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10.10.2023 | Innovationsmanagement | Schwerpunkt | Online-Artikel

Warum sich am Homeoffice die Geister scheiden

verfasst von: Annette Speck

7:30 Min. Lesedauer

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Beschäftigte sind genervt von Unruhe und ewigen Meetings im Büro. Chefs vermuten Schlendrian im Homeoffice und sehen Kommunikationsprobleme. Auch Studien sind uneins, wo am produktivsten gearbeitet wird. Sind Präsenzvorgaben die Lösung?

Die Liste der Firmen, die ihre Angestellten nach dem pandemiebedingten Wechsel ins Homeoffice zurück ins Büro beordern, wird immer länger. Nicht jeder Firmenchef unterstellt den Beschäftigten dabei Faulenzertum am heimischen Schreibtisch, wie es Tesla-CEO Elon Musk auf dem Portal X (ehemals Twitter) tat. Die Argumente anderer US-Konzerne wie Apple, Google und inzwischen sogar Zoom für die - zumindest teilweise - Präsenzpflicht lauten vielmehr: produktivere Teamarbeit, mehr Kreativität und Innovation.

Remote Work als Kreativitätskiller

Eine Reihe von Studien stützen die Annahme, dass Teamarbeit und Kreativität unter Remote Work leiden. So auch eine Studie von Forschenden der Columbia University und der Stanford University, die 2022 im Magazin Nature vorgestellt wurde. Für die Studie waren Versuchspersonen aufgefordert worden, in Zweierteams Produktideen zu entwickeln. Sowohl der erste Durchgang mit 602 Personen als auch der anschließende Feldversuch mit knapp 1.500 Ingenieuren zeigte: Die virtuell Kommunizierenden waren weniger kreativ als diejenigen, die im selben Raum persönlich miteinander kommunizierten.

Eine Studie der Oxford-Universität von 2022 kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Forschende seltener bahnbrechende Innovationen entwickeln, wenn sie nicht direkt an einem Ort zusammenarbeiten. Für die Untersuchung wurden Daten von mehr als zehn Millionen Forschungsteams ausgewertet, die zwischen 1961 und 2020 in elf Forschungsbereichen publiziert wurden. Allerdings fanden die Wissenschaftler auch heraus, dass mit den technologischen Verbesserungen seit den 2010er Jahren die Fernzusammenarbeit effektiver geworden ist.

Einen, zwei oder drei Tage pro Woche ins Büro?

Auch in vielen deutschen Unternehmen hat sich nach den Pandemiejahren die Erkenntnis breit gemacht, dass trotz fortgeschrittener Technologie Remote Work Nachteile haben kann. So müssen dem WDR zufolge etwa bei Beiersdorf, Henkel oder der Deutschen Börse die Mitarbeitenden wieder drei Tage pro Woche im Büro auflaufen. Bei der Deutschen Post und Zalando seien es zwei Tage pro Woche. Der Versicherungskonzern Allianz verlange von seinen rund 19.000 Mitarbeitenden indessen lediglich vier Präsenztage im Monat.

Als negativ wird von vielen Führungskräften vor allem die eingeschränkte Kommunikation und der fehlende informelle Austausch bewertet. Das wirkt sich nicht nur auf die Kreativität und Innovationsfähigkeit, sondern auch in sozialer Hinsicht aus: Auf Teamgeist, Mitarbeiterbindung und die Unternehmenskultur insgesamt.

Bessere Work-Life-Balance durch Homeoffice

Die soziale Vereinsamung, die die permanente Arbeit von zuhause aus für die Beschäftigten mit sich bringen kann, ist ein weiterer Aspekt. Der wiederum wird meist als Problem des Einzelnen betrachtet. Dies gilt umso mehr, als die Mehrheit der Bürobeschäftigten auf den Geschmack gekommen ist und auf die Homeoffice-Option nicht mehr verzichten will.

Rund 62 Prozent der Beschäftigten möchten mindestens einen Tag pro Woche im Homeoffice verbringen, stellt die PwC-Studie "Home sweet Homeoffice" fest. Und über 70 Prozent von 600 im Januar 2023 befragten Arbeitnehmenden in Deutschland geben an, eine erhöhte Lebensqualität (71 Prozent) und eine bessere Work-Life-Balance (72 Prozent) durch die flexible Nutzung von Homeoffice zu haben. Drei von vier Beschäftigten halten sich im Homeoffice zudem für mindestens genauso produktiv wie in der Firma. Von den 125 für die Studie ebenfalls befragten Arbeitgebern sehen das sogar 94 Prozent so.

Bevorzugen unproduktivere Beschäftige das Homeoffice?

An der Produktivität scheiden sich die Geister jedoch am stärksten. Eine im Mai 2023 veröffentlichte Studie der Federal Reserve Bank of New York stellt fest, dass Callcenter-Beschäftigte im Homeoffice weniger produktiv sind. Der Erhebung zufolge nahm sowohl die Quantität als auch die Qualität der Gespräche der Mitarbeitenden ab, als sie während der Pandemie plötzlich ins Homeoffice wechseln mussten. Allerdings lag die Produktivität der bereits vor Covid-19 remote Arbeitenden noch einmal um acht Prozent niedriger. Die Studienautorinnen ziehen daraus den Schluss, dass der größte Teil der Produktivitätslücke auf eine negative Selektion der Arbeitnehmer für die Telearbeit zurückzuführen ist.

Zu anderen Ergebnissen kommt hingegen die Technische Universität Darmstadt in ihrer aktuellen Homeoffice-Studie. Wie die Befragung von 1.500 Bürobeschäftigten in Deutschland zu ihren Arbeitsorten im Januar und Februar 2023 zeigt, haben 76 Prozent der Befragten das Gefühl, im Homeoffice produktiv zu arbeiten. Über ihre Arbeit im Unternehmensbüro sagten dies nur 61 Prozent. Umgekehrt gab jeder Fünfte an, im Büro unproduktiv zu arbeiten, gegenüber elf Prozent, für die das beim Homeoffice zutrifft. Entgegen manchem Easy-Going-Klischee steigt laut der Erhebung bei Working from Home der Umfang der Arbeit sowohl zeitlich als auch mengenmäßig. Gleichzeitig halten jedoch 62 Prozent der Befragten ihre Arbeitsergebnisse für qualitativ besser.

Homeoffice-Pflicht gefiel nicht allen

Bereits die erste Studie des Forschungsprojektes 2021, als die meisten Büroangestellten zwangsweise im Homeoffice arbeiteten, belegte einen Anstieg der Arbeitsproduktivität um 13 Prozent. Kyra Voll, Projektleiterin am Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre und Mitautorin der Studie ist überzeugt: "Dieser Wert wird sich noch einmal massiv erhöht haben. Denn im Gegensatz zur ersten Erhebung können Beschäftigte heute freier wählen, ob sie weiter von zu Hause oder wieder im Büro arbeiten wollen, und damit am für sie geeigneten Arbeitsplatz tätig sein."

Am liebsten würden Beschäftigte wohl weitgehend spontan ihren Arbeitsort wählen - abhängig von aktueller Wegezeit, Vereinbarkeit von Kinderbetreuung/Pflegetätigkeiten und Arbeit, anstehenden Meetings oder konzentrationsintensiven Aufgaben. Für die meisten Unternehmen ist das jedoch kaum umsetzbar. Zum einen müssen sie die Zusammenarbeit optimal gestalten und planbar machen. Zum anderen gilt es, Büroflächen effizient zu nutzen. In der PwC-Studie nannten die befragten Arbeitgeber eine durchschnittliche Büroauslastung von nur noch 45 Prozent.

Weniger Bürofläche, dafür Schreibtisch-Sharing

Kein Wunder also, dass viele Firmen bei ihren Büros abspecken und geteilte Arbeitsplätze um sich greifen. Dabei buchen sich die Mitarbeitenden einen Schreibtisch, wenn sie vor Ort arbeiten wollen. Ein Kompromiss, der den unterschiedlichen Ansprüchen entgegenkommen soll. 

"Vor dem Hintergrund potenzieller Effizienzgewinne werden Arbeitgeber dem Wunsch ihrer Beschäftigten nach mehr Remote Work künftig verstärkt nachkommen müssen." Kyra Voll, Projektleiterin am Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre der TU Darmstadt

In diesem Zusammenhang ist noch ein weiteres Ergebnis der Darmstädter Studie interessant. Mit der steigenden Anzahl von Homeoffice-Stunden geht demnach nämlich auch eine geringere Ausprägung von Burnout und Boreout einher. Das wäre angesichts seit Jahren steigender Burnout-Fälle ein nicht unerheblicher Effekt.

Burnout-Gefahr lauert überall

Allerdings gibt es auch hierzu Studien, die dies nicht so eindeutig bestätigen. So verweisen Prof. Dr. Yevgen Bogodistov et al. in ihrem Beitrag zu den "Auswirkungen von Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen im Homeoffice auf Burnout und Schlafqualität" in der "Zeitschrift für Arbeitswissenschaft" auf Erkenntnisse unter anderem der Techniker Krankenkasse, wonach allein das Sicherstellen, dass die Technik im heimischen Büro funktioniert, das Stresslevel erhöhe. Auch die Erwartung der ständigen Erreichbarkeit erhöhe die Wahrscheinlichkeit, an Burnout zu erkranken.

Burnout sei eine Folge mangelnder Balance zwischen Arbeitsanforderungen (körperlicher, geistiger, emotionaler, zeitlich-organisatorischer und inhaltlicher Natur) und Arbeitsressourcen (psychologische und physiologische, wie Kraft und Ausdauer). Dabei könnten Arbeitsressourcen dazu beitragen, Motivation aufzubauen und negative Aspekte der Arbeit auszugleichen, erklären die Wissenschaftler. Ihre auf einer Online-Befragung von 165 Erwerbstätigen im Frühjahr 2021 basierende Studie belege jedoch, dass dieser Mechanismus im Homeoffice nicht vorhanden sei. "Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen daher neue Wege finden, die Energie der Mitarbeitenden im Laufe eines Tages aufzubauen. Dazu trägt die Fähigkeit bei, gut zwischen privaten Tätigkeiten und Arbeitsaufgaben trennen zu können", heißt es in dem Studienbericht.

Ohne Präsenzpflicht attraktiver für Bewerber?

Während weltweit Unternehmen nun an hybriden Arbeitsmodellen basteln, gibt es auch eine Reihe von (überwiegend Tech-)Konzernen, die weiterhin nicht auf festen Bürotagen bestehen. Das US-Magazin Fortune nennt etwa Airbnb, Twilio, Dropbox oder das Software-Unternehmen Atlassian. Letzteres habe sich auf ein Arbeitsmodell ohne Anwesenheitspflicht im Büro festgelegt, zitiert das Magazin Annie Dean, Global Head des "Team Anywhere" bei Atlassian. Ihr zufolge steigert die Telearbeit mit regelmäßigen persönlichen Treffen die Produktivität und ermögliche es dem Unternehmen, bessere Talente zu rekrutieren.

Fazit

Die Studien und Beispiele zeigen vor allem eins: Das Gros der Beschäftigten will die Möglichkeit von Remote Work keinesfalls mehr missen. Aber es gibt kein allgemeingültiges Arbeitsmodell, um optimale Leistung und Zufriedenheit zu erzielen. Insbesondere für die jüngere Generation und IT-Experten sind Arbeitgeber ohne diese Option allerdings zunehmend unattraktiv.

Je nach Branche, Firma, vorhandener Belegschaft und Recruiting-Zielen müssen also passende Lösungen entwickelt werden. Als gängige Kompromissformel scheinen sich nun zwei bis drei Büropräsenztage pro Woche durchzusetzen. "Klar ist, dass die Zukunft des Homeoffice aus einer einvernehmlichen, für alle Beteiligten als fair wahrgenommenen Lösung bestehen muss", schreiben Yevgen Bogodistov et al. in ihrem Beitrag in der "Zeitschrift für Arbeitswissenschaft".

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