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11.05.2023 | Mobilitätskonzepte | Gastbeitrag | Online-Artikel

Wie OEMs ein digitales Mobilitäts-Ökosystem orchestrieren

verfasst von: Matthias von Alten

7 Min. Lesedauer

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Automobilhersteller müssen eine digitale Plattformstrategie für Mobilitätsdienstleitungen etablieren. Um zum Orchestrator eines solchen Ökosystems zu werden, müssen vier Themenkomplexe berücksichtigt werden. 

Die Automobilbranche steht vor großen Herausforderungen, die eine strategische Neuausrichtung erfordern. Der Markt wächst nur noch gering, wodurch die Kundenbindung immer wichtiger wird. OEMs (Original Equipment Manufacturer) sollten sich daher von der reinen Konzentration auf die Pre-Sales- und Sales-Phase lösen und auf die Entwicklung von umfassenden Ownership- und Usership-Lösungen fokussieren. Kunden erwarten heute in allen Bereichen eine erstklassige Customer Experience (CX), wie sie sie von Handels- oder Konsumgütermarken gewohnt sind. Hier gibt es in der Automobilbranche noch einigen Handlungsbedarf. Es wird für OEMs erfolgsentscheidend sein, ein integriertes, nahtloses Angebot rund um das Produkt Auto aufzubauen. In vielen Fällen bieten die Hersteller heute nur Einzelanwendungen, die losgelöst voneinander agieren. Es reicht nicht mehr aus, nur eine gute App oder Website bereitzustellen. Automobilhersteller müssen hochwertige Kundenerlebnisse über ein Portfolio von Apps, Websites, Showrooms und Fahrzeugen hinweg bieten. 

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Umgang mit Zielkonflikten bezüglich neuer Technologien und Märkte durch plattformbasierte Ecosystems

In diesem Beitrag soll gezeigt werden, dass sich die zunehmenden Zielkonflikte zwischen einerseits notwendigen Investitionen in neue Technologien des vernetzten, autonomen, geteilten und elektrischen Fahrens und in Wachstumsmärkte außerhalb der Triade und andererseits v. a. dem Druck der Kapitalmärkte auf „asset-light“ Strategien mit geringem Kapitaleinsatz, zwar nicht auflösen lassen, aber durch Zusammenarbeit mit Partnern in strukturellen Ecosystems mediiert werden können.

Um den sich wandelnden Anforderungen gerecht zu werden, sollten sich OEMs von reinen Automobilherstellern zu Plattformanbietern entwickeln. Dies kann über die holistische Integration unzusammenhängender Services und Touchpoints und die Einbindung von Drittanbieterlösungen gelingen. Denn wer seinen Kunden den nahtlosen Zugang zu Mobilitätsdiensten ermöglicht, hat einen klaren Wettbewerbsvorteil. Als Orchestrator überwacht der OEM das Plattform-Ökosystem, um sicherzustellen, dass die Kunden kontinuierlich einen Mehrwert durch ein komfortables, integriertes Erlebnis erfahren. Um jedoch ein solches Ökosystem orchestrieren zu können - einschließlich der Entwicklung, Bereitstellung und Weiterentwicklung der Mobilitätsangebote – gilt es folgende vier Themenkomplexe zu berücksichtigen. Wer diese Klaviatur beherrscht, ist für die Zukunft gewappnet.

1. Integration bestehender Mobilitätslösungen in eine einzige Plattform

Heutzutage sind die Kundenerlebnisse in der Automobilbranche fragmentiert und über die diversen Touchpoints uneinheitlich und nicht integriert. Um beispielsweise einen Servicetermine zu vereinbaren, Fahrzeugkosten zu verfolgen oder Autoteile zu kaufen, müssen Kunden zwischen verschiedenen Apps, Websites und Händler-Touchpoints hin und her springen, die wiederum jeweils eigene Interaktionen und Konventionen bedingen.

Bei der Einführung neuer digitaler Angebote durch die Automobilhersteller ist ein reibungsloses Omnichannel-Erlebnis wichtiger denn je. Aktuell hat die Website eines Originalherstellers (OEM) ein bestimmtes Erscheinungsbild und eine bestimmte Funktionalität, während jede Händlerseite trotz gleicher Richtlinien komplett anders aussehen kann. Die Integration dieser Kanäle in eine einzige Plattform schafft ein einheitliches Erlebnis für den Kunden. Das macht vor einer Fahrzeug-App oder weiteren Services keinen Halt. Dem Kunden sollte nicht auffallen, wann er von der OEM-Website zur Händlerseite wechselt, denn er differenziert dies nicht. Die reibungslose Customer Experience muss stets im Mittelpunkt stehen. Dazu gehört auch ein zentraler Login, ein Kundenprofil mit allen Stammdaten und eine Bezahllösung als Grundlage.

Für die Kunden kann die Integration bestehender Lösungen auf einer einzigen Plattform eine nahtlosere Erfahrung in zahlreichen Aspekten bieten, beispielsweise hinsichtlich der Fahrzeugbewertung vor dem Kauf, der Finanzierung (einschließlich Versicherungen, Garantien und Darlehen), dem Laden zu Hause, der Wartung etc. Es geht um die Umsetzung echter "Seamless Customer Journeys". Es ist nicht damit getan, bisher voneinander losgelöste Apps auf einer Plattform zusammenzuführen. Im Fokus muss die holistische Integration der Services über die verschiedenen Kundenkontaktpunkte hinweg stehen. Eine modulare Ökosystem-Architektur ermöglicht es den Kunden, genau die Dienste angeboten zu bekommen, die ihren Bedürfnissen am besten entsprechen. Eine modulare Architektur ermöglicht es den Automobilherstellern wiederum, Services flexibel hinzuzufügen oder zu entfernen, wenn sich beispielsweise die Technologie oder die Ansprüche der Kunden ändern, und damit die Plattform kontinuierlich modern zu halten. 

Sixt liefert mit seinem holistischen Mobility-Angebot ein Vorzeigebeispiel. Die Vorteile liegen im Komfort der integrierten Lösung mit einem Login und einem Bezahlsystem für ein breites Portfolio an Services. Über die Plattform, die mittels Website oder App erreichbar ist, können Kunden aus einer Reihe von Mobilitätslösungen wählen, darunter E-Scooter- und Fahrradverleih, Kurzzeitmieten von Autos, mittelfristige Autoabonnements, Autoleasing, Ride-Hailing und öffentliche Verkehrsmittel. Die Kunden können die Dienstleistungen je nach Art und Länge des Trips, Anzahl der Reisenden und anderen persönlichen Faktoren kombinieren. Alles wird über dieselbe Plattform abgewickelt, sodass man kaum einen Grund hat, zu einem anderen Mobility-Anbieter zu wechseln, auch wenn das Angebot teurer ist. Konvenienz ist das neue Premium.

2. Kontinuierliche Erweiterung des Mobilitätsangebots 

Steht das technische Grundgerüst, können sich die Plattformbetreiber darauf konzentrieren, ihr Angebot zu erweitern. In diesem Schritt heißt es für die Automobilhersteller über ihr Kernangebot hinauszugehen, Lücken in der Customer Journey zu identifizieren und Lösungen zu finden, die sich nahtlos in das Leben ihrer Kunden einfügen. Dabei ist es auch wichtig, kontinuierlich den Markt und die Kundenbedürfnisse zu beobachten, und schnell zu handeln. 

In vielen Fällen scheint es vertane Zeit, den Kunden auch nach dem Kauf intensiv zu begleiten und mit ihm zu interagieren. Insbesondere die Möglichkeiten von Connected Cars – einschließlich nutzungsabhängiger Versicherungen, Service-Abonnements, Over-the-Air-Updates und das Laden von Elektrofahrzeugen – wird in den kommenden Jahren enormes Potenzial zur Kundenbindung und Schaffung neuer Einnahmequellen bieten. OEMs sollten ihre Kunden in einem viel höheren Rhythmus und mit neuen Markenerlebnissen ansprechen, beispielweise durch das Angebot von Mobilitätsdiensten oder On-Demand-Funktionen. Ein echter Mehrwert muss zum neuen Standard werden.

Viele Unternehmen bauen aktuell selbst Kapazitäten auf, um diese Aufgabenstellungen eigenständig zu lösen. Das ist sehr zeitaufwendig und kostenintensiv. Hersteller sollten sich der strategischen Fragestellung stellen, welche Umfänge eigenständig oder durch Partner bzw. zugekauft werden sollten. 

3. Aufbau eines Marktplatzes mit Partnern und Drittanbieterlösungen

Viele der großen digitalen Ökosysteme wie AirBnb, Uber, der Apple App Store oder Amazon Marketplace bestehen aus einem Zusammenschluss zahlreicher Partner. Um Mehrwerte zu schaffen und ihre Plattform zu verbessern, werden sich Automobilhersteller auf Zulieferer, strategische Partner, Branchenallianzen und Übernahmen stützen.

Als Orchestrator werden sie nur Erfolg haben, wenn sie Partner mit an Bord holen können, die komplementäre Dienstleistungen anbieten. Die Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass die Plattform auch den Partnern genug Mehrwert und Anreiz bietet, um sich daran anzudocken.

Partnerschaften ermöglichen starke Synergieeffekte. Ein aktuelles Beispiel ist die Kollaboration zwischen den Unternehmen Emil Frey France und Arval zur Einführung einer Full-Service-Fahrzeugvermietung für Geschäfts- und Gewerbekunden. Beide Partner bringen komplementäre Expertise ein, wobei Emil Frey France über seine Einzelhandelsstandorte und Verkaufsteams die Vertriebskapazitäten und Arval über seine Middle- und Back-Office-Aktivitäten die Vertragsmanagementkapazitäten beisteuert.

Es bedarf einer technischen Höchstleistung, um eine Plattform zu entwickeln, an die sich die Marktteilnehmer zu verschiedenen Zeitpunkten im Lebenszyklus des Kunden andocken können. Automobilhersteller, die diese Strategie erfolgreich umsetzen, werden auf Jahre hinaus Wettbewerbsvorteile genießen.

4. Kontinuierliche Weiterentwicklung des Ökosystems

Je besser es den OEMs gelingt, über ihre Ökosysteme einen kontinuierlichen Mehrwert für Kunden und Partner zu schaffen, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese der Plattform treu bleiben. Es ist unabdingbar, das Angebot kontinuierlich weiterzuentwickeln, um den sich wandelnden Bedürfnissen nachhaltig gerecht zu werden.

Die Attraktivität des Angebotes kann durch die Auswertung von Kunden-, Fahrzeug- und Servicedaten regelmäßig überprüft werden. Darauf basierend lassen sich auch Lücken und neue Geschäftsideen identifizieren. Die Nutzung von Daten zur Schaffung personalisierter Verkaufs- und Service-Interaktionen wird der Schlüssel zur Steigerung der Kundenbindung und des Customer Lifetime Values sein.

Die Organisation von Automobilunternehmen ist meist fragmentiert und in den Bereichen Vertrieb, Marketing, Kundendienst und Finanzdienstleistungen isoliert aufgestellt. OEMs müssen diese Silos nicht nur innerhalb ihrer eigenen Organisation aufbrechen, sondern sich auch für externe Partnerschaften öffnen. Dabei ist es wichtig, den Fokus auf den gesamten Kunden- und Fahrzeuglebenszyklus auszurichten. 

Mit Tempo und Agilität zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen

Schnelligkeit ist entscheidend, um mit einer digitalen Plattform eine starke Marktposition aufbauen zu können. Das Fundament aus technischer Infrastruktur, strategischen Partnerschaften und der Aufbau einer langfristigen Kundenbeziehung sind der Schlüssel zum Erfolg. Automobilhersteller sollten sich jetzt in Stellung bringen, denn der Wettbewerb wird härter.

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