Die Corona-Pandemie hat das Bezahlverhalten vieler Kunden in Deutschland verändert. Die Kartenzahlung und kontaktlose Verfahren an der Kasse legen seit Monaten zu. Wohin die Reise im Zahlungsverkehr gehen könnte, erläutert Experte Henning Brandt.
Springer Professional: Das Corona-Jahr 2020 hat so manchen hartnäckigen Bargeld-Liebhaber für Kartenzahlungen begeistern können. Glauben Sie, dass diese Umkehr von Dauer ist oder wird der Wunsch nach Barem im Geldbeutel zurückkehren?
Henning Brandt: Corona hat auf beiden Seiten des Kassentresens für neue Erkenntnisse gesorgt: Kunden, die lieber bar bezahlt haben, nehmen jetzt bevorzugt die Karte; Kunden, die gewohnt waren, ihre PIN einzugeben, entdecken, wie komfortabel und hygienisch die kontaktlose Zahlung ist. Händler, die bisher aus Angst vor Transaktionskosten Kartenzahlungen erschwert oder abgelehnt haben, werden feststellen, dass die Kosten nicht so hoch sind wie befürchtet. Und wenn die Zahlung mit Bargeld wirklich deutlich zurück geht, sparen sie dafür bei den Handlingkosten. Keine der beiden Gruppen wird diese Vorteile wieder aufgeben wollen. Der Schub für die Kartenzahlung wird uns also erhalten bleiben.
Gerade in vielen kleinen Geschäften, etwa Bäckereien oder Kiosken, wird die Möglichkeit der Kartenzahlung häufig noch gar nicht angeboten. Bislang erschien diesen Betrieben die Umstellung zu teuer. Was erwarten Sie kurz- und mittelfristig?
Auch Bäckereien werden sich umstellen, wenn sie es noch nicht getan haben. Gerade Backwaren ziehen seit Jahren stark im Preis an, und der Trend zum Imbiss beim Bäcker – viele haben ja sehr ansprechende Angebote für die Mittagspause – trägt ebenfalls dazu bei, dass hier immer häufiger zweistellige Eurobeträge ausgegeben werden. Da ist die Kartenzahlung ganz natürlich. Kioske werden von Zusatzleistungen profitieren. Sie verkaufen ja nicht nur Zeitungen, sondern zum Beispiel auch Gutscheinkarten oder Telefonguthaben. Das lässt sich perfekt in die aktuellen Kartenterminals integrieren, deren Apps direkt mit dem Smartphone kommunizieren, und ist somit ein zukunftsfähiges Angebot für jüngere Zielgruppen.
Wenn es um die Trends im Zahlungsverkehr geht, wollen die meisten Kunden die Bequemlichkeit. Wie sehen diese Erwartungen konkret aus?
Bequemlichkeit heißt: möglichst wenige Schritte beim Bezahlen, möglichst wenige Eingaben. Da sind wir schon sehr weit vorangekommen, sowohl am POS als auch im E-Commerce. An der Ladenkasse wird der Betrag schon lange automatisch ans Terminal übertragen und auch der Kunde muss keine Konto- oder Kartennummer eingeben. Die Eingabe der PIN wird gerade großflächig durch die kontaktlose Zahlung bis 50 Euro abgelöst. Mit der Zahlung per Smartphone über die NFC-Funkverbindung fällt die Mitnahme der Karte weg und meistens auch die Betragsgrenze, weil die Authentifizierungsmethode des Handys verwendet werden kann. Einfacher geht’s derzeit nicht mehr, da ist dann auch die Zahlung mit zum Beispiel einem Ring kein Vorteil. Das wäre technisch zwar schon machbar, aber die Kunden würden dafür wohl kaum das Smartphone zuhause lassen.
Welche Entwicklungen deuten sich sonst noch in diesem Bereich an?
Im E-Commerce ist noch Luft nach oben. Wallets wie PayPal oder Apple Pay haben nicht nur das Bezahlen vereinfacht, sondern auch die Eingabe von Rechnungs- und Lieferadresse überflüssig gemacht. Trotzdem müssen sich Käufer häufig noch in Kundenkonten einloggen. Das wird in Zukunft nicht mehr mit Mailadresse und Passwort geschehen, sondern mit biometrischer Authentifizierung, die dann auch den eigentlichen Zahlungsvorgang zum Beispiel über das Computop Paygate verkürzt.
Was ist mit dem Thema Sicherheit, das vor allem den deutschen Verbrauchern bislang immer besonders wichtig war? Gehen die Menschen hierzulande mehr Risiken ein, wenn das Bezahlen für sie komfortabler ist oder spielen hier auch Faktoren wie das Alter eine Rolle?
Wir beobachten, dass Kunden, die sich einmal grundsätzlich für digitales Bezahlen entschieden haben, sehr großen Wert auf Komfort legen. Sie würden sich für eine komfortablere Zahlart entscheiden, wenn sie der Sicherheit dieses Angebots vertrauen. Umgekehrt würden sie aber keine sicherere Zahlungsmethode einsetzen, wenn diese einen spürbaren Verlust an Bequemlichkeit bedeutet. Bequemlichkeit heißt aber auch, dass Menschen sich an Zahlarten und ihre Anwendung gewöhnen und ihnen in der Regel lange treu bleiben. Der Faktor Alter spielt sicher auch eine Rolle. Je selbstverständlicher der Umgang mit digitalen Geräten, umso offener sind Menschen dafür, diesen ihren Zahlungsverkehr anzuvertrauen.
Insgesamt stehen junge Menschen neuen Techniktrends deutlich offener gegenüber als Senioren. Ein gutes Beispiel ist das Bezahlen per Handy-App. Wie lassen sich auch ältere Zielgruppen überzeugen?
Für ältere Zielgruppen muss mehr Zeit in die Aufklärung über Grundlagen investiert werden. Für viele ist die Digitalisierung einfach eine Black Box, da gehört schon viel Vertrauen dazu, den Zugang zu den doch sehr persönlichen Finanzen zu gestatten. Ältere Menschen haben einfach auch mehr Negatives erlebt. Wer in knappen Nachkriegszeiten aufgewachsen ist, hat ein anderes Verhältnis zum Geld als die Kinder der Überflussgesellschaft. Zudem sind Ältere mit analogen Prozessen aufgewachsen – wer jahrzehntelang problemlos bar bezahlt hat, sieht nicht unbedingt die Notwendigkeit, etwas daran zu ändern.
Woran lässt sich das in der Praxis festmachen?
Ein gutes Beispiel für die Aufklärung ist die biometrische Authentifizierung. Wer verstanden hat, dass der Fingerabdruck längst nicht mehr als Original auf irgendwelchen zentralen Systemen gespeichert wird, sondern nur in einem geschützten Bereich des Smartphones als verschlüsselter Zahlenstrang liegt, der wird offener für den Einsatz von Biometrie sein.
Werfen wir noch einen Blick ins Ausland. So gelten zum Beispiel die Skandinavier, allen voran die Schweden, als besonders aufgeschlossen gegenüber technischen und digitalen Trends – auch im Zahlungsverkehr. Geben diese Vorreiterländer dem deutschen Markt mittel- und langfristig Impulse und wenn ja, welche setzen sich hierzulande durch?
Schweden ist ein gutes Beispiel, und zwar von zwei Seiten aus. Einerseits haben dort viele Banken frühzeitig kooperiert, um gemeinsam mit Swish eine gute, offene Lösung für den Zahlungsverkehr über das Smartphone zu schaffen. Diese Einigkeit ist in Deutschland stark unterentwickelt. Andererseits haben viele Schweden kulturell bedingt ein größeres Vertrauen in Institutionen. Das mag manchmal zu optimistisch sein, aber es führt auf jeden Fall dazu, dass eine größere Offenheit für zentrale Dienstleistungen herrscht. Dadurch können sich solche Angebote schneller durchsetzen, und die große Akzeptanz motiviert die Anbieter dazu, Verbesserungen zügig umzusetzen. Dieser sich selbst verstärkende Kreislauf ist die Grundlage für viele Innovationen aus den Nordics. Aktuell sehen wir etliche vielversprechende Fintechs schwedischer Herkunft.