Skip to main content

05.07.2021 | Vermögensverwaltung | Interview | Online-Artikel

"Ab 2025 werden wir volldigitalisierte Börsen sehen"

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

5 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …
Interviewt wurde:
Thomas Heinatz

ist Leiter des Bereichs Kapitalmärkte für Deutschland und Österreich beim Beratungsunternehmen Accenture.

Große internationale Vermögensberatungen und Invesetmentbanken haben sich bereits umfassend digital aufgestellt. Wo deutsche Wettbewerber bei der Transformation stehen und wohin sie sich noch bewegen müssen, erläutert Experte Thomas Heinatz.

Springer Professional: Die Investmentbranche ist im Krisenjahr 2020 relativ gut weggekommen. Die Top-Unternehmen steigerten weltweit sogar die Zahl der Assets under Management (AUM) deutlich. Allerdings gilt das nicht für alle Marktteilnehmer. Was macht die Besten der Branche so erfolgreich?

Thomas Heinatz: Die Marktteilnehmer, die aus der Finanzkrise im Jahr 2008 die richtigen Lehren gezogen und sich strukturell verändert haben, konnten eine solide Basis für ihre Zukunft schaffen. Ihre technische Transformation auf geeignete Investment-Plattformen ist bereits abgeschlossen und damit sind sie ihrer Konkurrenz meist einen Schritt voraus. Wachstum durch Skalierung war so möglich und ihre Cost-Income-Ratio (CIR) wurde verbessert. Die Gewinner können sich jetzt auf ihre Kunden fokussieren und sich an die veränderten Kundenerwartungen anpassen, beispielsweise durch die Einführung von Online-Reporting, das Senden von Push-Informationen per App oder Robotics-Anwendungen. Einigen Vorreitern ist es zudem gelungen, sich auf ein Produktangebot zu fokussieren, das spezielle Kundensegmente, wie Familien, Pensionäre oder auch Berufseinsteiger, zielgenau adressieren kann.

Empfehlung der Redaktion

01.09.2020 | SPECIAL

Mit digitalen Lösungen das Kundenerlebnis steigern

Robo Advisory kann das Wealth Management in Banken und Sparkassen skalierbar machen. Doch viele Kunden wünschen sich nicht nur niedrige Kosten, sondern nach wie vor auch die persönliche Interaktion mit einem Berater. Die Zukunft gehört daher hybriden Beratungsplattformen, die beides können.

Manche Mitbewerber konnten bereits vor der Corona-Pandemie nicht von steigenden Märkten profitieren und ihr Geschäft ausbauen. Wo liegen deren Hauptprobleme?

Es gibt Marktteilnehmer, die in der Vergangenheit zu zögerlich bei der Digitalisierung ihres Geschäfts waren und zu lange an ihren altbewährten Traditionen festhielten. In der Folge mangelte es an der notwendigen Agilität, vor allem bei den Produkten. Auch verschleppte Investitionen in Portfolio- und Risikomanagement-Systeme und daraus resultierende Performance-Probleme machen einigen Marktteilnehmen heute zu schaffen. Der geringe Grad an Digitalisierung und Automatisierung wirkt sich negativ auf die Kosten aus, was letztendlich notwendige Investitionen in den Kundenservice verhindert hat. Ein weiteres Problem ist die Verschlechterung des Cost-Income-Ratios, was wiederum den Handlungsspielraum bei Investitionen einengt.

Zu welchen Investitionen würden Sie derzeit raten, um möglichst schnell spürbare Effekte zu erzielen?

Die Sell-Side und damit die Investmentbanken sollten über eine Anpassung der vorhandenen Infrastruktur nachdenken und sich konsequent von überschüssigem Ballast trennen. Häufig existieren noch zu viele und verschiedene Systeme für zu wenige Transaktionen. Im Asset Management sollte man sich künftig mehr auf Produkte konzentrieren, die die Kunden individuell und zielgenau ansprechen. Hier helfen sogenannte Sentiment-Analysen, die in Kombination mit neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI) dabei unterstützen, Trends schneller zu erkennen und Investoren gezielter zu bedienen. Darüber hinaus wird es immer wichtiger, Operations Models zu optimieren und genau zu hinterfragen, welche Systeme die größte Wirkung auf das Geschäft haben. Wealth Manager hingegen sollten sich auf die Rationalisierung des Backoffices konzentrieren und ihren Fokus vom Produktverkauf auf die Beratung verschieben. Außerdem sollten sie die steigenden Aktienquoten in Deutschland sowie die Entwicklung und Vermarktung von Altersvorsorgekonzepten besser für sich nutzen. 

Schon länger bauen Investmentbanken und andere Finanzdienstleister Strategien und Strukturen um, um mit dem digitalen Wandel und seinen Folgen Schritt zu halten. Was sind derzeit die wichtigsten Treiber dieser Entwicklung, auch im Hinblick auf die gesamte Finanzmarktstruktur? 

Insbesondere die Investmentbanken leiden an der kostenintensiven Regulatorik, die noch aus der Finanzkrise resultiert. Um die Kosten niedrig zu halten, sollten sie ihre Geschäftsfelder konsequenter nach Kennzahlen zu Erträgen und Kapitalbereitstellung bewerten und sich rigoros von Bereichen trennen, die nur geringe Rentabilität aufweisen. Hier hinken die deutschen Marktteilnehmer der internationalen Entwicklung hinterher. Für alle Capital Market Teilnehmer ist und bleibt der technologiegetriebene Wandel von Geschäftsmodellen und Dienstleistungen ein weiterer wichtiger Treiber der Zukunft.

Wie sieht es mit Blick auf den technologischen Umbau aus, wenn man den deutschen Kapitalmarkt mit internationalen Vermögensverwaltern, Investmentbanken und Asset Managern vergleicht?

In Sachen Plattformstrategien kommt Deutschland langsamer voran, als die internationale Konkurrenz. Das ist nicht nur schade, sondern mittel- und langfristig auch gefährlich. Zudem existieren hierzulande noch zu viele verschiedene Systeme für einzelne Funktionalitäten. Die Digitalisierung der Kundenprozesse und -interaktionen, wie zum Beispiel der Einsatz von CRM-Systemen und Apps, sind zwar in Arbeit, haben aber längst noch nicht das Niveau der internationalen Marktteilnehmer erreicht. Auch Robotics-Anwendungen (RPA) sind bei den internationalen Marktführern längst schon zur Normalität geworden. 

Wo stehen die Unternehmen hierzulande?

Aktuell liegt der Fokus der deutschen Kapitalmarktteilnehmer auf Cloud- und Dateninfrastrukturen, es zeigen sich auch erste Aktivitäten bei KI-Anwendungen, insbesondere im Kunden-Service, zum Beispiel Bots zur Kategorisierung und Beantwortung von Kundenanfragen, sowie im Dokumentenmanagement bei der Analyse von unstrukturierten Daten. Zudem werden technische Systeme für Nachhaltigkeitsdaten evaluiert.

Welchen Einfluss haben die Veränderungen auf die Führungskräfte, Mitarbeiter und die Kultur der Unternehmen? Sind diese darauf gut vorbereitet?

Die Führungskräfte erleben gerade das Spannungsfeld, das Geschäft zu treiben, den Wandel zu fördern und die Mitarbeiter mitzunehmen. Eine gute Unternehmenskultur gibt sowohl den 'Bewahrern' als auch den 'Veränderern' eine Stimme und ermöglicht fundierte Entscheidungen. Wir sehen auch, dass die Rolle der Arbeitnehmervertretungen wächst, insbesondere mit Hinblick auf Rationalisierungen und dem Umstieg auf neue Systeme. Um ihre Mitarbeiter ins Boot zu holen, bieten einige Marktteilnehmer inzwischen Trainings und Weiterbildung an, beispielsweise rund um die Digitalisierung oder aber auch zum Thema Nachhaltigkeit. 

Wo sehen Sie die Branche 2025 und darüber hinaus?

Das Vorantreiben der Digitalisierung 'Front-to-Back' ist und bleibt ein großes Thema für die Branche. Aus meiner Sicht wird es eine weitere Differenzierung in den Wertschöpfungsketten geben, das heißt wir können in Zukunft mit mehr gezieltem Outsourcing, Kooperationen und der Entwicklung von Ökosystemen rechnen. Darüber hinaus werden Kapitalmarktservices und -dienstleistungen immer mehr zur Commodity, was zwangsläufig zu einem weiteren Absinken der Margen führen wird. Wichtig wird auch die technische und regulatorische Entwicklung von Digital Assets für Transaktionsabwicklung und Verwahrung. Ab 2025 werden wir volldigitalisierte Börsen und Transaktionsabwicklungen sehen. Zeit, sich darauf vorzubereiten.

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

Das könnte Sie auch interessieren

17.06.2021 | Kapitalmarkt | Infografik | Online-Artikel

ESG und Token krempeln Finanzmarktstrukturen um

31.05.2021 | Anlageberatung | Gastbeitrag | Online-Artikel

Datenanalysen und KI erleichtern den Berateralltag

28.06.2021 | Bankenaufsicht | Nachricht | Online-Artikel

EZB nimmt große Investmentfirmen ins Visier