am 13. November 1987 sich für die Aufstellung eines gemeinsamen deutsch-französischen Großverbandes aussprachen. Nach dieser politischen Entscheidung wurde bereits 1988 ein Aufstellungsstab eingerichtet, die Brigade am 2. Oktober 1989 gegründet und am 17. Oktober 1990 in Böblingen, dem ersten Standort des Brigadestabes, feierlich in Dienst gestellt (vgl. Nachtsheim 2002: 68). Zwischenzeitlich hatten die beiden Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg und Jean-Pierre Chevènement am 2. November 1989 sog. Verwaltungsvereinbarungen unterzeichnet, in denen die Bedingungen für den Betrieb und die Organisation der Brigade aber auch ihre Zweckbestimmungen festgelegt wurden. Hierzu kann man in Artikel 1 der Vereinbarungen nachlesen: „Die Aufstellung der Deutsch-Französischen Brigade soll dazu dienen, beiden Staaten einen kampfkräftigen – unter Führung des Brigadekommandeurs einsetzbaren – Großverband zu stellen. Ihre Aufstellung soll darüber hinaus dem Zweck dienen,

Heike Abel, Paul Klein, Randolf-Marc Richter
Das Multinationale Korps Nordost in Stettin

Das von Dänemark, Deutschland und Polen getragene Multinationale Korps Nordost (

Multinational Corps Northeast

, MNC NE) wurde am 18. September 1999 im nordwestpolnischen Stettin aufgestellt. Auf den ersten Blick fügte sich seine Gründung logisch in die lange Reihe der in den 1990er Jahren neugeschaffenen multinationalen Truppenkörper ein. Jedoch war dieses Korps von Beginn an hinsichtlich seiner Entstehung, seiner Zusammensetzung, seiner Aufgaben sowie seiner gegenwärtigen und künftigen Funktionen durch eine Reihe von Besonderheiten gekennzeichnet, die sowohl im Rahmen der im April 2004 erfolgten zweiten Erweiterungsrunde der NATO als auch im Zuge der wachsenden militärischen Integration Europas von wachsender Bedeutung sind. Mit dem gerade der NATO beigetretenen Polen wurde erstmals ein neuer Partner in einen multinationalen Verband eingebunden – das MNC NE wurde so über seine unmittelbaren militärischen Aufgaben hinaus zu einem politischen Symbol des fortschreitenden europäischen Integrationsprozesses. In dieser weiteren Perspektive kann das MNC NE zudem als eine Probe aufs Exempel betrachtet werden, ob und inwieweit sich das dort praktizierte Strukturprinzip der vertieften Integration als Modell für künftige multinationale Streitkräfteformationen unter Einbeziehung neuer Bündnispartner eignet.

Sven Bernhard Gareis
Das Deutsch-Niederländische Korps

1995 wurde das Deutsch-Niederländische Korps (1 GE/NL Corps) als Ergebnis eines politischen Prozesses in Dienst gestellt, der mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 begonnen hatte. Dieses Ereignis bewirkte, dass viele europäische Staaten eine ‚Friedensdividende‘ für sich reklamierten und damit begannen, ihre Verteidigungshaushalte zu verkleinern und ihre Streitkräfte umzustrukturieren. Diesem Gedanken folgend entschlossen sich auch Deutschland und die Niederlande, ihre Streitkräfte zusammenzufassen und ein binationales Korps zu gründen (Moelker 2002). Hiervon versprach man sich organisatorische Vereinfachungen bei gleichzeitiger Bewahrung der militärischen Kampfkraft.

René Moelker, Joseph Soeters
Das Eurokorps

Den ersten Anstoß, ein multinationales Korps aufzustellen, gaben der französische Staatspräsident François Mitterand und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl. In einem Schreiben an den amtierenden Vorsitzenden des Europäischen Rates vom 14. Oktober 1991 kündigten sie die Absicht an, die deutsch-französische militärische Zusammenarbeit in ihren Strukturen über die Deutsch-Französische Brigade hinaus zu erweitern und einen neuen Großverband zu schaffen, der auch anderen Nationen offen stehen sollte. Wörtlich heißt es in dem Brief: „Diese verstärkten deutsch-französischen Einheiten können somit den Kern für ein europäisches Korps bilden, wobei die Streitkräfte der Mitgliedstaaten der WEU einbezogen werden könnten. Diese neue Struktur könnte damit auch Modellcharakter für eine engere militärische Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der WEU insgesamt haben.“ (zit. nach Neubauer 2002: 58)

Paul Klein
Militärische Multinationalität und die Streitkräftereformen in Mittelosteuropa

Der Zusammenbruch und die 1991 erfolgte Auflösung des Warschauer Paktes (WP) stellte seine früheren Mitglieder vor die Entscheidung, ihre nationale Sicherheit künftig auf individuellem Wege oder aber im kollektiven Verbund mit anderen Staaten zu gewährleisten. Dabei prägten zunächst Erfahrungen mit dem sowjetischen Sicherheitssystem zusammen mit einigen unscharfen Wahrnehmungen des westlichen Alternativmodells die Wahrnehmung dessen, was sich als kooperative Sicherheit außerhalb des Warschauer-Pakt-Rahmens zu entwickeln begann. Rasch aber setzte sich bei den meisten Staaten die Einsicht durch, dass an einer weiteren Zugehörigkeit zu multinationalen Sicherheitsstrukturen kein Weg vorbeiführt. Beflügelt wurde diese Sichtweise durch eine starke Orientierung nach Westen als Folge der Demokratisierungsprozesse sowie durch das Bestreben, ein drohendes Sicherheitsvakuum in Mittelosteuropa auszufüllen.

Marybeth Peterson Ulrich

Der Beruf des Soldaten

Frontmatter
Der Soldatenberuf in historischer Perspektive

Die freiwillige Ableistung von Kriegsdienst für eine materielle Entlohnung ist eine „universalhistorische Erscheinung“ (Sikora 2003: 210). Bereits in der Antike boten sich Männer an, die ohne tiefere Bindung zu ihrem Auftraggeber Kriegsdienst für Geld leisteten. Im Mittelalter fußte die Kriegführung, neben den vasallisch gebundenen Lehensmännern, auf bezahlten Kriegsknechten zu Fuß und angeworbenen Soldrittern. Technische Spezialisten, wie Pioniere oder Artilleristen, gehörten ebenfalls zu den begehrten und damit teuren Miettruppen. Während die spätmittelalterlichen Quellen noch vom ‚Kriegsknecht‘ bzw. dem ‚Kriegsvolk‘ sprechen, setzte sich die Bezeichnung ‚Soldat‘ erst mit Beginn der Frühmoderne durch. Der Begriff geht auf den spätrömischen

solidus aureus

zurück, einer gediegenen (= soliden) Goldmünze. Im italienischen Sprachraum bezeichnete im frühen 16. Jahrhundert der

soldato

einen Kriegsmann, der in Löhnung genommen wurde und verweist auf den primär merkantilen Charakter der Bindung. Etwa Mitte des 16. Jahrhundert gelangte der Ausdruck Soldat vermutlich durch in Flandern stationierte italienisch-spanische Truppen in den deutschen Sprachraum, wo er sich kurz darauf vereinzelt in den zeitgenössischen Kriegslehrbüchern und Akten der Militärbürokratie nachweisen lässt. Die Bezeichnung war ursprünglich keineswegs negativ besetzt. So schrieb zum Beispiel der französische Schriftsteller Pierre de Bourdeille Brantôme (1540–1614) voller Respekt von „le beau nom de soldat“. Ab 1600 verdrängte der ‚Soldat‘ die bislang gebräuchlichen Begriffe wie Landsknecht oder Kriegsknecht. Seit dem Dreißigjährigen Krieg unterscheiden die meisten Quellen zwischen Offizieren und Soldaten, wobei die Unteroffiziere eher den Soldaten zugerechnet werden. Damit setzte sich eine begriffliche Trennung durch, die unter den Soldaten nicht alle Waffendienst leistenden Männer, sondern nur noch die Gruppe der niederen Ränge zusammenfasste.

Matthias Rogg
Militär und Tradition

Gängige Definitionen des Begriffs ‚Tradition‘ sehen ihn als mehr oder weniger synonym mit ‚Geschichte‘. Dabei wird betont, dass der Begriff zwei Dimensionen hat: Er bezeichnet den Vorgang des Überlieferns ebenso wie die überlieferten Inhalte. Tradition in diesem Sinne ist ein zentraler kulturbildender Vorgang, auch wenn die Inhalte der jeweiligen Überlieferungen zwischen den jeweiligen Kulturen naturgemäß variieren. In christlichtheologischem Verständnis ist die Tradition eine der Quellen der Offenbarung neben Lehramt und Heiliger Schrift. Weltweit pflegen alle Armeen militärische Traditionen. Gerade in einer Zeit des schnellen Wandels von Normen und Werten scheint soldatische Existenz, immer bedroht vom jähen Ende, in besonderer Weise das Bleibende und Bewahrende zu betonen. Historisierende Uniformen, zumindest zu feierlichen Anlässen, Fahnen, Abzeichen, Zeremonielle und bewusste Erinnerung an militärische Ereignisse, insbesondere militärische Erfolge der jeweils eigenen Gruppe (Regiment, Division etc.) gehören zum kulturellen Allgemeingut fast aller Armeen. Je nach dem Grad der Integration der Streitkräfte in ihr jeweiliges gesellschaftliches Umfeld wird dabei auch die Entstehung spezifisch militärischer, womöglich auch bewusst anti-zivilisatorischer Traditionen zu beobachten sein.

Winfried Heinemann
Der Offizier – Ethos, Habitus, Berufsverständnis

„Nicht der Adel der Geburt allein kann heutzutage wie vordem das Vorrecht für sich in Anspruch nehmen, der Armee ihre Offiziere zu stellen. Aber der Adel der Gesinnung, der das Offizierkorps zu allen Zeiten beseelt hat, soll und muss demselben unverändert erhalten bleiben.“ (Erlass Willhelm II. über die Ergänzung des Offizierkorps vom 29. März 1890; zit. nach Rohde 1993: 31) Obwohl gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Offizierkorps in Deutschland noch vom Geburtsadel dominiert wurde (Bald 1994: 92ff; Hagen 2003: 351), zeigt sich im angeführten Erlass Wilhelm II. bereits eine Entwicklung, die sowohl für die ‚Elite der Elite‘ (Generalität und Admiralität), als auch für die Gesamtheit der Offiziere ein Legitimierungsproblem ihres Führungsanspruchs begründete, dessen Lösung aber bereits angedeutet wird: Das Offizierkorps bedarf des Adels der Gesinnung, eines

esprit de corps

(Korpsgeist), der nicht nur eine grundsätzliche Haltung widerspiegelt, sondern auch Handlungsdispositionen begründet, an denen sich Offiziere orientieren.

Martin Elbe
Unteroffiziere als Führer, Ausbilder und Erzieher sowie als Fachleute in Technik und Verwaltung

Wie sicher keine andere Dienstgradgruppe in den deutschen Streitkräften standen Unteroffiziere in der Vergangenheit hinsichtlich ihres Berufsbildes und ihres Ansehens immer etwas im Zwielicht. Einerseits bescheinigte ihnen bereits Napoleon I., sie seien „der Kitt, der ein Heer zusammenhält“ (zit. nach Rohde 1989: 15), und waren sie im 20. Jahrhundert die hochgelobten Gruppen- und Zugführer beider Weltkriege, die nicht selten auch Kompanien führten und die im Ersten Weltkrieg wegen Tapferkeit vor dem Feind 2.544 Orden erhielten, die dem ‚Pour le Merite‘ für die Offiziere entsprachen (Militärgeschichtliches Forschungsamt V, 1983: 94). In- und ausländische Kritiker bescheinigten ihnen die Rückgratfunktion , die den militärischen Wert der deutschen Armeen begründete. „Popularität erreichten diese Unteroffiziere aber eigentlich nie. Ihr Wirken blieb vielfach verborgen, stand hinsichtlich der Öffentlichkeitswirksamkeit zumindest hinter dem der Offiziere zurück“ (Klein 1989a: 1). Andererseits haftete ihnen immer das Image von Vorgesetzten an, die wenig Menschlichkeit zeigten und ihre Anordnungen hart und rücksichtslos durchsetzten. Dies beruhte sicher teilweise darauf, dass in den Frühzeiten der stehenden Heere Unteroffiziere die ‚Drillmeister‘ waren, die dem Soldaten in der Ausbildung sämtliche Bewegungen und Handgriffe beibrachten, die er im Gefecht, das von der Lineartaktik beherrscht wurde, benötigte. Dabei gingen die Unteroffiziere oft nicht sehr feinfühlig vor, waren mit Strafen schnell bei der Hand, gebrauchten dabei häufig den Stock und ließen vielfach die Menschlichkeit so vermissen, dass Friedrich der Große an sie einmal den bekannten Ausspruch gerichtet haben soll: „Ich habe keine Kanaillen und Rackers in meiner Armee, sondern ehrliche ordentliche Soldaten, wonach ihr Euch zu richten habt“ (zit. nach Lahne 1974: 90). Verstärkt wurde dieses überkommene Image in der öffentlichen Meinung im 20. Jahrhundert dann auch durch Romanfiguren wie die des Unteroffiziers Himmelstoß aus Remarques Werk „Im Westen nichts Neues“ oder nach dem Zweiten Weltkrieg die des Unteroffiziers Platzek aus der 08/15-Trilogie von Kirst, dessen Namen für lange Zeit zum Inbegriff des bornierten Schleifers wurde.

Paul Klein
Die Besonderheiten des gesetzlichen Status des Soldaten

Das Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz – SG) vom 19. März 1956, in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Mai 2005, ist unbestreitbar das „Kernstück des Soldatenrechts“ (Hermsdörfer 1998: 22; Scherer/Alff 2003: Vorb. Rn 4). Es ist wesentlicher Teil des deutschen Wehrrechts, unter dem üblicherweise die Gesamtheit der sich auf die militärische Verteidigung der Bundesrepublik beziehenden Rechtsnormen einschließlich der Wehrverfassung verstanden wird (Wilk/Stauf 2003: 388). Das SG ist für die Rechtsstellung des Soldaten, seinen Status, bestimmend. Es ist daher lohnenswert, dieses Gesetz in einem Teilbereich etwas genauer zu betrachten und es einer aktuellen rechtspolitischen Analyse zu unterziehen.

Dieter Walz
Berufswunsch Soldat: Interessenten und Motive

Im Rahmen der wissenschaftlichen Versuche, den Prozess der Berufswahl zu beschreiben und zu erklären, wurden eine Vielzahl von Modellen entwickelt (vgl. die Übersichten in Ries 1970; Bußhoff 1984; Moser/Schmook 2001). Diese Konzepte messen den ökonomischen, sozialen und psychologischen Faktoren, die in ihrer Gesamtheit die Berufswahl beeinflussen, eine ganz unterschiedliche Bedeutung bei. Die theoretischen Konturen der wichtigsten Ansätze sollen im Folgenden skizziert werden.

Thomas Bulmahn
Söldner GmbH? – Zur Problematik privater Militärdienstleistungsunternehmen

Kriege, Krisen und Konflikte – ein Alptraum für alle Wirtschaftsunternehmen! Für alle? Nein, für manche Unternehmen sind sie erst die Voraussetzung für gut gehende Geschäfte. In der Tat: Angesichts zunehmender Unsicherheit, steigender gewalttätig ausgetragener Konflikte – von Terroranschlägen bis hin zu Kriegen – boomt die Branche der privaten Unternehmen, die militärische Dienstleistungen anbieten. Ihre Mitarbeiter tragen den Tarnfleckanzug der Berufskrieger, den Blaumann der Mechaniker oder den gedeckten Anzug des Geschäftsmanns. In mehr als fünfzig Ländern kann man ihnen begegnen, darunter in Krisenherden wie in Afghanistan, Angola, Äthiopien, Bosnien, Elfenbeinküste, Eritrea, Georgien, Kaschmir, Kongo, Kosovo, Kroatien, Irak, Liberia, Mazedonien, Ruanda, Saudi-Arabien, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Tadschikistan, Zaire. Expertenschätzungen gehen davon aus, dass weltweit über hundert einschlägige Firmen operieren und sich einen Markt im Wert von mehreren hundert Milliarden Dollar teilen. Das mögliche Einsatzspektrum ist ebenso breit gefächert wie das Klientel: eine schwache Regierung benötigt Hilfe gegen Aufständische, eine andere plant eine kriegerische Auseinandersetzung mit dem ungeliebten Nachbarstaat, rückständige Militärorganisationen sollen auf modernen Stand gebracht werden, eine Friedenstruppe sucht logistische Unterstützung, ein multinationales Unternehmen hofft, die ständigen Angriffe lokaler Rebellen gegen ihre Einrichtungen nachhaltig zu beenden, eine Hilfsorganisation versucht, ihre Mitarbeiter bei der Verteilung von Lebensmitteln in einer Krisenregion zu schützen, zahlreiche Staaten bemühen sich, durch Privatisierung und Verlagern von Aufgaben ihr eigenes Militär zu entlasten und Kosten zu senken (vgl. Singer 2004). Für all diese Fälle bieten Privatunternehmen ihre Dienste an und offerieren Kompetenzen und Ressourcen, die bisher ausschließlich den nationalen Militärapparaten vorbehalten schienen. Im folgenden soll versucht werden, die über die letzten Jahre immer stärker gewordene private Militärdienstleistungsindustrie zu beschreiben, auf ihre Entstehungsursachen einzugehen und die mit ihr verbundene Problematik aufzuzeigen.

Georg Maria Meyer
Vom Landesverteidiger zum militärischen Ordnungshüter

Wohl kaum je in der Geschichte haben sich die Aufgaben und Strukturen der europäischen Streitkräfte innerhalb so kurzer Zeit derart grundlegend verändert, wie dies seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Ost-West-Konfliktes geschehen ist. Was seit der

levée en masse

mit der Entstehung von Massenheeren zwecks Einigung und Verteidigung der neuen Nationen begann und als

raison d’être

für Armeen wie auch als Organisations- und Rekrutierungsmodell fast zwei Jahrhunderte Bestand hatte, verflüchtigte sich innerhalb weniger Jahre fast vollkommen. Der Landesverteidigungsfall ist im Bedrohungsspektrum des europäischen Normalstaates praktisch auf Null gesunken. Folgerichtig wird in den meisten europäischen Staaten das Volksheer derzeit abgeschafft, die Wehrpflicht suspendiert und das Militär auf neue nationale und internationale Aufgaben hin umgebaut (Szvircsev Tresch 2005). Es lassen sich Veränderungen auf vier Ebenen beobachten. Sie betreffen die Funktion von Streitkräften im internationalen System, ihre Position innerhalb der Gesellschaft, ihre organisatorische Struktur sowie neue Rollen und Identitäten der Soldaten. Die folgenden Ausführungen thematisieren die möglichen Konsequenzen neuer polizeiartiger Aufgaben von Streitkräften für das organisatorische Profil des Militärs sowie das Kompetenzfeld der Soldaten, mithin die beiden letzteren Ebenen.

Karl Haltiner
Die Berufszufriedenheit von Soldaten der Bundeswehr

Die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Zu nennen wären hier beispielsweise die erfolgreiche Umsetzung des Prinzips vom Befehl und Gehorsam und der ‚Inneren Führung‘, die Befehlstaktik, der finanzielle Rahmen und das politische Umfeld. Sie alle bedingen neben weiteren Einflüssen direkt oder indirekt auch die Zufriedenheit der Mitglieder der Institution Bundeswehr, weswegen davon auszugehen ist, dass die Berufszufriedenheit der Soldaten ebenfalls bedeutend für die Auftragserfüllung der Bundeswehr ist.

Daniel Langer
Militär und Religion

Religion deutet Erfahrungen und stiftet Sinn in alltäglichen wie außeralltäglichen Lebenszusammenhängen. Der Religionssoziologe Max Weber (1846–1920) hat mit unvergleichlicher Sprachgewalt die Dimensionen des Bezugs zwischen Religion, Krieg, Tod und Gewalt beschrieben (1988: 548): „Der ‚Krieg‘ als die realisierte Gewaltandrohung schafft, gerade in den modernen politischen Gemeinschaften, ein Pathos und ein Gemeinschaftsgefühl und löst dabei eine Hingabe und bedingungslose Opfergemeinschaft der Kämpfenden und überdies eine Arbeit des Erbarmens und der alle Schranken der naturgegebenen Verbände sprengenden Liebe zum Bedürftigen als Massenerscheinung aus, welcher die Religionen im allgemeinen nur in Heroengemeinschaften der Brüderlichkeitsethik ähnliches zur Seite zu stellen haben. Und darüber hinaus leistet der Krieg dem Krieger selbst etwas, seiner konkreten Sinnhaftigkeit nach, Einzigartiges: in der Empfindung eines Sinnes und einer Weihe des Todes, die nur ihm eigen ist. Die Gemeinschaft des im Felde stehenden Heeres fühlt sich heute, wie in den Zeiten der Gefolgschaft, als eine Gemeinschaft bis zum Tode: die größte ihrer Art. Und von jenem Sterben, welches gemeines Menschenlos ist und gar nichts weiter, ein Schicksal, welches jeden ereilt, ohne dass je gesagt werden könnte, warum gerade ihn und gerade jetzt (…) scheidet sich der Tod im Felde dadurch, dass hier, und in der Massenhaftigkeit ‚nur‘ hier, der Einzelne zu wissen ‚glauben‘ kann: dass er ‚für‘ etwas stirbt.“ Die Militärsoziologie hat sich bisher ebenso selten der Frage nach dem Verhältnis von Religion und Militär angenommen wie die Religionssoziologie. Nach der militärischkriegerischen und gewaltsamen Dimension religiöser Vorstellungen und Ausdrucksweisen hat auch die Theologie noch kaum gefragt, obwohl unzweifelhaft ist, dass das Konzept von Selbstzucht, Askese, Feindesliebe, Ehre etc., das eine Religion oder Kultur vertritt, Auswirkungen auf das militärische Handeln von Soldaten hat. ‚Führung‘ ist beispielsweise nicht nur ein militärischer

terminus technicus

, sondern auch ein Begriff für die Erfahrung des Frommen. Während den einen der ihm vorgesetzte Führer ‚führt‘, fühlt der andere sich von Gott geleitet. (Evangelisches Kirchenamt für die Bundeswehr 1986: 37–100) Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen liegt auf dem christlich-abendländischen Kulturkreis, wenn auch um der Illustration willen Seitenblicke auf andere Religionen und Kulturkreise geworfen werden.

Angelika Dörfler-Dierken
Soldatenfamilien

Knapp die Hälfte aller Unteroffiziere und etwa drei Viertel der Offiziere der Bundeswehr sind verheiratet. Nimmt man die Anzahl derjenigen hinzu, die in einer festen Partnerschaft leben, so wird deutlich, wie viele Soldatinnen und Soldaten vor der Notwendigkeit stehen, dienstliche Anforderungen mit den Interessen und Bedürfnissen ihrer Partner in Übereinstimmung zu bringen. Weit über die Hälfte aller Soldatenehen/-partnerschaftsbeziehungen werden durch Kinder ergänzt, die zusätzlich Dynamik in das Verhältnis von Familie und Beruf des Vaters und in jüngerer Zeit zunehmend auch der Mutter bringen (vgl. Meyer 1989). Die Frage nach der Vereinbarkeit zwischen den Berufsbedingungen des Soldaten und seiner Familie hat in der letzten Zeit zunehmend an wissenschaftlicher und administrativer Aufmerksamkeit gewonnen (vgl. Wehrbeauftragter 2004: 17ff). Begreift man dies als Reflektion sich verschärfender Problemlagen, so verweist dies auf erhebliches Friktionspotenzial. Nun sind Soldatenfamilien zunächst einmal Familien wie andere auch. Im folgenden soll daher der Zusammenhang zwischen Beruf und Familie allgemein skizziert werden, bevor auf die besonderen Rahmenbedingungen des Soldatenberufs eingegangen wird, die für Soldatenfamilie eine besondere Lage konstituieren. Daran schließt sich eine Schilderung der Problemfelder von Soldatenfamilien an, bevor abschließend nach den Möglichkeiten und Grenzen von Problembewältigungsstrategien gefragt wird.

Georg-Maria Meyer
Der Soldatenberuf in Europa und Nordamerika

Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts hat der Beruf des Soldaten in seiner Aufgabenstellung eine Reihe von Wandlungen erfahren, die auch die Soldaten selbst nicht unberührt ließen. Nach dem Ende des Kalten Krieges war dieser Wandel zunächst sichtbar in einer Reihe von Einsätzen unter der Leitung der Vereinten Nationen (vgl. Caforio 2001), die in der Hauptsache zum Ziel hatten, den Frieden zu bewahren. Danach aber schufen der islamische Terrorismus und die daraus resultierenden Kriege in Afghanistan und Irak erneut Bedingungen, die das traditionelle Kriegsgeschehen wieder in den Vordergrund rückten, das allerdings durch eine Reihe vorwiegend technischer Veränderungen so verändert war, dass es sich eingebürgert hat, von

new wars

zu sprechen (vgl. Kaldor 1999). Die gegenwärtige Situation im Mittleren Osten und im Irak verleiht dem Kampf gegen Partisanen und Terroristen wiederum eine neue Bedeutung.

Giuseppe Caforio
Backmatter
Metadaten
Titel
Handbuch Militär und Sozialwissenschaft
herausgegeben von
Dr. phil. Sven Bernhard Gareis
Dr. rer. soc. Paul Klein
Copyright-Jahr
2006
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-90086-5
Print ISBN
978-3-531-34446-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-90086-5