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09.11.2022 | Bankstrategie | Interview | Online-Artikel

"Kleinere Banken haben einen echten Vorteil"

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

5:30 Min. Lesedauer

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Eine aktuelle Studie von Publicis Sapient offenbart digitale Lücken in deutschen Banken. Dabei stemmen einige kleinere Häuser die Transformation vorbildhaft, erläutert Expertin Edeltraud Leibrock im Interview. Eine mangelnde Fehler- und Lernkultur hemmt allerdings häufig die Innovationsfähigkeit der Branche.

Springer Professional: In ihrer internationalen Benchmark-Studie zum digitalen Reifegrad in der Bankenbranche haben Sie ermittelt, dass die Zahl der hier führenden Institute sich in den 13 untersuchten Ländern fast verdoppelt hat. Sie liegt aktuell bei 22 Prozent. Dennoch gehört noch immer mehr als die Hälfte der Geldhäuser zu den sogenannten Slow Startern, die bei der digitalen Transformation hinterherhinken. Wie kommt es, dass trotz der beiden Corona-Jahre, in der kaum etwas im Kundenmanagement so wichtig war wie der Ausbau des digitalen Vertriebs und der Multi-Channel-Beratung, nicht in der Breite mehr Fortschritte erzielt wurden?

Edeltraud Leibrock: Tatsächlich haben die Lockdowns überall, nicht nur im Bankenbereich, zu einem Digitalisierungsschub geführt, vor allem in der Interaktion mit den Kunden. Diese Fortschritte werden weiterhin mit hoher Priorität vorangetrieben. Schließlich erzeugen sie direkt spürbaren Nutzen für alle Beteiligten. Das alleine reicht aber noch nicht aus. Wir werden zunehmend Initiativen sehen, die nach und nach die gesamte Applikationsarchitektur inklusive der Kernbanksysteme in die Cloud transformieren. Dazu gehört auch Datenintegration entlang der Prozessketten. Beides sind Grundvoraussetzungen für eine weitergehende Automatisierung und für die Nutzung von intelligenten Technologien wie AI/ML. Vor allem die großen, global aufgestellten Häuser sind hier Vorreiter, die kleineren Institute werden folgen.

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Nun gehören zu den untersuchten Banken vornehmlich größere und große Finanzkonzerne - darunter auch die Deutsche Bank. Wie gut korrelieren die Studien-Ergebnisse mit der Realität der doch sehr fragmentierten deutschen Bankenlandschaft mit ihrer großen Zahl an kleineren Regionalbanken?

Ja, das ist richtig. Dennoch lassen sich bei näherer Betrachtung der Ergebnisse und Kenntnis des deutschen Bankenmarktes Rückschlüsse auf Regionalbanken oder Spezialinstitute ziehen. Gerade kleinere Häuser wie zum Beispiel die Sparkasse Bremen oder die Volksbank Mittweida, um nur zwei zu nennen, sind - für manche überraschend - zu Pionieren der Digitalisierung geworden. Die Studie zeigt, wie wichtig zum Beispiel Agilität ist, um flexibel auf sich ändernde Rahmenbedingungen zu reagieren, mit Hürden umzugehen, Talente in der Bank zu mobilisieren, kurz: um eine Transformationsagenda erfolgreich umzusetzen. Hier haben kleinere Häuser einen echten Vorteil, und sie wissen mittlerweile, ihn zu nutzen.

Was sind aus Ihrer Perspektive die größten Hürden, die die hiesigen Institute daran hindern, die digitalen Lücken zu schließen, die die Studie offenlegte?

Mehr als ein Drittel der Teilnehmer der Studie beklagen das Fehlen einer einheitlichen Strategie, eine knappe Investitionslage oder mangelnde Unterstützung durch das Top Management. Für ein knappes Drittel sind es mangelnder Zugang zu Daten und damit verbundene regulatorische Herausforderungen. Sie befürchten, dass sie vor allem bei der Nutzung von Daten für ein besseres Kundenverständnis hinter der Konkurrenz zurückliegen. Sehr aufschlussreich ist allerdings der Innovationshemmer 'Scheitern früherer digitaler Investitionen', der mit 33 Prozent in Deutschland noch etwas deutlicher ausfällt als im globalen Durchschnitt. Tun wir uns immer noch schwer mit Fehler- und Lernkultur? Sollten wir nicht längst alle Projekte, egal ob mehr oder weniger erfolgreich, immer auch als Lehrgeld und damit als Investition in die Zukunft betrachten? Es scheint so, als würden wir 'gescheiterte' Initiativen im Zweifelsfall immer noch lieber abschreiben, als wertvolle Lehren daraus zu ziehen. 

Auffällig ist zudem, dass sich deutsche Banken sehr stark auf die Entwicklung neuer Talente (35 Prozent) konzentrieren, mehr als jedes andere vergleichbare Land in der Studie, nur 25 Prozent priorisieren dagegen auch vorhandene Talente. Dieses Verhältnis könnte ebenso darauf hindeuten, dass Erfahrung nicht ausreichend geschätzt wird. Wenn außerdem strukturelle Hürden bestehen bleiben, werden neue Talente gegen dieselben Wände laufen wie ihre Vorgänger. Unseres Erachtens ist die Förderung von diversen Teams und eine gute Mischung aus jungen Enthusiasten und erfahrenen Experten das Erfolgsmodell für komplexe Transformationsprojekte.

Lange Zeit stand fest, dass neue Marktteilnehmer wie Neo-Banken und -broker die Transformation mit ihren Angeboten und Services angeheizt haben. Doch auch bei diesen digitalen Vorreitern funktioniert offenbar nicht alles reibungslos. Denn aktuelle Studien belegen zum Beispiel, dass viele der Newcomer nicht profitabel arbeiten. In welchen Bereichen sollten sich etablierte Häuser also die Jungunternehmen zum Vorbild nehmen und wann besser auf ihre eigenen Erfahrungen vertrauen?

Die Studie zeigt ganz klar, dass Wettbewerb für die Banken hierzulande, insbesondere durch Fintechs und digitale Player, der Top-Treiber der Transformationsstrategien ist - das ist Marktwirtschaft im besten Sinne! Neue Ideen zulassen, Agilität, Begeisterung für die Sache, der Hunger, umzusetzen und der Welt zu zeigen, was möglich ist - das können etablierte Häuser von neuen Marktteilnehmern lernen. Diese Eigenschaften sind erfolgsnotwendig, aber nicht hinreichend. Organisationen brauchen auch Resilienz, gerade in Krisenzeiten, wobei Transformation alleine schon krisenhaft ist. Das braucht Erfahrung: Hürden vorauszuahnen und damit umgehen zu können, gut zu priorisieren, Regulatorik zu nutzen, ein Gespür - gerne datenbasiert - für den Markt im weiteren Sinne zu haben und auch in schwierigen Zeiten attraktiv zu bleiben für die besten Talente.

Nun kommt zur digitalen Transformation im Allgemeinen noch die Ausrichtung auf die Verarbeitung von ESG-Daten auf die Finanzbranche zu. Ist das nur ein Baustein mehr auf den Digitalisierungsagenden oder müssen sich die Institute hier auch organisatorisch neu aufstellen?

ESG ist ein schönes Beispiel dafür, dass Regulierung tatsächlich ein Innovationstreiber sein kann. So glauben zwei Drittel der Führungskräfte deutscher Banken, dass die ESG-Strategie ihres Hauses ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschafft, fast ebenso viele bieten ESG-Schulungen für Mitarbeitende an, für 60 Prozent ist ESG ein wichtiger Treiber ihrer digitalen Transformation. Allerdings haben Angabe gemäß bisher nur zwölf Prozent ESG-Kriterien auf Vorstandsebene verankert, das wäre weniger als in jedem anderen Land, der weltweite Durchschnitt liegt bei 31 Prozent. Hier ist also sicher noch Handlungsbedarf. Und auch wenn mehr als die Hälfte der deutschen Banken Leitlinien für die Bewertung von ESG-Risiken etabliert haben, fällt die Umsetzung der datenintensiven ESG-Anforderungen schwer, da es noch zu wenig siloübergreifende Datenintegration gibt, wie wir immer wieder in Gesprächen hören. Das ist aus unserer Sicht eines der größten und wichtigsten Handlungsfelder der nächsten Jahre, da Datenintegration nicht nur für die Umsetzung von ESG essenziell ist, sondern auch für alle anderen Bereiche der Digitalisierungsagenden, insbesondere für den Einsatz intelligenter Technologien.

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