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18.02.2020 | Arbeitsrecht | Kommentar | Online-Artikel

Betriebsverfassung braucht dringend eine Reform

verfasst von: Bernd Weller

4 Min. Lesedauer

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Das deutsche Betriebsrätegesetz ist 100 Jahre alt und sollte dringend erneuert werden. Denn es bildet weder die Digitalisierung noch moderne Unternehmensstrukturen zeitgemäß ab. Was sich ändern muss, erläutert Arbeitsrechtsexperte Bernd Weller.

Es ist eine Erfolgsgeschichte: Vor 100 Jahren wurde das Betriebsrätegesetz erlassen – ein Meilenstein in der betrieblichen Mitbestimmung. Und eines ist sicher: Trotz aller rituellen Unmutsäußerungen seitens der ideologischen Gegenrichtung ist das Gesetz ein bewährter Garant für den Erfolg der deutschen Wirtschaft und des sozialen Friedens. Doch es zeigt sich auch die Notwendigkeit, das Gesetz an die heutigen Zeiten anzupassen. Denn die letzte echte Reform war 1972 – Jahrzehnte, bevor sich am Horizont erste Anzeichen der wirtschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts abzeichneten. Aber was muss anders werden?

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BetrVG regelt Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht

Konkret geht es vor allem um innerbetriebliche Strukturen moderner Unternehmen sowie die Digitalisierung – Bereiche, die sich bereits innerhalb weniger Jahre stark verändert haben und einen enormen Einfluss auf die Mitarbeiterschaft und Betriebsräte haben. Die Konsequenzen sind oft augenfällig: Man denke etwa an die Pflicht zu Präsenzsitzungen der Betriebsräte. Kein Problem für Unternehmen mit nur einem Standort. Bei Filialisten – Retail-Ketten etwa – kann das aber zu einer logistischen Herausforderung werden. Dabei gibt es hinreichende technische Möglichkeiten, dies etwa mittels Videokonferenzen zu lösen und unnötigen wie klimaschädlichen Sitzungstourismus zu vermeiden. Das Betriebsrätegesetz in der aktuellen Form erlaubt das aber nicht.

Wenn man etwas tiefer in die Organisationsstruktur moderner Unternehmen einsteigt, wird die Notwendigkeit einer Reform noch deutlicher: Eine Gesellschaft, die in 1972 noch zwei oder drei Betriebe umfasste, besteht heute oft aus zahlreichen unterschiedlichen rechtlichen Einheiten, die in der Regel quer über den Globus verteilt sind. Trotz der rechtlichen Trennung hängen sie aber in der Binnenorganisation weiter eng zusammen – während die betriebliche Mitbestimmung auf den überkommenen Betriebsbegriff beschränkt bleibt. Eine Situation, in der sich Betriebsräte unter Umständen nur schlecht Gehör verschaffen können. Kurz: Das Organisationskonzept des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) geht in der jetzigen Form an der heutigen Realität vorbei.

Juristische Planken für Digitalisierung und Datenschutz fehlen

Ähnliche Herausforderungen ergeben sich bei Fragen der Digitalisierung. Wenn beispielsweise die Organisation von starren Hierarchien zu agilen Strukturen wie Scrum oder ähnliches umgestellt wird, kommen oftmals auch entsprechende IT-Anpassungen ins Spiel. All dies hat spürbaren Einfluss auf die Entwicklung der Mitarbeiterschaft – und die Betriebsräte müssen souverän handeln können, um ihre Rolle zu erfüllen – und dafür sollte der Gesetzgeber entsprechende Klarstellungen schaffen.

Dies gilt auch für das Thema Datenschutz: Betriebsräte haben die Aufgabe, auf die Einhaltung entsprechender Gesetze zu achten und dies aktiv einzufordern. Zu Schwierigkeiten kann es dabei kommen, wenn sich Betriebsräte selber in datenschutzrechtlichen Grauzonen bewegen. Fragen dazu, welche Daten überhaupt an den Betriebsrat herausgegeben werden dürfen, wie diese gesichert und bearbeitet werden können und wie und von wem das Gremium wiederum überwacht wird, müssen wasserdicht beantwortet werden.

Auch für die Zusammenarbeit zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern spielt Digitalisierung eine Rolle: Wie lässt sich die Beteiligung in einen IT-basierten Work Flow einpassen, beispielsweise bei Bewerbermanagementsystemen oder anderen automatisierten Human-Resources-Strukturen?

Und auch die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern ist ein reformbedürftiges Thema. Es ist kein Zufall, dass diese immer häufiger zum Gegenstand staatsanwaltlicher Untersuchungen wird. Wenn derjenige, der von Betriebsratsarbeit profitiert beziehungsweise unter dieser leidet, über die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern entscheidet, ist eben die Versuchung groß – in beide Richtungen.

Unabhängige Experten für BetrVG-Reform

Der Gesetzgeber will daher noch 2020 eine Reform auf den Weg bringen, heißt es. Also, was tun? Eine Antwort kann darin liegen, im ersten Schritt eine Kommission aus unabhängigen Experten einzuberufen. Mit ihrer gesammelten Sachexpertise sollten sie sich ideologisch wertungsfrei mit der Arbeitswelt und den Unternehmensstrukturen der kommenden Jahre auseinandersetzen und politisch neutrale, ausgewogene Vorschläge dazu machen, an welchen Punkten das bestehende Betriebsverfassungsgesetz in welcher Form angepasst werden sollte – immer mit Blick auf die konkreten Anforderungen der Praxis.

Eine Herausforderung neben den organisatorischen und technischen Herausforderungen ist der Generationenwandel innerhalb der Betriebsräte. Bislang sind Betriebsräte oft homogen: Typischerweise männlich, weiß und über 50 Jahre alt. Doch das ändert sich. Junge Mitarbeiter strömen nach und haben teilweise stark divergierende Ansichten, wie typischen Fragestellungen in den Unternehmen der Zukunft begegnet werden soll.

Am Ende sollten der organisatorische, der digitale und auch der gesellschaftliche Wandel Hand in Hand gehen. Denn das Potenzial von funktionierenden Betriebsräten ist und bleibt stark. Und wenn den Herausforderungen der kommenden Jahre proaktiv begegnet wird, entsteht eine optimale Basis, auf der Betriebsräte weiter einen wichtigen Beitrag zum Erfolg von Unternehmen und Belegschaft beitragen können.

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