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1998 | Buch

Wörterbuch der Mikropolitik

herausgegeben von: Prof. Dr. Peter Heinrich, Prof. Dr. Jochen Schulz zur Wiesch

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Mikropolitik

Mikropolitik

Nicht, daß Machtstreben einer anthropologisch konstanten Menschennatur als Naturtrieb unausweichlich zukäme — manche streben mehr, andere weniger, wieder andere gar nicht nach Macht. Die Bedeutung von → Macht und Mikropolitik in Organisationen rührt nicht von machiavellistischen Trieben „des“ Menschen her, sondern verdankt sich dem Umstand, daß wir im Rahmen kollektiven Handelns gar nicht vermeiden können, Macht — Kontrolle relevanter Ungewißheitszonen der je anderen oder auch: der Organisation — auszuüben. Des Menschen „Beziehungen mit anderen sind immer Machtbeziehungen in dem Maße, wie er existieren will, d.h. ein relativ autonomer Akteur bleibt anstatt einfaches Mittel zu werden.“ (Crozier & Friedberg 1979, 17) Macht ist dann auch nicht per se etwas Negatives, auch nicht irgendwie „abschaffbar“, (obwohl natürlich bestimmte Formen der Machtausübung kritisier-und änderbar bleiben,) vielmehr ist sie der alltägliche „Rohstoff“ kollektiven Handelns, das also unweigerlich in diesem Sinne „politikhaltig“ ist. Die Kritik bezieht sich in der Regel darauf, daß Macht über Menschen gar nicht oder in bestimmten Fällen nicht gerechtfertigt sei, weil ihr stets, wie implizit auch immer, eine Drohung inhärent ist — eine Drohung und nicht (nur) ein Argument.

Günther Ortmann

Wörterbuch der Mikropolitik

Absentismus

Absentismus kommt in allen Organisationen vor. Absentismus ist ein Phänomen, das es so nicht geben dürfte.

Peter Nieder
Alkohol am Arbeitsplatz

Alkoholkonsum und Alkoholmißbrauch sind für Wirtschaft und Verwaltung zu einem gravierenden Problem geworden. Schätzungen gehen davon aus, daß 12% bis 15% der Erwerbstätigen täglich oder fast täglich Alkohol während der Arbeitszeit und in den Arbeitspausen trinken. Hinzu kommen noch diejenigen, die bei bestimmten Anlässen Alkohol konsumieren. Die Zahl der Alkoholabhängigen in der Arbeitswelt wird auf 5% geschätzt. Diese Zahlen belegen, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil der Erwerbstätigen Alkohol am Arbeitsplatz trinkt, sei es aus gelegentlichem Anlaß, aus Gewohnheit oder als Folge einer chronischen Alkoholproblematik. Die Folgen sind vermehrte Fehlzeiten, Arbeits- und Wegeunfälle, Abnahme der Qualität der Arbeit und der Leistung, Verschlechterung des Arbeitsklimas und der Beziehung der Kollegen untereinander. Selbst geringe Mengen an Alkohol können die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Lange bevor äußerlich erkennbare Trunkenheitszeichen auftreten, kommt es zur Minderung der Aufmerksamkeit, der Konzentration, der Geschicklichkeit und der Reaktionsfähigkeit. Vermutlich sind die gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Folgen des „normalen“ Trinkens weitaus größer als die des chronischen Alkoholismus, denn die Grenze verläuft diesbezüglich nicht zwischen Alkoholikern und Nichtalkoholikern, sondern zwischen sog. Stark- und Schwachkonsumenten.

Wolfgang Schulz
Anciennitätsprinzip

Das Anciennitätsprinzip ist eine der rationalen Strategien, die Verteilung der Aufstiegs- bzw. Beförderungschancen zu objektivieren und damit den Einflüssen der mikropolitischen Strategien der Interessenssicherung ebenso zu entziehen wie der bloßen oder zumindest als solchen erlebten Willkür der Unternehmens- bzw. der Behördenleitung. Tatsächlich spielt das Anciennitätsprinzip als subjektiv empfundenes Anspruchskriterium in allen Organisationen eine bedeutende Rolle, wenn es auch nur im öffentlichen Dienst zu einer formellen Beförderungsstrategie (→ Beförderung) ausgebaut wurde, entgegen dem Erfordernis des Grundgesetzes, daß Stellenbesetzungen (Zugang zu öffentlichen Ämtern) ausschließlich nach Eignung, Befähigung und Leistung zu regeln sind.

Hanns-Eberhard Meixner
Angst

Angst ist ein emotionaler Zustand, der sich als Folge einer vermeintlichen oder tatsächlichen Bedrohung einstellt. Dem lateinischen „angustus“ folgend kann dieses Gefühl als „Beengtheit“ bzw. „die freie Bewegung hindernd“ bezeichnet, mehr lyrisch auch „als kalte Hand, die sich im Dunkeln von hinten auf die Schulter legt“ (Pia Seyfried, 10 Jahre), beschrieben werden. Bestimmend für die Angst ist in jedem Fall das Gefühl, das im Extrem so überwältigend werden kann, daß nur noch die angstbesetzten Aspekte der Realität wahrgenommen werden und die willens- und verstandesmäßige Steuerung der Persönlichkeit völlig versagt. Dennoch ist Angst kein durchweg negatives Phänomen: Sie schützt auch vor Gefahr, sie mahnt zur Vorsicht vor dem unbekannten Risiko, gleichzeitig besitzt sie Aufforderungscharakter, ist sie Antriebsmoment zur Beseitigung der bedrohlichen, angstauslösenden Situation. Ein mäßiger Grad von Angst ist sogar eine günstige Voraussetzung zur Lösung schwieriger Probleme (wie z.B. Prüfungen).

Erwin Seyfried
Anomie

Aus dem Griechischen kommender Begriff für Gesetzlosigkeit, Ungeregeltheit. In der europäischen Neuzeit wurde der Begriff zunächst in der Theologie — vor allem in England im 17. Jahrhundert (anomy) — im Zusammenhang mit religiösen Regelverletzungen gebräuchlich. Durkheim führte den Begriff mit seinem Werk über die soziale Arbeitsteilung (1893) in die Soziologie ein, so daß Anomie zu einem der Grundbegriffe dieser Wissenschaft wurde. Durkheim unterschied drei anormale soziale Formen; darunter auch die anomistische Form: die Möglichkeit eines Zustands sozialer Desintegration als spezifische Folge zunehmender Arbeitsteilung und des Übergangs zu einer neuen Form gesellschaftlicher Solidarität. Die unterschiedlichen anormalen sozialen Formen vermischend wird Anomie heute gemeinhin als Zustand mangelnder und abnehmender sozialer Ordnung angesehen, oft als soziale Desintegration schlechthin. Im Mittelpunkt steht dabei die Gesellschaft, dann aber (bei allgemeinerer Begriffsverwendung) auch die Gruppe oder die Organisation.

Axel Quandt
Auslegung

Menschliches Handeln in der Gesellschaft — Aktion und Reaktion — wird durch → Normen formeller Art (z.B. Gesetze, Verordnungen) und informeller Struktur (Verhaltensmuster, Konventionen) gesteuert. Sie sollen anerkannte Werte verbindlich „festschreiben“, um damit Richtschnur sozialen Handelns zu sein. Verstöße gegen Rechtsnormen werden ggf. durch staatliche - Sanktionen (Strafen, Bußgeld) geahndet, Ansprüche werden in der Regel nur „auf Antrag“ erfüllt. Der einzelne muß also wissen, welches Verhalten normadäquat ist, welche Sanktionen und Nachteile ihm drohen oder welche Ansprüche er wann hat.

Werner Teubner
Autoritäre Persönlichkeit

Wenn man im Organisationsalltag Kollegen oder Vorgesetzte als „autoritär“ bezeichnet, dann verbindet man mit diesem Begriff im allgemeinen die Vorstellung von Machtorientierung. Der autoritäre Chef ordnet an, hört sich die Vorschläge seiner Mitarbeiter nicht an und kann Kritik nicht vertragen. In den Sozialwissenschaften kennt man diese Begriffsverwendung auch — z.B. in den organisationspsychologischen und -soziologischen Arbeiten zu unterschiedlichen Führungsstilen (vgl. hierzu z.B. Bosetzky & Heinrich 1994).

Christel Hopf
Autorität

Autorität bezeichnet eine durch Machtüberlegenheit herausgehobene Stellung innerhalb einer sozialen Organisation. Im allgemeinen unterscheidet man hierbei zwei Grundtypen von Autorität: die Herrschaftsautorität und die Funktionale Autorität. Erstere wird mit Begriffen wie Charisma, Willkür oder auch Vererbung assoziiert, was letztlich auf irrationale oder zumindest außerhalb der Organisationsstruktur liegende Grundlagen dieser Autorität hinweist. In einem auf → Rationalität ausgerichteten Ordnungsideal ist diese Form der Autorität wenig erwünscht; hinzu kommen die negativen Konnotationen des Begriffs Herrschaft. Funktionale Autorität wird demgegenüber im wesentlichen als kritisierbare Sachverständigkeit definiert, d.h. als eine Form des Expertentums, das jedoch in seinen Urteilen anfechtbar ist.

Daniel Tyradellis
Beförderung und Beförderungsstrategien

Gegen vielfachen Widerstand ernannte der Minister B. einen Mann seines Vertrauens, den erst 33-jährigen, aber sehr tüchtigen Heinrich C. zum Ministerialdirigenten (Bes.Gr.B 6). Dank der Gunst seines Ministers zog dieser junge Mann an einer langen Schlange verdienter, lebenserfahrener, bewährter, besonders trainierter und ebenfalls tüchtiger Kollegen vorbei. Vieles von dem, was dieser Bevorzugte hatte, fehlte den anderen: Vertrautsein mit der Leitung, politischer „Stallgeruch“, Sympathie, unkonventionelles, von Betriebsblindheit freies Denken, eine elegante Rhetorik, geschmeidige Anpassungsfähigkeit, Visionen, Illusionen und stromlinienförmige Ergebenheit; kurzum: die „Chemie“ zwischen Minister und Mitarbeiter stimmte, und was das Herz eines Ministers begehrt, rechtfertigt nun unter der Federführung des mit Macht und Status ausgestatteten Höflings die Administration.

Hanns-Eberhard Meixner
Belohnung

Belohnung gilt wie auch Strafe als Mittel, Verhaltensänderungen zu erzielen. Im Behaviorismus spricht man auch von Bekräftigung. Strafen gelten als wirksam, wenn Fehlverhalten unterlassen werden soll. Belohnung gilt generell als erfolgreich, wenn erwünschtes Verhalten entstehen, gesichert oder öfter gezeigt werden soll. Als solche Mittel gelten → Lob, Liebesentzug, materielle Gaben, Gewähren von (immateriellen) Freiheiten, → Zuständigkeiten, Kompetenzen usw. Maslow hat mit der von ihm entwickelten Bedürfnispyramide darauf aufmerksam gemacht, daß Bedürfnisse je nach Lebenslage sehr unterschiedliche Bedeutung haben können. Davon wird auch jede Belohnungsmöglichkeit beeinflußt. Wer ein minimales Einkommen hat, freut sich zwar über die Anerkennung seiner Arbeit, wichtiger ist für ihn jedoch eine Lohnerhöhung. Wer gut verdient braucht hingegen weniger eine Lohnerhöhung um DM 100,— als die Anerkennung seiner Leistungen.

Wilhelm Nöth
Berichtswesen

Ein auf betriebswirtschaftlichen Basisinformationssystemen (insbes. der Kosten- und Leistungsrechnung) aufbauendes Berichtswesen ist eines der wichtigsten Instrumente des → Controlling. Aus der mikropolitischen Perspektive kann dieses Controlling-Berichtswesen als eine Rationalisierung strategischer Informationsaktivitäten zur Effektivierung der hierarchischen Steuerung von Arbeitsorganisationen gedeutet werden.

Martin Brüggemeier
Bluff

Bluff ist eine Technik der Imagepflege (→ Selbstdarstellung), die der Gewährleistung des eigenen Vorteils in einer uneindeutigen Situation dient. Wer blufft, stellt sich dem Situationspartner gegenüber „in einem Licht“ dar, von dem er annimmt, daß es den anderen zu einem Verhalten veranlaßt, das scheinbar ihn, tatsächlich aber den Bluffer zum Gewinner macht (→ Impression Management). Der Pokerspieler, der seinen Mitspielern gegenüber erfolgreich den Eindruck erweckt, er habe ein ausgezeichnetes Blatt in der Hand, bringt die anderen zum vermeintlich klugen Ausstieg aus dem Spiel und gewinnt dadurch, trotz tatsächlich schlechter Karten — es sei denn, die anderen erkennen, daß es sich bei seiner siegesgewissen Pose eben um einen Bluff handelt.

Peter Heinrich
Bossing

Das Wort Bossing lebt von seiner Assoziation zu dem Wort → Mobbing, von dem es auch abgeleitet sein dürfte. Bossing bedeutet nämlich Mobbing durch die Chefs, wenn diese überflüssig gewordene, aber schwer kündbare oder unbequeme (leitende) Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter „freisetzen“ wollen. Erfolgreiches Bossing führt zur resignativen Kündigung und erspart dem Unternehmen damit langwierige und kostspielige Kündigungsprozesse und Abfindungen. Als betriebs- oder behördeninterne Strategie zum Entmachten potentieller → Rivalen ist die Bossingtechnik natürlich lange bekannt. Über die empirische Verbreitung von Bossing gibt es keine Angaben, der satirische Gehalt des Begriffes liegt auf der Hand.

Heike Hunholtz
Budgetspiele

Einige Organisationstheoretiker haben sich schon früh für Budgets als Gegenstand von (Kampf-)Spielen um knappe finanzielle Ressourcen interessiert (z.B. Hofstede, Wildavsky) und die relativen Budgetanteile als Indikator für die organisationale Machtverteilung diskutiert (z.B. Pfeffer & Salancik). Im Konzept der Mikropolitik kann der Begriff Budgetspiele (→ Spiel) als Metapher für die machtregulierte Integration jener Strategien interpretiert werden, die die jeweils beteiligten Akteure in spezifischen Budgetierungsprozessen verfolgen.

Martin Brüggemeier
Büro als Bühne

Im Büro erreichen → Normen, Regeln im Primat der Schriftform ihre personale Konkretion. Das Büro als Ort der „Soziotechnie“ (Emile Callot), als Ort der „Leibnähe“ (Ernst Bloch) von Politik, als Stätte der Personalisierung von Abstrakta, als Klein-Bühne der großen Politik. Das Bild eines Kaisers, Königs, Präsidenten, Staatsratsvorsitzenden, das Signum eines Religionsstifters deuten im Büroraum der Mikro-Physik auf die Dimensionen der Makro-Physik der Macht (Michel Foucault), die hier gebündelt erscheinen. Großformatige Absichten werden im Büro „kleingearbeitet“, sie werden ad hominem exemplifiziert. Die großen Regieanweisungen werden an diesem Handlungsort zu funktionalen Verwaltungsschritten.

Gerd Koch, Günther Wahrheit
Bürokratismus

Umgangssprachlich ist schon das Wort „Bürokratie“ seit seiner Schöpfung durch Vincent de Gournay im 18. Jhd. negativ besetzt; als Bürokratismus wird eine pathologische Einstellung oder Verhaltensweise der in einer Bürokratie Tätigen verstanden, bei der vornehmlich Schriftlichkeit und Regelbeachtung zu Lasten der Bürger z.T. zwanghaft übertrieben werden. Unter dem Blickwinkel des von Max Weber wissenschaftlich präzisierten Konzepts der Bürokratie (Derlien 1992) läßt sich indessen auch Bürokratismus umfassender und relativ wertungsfrei fassen. Demnach wäre Bürokratismus die Pervertierung einzelner Merkmale des Typus bürokratischer Organisation; sofern die pathologischen Folgen in Kauf genommen oder gar intendiert sind, stehen dahinter oft mikropolitische Motive des Machtgewinns oder des Machterhalts. Mikropolitik basiert dann darauf, daß die zur Bürokratiebeherrschung entwickelten Merkmale in ihren Wirkungen vom „Verwaltungsstab” umgekehrt werden.

Hans-Ulrich Derlien
Bürokultur

Arbeitsplätze sind wesensmäßig Lebensräume. In ihnen wird — unter veränderten Bedingungen zwar, aber mit kontinuierlicher personaler → Identität — der oft als „eigentlich“ bezeichnete private Lebensalltag fortgesetzt. Mag man dies als unliebsame Unterbrechung erleben oder gar umwertend als eigentliche Verwirklichung der Sinngebung des Menschen als arbeitendes Wesen: Die Stunden, die jemand werktäglich am Arbeitsplatz zubringt, sind gelebtes Leben, dessen Qualität auch von der Aufmerksamkeit abhängt, die der Betrieb und die Schaffenden auf die Gestaltung der Arbeitsumwelt verwenden. Damit ist sowohl die räumlich-physikalische (physical setting) als auch die sozial-kommunikative Umwelt (social setting) gemeint. Die Arbeitsweltbewegung in Literatur und Sozialwissenschaft hat die gegenseitige Verflechtung von privater und beruflicher Lebenswelt beschrieben und die manchmal kaum spürbaren, oft aber auch existentiellen Brüche beim Wechsel von einer Sphäre in die andere aufgewiesen. Der mikropolitischen Organisationsbetrachtung entspricht es, den Arbeitsplatz als Bühne (→ Büro als Bühne) zu sehen, auf der Stücke gespielt werden, deren Dramaturgie und Regieanweisungen denen unseres alltäglichen Lebens entsprechen, einschließlich der strategischen → Spiele („Spiele für Erwachsene“, sagt Berne), die hier und da in die Handlungen der Akteure eingeflochten werden, weil diese sich dadurch schnellere oder sicherere Schritte in Richtung ihrer Zielerreichung versprechen.

Peter Heinrich
Chaos

Bürokraten staatlicher wie privatwirtschaftlicher Verwaltungen gelten als besonders ordentlich. Da sich Entscheidungen in bürokratischen Organisationen an → Normen, Gesetzen und Richtlinien orientieren, könnte ein kluger Kopf alle Entscheidungen richtig vorhersagen. Man kann vollkommene Bürokratien mit einfachen Funktionen vergleichen. Betrachten wir als Beispiel das Alter einer Person: Kennt man das Geburtsdatum (Anfangsbedingung), so kann man für jeden beliebigen späteren Zeitpunkt das genaue Alter vorhersagen, und umgekehrt.

Alfred Gebert
Clique

Cliquen erscheinen in unserer demokratischen Gesellschaft als nicht legitim, weil sie den fairen Wettbewerb und den gerechten Leistungserfolg des Einzelnen mit unzulässigen Mitteln verhindern.

Alfred Gebert
Controlling

Controlling ist ein normatives betriebswirtschaftliches Steuerungskonzept, das in den vergangenen 20 Jahren in der Unternehmenspraxis weite Verbreitung gefunden hat. Im Zuge einer Mikroökonomisierung des öffentlichen Sektors wird Controlling inzwischen auch als unverzichtbarer Standard eines zeitgemäßen Managements öffentlicher Verwaltungen betrachtet und forciert („Neues Steuerungsmodell“).

Martin Brüggemeier
Courage

Aus dem Französischen kommender Begriff, der (etwas vereinfacht) für Mut, Tapferkeit und Beherztheit steht, bezüglich einer eher ungern vorgenommenen Handlung. Er wurde früher häufig in militärisch-kämpferischen Zusammenhängen, wird heute aber oft nahezu synonym mit Zivilcourage verwendet. Die mutige Unerschrockenheit in Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens steht dabei meistens im Vordergrund, auch wenn in der Begriffsverwendung eine völlige Eingrenzung auf das rein zivile Leben nicht erfolgt ist. Eine gewisse Entwicklung in diese Richtung ist indessen augenscheinlich, denn Courage kann heutzutage nicht mehr schlechthin mit Mut, Tapferkeit etc. einfach gleichgesetzt werden. Während die Attribute Mut, Tapferkeit oder Schneid in gewisser Weise manchmal auch Menschen zugestanden werden, die unethische Handlungen vollziehen (Bsp.: Die Unerschrockenheit und der „Wagemut“ eines Bankräubers), auch wenn die Frage der Zuordnung solcher Attribute dann i.d.R. äußerst problematisch ist, so fällt eine derartige Zuordnung beim Begriff Courage doch besonders schwer. In weitaus höherem Maße als etwa beim Begriff Pünktlichkeit (häufig genanntes Beispiel für eine sogenannte Sekundärtugend) und auch sogar noch in höherem Maße als beim Begriff Mut, verbindet sich mit dem Begriff Courage der Charakter einer Primärtugend. Das moraltheoretisch sehr problematische Verhältnis zwischen sogenannten Primärtugenden und Sekundärtugenden und der Sinn dieser Differenzierung soll hier nicht untersucht werden. Festgehalten werden kann indessen, daß der Courage konnotativ in besonderem Maße der Nimbus des anständigen Verhaltens und der menschlichen Würde anhaftet.

Axel Quandt
Denunziation

Der Denunziant hat schlechte Karten — im alltäglichen Leben, in der Literatur und in der Arbeitswelt. Schon in den Anfangsjahren der Bürokratisierung bezeichnet das von E.F.L. Hoffmann 1849 in Leipzig herausgegebene „Vollständige politische Taschenwörterbuch“ den „Denunciant“ als „Angeber, Ankläger, Hinterbringer, schlechter Kerl“ und empfiehlt dem Leser auch unter dem Stichwort „Angeber“ nachzusehen. Dieser wird definiert als „eine Person, welche bei Vorgesetzten und Behörden von Andern Nachtheiliges hinterbringt. Es ist dies die gemeinste und verächtlichste Menschenklasse, die jeder Redliche verabscheut“. Auch heute noch, fast 150 Jahre nach dieser Definition, ist sie aktuell. Denunziation könnte man einen Vorgang nennen, bei dem innerorganisatorisch durch das Mitteilen belastender Informationen ein Mitarbeiter in schwere Legitimationszwänge gerät und der Denunziant sich davon einen persönlichen Vorteil erhofft.

Hans-Gerd Jaschke
Don Corleone-Prinzip

Don Vito Corleone ist in dem Roman von Mario Puzo „Der Pate“ der mächtige Mafia-Boss. Nach ihm hat Bosetzky (1974) eine mikropolitische Strategie der Einflußsicherung benannt, die man auch als „Verpflichtung durch gute Taten“ bezeichnen könnte, aufbauend auf der aus dem römischen Vertragsrecht stammenden Do-ut-des-Formel („Ich gebe, damit Du auch gibst“).

Heike Hunholtz
Dummheit

Es scheint, als werde das Phänomen Dummheit von Forschung und Öffentlichkeit nach wie vor verdrängt und/oder mit der Vorstellung abgetan, es sei impliziter Gegenstand der Intelligenzforschung, insofern Dummheit durch die unteren Regionen von Intelligenzskalen ausgedrückt werde.

Hans-Peter Schwöbel
Duzen

Wenn — beispielsweise — ein älterer Hochschullehrer einer jungen, schönen Kollegin vorsichtig das „Du“ anbietet und sie läßt sich allenfalls dazu herab, ihn mit Vornamen anzureden, bleibt aber ansonsten beim „Sie“, dann denkt sie möglicherweise, ihre Beziehung zu jenem älteren Kollegen hätte in den Augen der anderen Kolleginnen und Kollegen unterdessen einen Grad von Vertrautheit angenommen, daß nur noch das „Du“ nötig sei, um jenen anderen mitzuteilen, daß sie nun doch miteinander geschlafen haben. Von den einigermaßen sicheren nicht-familiären Du-Fällen ist der Beischlafsfall der gesellschaftlich gesichertste. Wer als „Sie“ in das gewisse Bett geht, steigt als „Du“ wieder heraus (Intimitäts-Du). Der andere gesellschaftlich gut abgesicherte Du-Fall betrifft das Polit-Du. In den → Parteien, die sich als Erben der Arbeiterparteien empfinden, die es nicht mehr gibt, bedeutet Mitgliedschaft: Du. Die Genossin ist jenseits aller Intimität, oft sogar jenseits des Meinungseinverständnisses eine Du. Der Chef, der dem untergebenen Genossen ausdrücklich bedeutet: Im Dienst Sie, in der Partei Du, der hat sich von der Tradition der Diktatur des Proletariats schon entfernt zu der Illusion einer parteienunabhängigen Demokratie. Oder er gehört zu denen, die — wenn sie oben sind — die Leiter gern umstoßen, über die sie heraufgekommen sind: Für solche ist das Du gefährlich, es denunziert die Gegenwart mit der Vergangenheit.

Diether Huhn
Einsicht

Einsicht soll eine das eigene Handeln leitende Erkenntnis heißen, die aus der Struktur eines Sachverhaltes und damit aus dessen Möglichkeiten gewonnen wird, wobei die Funktion bzw. das Ziel, die von anderen gesetzt sein können, erhalten bleiben. Eine mikropolitische Orientierung des eigenen Handelns kann eine solche Flexibilität berücksichtigen. Zum Verständnis mag fürs erste der Tierversuch dienen, wonach für Affen im Käfig, in dem verschiedene Kästen herumliegen, Bananen in unerreichbarer Höhe hängen. Erst durch Errichten eines Podestes aus diesen Kästen (unübliche organisatorische Möglichkeit) werden die Bananen erreich- und somit eßbar (fortdauernde Funktion).

Karl-Heinrich Büchner
E-Mail

Wie jeder andere kommunikative Akt läßt sich auch die elektronische Post für mikropolitische Zwecke nutzbar machen. Durch den schmalen Kanal zeichenorientierter schriftlicher Kommunikation dringt nur wenig des Kontextes der Nachricht zum Empfänger. Diese schwache Kontextualität fördert die Verbreitung von Uneindeutigkeiten, die sich in einer politisch aufgeladenen Arena weidlich von Oppositionellen und Dissidenten zwecks Förderung der eigenen Absichten mißinterpretieren und manipulieren lassen. Damit eröffnen sich beim Empfänger mehr oder weniger weite individuelle Spielräume bei der Interpretation von Anweisungen (→ Auslegung). So kann die falsche Alternative präferiert werden, oder es werden Nachrichten, die von oben kommen und die der Vorgesetze lediglich als einen Denkanstoß verstanden wissen wollte, als Anweisung interpretiert.

Christian Stegbauer
Entfremdung

Entfremdung bezeichnet einen Prozeß, bei dem ein subjektiver, negativer Bezug zu einem Menschen, einer Gruppe oder einer Situation (vor allem der Arbeitssituation) ständig schlechter wird. Objektiv ist man z.B. in einem Großraumbüro von vielen Individuen umgeben, dennoch kann man sich subjektiv isoliert fühlen. Ein mächtiger Unternehmer kann sich subjektiv machtlos gegenüber den Banken fühlen. Ein gut vorbereiteter Lehrer kann seinen wichtigen Unterricht bei Heranwachsenden als sinnlos empfinden. Die subjektive Bewertung kann der Wirklichkeit völlig entgegengesetzt sein.

Alfred Gebert
Ermessen

Ermessen als Rechtsbegriff (vgl. etwa § 40 VwVfG; § 114 VwGO) beinhaltet für denjenigen, der das Ermessen ausüben darf, die Möglichkeit, zwischen mindestens zwei Alternativen zu wählen, ohne daß diese Wahl, wenn sie ohne Fehler getroffen wurde, rechtlich mit Erfolg anfechtbar ist.

Hans Paul Prümm
Erotik

Organisationen sind soziale Systeme, die bestimmte Zwecke verfolgen. Sie reduzieren die möglichen Zustände und Ereignisse einer immer komplexer werdenden Welt, indem sie Regeln für zweckrationales und zielorientiertes Verhalten ihrer Mitglieder aufstellen. Organisationen bevorzugen übersichtlich gegliederte Strukturen, die das Verhalten der handelnden Personen nach Sachkriterien und nicht nach persönlichen Vorlieben festlegen wollen.

Gunta Saul-Soprun
Face Threatening Act (FTA)

„Gesichtsverletzung“, in sozialen Interaktionen enthaltener Angriff auf die Würde bzw. das Image (öffentliche Ansehen) einer Person als Form der konfliktstiftenden → Sprache. Typische Beispiele sind freiheitseinschränkende FTA’s wie entwürdigende Befehle, Warnungen, besserwissende Vorhersagen („Du wirst das nie lernen“) oder peinliche Bitten, die man nicht ablehnen kann; Herabwürdigungen wie öffentliche Kritik, Beschimpfung, erniedrigende Vergleiche („Esel“), Lächerlichmachen; oder kompromittierende Handlungen oder Aussagen wie Lob von falscher Seite, öffentliche Intimität, unberechtigte Vertraulichkeit etc. FTA’s können offen, aber auch sehr subtil und „unbelegbar“ (z.B. mimisch) vorgetragen werden und dann umsomehr eine Gefährdung des → Selbstbewußtseins bewirken.

Peter Heinrich
Feiern

Die disziplinierte, auf die Rationalität von Markt oder Verwaltung orientierte Arbeitswelt hält Gelegenheiten bereit, die den immateriellen Bedürfnissen der Organisationsmitglieder entgegenkommen. Diese Gelegenheiten sind mehr oder weniger üppig mit Ressourcen (arbeitsfreie Zeit, Geld für Speisen und Getränke etc.) ausgestattet. Wegen ihrer i.d.R. integrationsfördernden Binnenfunktionen werden betriebliche Feiern nicht nur toleriert sondern oft planmäßig organisiert. Ob große Weihnachtsfeier, Betriebsjubiläum des Gesamtbetriebes oder kleine Geburtstagsfeier, Urlaubslage, Einstandslage in betrieblichen Subsystemen — nur selten werden diese Gelegenheiten dem Zufall oder der Spontaneität des Einzelnen überlassen. Der einsame Griff zur Flasche wird hier nicht als Feier definiert.

Jochen Schulz zur Wiesch
Feminisierung

Unter Feminisierung scheinen Männer und Frauen Unterschiedliches zu verstehen: Viele Frauen verstehen darunter eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu einem frauenfreundlicheren Staat, der die → Interessen von Frauen, Kindern und Familien stärker berücksichtigt, und zu einer Gesellschaft, die die Synchronisierung der unterschiedlichen Lebenswege von Frauen und Männern besser gewährleistet, indem sie bestehende Ungleichheiten mindert. Feminisierung wird so als Umverteilung von staatlicher und gesellschaftlicher Macht, die traditionell bei Männern zentriert ist, hin zu Frauen verstanden. Hierzu gehört auch eine inklusive → Sprache. Unter Feminisierung wird auch die zunehmende Interessenvertretung von Fraueninteressen durch die Frauen selbst, ihre Organisation in → Netzwerken und professionellen Vereinigungen verstanden.

Eva-Marie von Harrach
Filz

„Filz“: mhd. vilz, and. Filz; eigentlich gestampfte Masse. 1. durch Pressen vorwiegend aus Schafswolle und anderen Tierhaaren hergestelltes dichtes Material; 2. filzartig miteinander Verwobenes, Verschlungenes.„Filzokratie“: verfilzte, ineinander verflochtene Machtverhältnisse, die durch Begünstigung bei der Ämterverteilung o.ä. zustande kommen. (DUDEN, Wörterbuch der deutschen Sprache 1981)„filzokratisch“: typisches Verhalten einer Verwaltung (Berliner Morgenpost, 9. 3. 1976)„Dem einen ein Pöstchen, dem anderen ein Ämtchen, dem dritten eine reiche Frau“ (Karnevalslied der Kölner „Jecken“)„Wir kennen uns, wir helfen uns“ [hochdeutsche Sprachversion der Verhaltensmaxime des „Kölschen Klüngels“] (Konrad Adenauer, ehemaliger Kölner Oberbürgermeister)„Ein bißchen Köln ist überall“ (Gunter Hoffmann in DIE ZEIT, 7.2.92)

Lothar Wilker
Formular

Eine vernachlässigte Dimension der Machtanalyse von Organisationen sind die Sachverhältnisse. Wie die → Macht in die Dinge einwandert, sich darin materialisiert und den Menschen als sachliche Notwendigkeit, als unabänderliche Sachbedingung ihres Handelns widerfährt, gerät der mikropolitischen Perspektive oft etwas aus dem Blick. Der Grund dafür ist einfach: Sachen sind keine Akteure, sie haben keine Strategien und zwingen zu gar nichts. Auch echte, nicht vorgespiegelte „Sachzwänge“ gibt es immer nur im Hinblick auf menschliche Bedürfnisse: Nicht der geplatzte Reifen, sondern unser Interesse an der Weiterfahrt zwingt uns auf der Autobahn zum Reifenwechsel. Und dasselbe gilt für die Bedeutung der Dinge als Vehikel organisierter Macht: Nicht die Sachen, sondern andere Menschen zwingen uns in Gestalt von Sachverhältnissen ihren Willen auf und geben unserem Widerstreben keine Chance.

Rainer Paris
Führung

Nur wenige Phänomene in der Arbeitswelt sind so komplex, vieldeutig und strittig wie „Führung“. Sie ist allgegenwärtig (man kann nicht nicht führen), denn sie wird von jedem Menschen erfahren, praktiziert und erlitten (in Partnerbeziehungen, Familie, Kindergarten, Sportverein, Schule, Universität, Unternehmung, Militär, Kirche, Behörde, Staat). Gleichwohl gibt es keine einheitliche Auffassung über Ziele, Bedingungen, Formen, Prozesse, Strukturen und Folgen von Führung. So nimmt es nicht wunder, daß sich in der wissenschaftlichen und praxisorientierten Literatur Theoretisches und Empirisches, Normatives und Deskriptives, Falsches und Richtiges, Triviales und Neues mischen.

Wolfgang Grunwald
Führungsgruppenmodell

Eine spezifische Variante der → Beförderungsstrategien ist das Führungsgruppenmodell. Es stellt eine Ausgestaltung des → Leistungsprinzips dar und ist vor allem als Alternative zum → Anciennitätsprinzip gedacht.

Hanns-Eberhard Meixner
Gehorsam

Herrschaft, so Weber, sei „die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“. Nicht → Macht, sondern Herrschaft, also institutionalisierte, auf Dauer gestellte und legitimierte, als berechtigt anerkannte Macht ist das Pendant des Gehorsams. Dem Räuber, der uns überfällt und mit der Waffe bedroht, unterwerfen oder fügen wir uns, dem Herrn gehorchen wir. Der Herr befiehlt, aber er kann fraglosen Gehorsam keineswegs bei allen und nur für Befehle bestimmten Inhalts erwarten. Herrschaft und Gehorsam sind durch Legitimität verschweißt und begrenzt.

Rainer Paris
Gerechtigkeit

Ohne sich großer Übertreibung schuldig zu machen, kann man sagen, daß Gerechtigkeit ein zentraler Begriff der an → a Normen, ihrer Entstehung und Wirkung orientierten Wissenschaften — der Philosophie, Theologie, Rechtswissenschaft und Pädagogik — ist und darüber hinaus eine der am meisten gebrauchten Vokabeln, eine uralte ethische Grundforderung aller großen Weltreligionen.

Kristina Bautze
Gerücht

M und N sitzen in der Kantine an einem abgelegenen Tisch bei einer Tasse Kaffee. M beginnt das Gespräch mit vorgebeugtem Oberkörper und leiser Stimme: „Hast Du schon gehört? Der Z hat was mit der Y! Na, ist ja auch nicht das erste Mal, daß der hier fremdgeht. Aber erzähl das bloß keinem weiter!“ — „Von wem weißt Du das?” — „Na, von L, die ist doch immer bestens informiert.“ N verspricht hoch und heilig, die Information (= G) für sich zu behalten, natürlich mit dem Hintergedanken, es möglichst schnell dem O zu erzählen (= I).

Wolfgang Pippke
Gruppenvertretung

Es gibt Situationen in Gruppen, die eine Vertretung der Gruppe nach außen durch eines ihrer Mitglieder erfordern.

Dieter Claessens
Humor

Humor gilt gemeinhin als Geisteshaltung oder Lebensform; er ist die Fähigkeit, angesichts von Widersinnigkeiten und Schicksalsschlägen nicht Verstand und Balance zu verlieren, sondern den Lauf der Dinge in distanzierter Gelassenheit kommentieren zu können, ihm eventuell sogar sein Gutes abzugewinnen. Die Rede von dem Humor ist allerdings eine grobe Vereinfachung, denn er findet sich in sehr verschiedenen Gestalten, als schwarzer, trockener, unfreiwilliger, britischer (oder gar deutscher), Galgen-Humor usw., und er wird als Essenz betrachtet, die in mehr oder weniger großen Dosen auch verwandten Haltungen und Praktiken beigemischt ist (Heiterkeit, Spaß, Sarkasmus, Zynismus, Komik, Ironie, → Witz, Persiflage, Parodie→ List, gute Laune etc.).

Oswald Neuberger
Identität

Der Begriff Identität ist zunächst mit Fragen verbunden wie „Was für ein Mensch ist das?“ und „Wie ist jemand zu dem Menschen geworden, der er ist? “ Im Rahmen der Organisationsforschung gestellt, hat bereits Merton auf den beruflich-beschädigten Persönlichkeitstyp des „Bürokraten“ hingewiesen und die ihn auszeichnende „geschulte Unfähigkeit“ auf strukturelle Ursachen bürokratischer Organisationen zurückgeführt. Eine ergänzende Sicht bietet die aktuelle Praxis größerer Unternehmungen, wo die mangelnde Fähigkeit zum organisationalen Lernen nicht selten unter Fingerzeig auf den nach überwiegender Meinung nicht unproblematischen Persönlichkeitstyp des „Mikropolitikers“ (Bosetzky) beklagt wird; der Arbeitsalltag erscheint oft gerade durch sein variantenreiches „power-play“ der Machterhaltung und -vermehrung geprägt. Dieses steht im Dienst der egoistischen Nutzung systemeigener Ressourcen und reicht vom skrupellos-machiavellistischen Verhalten, das andere beeindruckt und das sie fürchten, bis hin zum opportunistischen, das nicht selten als sukzessive Preisgabe von Persönlichkeit Ächtung erfährt. Solches Verhalten ist immer auch als Ausdruck von Strategien zu deuten, mit denen Akteure in Organisationen unter den strukturellen Bedingungen von Freiheit und Zwang versuchen, Identität zu behaupten. In Abhängigkeit von der Art, wie sie ihr Identitätsproblem lösen, besteht ein mehr oder weniger umfangreiches organisationales Entwicklungspotential. Auf der theoretisch-konzeptionellen Ebene lassen sich Interdependenzen zwischen Persönlichkeitsentwicklung und Organisationsentwicklung weiterführend auf der Grundlage des organisationstheoretischen Konzepts der Mikropolitik (vgl. Kopper und Ortmann) diskutieren, das von der Perspektive interessenverfolgender Akteure ausgeht und Macht als zentralen Steuerungs- und Regulierungsmechanismus sozialer Interaktion in den Mittelpunkt einer strategischen Organisationsanalyse stellt

Anke Felsch
Impression Management

Was ich „bin“, ob ich zum Beispiel ein guter Sozial- oder Politikwissenschaftler, Sportler oder Autor von Kriminalgeschichten bin, ob ich zuverlässig oder schwer berechenbar, beliebt oder manchmal nicht gern gesehen bin — all das erfahre ich permanent aus den Reaktionen meiner Mitmenschen. Einem alten Psychologen-Witz zufolge sagt ein Psychologe zum anderen: „Ihnen geht’s gut, und wie geht’s mir? “ In diesem Sinne ist jeder Mensch ein Laien-Psychologe: Jeder liefert seinen Mitmenschen ständig irgendwelche Informationen darüber, wie er sie beurteilt und bewertet, und jeder formt sein eigenes Selbstbild aus solchen selbstbezogenen Informationen, die er von anderen erhält.

Hans D. Mummendey
Information und Informationsmanagement

Informationen zu beschaffen, zu besitzen und zum Vorteil der eigenen Organisation — oder zum eigenen Vorteil! — zu verwenden, war schon immer ein Hauptanliegen des Management. Dieses Anliegen scheint aber auch ein permanentes Problem: In der betriebswirtschaftlichen Diskussion tauchen in regelmäßigen Abständen zusammengesetzte Fachwortungetüme auf, die dieser Selbstverständlichkeit eine neue Gestalt geben wollen.

Hansjürgen Wilde, Gert Fieguth
Informelles Handeln

Die begriffliche und konzeptionelle Unterscheidung zwischen formell und informell läßt sich zum einen auf einen organisationssoziologischen und -theoretischen Diskussions- und Theoriestrang zurückverfolgen. Dieser entstand in der Auseinandersetzung mit dem Max Weberschen Bürokratie- und Organisationsmodell, das auf die formellen, d.h. förmlich vorgeschriebenen Organisationsstrukturen, Zuständigkeiten und Verhaltensregeln fokussiert ist, innerhalb derer die Organisationsmitglieder gewissermaßen wie die Bestandteile eines Räderwerks funktionieren. In dieser Sichtweise gelten die Durchsetzung und Sicherung der formellen Organisations- und Handlungsstrukturen als notwendige wie hinreichende Bedingung für das optimale Arbeiten der Organisations-„Maschine“eses organisationstheoretische Axiom wurde (in den 20er und 30er Jahren) durch (betriebs-)soziologische Forschungen und Erkenntnisse erschüttert, in denen die Existenz informeller Organisations- und Handlungsstrukturen in Organisationen (neben und außer den formal vorgeschriebenen) empirisch nachgewiesen und deren funktionale Bedeutung, ja Unverzichtbarkeit für die Handlungs-, wenn nicht Überlebensfähigkeit von Organisationen (normativ-theoretisch) dargetan wurden. Inzwischen gehören die Erkenntnis und Anerkenntnis informeller Aufbau- und Ablaufstrukturen längst zum conventional wisdom der Organisations- und Verwaltungswissenschaft ebenso wie der Organisations-, Institutionen- und Verwaltungspolitik.

Hellmut Wollmann
Innere Kündigung

Wenn einem die Arbeit nicht paßt, kündigt man eben. Was kann einem an der Berufsarbeit nicht passen, was können also Ursachen einer Kündigung sein?

Wolfgang Pippke
Innovation

Innovationen gibt es in allen Bereichen des menschlichen Lebens: Neue Verhaltensformen, neue körperliche Eigenschaften, neue Produkte in Unternehmen und sogar in der öffentlichen Verwaltung wie z.B. neue Steuerungskonzepte (→ Reform). Innovationen sind Neuerungen in einem System, die erstmals in seiner Entwicklung vollzogen und erreicht werden. Damit sind die wesentlichen Merkmale von Innovationen aufgezeigt: die Neuerung, die Erstmaligkeit, der Prozeß und das Ergebnis.

Christian Pracher
Interesse

Der in wissenschaftlichen Abhandlungen und in der Alltagssprache häufig vorzufindende Begriff des Interesses wird in zwei unterschiedlich ausgerichteten Bedeutungsvarianten verwendet. Auf der einen Seite ist eine Gleichsetzung von Interesse mit individuellen Motiven, Nutzen, Wünschen oder Bedürfnissen zu verzeichnen. Dies ist charakteristisch für den alltagssprachlichen Gebrauch, für die Psychologie und für die von den englischen Philosophen Hobbes, Locke, Hutcheson, Hume und Smith beeinflußte Argumentation in Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Diese Philosophen verwenden in ihren Arbeiten den Begriff des Interesses zur Kennzeichnung des auf Vorteil gerichteten eigennützigen Handelns. Besonders Adam Smith betont nicht nur den individuellen Nutzen, den Vorteil, der das wirtschaftende Individuum allein bewegt und dessen Maximierung es anstrebt, sondern auch, daß erst die freie Konkurrenz rivalisierender Einzelinteressen die Voraussetzung für die allgemeine Wohlfahrt der Individuen und der Gesellschaft ist. Diese utilitaristische Tradition ist auch heute noch in einschlägigen Fachdiskussionen (insbes. Pluralismustheorie, Neue Politische Ökonomie) wirksam.

Heinrich Bücker-Gärtner
Intrige

Eine Intrige ist ein hinterlistig angelegtes Ränkespiel, bei der das Spezifische die ihr innewohnende Struktur eines bestimmten angesteuerten Geschehnisablaufes ist: Zum Zwecke des Eintritts eines bestimmten Erfolges (der unterschiedlichster Art sein kann), versuchen ein oder mehrere Akteure (die Initiatoren,die sich in feiger Manier darum bemühen, nicht als solche entlarvt zu werden), einen oder viele andere Akteure (die bereitwillig oder ahnungslos handelnden Vollstrecker) zu Handlungen oder Unterlassungen zu bewegen, die einem oder vielen weiteren Akteuren (den Opfern der Intrige) im Ergebnis Schaden zufügen, und zwar einen dem vermeintlichen → Interesse der Initiatoren dienenden Schaden.

Axel Quandt
Investition in Beziehungen

Die Selbstdarstellung von Organisationsmitgliedern zur eigenen Integration in eine Zwangsgruppe oder eine freiwillig gebildete Gruppe ist auch unter dem Aspekt der Investition zu sehen: Schon das bloße Erscheinen bedeutet eine Investition von Zeit, von Entschluß, konkret „da“ sein, Zeit-daran-Geben, Sprechen, Bleiben, Mitmachen (in der ganzen Bandbreite aller Möglichkeiten sich steigernd bis zur Selbstaufopferung, einer besonders dramatischen und glaubwürdigen Form der → Selbstdarstellung). Investition ist aber auch das — unvermeidliche — Registrieren der anderen, das Sich-mit-ihnen-Beschäftigen, Sich-in-sie-Einordnen, Auf-sie-Eingehen, Sich-zu-ihnen-Abstimmen. Investition erfolgt also gegenseitig. Typisch steigert sich dabei die Investitionsintensität (man macht mehr mit, in beiderlei Sinn des Wortes: aktiv und passiv), zugleich vermehrt sich auch in der Zeit die Investitionsmasse. Einerseits steigt damit das eigene Identitätsgefühl („man liegt richtig“), andererseits wird damit die Lösung aus dem Gruppenverband schwieriger. Die Investitionen des/der einen wird beantwortet durch die Investition der anderen; Lösung aus der Interaktion und der Übereinstimmung wird um so schwieriger, je länger investiert wurde und damit in der Regel auch: je mehr investiert wurde. Symptomatisch für diesen Prozeß ist „Liebe“ zwischen zwei Menschen, das heißt deren Verlauf über Bekanntschaft, sich verlieben, sich lieben (→ Erotik). Zuerst wird die sparsame Investition des Augenkontaktes eingesetzt,

Dieter Claessens
Job Rotation

Wir verstehen unter „Job Rotation“ den gezielten, geplanten Arbeits-(platz) wechsel. Mit Job Rotation verfolgen die Behörden- und Betriebsleitungen, die zentralen Personalbereiche, Vorgesetzte und Betroffene verschiedene Ziele:

Gernot Joerger
Joking Relationship

In allen Organisationen lassen sich informelle Gruppen oder → Cliquen finden, deren Hauptkommunikationsart untereinander der mehr oder weniger aggressiv gefärbte → Humor ist. Jede sich bietende Situation wird mit Scherzen und Flachsen, mit einem Sprachspiel oder einem Kalauer, mit Spitzen und → Witzen zu einer sitcom-Szene ausgebaut. Der Arbeitsplatz wird zur Bühne (→ Büro als Bühne), auf der eine nicht endende Komödie mit immer neuen Akten und Auftritten gegeben wird, Eintritt frei, wo Parodien auf offizielle Texte und Eigenheiten von Autoritätspersonen vorgetragen werden, in denen Spaß schnell in Spott übergeht, wo Anekdoten mit immer neuen Ausschmückungen zum Besten gegeben werden, wo manch eine peinliche Begebenheit aus dem eigenen Hause als ironisch überzeichnete Posse oder veralbernder Schwank unerwünschte Verbreitung findet. Man amüsiert sich über die Schwächen der anderen, hänselt sich gegenseitig und frotzelt untereinander. Wichtig ist, daß diese aggressiv erscheinende Umgangsart insbesondere innerhalb der Joking Relationship nicht als unfreundliche Handlung interpretiert werden darf. Wer nicht mitflachst und mitlacht, auch wenn er oder sie selbst das Opfer kabarettreifer Gags geworden ist, zeigt abweichendes Verhalten und wird als humorloser Spielverderber abgestempelt und ausgeschlossen; jetzt kann der joke durchaus zur Waffe werden, kann verletzen, bloßstellen.

Heike Hunholtz
Kameradschaft

Daß der Arbeitsalltag in Organisationen durch die formale Aufbau- und Ablauforganisation nicht vollständig definiert werden kann, ist ein alter organisationswissenschaftlicher Befund. Menschen organisieren ihre Arbeit wo immer möglich so, daß sie ihren Bedürfnissen so weit wie möglich entspricht oder ihr repressiver Charakter so weit wie möglich abgeschwächt wird.

Jochen Schulz zur Wiesch
Karriere

Dem Grunde nach ist nicht auszuschließen, daß der Begriff der Karriere/ Laufbahn mit unterschiedlichen, teilweise auch mit negativ empfundenen Vorstellungsinhalten (etwa im Sinne des „rücksichtslosen“ Karrieremachens) verbunden wird. Gleichwohl kann gerade für den Kulturkreis des „Okzidents“ bzw. westlicher Industriestaaten davon ausgegangen werden, daß dieser Begriff wohl noch überwiegend in einem positiven Sinne verstanden wird, und zwar im Zusammenhang eines persönlich zu bewerkstelligenden „Aufstiegs“ innerhalb einer irgendwie gesellschaftlich vorgegebenen Statushierarchie. Mit dem Begriff der Karriere dürfte in dieser Hinsicht (ob nun im Sinne eines Leitbildes oder einer sozialen Tatsache) in jedem Fall auf einen gesellschaftlich irgendwie relevanten und auch näherungsweise meßbaren „Erfolg“ abgestellt werden.

Rainer Koch
Kommunikation: Inhalts- und Beziehungsaspekt

Für die menschliche Kommunikation ist grundlegend charakteristisch, daß Kommunizieren nicht nur heißt, sich zu einer Sache, einem Thema, einem Inhalt zu äußern, sondern daß durch das Kommunizieren zugleich eine — wie auch immer geartete — Beziehung zum Angesprochenen hergestellt wird.

Heidemarie Seel
Komplizinnen

Das → Don Corleone-Prinzip in der Verwaltung (Bosetzky) ist ein plastisches Beispiel männerbündischer Gepflogenheiten, die sehr effektiv Frauen im öffentlichen Bereich und nicht nur in der Verwaltung von Macht- und Entscheidungspositionen ausgrenzen. → Männerbünden und Männerbundstrategien, zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur „Abwehr der Fraueninvasion“ (Kreisky) notwendig geworden, stehen andere, seit der Renaissance z.B. ideengeschichtlich und faktisch-juristisch ausgrenzende Mechanismen gegenüber, die für den öffentlichen und privaten Bereich gleichermaßen — nur mit unterschiedlichen Mitteln — die jeweilige Ausformung patriarchaler Strukturen stabilisieren und offenkundig auch Frauen als strukturelle und individuelle Komplizinnen hervorbringen.

Gabriele Steckmeister
Konflikt

Im allgemeinen wird unter einem Konflikt das Aufeinandertreffen von zwei miteinander unvereinbaren Handlungstendenzen verstanden. Zwei oder mehr Personen verfolgen untereinander gegensätzliche Handlungspläne, wobei sie sich ihrer Gegnerschaft (meist) bewußt sind. Besteht dieser Widerstreit innerhalb einer Person, wird von einem inneren oder auch emotionalen (intrapersonalen) Konflikt, bestehen sie zwischen verschiedenen Personen, von einem sozialen oder zwischenmenschlichen (interpersonalen) Konflikt gesprochen. Damit ist der „echte“ Konflikt als Kommunikations- und Interaktionsproblem definiert, während beim sog. „unechten“ Konflikt keine unmittelbare Interaktion ausgetragen wird, sondern der Konflikt auf Ersatzobjekte (im Wege der Projektion oder Übertragung) verschoben wird. Klassische Beispiele hierfür sind der Antisemitismus und Rassismus. Unter sozialem Konflikt ist der „Kampf um Werte und um Anrechte auf Status, auf Macht und Mittel“ zu verstehen, „der Kampf, in dem einander zuwiderlaufende Interessen notwendig einander entweder neutralisieren, verletzen oder ausschalten“ (H. Bosetzky).

Henning Becker
Konspirative Gruppen

Gruppen müssen sich gegenüber ihrer Umwelt glaubwürdig darstellen und gleichzeitig ihr Binnenverständnis, also die an die Mitglieder gerichteten Rollenerwartungen in Richtung auf eine Homogenisierung der Gruppe formieren.

Dieter Claessens
Korruption

Korruption ist ein Produkt der ungleichen Verteilung von materiellen Gütern und/oder von → Macht. „Macht korrumpiert, totale Macht korrumpiert total“ (Lenin). Ist demnach (fast) jeder Mensch potentiell korrupt?

Lothar Wilker
Kränkung

Die Begriffe Krankheit, krank sein erwecken den Anschein fest umschriebener Diagnose und eines relativ überdauernden Zustands körperlicher Defekte/Defizite meist eines Organs oder Körperteils (klassisch-medizinisches Modell).

Klaus Mucha
Küchenkabinett

Helmut Kohls Küchenkabinett tagt morgens um halb neun. Kanzleramtsminister Bohl hält die Runde von der Sache her für entbehrlich. Unverzichtbar sei sie aber wegen der dort erzeugten „Nestwärme“ (STERN 9/97).

Detlef Bischoff
Kundenorientierung

Firmen, die verkaufen, was sie machen können, gehen ein. Firmen, die machen, was sie verkaufen können, überleben. Dieser Grundgedanke der Kundenorientierung ist ebenso banal wie schlagend. Jack Welch faßt es so zusammen: „Der Kunde vergleicht uns mit der Konkurrenz und stuft uns entweder besser oder schlechter ein. Das geht nicht sehr wissenschaftlich vor sich, ist jedoch verheerend für den, der dabei schlechter abschneidet.“ Studien aber zeigen: Unsere Unternehmen haben oft gute Produkte; aber vieles, was darüber hinausgeht (Prozeßqualität, Servicehaltung), ist defizitär. Der Kunde ist vor allem „Abnehmer“. Das Wort von der „Servicewüste Deutschland“ macht die Runde.

Reinhard K. Sprenger
Kungelrunde

Entscheidungen bedürfen häufig der Vorbereitung durch einen Prozeß der innerorganisatorischen Willensbildung, bis sie die nötige „Reife“ besitzen, getroffen zu werden. Für diesen Prozeß gibt es formelle Gremien wie Mitarbeiterbesprechungen, Abteilungsleiterkonferenzen, Qualitätszirkel, Kommissionen, Ausschüsse bzw. Prozeduren wie Anhörungen der betroffenen Fachbereiche, Stellungnahmen von Fachleuten, förmliche Beteiligungen z. B. des Betriebs- oder → Personalrats etc. Auf der anderen Seite bietet die nicht formelle Kommunikationsstruktur einer Organisation viele Möglichkeiten der spontanen Meinungsbildung wie etwa Gespräche in der Kantine oder an anderen Eßplätzen, auf dem Flur oder auf dem gemeinsamen Heimweg, bei div. Anlässen wie → Feiern oder Ausflügen.

Peter Heinrich
Kurzschlußstrategie

Im Zuge organisationaler Veränderungsprozesse ist häufig zu beobachten, daß lediglich partiell („testweise“) veränderte Formalstrukturen neben die bisher gültigen formalen Regelsysteme treten. Und ein Konsens über konkrete neue bzw. veränderte Spielregeln muß erst noch zwischen den beteiligten Akteuren ausgehandelt werden. Der entstehende Ungewißheitsbereich (z.B. Gültigkeit der alten Regeln, Existenz, Interpretation und Verbindlichkeit neuer Regeln, faktische oder taktische Unkenntnis im Hinblick auf Funktionsbedingungen und Kompatibilität etc.) läßt Kurzschlußstrategien besonders aussichtsreich erscheinen. Unter einem Kurzschluß versteht man gewöhnlich eine unerwünschte leitende Verbindung zwischen zwei gegeneinander unter (elektrischer) Spannung stehender Leitern, ohne dazwischengeschalteten Widerstand. Im mikropolitischen Kontext meint diese Metapher: Man schließt das alte und das neue Regelsystem kurz, indem man mit den Regeln „spielt“ und sich bei der Verfolgung seiner → Interessen immer gerade auf die Regeln beruft, die einem dazu am nützlichsten erscheinen. Zumindest in einer Übergangsphase können so z.B. alte und neue Steuerungsinstrumente und -verfahren erfolgreich gegeneinander ausgespielt werden. In Veränderungs-, Reformbzw. Innovationsspielen (→ Spiele) können Kurzschlußstrategien auch betrieben oder deren Wirkungen strategisch aufgegriffen werden, um die angestrebten Veränderungen zu verzögern, zu torpedieren bzw.

Martin Brüggemeier
Leistungsprinzip

Das Leistungsprinzip gilt als die klassische und rationalste Grundlage der Statuszuschreibung in industrialisierten Gesellschaften. Es wird — jenseits der kaum überwindlichen Schwierigkeiten einer Definition des Leistungsbegriffs — insbesondere als Kriterium für die Besetzung von (Beförderungs-)Stellen sowie als Grundlage für Entlohnungssysteme gelobt. Die → Motivation, auf die gerade die betriebliche Beföderungspolitik einen großen Einfluß hat (Bosetzky), steige in dem Maße, wie „Leistung sich lohne“. Die → Beförderungsstrategie nach dem Leistungsprinzip hebt sich insbesondere deutlich von der nach dem→Anciennitätsprinzip ab. Es gibt zwei prinzipielle Modifikationen:

Hanns-Eberhard Meixner
List

„List“ zählt zu den elementaren Handlungsweisen, die in den Kern von Mikro-Politik führen. Zwar zitieren gerade Politiker gerne den Satz, daß „Ehrlichkeit die beste Politik“ sei. Aber als zweitbeste Politik stellt List bestimmt keine schlechte Wahl dar. Sie ist vor allem eine Politik von bürokratisch und politisch Schwächeren, die nicht zum Mittel der → inneren Kündigung, zu offen illegalen Strategien oder zur Rebellion greifen. Die auf Autorität, Führung und Macht fixierte Soziologie politischen Handelns hat dem Agieren aus einer Position der Schwäche verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Diesem Manko sollen die folgenden, zunächst nur um begriffliche Klärung bemühten Überlegungen begegnen.

Wulf Hopf
Lob

„Lorbeer gehört nicht auf den Kopf, sondern in den Sauerbraten.“ Die Worte des Rheinländers Konrad Henkel verhallten ungehört. Loben ist und bleibt „in“. In der Erziehung seit jeher. In der Managementlehre seit ein paar Jahren. Das Loben gilt dabei als besonders humane, „mitmenschliche“ Form jener Fundamental-Infantilisierung, die man heute Mitarbeiter-Führung nennt. Analog zu Baden-Powells Pfadfinder-Motto „Jeden Tag eine gute Tat“ gilt nun als höchste Form der Führungsweisheit: „Du sollst deinen Mitarbeiter täglich einmal loben“.

Reinhard K. Sprenger
Lügen

„Ehrlich währt am längsten.“ Diese Devise nehmen viele von uns im (beruflichen) Alltag nicht allzu ernst. Hilft doch eine kleine Übertreibung oft, unsere Leistungsfähigkeit beim Vorgesetzten zu unterstreichen (→ Selbstdarstellung)- und warum sollte man peinliche Details ganz offenherzig und wahrheitsgetreu erzählen? Die amerikanische Psychologin DePaulo stellte in einer Tagebuch-Studie fest, daß die Teilnehmer ihrer sozialen Umgebung pro Tag im Durchschnitt eine Lüge präsentierten. Die meisten solcher Lügen sind primär psychologisch motiviert: Man will Eindruck machen, klüger erscheinen, als man ist, oder sich vor Bloßstellung schützen. Eine geringe Anzahl der Alltagslügen ist materiell motiviert und dient zur Erlangung eigener Vorteile. Die Mehrzahl der Lügen ist egozentrisch, d.h. auf die Wahrung eigener Vorteile gerichtet. Eine weniger prominente Gruppe von Lügen ist auf andere hin orientiert, um diese z.B. vor Sanktionen oder Gesichstverlust zu bewahren: „Doch, die Frisur steht Dir gut. Mal was anderes!“ wird man vielleicht die Kollegin trösten, die verunsichert vom Friseur kommt. „Ich hätte das auch nicht besser gekonnt“, kann dem Kollegen helfen, sich nach einem Mißgeschick zu entspannen. „Er hat gut im Team mitgearbeitet“, lautet die beschönigende Beurteilung eines Mitarbeiters.

Astrid Schütz
Machiavellismus

Allgemein vergröbernd steht Machiavellismus für politische Skrupellosigkeit. Der Begriff leitet sich ab vom Namen des italienischen Staatsmannes und Philosophen Niccolo Machiavelli (1469–1527). Problematisch ist indessen die schlichte und uneingeschränkte Gleichsetzung seiner Lehren mit dem Begriff Machiavellismus in der gemeinhin gebräuchlichen Weise. Die dieser Gleichsetzung zugrundeliegende Vereinfachung der Lehren Machiavellis beruht u.a. darauf, daß häufig nur — und dies mitunter einseitig — dessen Werk „Il Principe“ (Der Fürst) rezipiert wird, während seine „Discorsi“ (auch Ausdruck seiner republikanischen Überzeugungen) und seine zahlreichen anderen Schriften, Berichte und Kurzbiographien leider nicht immer hinreichend gewürdigt werden.

Axel Quandt
Macht

Grundlegend für das moderne Verständnis des Machtbegriffs ist Max Webers Definition der Macht. Sie ist für ihn „die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“. Mit dem Machtbegriff verband er den konkreteren der „Herrschaft“. Herrschaft ist ihm zufolge „die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden.“ Im Sinne Webers, aber in Hinblick auf die mikropolitische Analyse des Begriffs pragmatischer ist die Formulierung R. A. Dahls: „A hat Macht über B in dem Ausmaß, als er B veranlassen kann, etwas zu tun, was er sonst nicht tun würde.“

Detlef Bischoff
Männerbünde

Mit dem Begriff „Männerbünde“ werden zunächst empirisch-beschreibend Zusammenschlüsse von Männern bezeichnet, die dazu dienen sollen, für die Gruppe oder für Einzelne in der Gruppe Macht- und Einflußpositionen zu erwerben oder zu erhalten, um gemeinsame Ziele durchzusetzen. Darüber hinaus besitzt der Begriff auch eine theoretisch-erklärende Dimension, wonach damit generell patriarchale Strukturen in Staat und Gesellschaft und die damit einhergehende Dominanz des Männlichen kritisiert werden. Ursprünglich wurde der Begriff in der Ethnologie verwandt: Im Schoße archaischer, matriarchal geprägter Gesellschaften schlossen sich Männer zusammen, um sich gegenüber der gebärenden Frau in ihrer sozialen Geschlechterrolle zu profilieren. Noch heute ist dies beispielsweise bei Naturvölkern auf Neu-Guinea zu beobachten, wenn Männer — unter Ausschluß von Frauen und Knaben — nach entsprechenden Initiationsriten in ein Männer-Haus zu ihren Zeremonien zusammenkommen.

Stefan Engelniederhammer
Mediation

So allgegenwärtig und vielfältig wie → Konflikte sind die Bemühungen, mit ihnen umzugehen, sie zu vertagen, sie umzuinterpretieren, sie zu beenden, sie zu pflegen. Darin sind wir sehr geübt. Dennoch kommt man im familiären Bereich, in einer Organisation oder auch in der Gesellschaft gelegentlich an einen Punkt, an dem nichts mehr geht. Der Konflikt ist nicht mehr der Motor konstruktiven Wandels, sondern blockiert alles. Genauer gesagt, die Beteiligten blockieren sich wechselseitig, lähmen sich, tragen zu Frustrationen und wechselseitigen Herabsetzungen bei. Manchmal kann es an einem solchen Punkt helfen, einen unabhängigen Dritten als Vermittler einzuschalten. Neudeutsch heißt der Vermittler Mediator, und was er tut, heißt Mediation. Auch Mediation kennen wir aus dem Alltag: „Rede Du doch mal mit dem!“

Hans-Joachim Fietkau
Memorandum

Das Memorandum (Kurzform: Memo), manchmal auch Vermerk genannt, sollte eigentlich der Erinnerung an einen Sachverhalt dienen, mithin eine Gedächtnisstütze sein. Im Organisationsalltag jedoch erweist sich ein Memo als äußerst nützliches Element des mikropolitischen Spiels. In diesem Zusammenhang besitzt es im wesentlichen zwei unterschiedliche Aufgaben: Zum einen dient es dem Ausweis der Tüchtigkeit des Verfassers; es demonstriert also gegenüber den Vorgesetzten, mit welch kompetenten Mitarbeitern sie umgeben sind (→ Selbstdarstellung), und stellt somit, regelmäßig und demonstrativ eingesetzt, eine Empfehlung für Gehaltserhöhungen und Beförderungen dar. Die zweite, wichtigere Funktion liegt aber darin, in Krisensitua tionen nicht als der „Dumme“ dazustehen. Einerseits läßt sich beweisen, daß man es vorher sowieso schon wußte, andererseits kann ein rechtzeitig verfaßtes und verbreitetes Memo durchaus der Abwehr möglicher zukünftiger Schuldzuweisungen dienlich sein. Ein kluger Mikropolitiker sieht Gefahren rechtzeitig heraufziehen und wendet sie ab, bevor sie ihm gefährlich werden können.

Christian Stegbauer
Mensch-Maschine-Tandem

Sozialwissenschaftler behandeln gern die Informationstechnik (IT) als Black Box, oftmals gar reduziert auf ihre am leichtesten zu verstehende Funktion als Kommunikationsmedium. Die Vielfalt ihrer möglichen Ausprägungen, ihre Formbarkeit werden unterschätzt, wenn nicht der Versuch unternommen wird, die grundlegenden Wirkungsweisen und Verwendungsformen der IT zu verstehen. Das von Heiner Müller-Merbach geprägte Bild des MenschMaschine-Tandems kann dabei hilfreich sein.

Klaus Lenk
Mitarbeiterbefragung

Wenn man sich ein Bild von einer Organisation machen will, dann reicht es nicht aus, sich lediglich die formalen Strukturen und Prozesse anzuschauen. Vielmehr müßte man zusätzlich die kognitiven und affektiven Landkarten der einzelnen Mitglieder sowie die informellen Beziehungsmuster zwischen den Mitgliedern kennen, an welchen sie ihr Handeln ausrichten und deren Zusammenspiel letztlich das bestimmt, was Organisationen kennzeichnet.

Ingela Jöns, Walter Bungard
Mobbing (Aggression)

Stetig steigende Arbeitslosenzahlen, allgemein verschärfter Konkurrenzkampf um Ausbildungs-, Arbeitsplätze und Lebenschancen auch im Zeichen von Umstrukturierungen und Rationalisierungsdruck in Wirtschaft und Verwaltung, damit neue weitverbreitete Zukunftsängste, Entsolidarisierung, gesellschaftliche Desintegration, Individualisierung, schleichende Demoralisierung, Vertrauensverlust, latente Aggressivität: Der Begriff „Mobbing“ hat Konjunktur.

Peter Kmieciak
Motivation

„Motivation“ ist heute ein Schlüsselwort, geradezu ein Synonym für → Führung. Dieser sehr unscharf und eher verschleiernd gebrauchte Begriff oszilliert dabei um einen „machenden“ Manager mit Heraushol-Attitüde, der für die Motivation seiner Mitarbeiter verantwortlich ist („Sie haben wohl Ihre Leute nicht richtig motiviert!“) und daher irgendetwas „macht“ (Prämien, Incentives, Bonus, → Lob, leistungs-variable Einkommen, psychologische Führungs-Technik, neuerdings: Vision), um seine Mitarbeiter dazu zu bewegen, etwas zu tun, was sie ohne diesen Anreiz offensichtlich nicht tun würden.

Reinhard K. Sprenger
Nepotismus

Ursprünglich bedeutet Nepotismus die Bevorzugung von Verwandten bei der Vergabe von Ämtern und Würden durch weltliche und geistliche Machthaber („Vetternwirtschaft“). Die Bedeutung von Verwandtschaftssystemen dürfte in unserer Gesellschaft aber abgenommen haben. Ob sie evtl. in „Adelskreisen“ noch eine verbreitete Bedeutung hat, muß nicht unbedingt aufgeklärt werden.

Wilhelm Nöth
Netzwerk

Von Netzwerken wird — abgesehen von technischen Anwendungen — einerseits im innerorganisatorisch-mikropolitischen Sinne gesprochen. Meist sind damit informelle Personenverbindungen gemeint, die — oft verdeckt — gemeinsame Ziele und Interessen verfolgen. Seit langem kennt man in Verwaltungen z.B. auch „Fachbruderschaften“, die als Netzwerk von Verwaltungsangehörigen, Politikern, Verbandsvertretern usw. im Politikprozeß wirken und fachpolitisch gleichartige Interessen vertreten (→ Seilschaften). Andererseits findet der Begriff „Netzwerk“ zunehmend auch als Interorganisationsstruktur Verwendung, als eine Form polyzentrischer, relativ stabiler Beziehungen zwischen mehreren Organisationen (vgl. Sydow 1992). In diesem Verständnis hat das Thema „Netzwerke“ in der letzten Zeit sowohl im privatwirtschaftlichen Sektor wie im öffentlichen Bereich zunehmende Relevanz entfaltet. Nachstehend werden einige damit verbundene Konsequenzen für künftige institutionelle Entwicklungen im öffentlichen Sektor diskutiert.

Christoph Reichard
Neurose

Neurose (griech. „Nervenkrankheit“), auch neurotische (Persönlichkeits-) Störung genannt, ist ein Sammelbegriff für unterschiedlichste seelische, geistige und vegetativ-körperliche Abweichungen von der sozialen Norm, und zwar ohne organische Ursachen. Man sagt auch: eine Neurose sei das Leiden am Leben. Je nach theoretischer Erklärung handelt es sich bei ihr um gelerntes, fehlangepaßtes Verhalten (Lerntheorien) oder um die „Wiederkehr des Verdrängten“(S. Freud, Psychoanalyse). Der phänomenologisch-psychoanalytischen Sichtweise scheint der größte heuristische Wert zuzukommen. Aus dieser Sicht findet man bei allen Neuroseformen stets → Angst und ungelöste psychische → Konflikte als Ursachen und/oder Folgen der Erkrankung. Ohne psychischen Konflikt (Widerstreit von Wunschregungen) keine Neurose; der Konflikt wird durch Symptombildung „gelöst“.

Wolfgang Grunwald
Normen

Werte und Normen prägen das Bewußtsein und lenken das soziale Handeln. Als „herrschende Werte“ sind sie Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse wie auch Bestimmungsfaktor für den Charakter und die Grenzen der Machtausübung. Werte und Normen stehen in einem Ziel-Mittel-Verhältnis zueinander: Normen sichern die Geltung und Durchsetzung von Werten, indem sie Verhaltenserwartungen als Verhaltensregeln formulieren und durch Sozialisation, soziale Kontrolle und Sanktionen durchsetzen (→ Rolle).

Jochen Schulz zur Wiesch
Normenfalle

Wo nahezu alles geregelt ist, sind Fehler unvermeidlich: Organisationsmitglieder geraten in die „Normenfalle“. Im klassischen Bürokratiemodell, wo die Geltung fester Regeln im Rahmen definierter Kompetenzen ein unerbittliches Korsett bildet, ist unbürokratisches Handeln immer ein Normenverstoß. Im Extremfall steht fehlerhafte Effizienz gegen fehlerfreie Ineffizienz des Systems. Wer Luhmanns Aufforderung zu „brauchbarer Illegalität“ und „zweckdienlichen Regelverstößen“ folgt, gefährdet unter Umständen die eigene → Karriere, sofern Vorgesetzte die buchstabengetreue Regelorientierung über die Zielorientierung stellen (→ Gehorsam, → Prinz von Homburg-Effekt). So bleibt vielen nur die „heimliche Kreativität“. Tue Gutes, aber rede nicht darüber. Kundenfreundlich, aber erfolglos sitzt der Mitarbeiter in der Normenfalle und kann seinen Beitrag zu einem verbesserten Verwaltungsimage nicht für den eigenen Aufstieg nutzen.

Jochen Schulz zur Wiesch
Opportunismus

Der homo oeconomicus ist so konstruiert, daß er jede sich bietende Gelegenheit (Opportunität, Okkasion) daraufhin zu prüfen hat, ob sie ihm mehr Nutzen als eine Alternative verspricht; er muß — will er rational handeln — jene Chance nutzen, die den größten Nutzen verheißt. Ein Opportunist ist aber nicht nur durch das in der ökonomischen Theorie üblicherweise unterstellte Eigeninteresse gekennzeichnet, sondern er verfolgt dieses ungezügelt und fühlt sich nicht an Regeln oder Versprechen gebunden. Opportunismus fordert — so Williamson — „strategisches Verhalten“, und dieses beinhaltet falsche oder leere, d.h. selbst nicht geglaubte Drohungen und Versprechen in der Erwartung, daß damit ein individueller Vorteil realisiert werden kann. Williamson definiert Opportunismus wie folgt:

Oswald Neuberger
Parkinsons Gesetz

Die Parkinsonsche Krankheit kennt jeder. Das Parkinsonsche Gesetz halten viele für dasselbe. So ganz abwegig ist dieser Irrtum nicht, denn die Symptome der Parkinsonsche Krankheit — wie Langsamkeit, Unbeweglichkeit und Lähmungserscheinungen — sind jenen Erscheinungen nicht unähnlich, die Parkinson in seinem Gesetz für die öffentliche Verwaltung beschrieben und analysiert hat.

Manfred Röber
Parteien

Das Grundgesetz weist den politischen Parteien ihre Rolle zu: Sie sollen an der politischen Willensbildung mitwirken (Art. 21).Tatsächlich gehen die Parteien über diesen Auftrag hinaus. Sie versuchen, mehr als Mitspieler zu sein, und wollen die politische Willensbildung dominieren. Überall versuchen sie, das Heft in die Hand zu nehmen: In Rundfunkräten, gegenüber der eigentlich unabhängigen Bundesbank, in den Selbstverwaltungsgremien der Hochschulen, in Sportvereinen und in Wirtschaftsunternehmen. Den von der Verfassung bestellten Kontrolleur, das Bundesverfassungsgericht, prägen sie parteipolitisch durch die Auswahl der Richter, und sie haben keine Scheu, ihnen unbequeme Urteile zu verhöhnen. So ist es nicht verwunderlich, daß die politischen Parteien Objekte der Politikverdrossenheit sind. Parteienverdrossenheit artikuliert sich sowohl in Stammtischgesprächen als auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen.

Jürgen Dittberner
Patronage

Patronage bezeichnet ein nicht primär an Leistungen und Verdiensten orientiertes, sondern von Begünstigung und Protektion beherrschtes Förderungsund Ausleseverfahren von Positionsinhabern im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bereich. Sie kann ebenso von Individuen wie auch von Institutionen ausgeübt werden. Die Ämterpatronage ist eine besondere Form der Patronage nur insoweit, als sie sich auf öffentliche Ämter bezieht und damit gegen die Regeln des Berufsbeamtentums verstößt. Patronage wird von Inhabern von Herrschaftspositionen und besonders von Interessenverbänden aller Art ausgeübt (von ADAC bis Zentralverband XY).

Wilhelm Nöth
Personalbeurteilung

Personalbeurteilung und speziell die Beurteilung von (vergangenen) Leistungen der Mitarbeiter in Unternehmen stellt ein wichtiges Aufgabenfeld im betrieblichen Personalmanagement dar. Sie bildet die informatorische Basis für wichtige Entscheidungen (Entgelt, → Karriere, → Beförderung, Aufstieg etc.). Personalbeurteilungen sind oftmals mit bewußten und mikropolitischen Verfälschungen der Beurteilungsergebnisse verbunden. Zu solchen Verfälschungen kommt es, weil Mitarbeiter eines Unternehmens nicht nur die vom Unternehmen vorgegebenen Ziele verfolgen, sondern auch ihre eigenen. Um diese → Interessen durchzusetzen, bedienen sie sich auch des Instrumentes der Personalbeurteilung.

Heiko Nikolaus Lorson
Personalentwicklung

In der personalwirtschaftlichen Literatur ist der Begriff Personalentwicklung mit einer Vielzahl von Konzepten, Methoden und Instrumenten verbunden, deren theoretische Grundlagen häufig unklar und — soweit vorhanden — untereinander kaum anschlußfähig sind. Betriebswirtschaftliche Planungskonzepte stehen unverbunden neben neueren konstruktivistisch-systemischen Ansätzen, die die Perspektive vom Lernen in Organisationen auf das Lernen von Organisationen erweitern. Erstere konzipieren Personalentwicklung als Intervention im Sinne eines rationalen Problemlöseprozesses, der im Kern auf die Ermittlung und Schließung von (Qualifikations-)„Lücken“ zwischen Soll-Qualifikationen (Stellenanforderungen) und Ist-Qualifikationen (Mitarbeiter) durch betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen abzielt. Letztere sehen die zentrale Aufgabe der Personalentwicklung in der Förderung eigendynamischer Prozesse zur Erhöhung der Problemlösefähigkeit von sozialen Systemen. (Individuelles) Lernen wird hier als charakteristisches Grundelement von (systemischen) Entwicklungsprozessen begriffen und thematisiert, Personalentwicklung etwa als Moment einer Organisationsentwicklung lernender Systeme. In beiden Fällen bleiben die betrieblichen Akteure mit ihren Perspektiven, → Interessen und Bedürfnissen und damit die eigentlichen Bezugssubjekte der Personalentwicklung weitgehend aus der Betrachtung ausgeklammert; zugleich wird der wesentliche Bezugsgegenstand der Personalentwicklung, werden organisationsbezogene Lernprozesse bisher ohne eine ausgearbeitete subjekt- und interaktionstheoretische Basis behandelt.

Anke Felsch
Personalrat

Die Kommunalverwaltung ist in vollem Umbruch. Abgeschwächt gilt dies auch für die Bundes- und für die Länderverwaltungen. Ein Gefühl, daß unsere Verwaltungen an die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen rasch angepaßt werden müssen, greift um sich. Hoffnungsträger sind Reformelemente, die aus zahlreichen Anpassungsstrategien rund um den Globus herausgefiltert und unter dem Stichwort „New Public Management“ diskutiert werden. Neu an den Reformüberlegungen ist, daß nun auch Kostenstrukturen, die bisher ein Schattendasein geführt haben, offengelegt werden. Damit werden die öffentlichen Leistungen transparenter und vor allem auch vergleichbar. Interkommunale Vergleiche, z.B. in Form des Benchmarking, legen das Leistungsverhalten und die Leistungsergebnisse einzelner Dienststellen offen.

Hartmut Kübler
Peter-Prinzip

Es gibt bahnbrechende Entdeckungen, die bis dahin gültige Weltbilder nachhaltig verändern und die doch, vielleicht weil sie scheinbar Selbstverständlich-Alltägliches betreffen, erst vergleichsweise spät gemacht werden. Wie stark beispielsweise die individuelle Identität, das „Ich“-Bewußtsein, von Gruppenzugehörigkeiten und -mitgliedschaften bestimmt wird: Man hat eine Vorstellung davon erst seit knapp 60 Jahren, als die „Gruppe“ als identitätsstiftender und handlungskonstituierender Faktor „entdeckt“ wurde. Noch jünger ist die Erkenntnis, daß Systeme, z.B. menschliche, unverständlich bleiben müssen, solange man sein Augenmerk auf ihre einzelnen Elemente beschränkt und für ihre Beziehungen untereinander blind bleibt. Zwei relativ willkürliche Beispiele dafür, daß Vorgänge, die sich tagtäglich vollziehen, sich offenbar besonders hartnäckig der unvoreingenommenen Wahrnehmung und Forscherperspektive entziehen. Vermutlich wären, wie das so hübsch gesagt worden ist, die Fische tatsächlich die letzten, die bemerken, daß sie von Wasser umgeben sind.

Heidemarie Seel
Politikdistanz

Mikropolitik kann ein Instrument zur stückchenweisen Durchsetzung makropolitischer Ziele sein („Ochsentour“). Häufig gehen mikropolitische Handlungsoptionen jedoch einher mit Distanz gegenüber der „großen Politik“. Eine solche Politikdistanz steht in einer spezifisch deutschen Tradition: Aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung im letzten Jahrhundert kultivierte das deutsche Kaiserreich „den Typ eines Untertanen, der sich nur um wirtschaftliche Fragen und das eigene Wohlergehen bzw. das seiner Familie, nicht jedoch um die Entscheidungen auf der staatlichen Ebene kümmerte“ (Wolfgang Bergem). Die aktuell in Deutschland weitverbreitete Politikdistanz gründet sich zudem auf jüngste Erfahrungen, so z.B. der Bevölkerung in den neuen Bundesländern mit der Politik und Ökonomie nach der Wiedervereinigung. Wo tagtäglich Desillusionierung gegenüber einst vollmundig abgegebenen Versprechungen stattfindet, erscheint Politik häufig nur noch als „schmutziges Geschäft“, das man lieber anderen überlassen sollte, statt sich selbst einzumischen. Mehr Erfolg scheint da allemal der Pragmatismus individuellen mikropolitischen Handelns — bis zur Grenze der Rücksichtslosigkeit — und die Hingabe an die Freuden (und zugleich Unterwerfung unter den Konkurrenzdruck) der glitzernden Konsumwelt zu bieten.

Martin Kutscha
Prinz von Homburg-Effekt

Das Ziel ist klar: „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“ Auch über den erwünschten Weg gibt es keine Zweifel: „Ins Feld! Zur Schlacht! Zum Sieg!“ Das und die Regeln der Schlacht bestimmt das Militär — die Organisation —, hier personifiziert durch Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg. Der legt fest, wann es zur Schlacht und damit zum Sieg zu gehen habe. Der Prinz von Homburg aber ergreift gegen den Befehl eigenmächtig eine Initiative, aus der sogar ein Sieg wird. Bosetzky versteht das Theaterstück von Heinrich von Kleist einerseits als vorweggenommene organisationssoziologische Studie im Sinne Max Webers: Der Prinz verletzt die → Rationalität der Organisation und wird bestraft, ihm droht der Tod. Doch der Prinz zeigt Reue, genießt Protektionen, und → schwejkhaft stellt Bosetzky andererseits das Klelstsche Stück als mikropolitische Analyse vor: Auf den Regelverstoß folgt Reue, die Reue ist das Tor zur Anpassung, und der → Karriere steht nichts mehr im Wege.

Jürgen Dittberner
Promotionsbündnis

Ein Promotionsbündnis entsteht, wenn zwei Organisationsmitglieder mehr oder weniger explizit vereinbaren, daß sie sich gegenseitig beim Versuch, die Leiter der beruflichen → Karriere Stufe für Stufe zu erklimmen, helfen wollen. Haupt- wenn nicht exklusives Thema von Promotionsbündnissen ist also die → Beförderung. Von der → Patronage unterscheidet sich ein solches Bündnis, weil sich zwei Gleichgestellte (peers) zusammenschließen und nicht ein patron einem jüngeren Günstling seine Hilfe zukommen läßt. Nimmt das Paar, das ein Promotionsbündnis geschlossen hat, weitere Mitglieder auf — zunächst vielleicht assoziierend im lockeren Verbund wie beispielsweise einem → Zitierkartell, später in engerer, einem → Netzwerk ähnelnder Verbindung —, dann entsteht, was man eine → Seilschaft nennt. Kaum nötig zu erklären, daß die Begriffe dieses Bedeutungskreises (zu denen mindestens auch noch → Filz, → konspirative Gruppe, → Kungelrunde und → Nepotismus zählen) keineswegs klar voneinander abgegrenzt sind, sondern oft sich überlappend gebraucht werden.

Heike Hunholtz
Qualitätsmanagement

Unter den Instrumenten zur Schaffung einer leistungsfähigen Organisation nimmt das Qualitätsmanagement einen wichtigen Platz ein. Dabei spricht man meistens vom „Total Quality Management“ (TQM) und meint damit oft eine Art „Zauberformel“ (Oppen), die zum einen aufgrund der damit angestrebten Fehlervermeidung zu einer deutlichen Kostenreduzierung führen, zum anderen eine hohe Kundenzufriedenheit und damit verbesserte Absatzchancen für Produkte bzw. Dienstleistungen mit sich bringen und zum dritten den Beschäftigten mehr Verantwortung übertragen soll und somit zugleich die Mitarbeiterzufriedenheit steigert. Eine Großbank weist in der Hauszeitschrift die Beschäftigten darauf hin, daß ein „tiefgreifender Wandel im Qualitätsbewußtsein“ bei allen Organisationsmitgliedern ansteht, das durch „ständiges Training“ sichergestellt werden muß (Dudziak).

Heinrich Bücker-Gärtner
Rationalität

Wer heutzutage von sich behauptet, rational zu denken und zu handeln, scheint gegenüber allen anderen, die dies nicht tun, einen nicht unbeträchtlichen Argumentationsvorsprung zu haben. Mit den Argumenten desjenigen, dem man Irrationalität nachsagen kann, muß man sich nicht ernsthaft auseinandersetzen — wobei der Begriff „Argumente“ in diesem Zusammenhang offenkundig schon völlig fehl am Platze ist. Irrationalität stigmatisiert und ist im günstigsten Fall etwas, das als verschroben ignoriert, und im ungünstigsten Fall etwas, das als bedrohlich empfunden wird. Das Problem, das wir jedoch haben, ist, daß es offensichtlich niemanden gibt, der von sich selbst ernsthaft behauptete, er argumentiere oder handle irrational. Wenn sich alle dem Ziel der Rationalität verpflichtet fühlen, müssen wir fragen, woran dies liegt.

Manfred Röber
Reform

Reform als Prozeß planmäßiger Umgestaltung ist primär eine Maßnahme makropolitischer Natur, die Organisation und Ablaufstrukturen einer Einrichtung abstrakt betrachtet, d.h. sich mit „Dingen“ (Zielen, Strukturen, Verfahrensabläufen, materiellen Ressourcen usw.) beschäftigt. Ausgehend von einem als optimiert gedachten Modell hat in einem weiteren Schritt die Umsetzung — dies jedoch notwendigerweise in einem personalen Kontext — zu erfolgen. Dieser personale Zusammenhang beinhaltet zwei Dimensionen. Zum einen muß berücksichtigt werden, daß das vorhandene Personal mit seinen Stärken und Schwächen in Kompetenz und Qualifikation auch in dem neuen Modell seinen Platz haben muß — es ist nicht einfach beliebig austauschbar. Die konkret agierenden Personen müssen also objektiv befähigt sein, auch unter veränderten Bedingungen zieladäquat zu arbeiten. Zum anderen kann der Prozeß der Reform nur erfolgreich realisiert werden, wenn er akzeptiert wird und die → Motivation vorhanden ist, sich den neuen Strukturen und Anforderungen anzupassen.

Werner Teubner
Riten

Riten (oder Rituale) sind Alltagshandlungen, die uns in ihrer Standardisierung und immer gleichen Wiederholung die Auswahlprobleme und das Risiko individueller Handlungs- und Interaktionsformen abnehmen. Sie entlasten und strukturieren den Alltag. Sie geben uns die Sicherheit, einer bestimmten Organisationskultur anzugehören und uns angemessen zu verhalten. Riten sozialisieren und integrieren.

Jochen Schulz zur Wiesch
Rivalität und Konkurrenz

Der Rivale hat den lateinischen Wortursprung rivalis = „der an der Nutzung eines Wasserlaufs mitberechtigte Nachbar“. Eine derartige Rivalität findet sich z.B. in den Auseinandersetzungen um das Wasser des Jordans zwischen Israel und seinen arabisch/palästinensischen Nachbarn. Der Konkurrent hat den lateinischen Wortursprung concurrere = „zusammenlaufen”. Ein solcher „konkurrierender“ Mitbewerber ist z.B. ein Rivale um eine Stellung oder einen Auftrag. Konkurrenz bedeutet allgemein ein rivalisierendes Streben bzw. einen Kampf von Menschen oder Systemen um ein gemeinsames knappes Zielobjekt. Die häufigste und zugleich extremste Erscheinungsform von Rivalität und Konkurrenz ist der Machtkampf, der sich in der Familie, im Beruf und in der Gesellschaft abspielt. Die Machtdynamik in der Familie wird in der Psychologie als das Grundmodell oder Interaktionsmuster aller Machtkämpfe im späteren Leben betrachtet, wobei drei Beziehungskonstellationen unterschieden werden:

Henning Becker
Rolle

Der Begriff der sozialen Rolle — aus der Welt des Theaters entlehnt — gehört zu den wichtigsten Metaphern der Soziologie. Interpretiert man individuelles Verhalten als Rollenverhalten von Inhabern bestimmter sozialer Positionen, so kommen damit weitere Schlüsselbegriffe, wie → Norm, → Sanktion, Kontrolle und → Konflikt ins Spiel. Dahrendorfs Konzept des „homo sociologicus“ als ein von Erwartungen gesteuertes, auf Vermeidung negativer Sanktionen und Erzielung positiver Sanktionen gerichtetes Rollenverhalten hat eine heftige Kontroverse ausgelöst, in der es auch um das Menschenbild in der Soziologie ging. Ist Rollenhandeln nur als Vollzug äußerer Erwartungen und damit als eine Art schicksalhafter Freiheitsverlust oder als Ausloten und Gestalten von Spielräumen in Interaktionsprozessen, also als Sozialisation zu beschreiben?

Jochen Schulz zur Wiesch
Rolltreppeneffekt

„Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.“ Tucholsky deutet mit dieser kleinen Charakterkunde an, was sich hinter der Satire als einer Form der literarischen Darstellung eigentlich verbirgt: die Empörung über den Verlust der Werte, die Empörung über die in Wichtigtuerei und Hoffart gekleidete → Dummheit und Borniertheit. Insofern hat Satire immer eine aggressive Seite, hat etwas zu tun mit dem Angriff auf bestehende Strukturen und Mechanismen, wie sie sich um uns — besser: um den Satiriker — herum dem moralischen Auge aufdrängen.

Heike Hunholtz
Sanktion und Strafe

Sanktionen sind Reaktionen auf eine Verletzung von Verhaltensregeln oder eine Mißachtung von Verhaltenserwartungen. Sanktionen haben für die davon Betroffenen den Charakter von negativen Zwangsmaßnahmen. Sie reichen von Auslachen und Ermahnen über den Entzug von Privilegien und die Beschneidung von Rechten bis hin zur sozialen Ächtung und Vernichtung. Eine positive Sanktion ist demgegenüber die → Belohnung erwünschten Verhaltens. Im Vordergrund steht hier die Verhaltenssteuerung, wobei negative und positive Sanktionen als teilweise austauschbare und grundsätzlich komplementäre Mittel zu sehen sind. Die Strafe als spezifische Form der Sanktion ist eine organisierte und äußerlich ansetzende Zwangsmaßnahme, die in dem planvollen, gezielten Zufügen von Übel besteht.

Claudius Ohder
Scheinheiligkeit

In mindestens vierfacher Hinsicht ist in der Logik der Mikropolitik in Organisationen nahe- und angelegt, daß sich Akteure dessen bedienen, was der gesunde Menschenverstand ansonsten als Scheinheiligkeit verabscheut:

Günther Ortmann
Schmoozing

Schmoozing ist diejenige Beschäftigung während der Arbeitszeit (= Anwesenheitszeit im Betrieb), die völlig unproduktiv in dem Sinne ist, daß sie keine Produkte hervorbringt oder in unmittelbarem Zusammenhang mit deren Hervorbringung steht, die aber dennoch betrieblich relevant und also nicht im strengen Sinne privater Natur ist: Man schlendert über den Flur, trifft Kolleginnen und Kollegen, redet über alte Geschichten und neue → Gerüchte, verabredet sich in der Kantine, ruft in anderen Büros an, läßt sich zu → Feiern aller Art einladen, bittet den Boten, wichtige Neuigkeiten in Erfahrung zu bringen, und hält überall small talk, klatscht, tratscht, bespricht, berichtet, horcht, erfährt, trägt Erfahrenes von Zimmer zu Zimmer, funkt Flurfunk weiter und verbreitet selbst neueste Nachrichten, mit oder ohne den meist wenig schützenden Deckmantel der Verschwiegenheit.

Peter Heinrich
Schuldigmachen

Zu den individuellen Voraussetzungen einer an rationalen Prinzipien orientierten Ausübung der Berufsrolle gehört die persönliche Integrität der Akteure. Wer „Dreck am Stecken“ oder „Flecken auf seiner Weste“ hat, ist darauf angewiesen, diesen Sachverhalt konsequent zu verheimlichen. Wem dies nicht gelingt, der wird von denjenigen abhängig, steuerbar, erpressbar etc., die über das jeweilige Fehlverhalten (Verletzung von Rechtsnormen, Verstöße gegen kulturelle und sittliche Erwartungen, Leistungsversagen, Übertreten betriebsinterner → Normen) informiert sind.

Peter Heinrich
Schweigen

Schweigen wird wenig geübt. Die Geschichte der Bildungs-, Lehr- und Lerninstitutionen des Abendlandes ist durch Jahrhunderte identisch mit der Geschichte, der Entwicklung und dem Verfall einer Disziplin, eines Faches: der Rhetorik. Ausbildung, Lernen ist: reden und Reden lernen. Die → Sprache ist das Instrument der sozialen Einordnung. Der Mensch ist das Tier, das spricht. Aus den indianischen Mythen wissen wir aber (seit uns Claude Lévi-Strauss darauf aufmerksam gemacht hat), daß das Reden, Wörter und Worte machen, das Unglück des Menschen ist, weil es ihn von den anderen Bewohnern der Erde trennt. Danach wäre das Schweigen das wesentliche Reden. Dieser Aspekt des Themas geht jedoch aus anderen als mikropolitischen Ansätzen hervor. Während sich kulturgeschichtliche, soziologische, sogar ethnologische Standpunkte neuerdings die Technik des Schweigens wieder zum Thema machen, wie es in früheren Zeiten schon geschehen war, aber wieder vergessen worden ist, hebt der mikropolitische Blick auf das Phänomen den umgekehrten kulturellen (und politischen) Effekt hervor. Er läßt sich — mit einiger Verkürzung — betiteln als: Das Reden als Schweigen.

Diether Huhn
Schwejkismus

Dieses Stichwort betritt mikropolitisches Neuland. Obwohl die Figur des von Jaroslav Hâsek geschaffenen rheumatischen böhmischen Hundefängers und „Krüppel-Patrioten“ Josef Schwejk in die Weltliteratur eingegangen ist, taucht sie bisher in der mikropolitischen Literatur nicht auf. Der „brave Soldat“ Schwejk versucht, als Teil der k.u.k Armee den Ersten Weltkrieg zu überleben, um sich „nachm Krieg um halb sieben“ mit seinem Freund Woditschka beim Großpopowitzer Bier im Prager Gasthof Kelch zu treffen. Welcher Leser des Hâsekschen Buches und Beobachter bürokratischer Großorganisationen wollte leugnen, daß man diesem Überlebenskünstler — der auch weiblichen Geschlechts sein kann — als Typus auch heute noch gar nicht so selten begegnet?

Detlef Bischoff
Scientific Community

Die organisationssoziologische Forschung hat sich intensiv der Situation von Experten in bürokratischen Organisationen gewidmet und dabei immer wieder die Konflikte herausgestellt, wenn Experten, die sich ihrer (in der Regel akademischen) Fachgemeinschaft und den dort entwickelten fachlichen Standards verpflichtet fühlen, bürokratischer Kontrolle unterworfen werden. Dabei wird implizit unterstellt, daß alle Experten, die in Betrieben und Verwaltungen arbeiten, in eine solche Konfliktsituation geraten. Mitunter entstehen aber für Experten Konfliktsituationen, die sich erst nach einer differenzierten Analyse als eine Variante des klassischen Konflikts eines Professionals in seiner Arbeitsorganisation herausstellt.

Heinrich Bücker-Gärtner
Seilschaft

Daß eine formale Organisation ohne den Unterbau informeller Beziehungen und Verhaltensweisen nicht gut funktionieren kann, gehört zum soziologischen Grundwissen. Jede Verwaltung kann durch „Dienst nach Vorschrift“ lahmgelegt oder zumindest in ihrer Effizienz drastisch eingeschränkt werden. Verwaltungsleitungen und Kunden bzw. Antragsteller müssen also darauf hoffen, daß die Beamten oder Angestellten nicht nur als Bürokraten miteinander umgehen, sondern daß sie auch auf dem „kurzen Dienstweg” am Telefon oder beim Mittagessen einiges regeln, um Entscheidungszeiten zu verkürzen — gleichzeitig müssen sie solche informellen Absprachen aber auch fürchten, denn sie sind unkalkulierbar, nicht nachvollziehbar und daher auch nicht kontrollierbar. Rechtsförmigkeit und Formalismus einerseits, Effizienz und Willkür andererseits wohnen eng beieinander.

Hartmut Häuβermann
Selbstdarstellung

So kann eine stenogrammartig komprimierte verbale Selbstdarstellung aussehen. Aber nicht nur bei Bewerbungen, auch im späteren beruflichen Alltag sind Erfolge unter anderem von der Fähigkeit zu effektiver Selbstdarstellung abhängig. Selbstdarstellung wurde von Barry Schlenker definiert als eine Teilmenge des Konstruktes Eindruckslenkung (→ Impression Management), nämlich als bewußte oder unbewußte Versuche, projizierte Bilder der eigenen Person in realen oder vorgestellten sozialen Interaktionen zu kontrollieren. Über die Vermittlung von Selbstbildern können Handelnde Einfluß darauf nehmen, wie sie von Interaktionspartnern wahrgenommen und behandelt werden.

Astrid Schütz
Selbstwertgefühl

Das Selbstwertgefühl kann als zentraler Aspekt der Persönlichkeit gelten. Die meisten theoretischen Ansätze gehen vom Selbstkonzept als subjektiver Theorie über die eigene Person aus und verstehen das Selbstwertgefühl als die Bewertung dieses Wissens. Der Schutz und die Erhöhung des Selbstwertgefühles kann als grundlegendes menschliches Bedürfnis verstanden werden (vgl. Frey & Benning 1983).

Astrid Schütz
Sexuelle Belästigung

Als 1983 Mitarbeiterinnen eines Bundestagsabgeordneten dessen Übergriffe publik machten („Busengrapscher-Affäre“), war ein Tabu gebrochen: Sexuelle Belästigung wurde zum öffentlichen Problem. Verschiedene daraufhin in Auftrag gegebene Untersuchungen lieferten alarmierende Fakten: Die InfasStudie (Plogstedt & Bode 1984) stellte fest, daß jede vierte Frau sexuell belästigt worden war und daß 7% als Folge dieser Vorfälle ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Die 1990 veröffentlichte Studie des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit stellte eine noch höhere Prävalenz sexueller Belästigung fest. Vermutlich war durch die öffentliche Diskussion mittlerweile eine höhere Sensibilität geschaffen worden, so daß eine größere Zahl entsprechender Übergriffe als sexuelle Belästigung definiert wurde. In der Studie wurde notiert, daß 72% der Frauen am Arbeitsplatz Erlebnisse hatten, die relativ übereinstimmend als sexuell belästigend interpretiert werden. 56% waren mit anzüglichen Bemerkungen über Figur oder sexuelles Verhalten im Privatleben, 34% mit Pokneifen oder Klapsen, 12% mit Aufforderung zu sexuellem Verkehr, 5% mit Androhung beruflicher Nachteile bei sexueller Verweigerung und 3% mit Erzwingen sexueller Handlungen konfrontiert worden. Ereignisse, die nicht einheitlich als sexuelle Belästigung gewertet werden, wie taxierende Blicke oder anzügliche → Witze, betrafen sogar über 80% der Frauen.

Astrid Schütz
Spiel

Die Spiele-Metapher ist von Crozier & Friedberg (1979) in die Organisationstheorie eingeführt worden. Im Spielkonzept suchten sie die Verbindung und Vermittlung von zwei Groß-Paradigmen der Sozialtheorie: Voluntarismus und Determinismus, Entscheidung und Rolle, homo oeconomicus und homo sociologicus, Freiheit und Zwang. Spiele führen eine eigenartige Zwischenexistenz: sie haben Regeln, leben aber von Intuition und Improvisation; sie haben ein klares Ziel, das aber auf recht verschlungenen Wegen erreicht werden kann; man spielt miteinander, aber jeder möchte gewinnen; es soll fair zugehen, aber man darf täuschen, → bluffen, Vorteile nutzen...

Oswald Neuberger
Sprache

Sprache gilt gemeinhin als ein Instrument, das im Rahmen einer Kommunikation durch interpersonelle Übertragung von Informationen der gegenseitigen Verständigung dient und durch ein kompliziertes grammatisches und soziales Regelwerk gesteuert wird. Diese funktionale Betrachtung von Sprache findet ihre Entsprechung in den vielfältigen schriftlichen oder mündlichen Sprechakten bzw. Textarten, denen im formalen Organisationsgeschehen konkrete Aufgaben zugewiesen sind. Das beginnt bei der Arbeits- oder Dienstanweisung, die den Arbeitnehmern möglichst eindeutige Vorgaben für ihre beruflichen Pflichten erteilt, oder dem → Formular, das einen Arbeitsprozeß inhaltlich und prozessual reguliert, zeigt deutliche Wirkung bei den ergebnissichernden Textarten wie Protokollen, Vermerken oder vertraglichen Vereinbarungen, die meist namentlich gekennzeichnet oder paraphiert und ggf. als korrekt anerkannt („genehmigt“) werden, und findet seine klarste Ausdrucksform in den schriftlichen Fixierungen geltender Normen als Gesetze, Verordnungen, Richtlinien etc., deren Gültigkeit für die Gesellschaft als ganze oder für das Zusammenwirken innerhalb der jeweils normgebenden Organisation durch die Paragraphierung augenscheinlich und einklagbar wird. Sprache ist hier leicht als rationales Instrument der Ermöglichung und Regelung der Kooperation und damit als Konstituens für Organisation schlechthin zu erkennen.

Peter Heinrich
Statussymbol

So lange es in menschlichen Gesellschaften soziale Ungleichheit im Sinne der gestaffelten Akkumulation von → Macht und Ressourcen gibt, so lange wird die Zugehörigkeit zu den höheren und höchsten Positionen der vertikalen Statushierarchie durch sichtbare Symbole augenscheinlich gemacht. Die klassischen Insignien der Macht wie Thron, Krone, Apfel und Zepter, Ring, prächtiges Gewand etc. mögen weithin zu historischen Relikten einer feudalistischen Gesellschaftsordnung erstarrt sein (und gleichwohl Heere an Betrachtern in die Museen locken). Ihre Entsprechung im betrieblichen Alltag von gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen aller Art sind gleichwohl ebenso ubiquitär wie vielfältig und oft durch große Sanktionsmacht gesichert. Was jemandem zusteht, was sie oder er darf, was man als herausgehobenes Organisationsmitglied erwarten kann, das alles ist nur bedingt persönlicher Willkür oder individuellem Geschmack und Belieben überlassen.

Peter Heinrich
Störung

Das Strukturideal von Organisationen ist — nach Max Weber — eine Maschine. Störungen sind hier unerwünscht. Mikropolitisches Handeln ist aber geradezu dadurch definiert, die harte Segmentarität sozialer Organisationen zu stören. Genauere Analysen zeigen, daß derartige Störungen nicht bloß unvermeidbar, sondern auch unerläßlich sind: Jedes funktionsfähige soziale System ist „von einem geschmeidigen Gewebe durchzogen, ohne das die harten Segmente nicht halten würden“ (Deleuze & Guattari). Die Einsicht in die Schmierfunktion des Gewebes, das die Mikropolitik ist, zwingt zu einer positiveren Einschätzung von Störungen.

Daniel Tyradellis
Subjekt

Beschreibungen u.ä. werden als subjektiv bzw. objektiv gekennzeichnet und folgen den Überlegungen zu Subjekt und Objekt. Darüber sind ganze philosophische Bibliotheken geschrieben worden, und es wäre mehr als vermessen, im Rahmen von Stichworten zur Mikropolitik dazu etwas Neues und Geniales äußern zu wollen. Dieses Gegensatzpaar — oft auch nur einer der Begriffe — wird zugleich in der Alltagssprache relativ unreflektiert benutzt, um die (vermeintliche) Zuverlässigkeit einer Situation zu kennzeichnen. Wenn mensch einer solchen Bezeichnung nachgeht, kann sowohl die Analyse der jeweiligen Organisation angereichert wie auch die Fähigkeit von Personen, die gemeinten Bedeutungen nachzuvollziehen und mit diesen umzugehen, transparenter werden. Schlichter ist es, zwischen subjektivem und objektivem Abfallbegriff, schwieriger ist es, zwischen subjektivem und objektivem Klasseninteresse zu unterscheiden.

Karl-Heinrich Büchner
Sündenbock

Soziale Gruppen verfügen sowohl über interne Strukturen, Funktionen und kommunikative Verflechtungen, als auch über besondere äußere Beziehungen zu anderen Gruppen. Der Sündenbock nimmt im Innen- wie im Außenverhältnis eine gewichtige, tiefgründige Funktion in der Psychodynamik von Gruppen ein. Egal ob Schulklasse, Therapiegruppe, Sportverein, Arbeitsteam oder Bundeskabinett, der Sündenbock fungiert als Projektionsfläche für die inneren Konflikte und Probleme sozialer Gruppen, er dient als Blitzableiter und trägt so zur Reduktion von Spannungen bei. Indem der Sündenbock für die Gruppenkonflikte verantwortlich gemacht wird, fördert er den Zusammenhalt, die soziale Kohäsion der Gruppe in ganz entscheidender Weise, denn nichts vereint eine Gruppe so sehr wie ein gemeinsamer „Feind“.

Erwin Seyfried
Systementwicklung

In den letzten Jahrzehnten gab es etliche Versuche, sehr unterschiedliche Phänomene der Natur- und Geisteswissenschaften mit Hilfe des Systembegriffs zu beschreiben. Der Begriff des „Systems“ wird dabei jeweils aus einem speziellen Forschungsgebiet hergeleitet. Dennoch weisen die Begriffsdefinitionen über die Wissenschaftsgebiete hinweg überraschend große Ähnlichkeiten auf.

Gert Fieguth, Hansjürgen Wilde
Tarnkappen-Effekt

Haben wir uns nicht alle schon einmal gefragt, warum bestimmte Leute bei Belobigungen und → Beförderungen anscheinend immer wieder „übersehen“ werden, während andere stets vorne stehen, wenn es darum geht, Lorbeeren in Empfang zu nehmen? Warum geht eine inhaltlich wichtige Bemerkung einer Person in einer Diskussion unter, wird dann aber, nachdem sie von jemandem anders mit Pathos erneut vorgetragen worden ist, als innovativer Vorschlag mit viel Beifall bedacht? In einem persiflierenden Beitrag prägt Marx (1981) für Phänomene dieser Art den Begriff Tarnkappen-Effekt (kurz: T-Effekt). Auch ohne daß extreme Formen und paranormale Effekte postuliert werden, ist es jedoch offensichtlich, daß verschiedene Menschen über unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten verfügen, sich und ihre Fähigkeiten in den Vordergrund zu rücken (→ Selbstdarstellung). Inhaltliche Kompetenz und sorgfältige Erfüllung von Aufgaben sind zwar wichtige Voraussetzungen für öffentliches Ansehen, Anerkennung und beruflichen Aufstieg, dennoch entscheidet oft erst die Art und Weise, wie jemand Ideen und Ergebnisse präsentiert, über Akzeptanz und Bewertung dieser Beiträge.

Astrid Schütz
Tauschbeziehung

Die Interpretation von sozialen Beziehungen als Tauschbeziehungen verbindet die unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Während ein Tauschmodell für Marktbeziehungen die Wirtschaftswissenschaften konstituierte, wurden in Soziologie und Sozialpsychologie z.B. auch die auf Dauer angelegten Interaktionen in Kleingruppen als Austausch zwischen Gruppenmitgliedern gedeutet. In bezug auf solche Interpretationen geht es dann darum, die jeweiligen Tauschobjekte, die den Austausch regulierenden Regelsysteme mit dazugehörigen → Werten, → Normen und → Rollen sowie die Motive, → Interessen und Präferenzen der Tauschagenten bzw. die sozialen Funktionen des Tausches zu differenzieren, um damit möglichst empirisch gehaltvolle Beschreibungen und Erklärungen für die in unterschiedlichen sozialen Kontexten eingebetteten Interaktionen zu gewinnen (z.B. Freundschaftsbeziehungen, Marktbeziehungen, organisationale Beziehungen).

Willi Küpper
Usurpation von Macht

Wer unter mikropolitischem Ansatz die Phänomene analysiert, die unter diesem Stichwort gemeint sein können, dem ist von vorneherein bewußt, daß der Titelbegriff Usurpation nicht einfach die illegale Ausübung von Macht meint, sondern vor allem die unbewußte Illegalität. Ob der Usurpator weiß, daß er ein Usurpator ist, oder ob er sich für den eigentlich Berechtigten hält, oder ob er etwas ganz anderes zu tun meint, als Macht auszuüben: das sind prinzipiell unterschiedliche soziale Verhaltensweisen, wenn sie auch praktisch meist als Mischformen und nicht in idealtypischer Reinheit auftreten. Usurpation von Macht ist ein Phänomen der Praxis. Diese Praxis erweist ihre Eigenart geradezu darin, daß sie die theoretische Durchdringung verhindert oder doch unter ganz andere, dem potentiellen Praktiker der Usurpation nur schwer erreichbare Stichwörter verdrängt. Unter allgemein staatsrechtlichem, auch politologischem Ansatz ließe sich die Staatspraxis überhaupt, gleichgültig in welcher Staatsform, als eine Folge von Usurpationsphänomenen beschreiben. Einen bundesrepublikanischen Ausdruck fand diese Beobachtung (z.B.) bei dem leider immer nachhaltiger vom Vergessen ereilten sozialdemokratischen Juristen (und erfolglosen Berliner Senator) Adolf Arndt, als er Verfassung und Verfassungswirklichkeit nicht nur unterschied, sondern in diesem Unterschied eine politische Basistatsache erkannte.

Diether Huhn
Verantwortung

Die Regierungen sind dem Parlament verantwortlich, die Minister für ihren Geschäftsbereich und alle Beamten für die Rechtmäßigkeit ihres Handelns. Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen hat das deutsche Volk (oder war es der Parlamentarische Rat?) diese Regelungen im Grundgesetz verankert. Jeder erwachsene Mensch kann wegen einer strafbaren Handlung zur Verantwortung gezogen und für einen Schadensfall, an dem er beteiligt war, verantwortlich gemacht werden. Ein schwerwiegender Verstoß gegen moralische Normen gilt als unverantwortliches Handeln und der, den dieser Vorwurf trifft, u.U. als ein verantwortungsloser Mensch. In Organisationen soll Verantwortung delegiert, nach betriebswirtschaftlichen Verwaltungsreformkonzepten sollen Fach- und Ressourcenverantwortung dezentral miteinander verbunden werden. Bei Fehlentwicklungen in Organisationen werden die Verantwortlichen gesucht. Die Vorstände können dann die Verantwortung für bestimmte Vorgänge übernehmen oder versuchen, sie auf andere abzuschieben, vielleicht auch nachzuweisen, daß niemand verantwortlich gemacht werden kann. Verantwortung ist ein Elementarbegriff des Rechts, der Ethik und der Politik; ein Organisations-, Moral- und Kampfbegriff.

Albrecht Dehnhard
Verborgene Ziele

Mikropolitisches Agieren verfolgt per definitionem bestimmte individuelle Interessen und Zielsetzungen, ist darunter doch die Bemühung zu verstehen, „die systemeigenen materiellen und menschlichen Ressourcen zur Erreichung persönlicher Ziele, insbesondere des Aufstiegs im System selbst und in anderen Systemen, zu verwenden sowie zur Sicherung und Verbesserung der eigenen Existenzbedingungen“ (Bosetzky 1972). Der Mikropolitik ist dabei immanent, die Ziele des eigenen Tuns nicht offenzulegen. Statt dessen muß man seine Ziele verborgen halten, erfolgreicher als Schiller seinen Damon mit dem „Dolch im Gewande“ zu Dionys, dem Tyrannen, schleichen ließ — will man nicht gleich von den „Häschern in Bande“ geschlagen werden.

Stefan Engelniederhammer
Vertrauen

Vertrauen heißt, sich dem unmittelbar bevorstehenden oder in naher oder weiterer Zukunft erwarteten „richtigen Handeln“ eines anderen Menschen auszusetzen. Wer vertraut, macht sich abhängig von dem, auf den sich sein Vertrauen richtet, begibt sich in seine Obhut, läßt sich auf ein gewisses Maß an Ungewißheit und Risiko hinsichtlich seiner späteren Wohlfahrt ein. „Richtiges“ Handeln i.S. des Vertrauenden liegt vor, wenn es den eigenen Erwartungen entspricht. Richtig kann daher heißen: dem eigenen Nutzen dienend, dem Gemeinnutzen dienend, fair, effektiv, kompetent, rational, berechenbar — je nachdem eben, worauf sich jemand verlassen will. Das Sich-Aussetzen muß die Chance eines Gewinnens öffnen. „Vertrauen ist die Erwartung einer zukünftigen Befriedigung, die zum Motiv für eigenes, sich festlegendes Verhalten wird“ (Luhmann).

Peter Heinrich
Vorgesetztenbeurteilung

Die (mikro-)politische Dimension kommt bereits in dem Begriff „Vorgesetztenbeurteilung“ zum Ausdruck, d.h. Vorgesetzte und nicht Unterstellte werden beurteilt — eine Umkehrung der Machtverhältnisse? Nicht zuletzt, um entsprechende Assoziationen mit den „mächtigen“ → Personalbeurteilungen von vornherein zu vermeiden, spricht man in der Praxis lieber vom „Vorgesetztenfeedback“ oder „Führungsfeedback“.

Ingela Jöns
Wechselseitigkeit

Seit Menschen miteinander leben und arbeiten, gibt es die universelle, interkulturell gültige Norm der Wechselseitigkeit (Gegenseitigkeit, Reziprozität): nämlich als gleichgewichtiger Austausch von Gefühlen, Wohltaten, Gütern, Dienstleistungen, Geld, Informationen. Das Prinzip der Wechselseitigkeit gilt nur für gleichgewichtiges Geben und Nehmen, denn es soll die ausgleichende → Gerechtigkeit gewährleisten. Das setzt voraus, daß beide Seiten über gleichwertige (wenn auch nicht notwendig gleichartige) Möglichkeiten des Gebens verfügen. Das Prinzip der Wechselseitigkeit versagt daher weitgehend bei ökonomisch und/oder sozial Schwachen (Alte, Kranke, Behinderte, Unterprivilegierte), die i.a. keine oder nur unzureichende Gegenleistungen erbringen können.

Wolfgang Grunwald
Wegloben

Es gibt in Organisationen gelegentlich so etwas wie eine „Schwarzer-Peter-Situation“: Eine Arbeitsgruppe hat ein Mitglied, dessen Qualifikation, Leistungsbereitschaft und/oder Sozialverhalten nicht nur zu wünschen übrig läßt, sondern miserabel ist. So jemand stört die Gruppenleistung, verdirbt Produktivitätsziffern und Images, beeinträchtigt das Arbeitsklima. Man würde ihn oder sie am liebsten schnell loswerden. Man beginnt, mit entsprechenden „Zaunpfählen zu winken“, schafft soziale Isolation, macht auf offene Stellen aufmerksam, verhält sich fast schon nach Art des → Mobbing und stresst das Opfer bis zur Grenze der → Zumutbarkeit — oft ohne Glück: Sie oder er bleibt. Aber selbst, wenn es dem ungeliebten Mitglied „zuviel wird“, wenn es sich selbst um einen Wechsel in eine andere Abteilung, ein anderes Amt, ja einen anderen Betrieb bemüht, ist das Problem noch keineswegs gelöst.

Heike Hunholtz
Werte und Wert(e)wandel

Sozialwissenschaftler unterschiedlicher Richtungen definieren soziale Werte als allgemeine Zielvorstellungen oder Sinngebungen für das Zusammenleben der Menschen. Je nach der ideologischen Ausrichtung entwickelt sich in einer Gesellschaft überwiegend eine einheitlich geltende Werteskala oder aber es bilden sich eine Vielzahl auch miteinander konkurrierender Werte zwischen den oder innerhalb der Schichten heraus. Werte werden in allen Sozialisationsstufen vermittelt und mit unterschiedlicher Intensität verinnerlicht. Milton Rokeach unterscheidet in seinem 1973 veröffentlichten Buch „The Nature of Human Values“ eine Hierarchie von abstrakten, den Sinn des Lebens erfassenden, und konkreten, im Alltagsleben gültigen und den Normen unterliegenden Werten: die Terminal- (auch Ideal-, oder Grund-)Werte beinhalten noch zu operationalisierende Zielvorstellungen wie Freiheit, → Gerechtigkeit, Menschlichkeit etc., die instrumentellen Werte dienen als Leitlinie zur Verwirklichung der Terminalwerte, wie etwa Moralvorstellungen oder bevorzugte Charaktereigenschaften wie tolerant, hilfreich, verantwortungsbewußt sein. Instrumentelle Werte können auch zu „Wertschätzungen“ werden, wie sie etwa in der aktuellen Politik mit dem Umweltschutz, der Arbeitsplatzbeschaffung, Familienunterstützung o.ä. auftreten. Werden Terminalwerte aneinandergereiht, wird der jeweils vorangehende Wert zum instrumentellen Wert umdefiniert (beispielsweise: Gleichheit führt zu Freiheit). Eine reale Situation aktiviert mehrere Werte.

Irmela Gorges
Wissen

„Wissen ist Macht“— diese mittlerweile sprichwörtliche Behauptung deutet bereits auf den mikropolitischen Gehalt hin. Wissen ist eine Ressource, ebenso wie Güter, Geld, Dienstleistungen und Liebe. Ressourcen verleihen einem Menschen Macht über andere, wenn diese die Ressourcen benötigen und sie nicht von Dritten bekommen können (Emerson 1962). Ein Beispiel: Der Betriebsratsvorsitzende, der Mitglied im Aufsichtsrat ist und daher Kenntnisse über geplante Veränderungen des Betriebes hat, verfügt über wichtige Ressourcen, die er in seinem Interesse (oder für das der Arbeitnehmer) nutzen kann, sofern der Werksleiter schlecht informiert ist, diese Informationen aber für wichtig hält. Wissen, das andere nicht interessiert bzw. das nicht „exklusiv“ von einer oder wenigen Personen kontrolliert wird, ist demnach (mikropolitisch) nichts wert. Kluge Mikropolitikerinnen und -politiker wekken und bestärken daher Interesse für das Wissen, das sie besitzen, und halten es zugleich knapp. Hilfreich ist, für einen „Experten“ gehalten zu werden. Als Experte gilt man aufgrund formaler, attestierter Qualifikationen (z.B. der Arbeitsmediziner oder die Architektin), aber auch aufgrund von Kenntnissen, die man durch Erfahrung erworben und wiederholt gezeigt hat (z.B. der Auszubildende, der seinen älteren Kollegen öfters bei Problemen der Computernutzung helfen konnte). Ein großer Teil des Expertenwissens ist prinzipiell für andere zugänglich und überprüfbar — man kann die entsprechenden Lehrbücher lesen, eine Ausbildung absolvieren.

Werner Nienhüser
Witz

Das Wort Witz kann auf eine über 1000 Jahre lange und wechselvolle Vergangenheit zurückblicken: Es bezeichnete nacheinander Weisheit, Denkvermögen, Verstand, Esprit, Scharfsinn, Schlagfertigkeit. Erst zur Goethe-Zeit machte die Bedeutung von Witz als kognitive Qualität und Fähigkeit dem Verständnis von Witz als Erzählform Platz: Witz ist ein kurzes Wort-Spiel, in dem sich Aha- und Haha-Effekt verbinden. Witze sind Mikro-Mitteilungen, die Hörer- oder Leserinnen zunächst auf eine falsche Fährte locken, um in der Pointe eine blitzartige Wendung zu bieten, die dem Ganzen einen völlig anderen Sinn gibt: „Wie lange dauert es, bis man hier Vorstand wird?“ „Ehrlich währt am längsten!“

Oswald Neuberger
Zeit als Argument

Der Titel dieses Beitrages könnte auch einfach heißen: Zeit; oder: die Zeit als mikropolitisches Werkzeug. Ich schlage für das vorzustellende Phänomen zusätzlich den Namen: Stolpe-Effekt vor, weil die Gestalt des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) zugleich ein brauchbares Beispiel der mikropolitischen Erscheinung bietet. Dieser Politiker verdankt seine Popularität bei den einen und seine Zweifelhaftigkeit bei den anderen einunddemselben Denkvorgang; ich nenne ihn: das „Argument Zeit“. Es lautet in seiner häufigsten Alltagsumschreibung: „Es ist doch schon so lange her; einmal muß doch Schluß sein!” Seinen mikropolitischen Höhepunkt fand dieses Argument Zeit für mich bei dem fast schon vergessenen sächsischen Fußballspieler Thomas Ganzow, einem jungen Mann also, über dessen eben enthüllte Stasi-Vergangenheit ein Dresdner Stadionbesucher den TV-Millionen bereits am Tage nach der Enthüllung sagte: „Er ist ein guter Fußballspieler; einmal muß doch Schluß sein!“ Das Argument Zeit dient also paradoxer Weise dazu, um Zeit (nämlich Vergangenheit) der Aufmerksamkeit der Zeit (nämlich der Gegenwart) zu entziehen. Am Idealtyp Manfred Stolpe zeigt sich nun jene Besonderheit, welche berechtigt, das beobachtete Phänomen mit seinem Namen zu belegen. Bei ihm hat das Argument Zeit dazu geführt, daß alle Welt von ihm weiß: Er ist ein Ehrenmann oder auch nicht. Diese Doppeldeutigkeit seiner Erscheinung ist die Grundlage seiner politischen Erfolge (oder überhaupt der eigentliche Inhalt dessen, was man seinen „Erfolg” nennen kann). Die Vorwürfe, die ihm die einen wegen ihrer Kenntnisse oder Vermutungen über seine Vergangenheit machen, sind zugleich die Gründe für seine Popularität bei denen, die ähnliche Vorwürfe gegen sich selbst möglich finden oder die die Vorwürfe meinen, auf ein Gruppenverhalten zurückführen zu müssen, das sie ablehnen. Der Ministerpräsident muß daher darauf bedacht sein, seine Vergangenheit nicht nur dann im Unklaren zu lassen, wenn er etwas zu verbergen hat, sondern gerade auch dann, wenn das nicht der Fall ist. Der soziale Erfolg tritt nicht trotz, sondern wegen Unterlassung der Vergangenheitserforschung ein. Das könnte man als Jurist als eine doppelte Umkehrung der Rechtsfigur der Verjährung beschreiben.

Diether Huhn
Zeitgeist

Georg Orwells „1984“ war, als es geschrieben wurde, eine pessimistische Vorschau in eine düstere Zukunft. Seine Zukunftsvision warnte uns rechtzeitig vor einer Perfektionierung der Kontrolle des Menschen, die sich katastrophal auf Freiheit, Würde, → Selbstwertgefühl und Entfaltungsmöglichkeiten auswirken würde. Mikropolitiker haben ihr Handwerkszeug aus Orwells „1984“ gelernt. Vor allem Informationen über Personen sammeln sie, man kann ja nie wissen, wozu diese mal gut sein könnten.

Alfred Gebert
Zitierkartell

Einfache Form eines sozialen → Netzwerkes oder einer lockeren → Seilschaft, die dadurch entsteht, daß sich mehrere AutorInnen in ihren Veröffentlichungen gegenseitig zitieren. Der wahrgenommene Nutzen der Zitierungen liegt in der Befriedigung der persönlichen Eitelkeit, in der erwarteten Imageverbesserung (Bekanntheit, → Selbstdarstellung) sowie in der erhofften Steigerung der Bewerbungsqualifikationen. Analoge Kartelle gibt es in Organisationen z.B. bei der Benennung von potentiellen Bewerbern für Stellenbesetzungen, von geeigneten Referenten für Tagungen, Mitgliedern in Beiräten, von Gutachtern etc.

Heike Hunholtz
Zumutbarkeit

Anforderungen, die im Zusammenhang mit der Übertragung von Aufgaben an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestellt werden, haben immer auch den Charakter mehr oder wenig großer Belastungen. Sie sind Eingriffe in das komplexe Gefüge der individuellen Potenzen und Lebensentwürfe. Diese können sie im positiven wie im negativen Sinne beeinflussen: Sie können der Weiterentwicklung und positiven → Selbstdarstellung und damit ggf. der eigenen → Karriere dienen, aber auch hemmende Einschränkungen, ja → Kränkungen bewirken.

Peter Heinrich
Zuständigkeit

Zuständigkeit (auch: Kompetenz, Geschäftsbereich) bezeichnet die Zuordnung eines Aufgabenkomplexes zu einem Akteur (einer Einzelperson oder einer organisatorischen Einheit).

Albrecht Dehnhard
Backmatter
Metadaten
Titel
Wörterbuch der Mikropolitik
herausgegeben von
Prof. Dr. Peter Heinrich
Prof. Dr. Jochen Schulz zur Wiesch
Copyright-Jahr
1998
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-663-11890-9
Print ISBN
978-3-8100-2013-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-663-11890-9