Skip to main content

15.12.2017 | Wirtschaftspolitik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Was das Ende der Netzneutralität bedeutet

verfasst von: Sven Eisenkrämer

5 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
loading …

Die USA haben die Netzneutralität abgeschafft. Unternehmen können nun Daten im Internet nach eigenem Gutdünken schneller, langsamer oder gar nicht übermitteln. Der Streit um die Regeln der Netzneutralität war, ist und bleibt groß – auch in Europa.

Nachdem die Telekommunikationsaufsicht der USA, die Federal Communications Commission (FCC), viele Jahre für den Erhalt und die Stärkung der Netzneutralität gekämpft hatte, hat nun der von Trump befeuerte Netzneutralitätsgegner Ajit Pai an der Spitze der FCC nun eine 180-Grad-Wendung vollzogen. Die FCC hat die Netzneutralität in den USA faktisch abgeschafft.

Empfehlung der Redaktion

2013 | OriginalPaper | Buchkapitel

Netzneutralität

Das Prinzip der „Netzneutralität“ bedeutet, dass weder die Internet-Provider noch der Staat in der Lage sein dürfen, die Benutzung des Internets einzuschränken. 


Internet Service Provider (ISP) dürfen in den USA nun ihre Netze und die Daten, die darin ausgetauscht werden, selbst nach eigenem Ermessen regulieren. Sie können beispielsweise gegen Bezahlung die Daten von bestimmten Inhalteanbietern schneller übermitteln als gleiche Inhalte von anderen Wettbewerbern. Selbst bestimmte Dienste und Daten vollkommen zu blockieren, wird erlaubt – solange die ISP es in ihren Nutzungsbedingungen klarmachen. 

Im Springer-Buch "50 Schlüsselideen Digitale Kultur" erklärt Tom Chatfield zur Netzneutralität:

Das Prinzip der ‘Netzneutralität‘ bedeutet, dass weder die Internet-Provider noch der Staat in der Lage sein dürfen, die Benutzung des Internets einzuschränken. Kunden, die eine bestimmte Summe für den Internetzugang zahlen, sollen alle über die gleichen Möglichkeiten verfügen. Sie sollen frei darüber entscheiden können, welche Geräte, Websites und Dienste sie wählen."  

Ergänzend erklärt Springer-Autor Dan Verständig in "Digitale Öffentlichkeiten und Netzneutralität":

Der Datenübermittlung im Internet liegt das Best-Effort-Prinzip zu Grunde. Die Datenpakete werden dabei nach bestem Bemühen ausgeliefert, gegebenenfalls gestückelt und über den effizientesten Weg weitergeleitet. Best-Effort lässt sich als eine pauschale Qualitätssicherung beschreiben, bei der die Durchgangsknoten in gewisser Weise blind bezüglich der übermittelten Daten sind. So lange im Netz noch freie Übertragungskapazitäten vorhanden sind, werden die Pakete weitergeleitet."

Neutralität in Europa ist auch nicht ganz neutral

In Europa ist die Lage – im wahrsten Sinne des Wortes – neutraler. Von den USA ausgehend hat die Debatte um die Netzneutralität doch auch längst die EU und Deutschland erreicht. Nach langem politischem und lobbygetriebenem Streit hat 2016 das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (Gerek) zumindest Leitlinien für eine einheitliche Netzneutralität in Europa auf Grundlage der EU-Verordnung für einen elektronischen Binnenmarkt veröffentlicht. Das Best-Effort-Prinzip als Kernelement der Netzneutralität ist darin festgeschrieben.

Doch eine hundertprozentige Neutralität bedeutet das noch nicht. Durch die EU-Verordnung haben auch hier Telekommunikationsanbieter Möglichkeiten bekommen, bestimmte Daten bevorzugt zu behandeln. Dabei geht es um "Spezialdienste", die neben der herkömmlichen Internetverbindung angeboten werden können. Kommerzielle Anbieter könnten auch hier beispielsweise zusätzliche Bandbreite für bestimmte Art von Datenübertragungen, wie Streamingdienste, gegen Bezahlung bereitstellen. Dies beeinträchtigt einerseits zwar die Netzneutralität, bietet wirtschaftlich gesehen jedoch die Chance, neue Geschäftsmodelle zu schaffen.

Zero-Rating-Dienste in Deutschland grundsätzlich erlaubt

Ein teilweise unklarer Punkt ist zudem das so genannte "Zero Rating". Dies "erlaubt es den Teilnehmern, auf bestimmte Inhalte oder Anwendungen zuzugreifen, ohne dass der Datenverkehr der Datenobergrenze zugerechnet wird", erklärt Netzneutralitätsgegner Christopher S. Yoo in einem Fachbeitrag im internationalen Springer-Journal "Review of Industrial Organization" (4/2017). In Deutschland haben beispielsweise die Telekom mit ihrem Dienst "Stream On" und Vodafone mit dem "Vodafone Pass" solche Angebote für Mobilfunkkunden. Die Bundesnetzagentur hatte dies gegen deutlichen Protest von Netzaktivisten genehmigt. Allerdings wurde der Telekom im Oktober 2017 auferlegt, das Angebot abzuändern, da es gegen die EU-Vorschriften über die Netzneutralität und das Roaming verstoße. In einem Tarif hat die Telekom die Datenübertragungsrate bei Videostreaming reduziert und das Angebot nicht in der gesamten EU zur Verfügung gestellt. Das verstoße laut Bundesnetzagentur gegen das Gebot der Gleichbehandlung allen Datenverkehrs, wie die Behörde in Medienberichten zitiert wurde.

Wie gehen Behörden mit Verstößen um?

Die Crux: Die Telekom befolgt diese Auflagen nicht und hat ihr Angebot bislang nicht geändert. Dieser Einzelfall wird nun zeigen, wie die Bundesnetzagentur mit Verstößen gegen die Netzneutralitätsregeln der EU vorgehen wird. Laut Telekommunikationsgesetz kann die Regulierungsbehörde bei einem solchen Verstoß ein Bußgeld von bis zu 500.000 Euro und sogar mehr verhängen. Die Telekom hat im November bei der Bundesnetzagentur eine Stellungnahme eingereicht. Eine Entscheidung der Behörde wird noch in diesem Jahr erwartet.

Gegner der Netzneutralität pochen auf Gesetze des Wettbewerbs

Während Netzaktivisten für die Informationsfreiheit im Internet kämpfen und die Abschaffung der Netzneutralität stellenweise sogar als Bedrohung der Demokratie gesehen wird, gibt es von anderen Seiten ebenso lautstarke Bestrebungen, diese Neutralität zu beenden. Einer der bekanntesten Gegner der Netzneutralität ist Christopher S. Yoo, Professor für Recht, Kommunikation, Computer und Informationswissenschaft an der University of Pennsylvania Law School.

In seinem Beitrag im Journal "Review of Industrial Organization" argumentiert er gegen die Netzneutralität: "Die Differenzierung von Diensten kann viele wirtschaftliche Vorteile bringen. Sie kann die Akzeptanz des Internets fördern, indem sie den Wert einer Internetverbindung demonstriert. Sie kann es den Verbrauchern ermöglichen, Services in Anspruch zu nehmen, die besser auf ihre Präferenzen zugeschnitten sind. Sie kann es kleineren Anbietern ermöglichen, effektiver mit größeren und etablierteren Betreibern zu konkurrieren, und sie kann nützliche Möglichkeiten zur Kostensenkung bieten", fasst Yoo seinen Fachbeitrag zusammen. Er meint: "Etablierte Grundsätze der Wettbewerbspolitik bieten eine solide Grundlage, um den Rahmen für die Bewertung von Behauptungen zu schaffen, dass solche Praktiken wettbewerbswidrig sind. Kurz gesagt: Wegen der relativen Neuartigkeit der Dienstdifferenzierung und der potenziellen Vorteile kann davon abgeraten werden, sie kategorisch verbieten. Stattdessen sollten die Behörden die Angemessenheit der Dienstdifferenzierung anhand des Einzelfalls bewerten und mit den Regeln der Vernunft handeln. Jede restriktivere Vorschrift droht, Innovation und Experimentierfreudigkeit die Luft zu rauben, die sie zum Überleben braucht."

Lesen Sie hier den Kommentar von Springer-Professional-Redakteur Sven Eisenkrämer zur Netzneutralität: "Informationen müssen frei bleiben!"

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

Das könnte Sie auch interessieren

15.12.2017 | Wirtschaftspolitik | Kommentar | Online-Artikel

Informationen müssen frei bleiben!

02.09.2016 | Informationswirtschaft | Schwerpunkt | Online-Artikel

Gleiches Recht für alle Daten