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13.06.2023 | Handel | Kommentar | Online-Artikel

Kunden sind wichtig, lieber Einzelhandel!

verfasst von: Eva-Susanne Krah

4:30 Min. Lesedauer

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Der Frust im Einzelhandel ist groß. Nicht alle Handelshäuser können die Corona-Delle ausgleichen und wieder gute Geschäfte machen. Die Kosten drücken und mancher Exodus ist absehbar. Doch dass Innenstädte unter Leerstand und abwandernden Kunden leiden, sollte den Handel nicht am engagierten Verkaufen hindern.

Ein Samstag in der Fußgängerzone einer prosperierenden Kreisstadt, laut Statistik gehört sie bundesweit zu den einkommensstärksten Gebieten. Es ist verlängertes "Feiertagswochenende" und heiß. Das bedeutet: weniger Kunden, weil viele verreist sind, doch die Daheimgebliebenen haben Zeit für den Einkauf und wollen Beratung. Die Fußgängerzone ist entsprechend belebt.

Der Handel hat ein Problem: Riesige Flächen, wenig Konzepte

Das Bild, das sich im lokalen Einzelhandel dort zeigt, stimmt allerdings nachdenklich und steht stellvertretend für manche andere Einkaufssituation im Handel außerhalb großer Einkaufszentren. Der Eindruck: 

  • Riesenflächen, 
  • viel zuviel Ware, 
  • Markenshops in allen Preisleveln soweit das Auge reicht, aber 
  • wenig Konzepte und kaum bis keine Ansprache oder Beratung der Kunden.

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Restevermarkter übernehmen zudem häufiger bei leerstehenden oder entmieteten Flächen das Feld oder es entstehen temporäre, so genannte Pop-up-Stores, wie seit April 2023 an der Frankfurter Hauptwache im Erdgeschoss des ehemaligen Esprit-Hauses am Eingang der Fußgängerzone Zeil. Mit geschätzten jährlichen Umsätzen zwischen 700 und 800 Millionen Euro ist sie mit die umsatzstärkste Einkaufsmeile. Innenstädte stemmen sich mit solchen Pop-up-Ideen gegen den Leerstandswandel. Das kann kurzfristig für Frequenz sorgen, für schlüssige Konzepte und eine nachhaltige Stadtentwicklung oder Stadtmarketing steht es jedoch nicht. 

So wird das nichts mit der Shoppingwelt 4.0 

Zurück zur Kreisstadt, Beispiel Sinn: Die großzügige Verkaufsfläche in einer kleinen, modernen Einkaufsgalerie lockt. Die gehobene Modekette aus Hagen, die aufgrund der Coronakrise 2020 unter das Schutzschirmverfahren fiel, ging nach abgeschlossenem Insolvenzverfahren auf Expansionskurs und betreibt derzeit bundesweit nach eigenen Angaben 34 Filialen. Sinn setzt auf eine Multilabel-Strategie mit gepflegter Markenware im mittleren und gehobenen Preisniveau. Positiv am neuen Standort, der seit Mai 2021 in der Kreisstadt besteht: eine aufgeräumte Warenpräsentation, ansprechende Beleuchtung, Farbthemen und viele verschiedene Markenshops, die übersichtlich angeordnet sind. Doch: Welche Welt genau wird hier verkauft? Warum fehlen akustische Signale oder zum Beispiel olfaktorische Reize, die zum Verweilen anregen? Wie wird den Kunden diese Welt, die nach Urlaub aussieht, weil fast ausschließlich aktuelle Hochsommermode verkauft wird, vermittelt? Und wo finden Kunden schnelle Orientierung, etwa dank digitaler Unterstützung vor Ort oder einer proaktiven Beratung?

Etagen tiefer, im Untergeschoss: Leerstände, wohin das Auge reicht. Das Konzept der Einkaufsgalerie, die umbenannt wurde und früher mit Frequenzbringern wie C&A oder Schuhmode punktete, geht nicht auf und steht stellvertretend für die Situation mancher regionaler Shopping-Galerien im Land. Ein Grund ist offensichtlich: Der Erlebnisfaktor für Kunden fehlt, die Gesamtladenfläche ist mit 10.000 Quadratmetern, die das Center Management angibt, für die aktuelle Zeit überdimensioniert. Die Haupt-Käuferzielgruppe ist nicht klar adressiert, Aktionsflächen zwischen den Shops fehlen. Dabei ist die Einkaufsmeile draußen voll, Frequenz also vorhanden. 

Verkaufen im Team

Zweites Beispiel: Einkauf in einem gehobenen Lebensmittelsupermarkt. Positiv gestimmte Verkäuferinnen, die Kunden gleich im Doppelpack bedienen und mit ihnen scherzen, sie Lebensmittel vorab probieren lassen. Auf die Frage, ob das ein neues Konzept sei, kommt die Antwort mit einem Lächeln: "Es geht nur so - im Team." Das ist Vertrieb wie er sein kann. Ein ganz anderes Bild an einer Kasse. Wortlos wirft die Kassiererin mit der Bemerkung zu einer Kollegin, sie müsse jetzt gehen, den Kassenzettel auf die Einkäufe. Dem Kunden gilt kein einziger Blick. Schade. 

In den geschilderten Fällen stellt sich die Frage: Wo sind die Führungskräfte, die Storemanager vor Ort, wie wird das Personal in Hinblick auf Kunden und Beratung geschult? Was wissen sie über das Thema Customer Experience? Was denken die Verkäufer über ihre neuen, veränderten Kunden und welches Mindset haben sie? Sind im jeweiligen Store-Konzept verankerte Ideen vorhanden, um serviceorientiert zu bedienen und Kunden zu begeistern? 

Springer-Autor Jens Löser formuliert es im Kapitel "Mein denken über meine Kunden" in seinem Buch "Nie mehr Pech beim Denken - das neue Mindset im Vertrieb" so: "Erst ab dem Moment, wenn sich ein Verkäufer um den Kunden kümmert, kümmert sich auch der Kunde um den Verkäufer. Wo ehrliches Interesse besteht, wächst Vertrauen. Und wo Vertrauen ist, entsteht auch ein gutes Gefühl." Das untermauert eine Erhebung der Günther Rid Stiftung in der Region Niederbayern. Danach sagen 75,3 Prozent der befragten Käufer unabhängig von Geschlecht und Alter, dass sie sich freundliche und aufmerksame Mitarbeiter wünschen. 53,2 Prozent legen Wert auf kompetente Fachberatung, 51,7 Prozent schätzen eine attraktive Ladengestaltung.

Letztes Beispiel: Ein gehobenes Bettenhaus. Zwei Verkäuferinnen. Eine spricht direkt auf den Kaufwunsch an. Nach einem kurzen Gespräch wird ein Glas Wasser angeboten, die Ware ausgebreitet, nach weiteren Wünschen gefragt. Draußen ist es 30 Grad warm. Eine gute Idee also, das mit dem Wasser. Die Verkäuferin hat verstanden: Da möchte jemand Geld ausgeben. Halten wir ihn also noch ein bisschen und geben ihm ein gutes Gefühl. Ergebnis: Umsatz binnen 5 Minuten 160 Euro.  

Kunden dürfen niemals egal sein

Die Beispiele zeigen: Käufer dürfen dem Handel niemals egal sein. Gezielte Kundenansprache auf Augenhöhe bleibt wichtig, auch wenn die Frequenz auf den Flächen sinkt und das Geschäft im Wettbewerb mit den Moduleinkaufszentren großer Center-Management-Betreiber vor den Toren der Städte eine Herkulesaufgabe ist, weil Personal- oder Ressourcenmangel und zu hohe Mieten drücken, während sich das Kundenverhalten geändert hat. Am wichtigsten aber ist, dass beide Faktoren ineinander spielen: das richtige Konzept und die richtige Kundenansprache. Die Zeit der bloßen Warenverteilung von früher ist vorbei, das zeigt der Rückzug von Ketten wie H&M und anderen Platzhirschen aus den Innenstadtlagen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen von hoher Filialdichte verabschieden.

Mittlere Handelsgrößen haben heute keine Versorgungsfunktion mehr wie etwa manche verbleibende Kaufhäuser. Sie haben eine klare Erlebnisfunktion für Kunden. Oder anders gesagt: Niemand braucht ein drittes Paar Schuhe oder zwei weitere Blusen. Aber er möchte sie vielleicht ganz einfach, wenn man es ihm nur genügend schmackhaft macht. 

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