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2017 | Buch

Handbuch Friedensethik

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Über dieses Buch

Dieses Handbuch bietet eine umfassende, systematische Übersicht zu zentralen Aspekten der Friedensethik, einen interdisziplinären Zugang zum Stand der Forschung sowie zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Debatten. Es versammelt einerseits zahlreiche Beiträge zur Ideengeschichte und zu den theoretischen Grundlagen der Friedensethik. Andererseits suchen Expertinnen und Experten aus den relevanten Fachgebieten eine realitäts- und problembewusste Auseinandersetzung mit den Herausforderungen unserer konfliktbeladenen Gegenwart und nehmen dabei die Spannungen zwischen normativer und erklärender Theorie sowie zwischen Theorie und lebensweltlicher Erfahrung in den Blick. Somit ist dieses Buch ein unentbehrlicher Helfer sowohl in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre als auch in der Politik und der zivilgesellschaftlichen und kirchlichen Friedensarbeit.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einführung in das Handbuch

Frieden „als Sehnsucht, Hoffnung, Traum oder Verheißung“ gehört zu den „ältesten Ideen der Menschheit“ (Picht 1971, S. 13). Er gilt als hohes, wenn nicht sogar höchstes Gut. Gleichzeitig sind Krieg und Gewalt omnipräsent. Sie sind zudem in einem steten Wandel begriffen. So haben sich in den letzten Jahrzehnten die Formen militärischer Gewaltanwendung und friedenspolitischen Herausforderungen vehement verändert, womit sich auch die Schwerpunkte friedensethischer Debatten verlagerten.

Ines-Jacqueline Werkner
Zur perspektivischen Vororientierung friedensethischer Reflexion

Die Themen des Handbuches sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedenster Provenienz anvertraut. Sie verorten ihren Kompetenzschwerpunkt in verschiedenen Fachdisziplinen, in verschiedenen Theorie- und Methodenfamilien; sie verknüpfen Norm- und Sachwissen in entsprechend unterschiedlicher Art und Weise – und verdeutlichen gerade dadurch die Komplexität ihres Gegenstandes bzw. der ihn konstituierenden Erkenntnisprozesse wie auch die Unerreichbarkeit endgültiger Urteile.

Klaus Ebeling

Verständigung über Grundbegriffe

Frontmatter
Zum Friedensbegriff in der Friedensforschung

Seit ihrem Bestehen diskutiert die Friedensforschung über ihren Untersuchungsgegenstand. Bis heute ist der Friedensbegriff kontrovers. Die vom norwegischen Friedensforscher Johan Galtung eingeführte Unterscheidung zwischen negativem und positivem Frieden als Abwesenheit von direkter bzw. struktureller Gewalt prägt zwar bis heute maßgeblich den – normativ kodierten – friedenswissenschaftlichen Diskurs, erweist sich aber auch als äußerst umstritten. Dabei stellen sich drei zentrale Fragen an den Friedensbegriff: Ist Frieden mehr als die Abwesenheit von Krieg? Ist Frieden eine Utopie? Ist Frieden teilbar oder nur als Weltfriede vorstellbar?

Ines-Jacqueline Werkner
Dimensionen des Friedens

Sich modernisierende bzw. moderne Gesellschaften unterliegen einem ständigen Strukturwandel. Die in ihnen und zwischen ihnen vorfindbare Pluralität von Interessen und Identitäten sowie die daraus entstehenden politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Konflikte erfordern eine friedenspolitisch motivierte Problembewältigung in vierfacher Hinsicht: Schutz vor Gewalt, Schutz der Freiheit, Schutz vor Not, Schutz kultureller Vielfalt.

Dieter Senghaas, Eva Senghaas-Knobloch
Frieden und Sicherheit

Bei Frieden und Sicherheit handelt es sich um differente Kategorien. Frieden ist ein sozialer, Sicherheit ein asozialer Begriff. Frieden setzt den Akteuren bei der Verfolgung ihrer Anliegen immanent Schranken, Sicherheit nicht. Dennoch bestehen bescheidene Möglichkeiten einer kategorialen Konvergenz. Sie finden sich in Konzepten gemeinsamer, kooperativer und kollektiver Sicherheit. Dennoch gebührt aus ethischer Perspektive dem Frieden der Vorzug. Er ist weniger regressanfällig.

Sabine Jaberg
Frieden in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen

Die Arbeit am Frieden bewegt sich im Spannungsfeld von Macht, Herrschaft, Technologie, Recht, Moral und Religion. Der Beitrag zeichnet daher Entwicklungen des Friedensbegriffs in der Philosophie, der christlichen Theologie, dem Völkerrecht, der Wirtschaftswissenschaft, den Internationalen Beziehungen sowie den Naturwissenschaften nach und stellt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen dar.

Patricia Schneider, Kirstin Bunge, Horst Sebastian, Mayeul Hiéramente, Michael Brzoska, Götz Neuneck
Allgemeine Ethik und praktische Philosophie

Der Beitrag klärt das begriffliche Verhältnis zwischen Moralen, Moralität und Ethik und bestimmt drei Aufgaben ethischer Kritik. Hierauf werden Ebenen der Ethik unterschieden und ebenenspezifische Probleme diskutiert. Im dritten Abschnitt werden zweckrationale Überlegungen von Fragen des guten Lebens unterschieden und zwei Varianten einer eudaimonistischen Ethik skizziert. Der vierte Abschnitt widmet sich der kantianischen Ethiktradition und dem Problem einer Moralbegründung mittels retorsiver Argumente. Der letzte Abschnitt geht auf Bereiche praktischer Philosophie ein und fragt nach dem Verhältnis von Ethik, Gewalt und Krieg.

Konrad Ott
Ethik – Recht – Politik

Immer schon steht das Recht im Spannungsfeld von Ethik und Politik. Weil das Recht die Lebenswirklichkeit in einem Staat maßgeblich beeinflussen kann, fordern sowohl die Politik als auch die Ethik, dass es jeweils ihren Ansprüchen genügt. Der nachfolgende Beitrag skizziert, wie das Verhältnis von Ethik, Recht und Politik gedacht werden kann, indem er folgende aufeinander aufbauende Fragen diskutiert: Müssen rechtliche Normen ethischen Kriterien entsprechen, um als Rechtsnormen zu gelten? Ist es überhaupt denkbar, dass Rechtsnormen ethischen Kriterien entsprechen oder sind sie doch immer nur Ausdruck von (Macht-)Politik? Und sollten wir ethische Forderungen an Rechtsnormen stellen?

Christine Bratu
Individual-, Sozial- und Institutionenethik

Die Unterscheidung von Individual-, Sozial- und Institutionenethik ist nicht extensional im Sinne dreier Bereichsethiken (mit getrennten Gegenstandsbereichen) zu verstehen. Sie bezeichnet vielmehr ontologisch drei Dimensionen unserer ethischen Praxis und epistemisch drei Perspektiven auf menschliches Handeln, die sich in Form des Erhebens und Respektierens von ethischen Geltungsansprüchen manifestieren. Menschliches Handeln weist in unserer ethischen Praxis i.d.R. alle drei Dimensionen auf und ist folglich nur durch das Zusammenspiel dieser drei Momente zu verstehen, die weder aufeinander reduzierbar noch eliminierbar sind.

Thomas Gutmann, Michael Quante
Begründungsansätze und Argumentationsformen

Der Beitrag gibt einen Überblick über allgemeine Typen ethischen Argumentierens. Nach einer kritischen Diskussion anti-theoretischer Zugänge zur Moralphilosophie werden grundlegende Begründungstypen eingeführt: deduktive, induktive und kohärentistische sowie, als Sonderform der letzteren, retorsive. Anschließend werden die einflussreichsten Traditionen moralphilosophischen Denkens, einschließlich zentraler Einwände, skizziert und eine Version der gebräuchlichen Unterscheidung zwischen deontologischen und teleologischen Ethiken vorgestellt.

Micha H. Werner
Die friedensethische Bedeutung der Kategorie Herrschaft

Der Beitrag exploriert die Kategorie Herrschaft für die Friedensethik. Er beleuchtet nach einer begrifflichen Differenzierung die mit Herrschaftsverhältnissen verbundenen machtpolitischen Ungleichheiten und daraus resultierenden Konflikte in ihrer Bedeutung für den inneren und äußeren Frieden. Die zentrale Rolle von Herrschaft für friedensethische Überlegungen ergibt sich aus den mit Herrschaft verbundenen Legitimationen sozialer Ungleichheiten sowie den konfliktiven Forderungen nach stärkerer Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit.

Peter Imbusch
Die friedensethische Bedeutung der Kategorie Recht

Die Regelungen des Friedenssicherungsrechts der UN-Charta wie des humanitären Völkerrechts nehmen Grundimpulse der Friedensethik auf und verarbeiten sie in einem eigenen System positivierter Rechtsnormen, um den Preis einer gewissen Abkoppelung von den Begründungszusammenhängen der Friedensethik. Insgesamt kann man konstatieren, dass die Staatengemeinschaft seit 1945 eine rasante normative Entwicklung durchlaufen hat und dass auf der normativen Ebene wenig an weiterer Entwicklung zu fordern bleibt. In starkem Maße notleidend ist allerdings die institutionell gestützte Umsetzung dieser Normen.

Stefan Oeter
Die friedensethische Bedeutung der Kategorie Gerechtigkeit

Der Begriff der Gerechtigkeit lässt sich in all seinen verschiedenen, einander häufig widerstreitenden Konnotationen auf eine Grundbedeutung von Angemessenheit zurückführen: Gerecht ist, was jeweils angemessen ist. Gerechtigkeit stellt eine friedensethische Leitkategorie dar, was sich beispielsweise schon darin andeutet, dass die friedensethischen Paradigmen „gerechter Krieg“ und „gerechter Friede“ dezidiert Gerechtigkeitsüberlegungen zur Geltung bringen. Der Beitrag stellt drei friedensethisch relevante Gerechtigkeitsverständnisse vor und diskutiert ihre Stärken und Schwächen: retributive, rechtsförmige und menschenrechtliche Gerechtigkeit.

Friedrich Lohmann
Die friedensethische Bedeutung der Kategorie Gewalt

Seit den 1990er Jahren wurden die Sozialwissenschaften im Allgemeinen und die Soziologie im Besonderen durch eine intensiv geführte Debatte um den Gewaltbegriff geprägt. Doch auch diese Kontroversen haben der Soziologie keinen einheitlichen Begriff oder einen gemeinsam geteilten Zugriff der Gewaltforschung beschert. Der Beitrag sucht sowohl die Linien dieser Debatte als auch die weiterhin als offen zu bezeichnende Diskussionslage zu skizzieren sowie einige konzeptionelle Vorschläge für begriffliche Neujustierungen zu unterbreiten, die auch für friedensethische Fragen Konsequenzen zeitigen.

Martin Endreß, Benjamin Rampp
Vor-Urteile und Menschenbilder

Vorurteile haben mit Verstehensprozessen und Einstellungen gegenüber anderen Menschen zu tun. Sie beinhalten Stereotypisierungen und stellen häufig die Grundlage von Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und -islamismus oder Feindbildern dar. Die Epoche der Aufklärung und die Hermeneutik des 20. Jahrhunderts entfalteten einen differenzierten Begriff des Vorurteils. Diskussionen über die Funktionalität und die Bedingungen des Entstehens, der Abbau von Vorurteilen und der Aufbau alternativer Wahrnehmungen werden besonders in der Friedenspädagogik und Sozialpsychologie geführt.

Christina Schües

Friedensethische Diskurse: Christliche und säkulare Hauptströmungen in der abendländischen Tradition

Frontmatter
Krieg und Frieden in der hebräischen Bibel und rabbinischen Tradition

In der gegenwärtigen Debatte über Religion und Gewalt wird das Alte Testament von Gewaltkritikern wie Jan Assmann und Peter Sloterdijk als Ursache und Quelle religiös motivierter Gewalttätigkeit benannt, was auch als ein Argument in der neuerdings aufgeflammten Dekanonisierungsdiskussion (Notger Slenczka) vorgebracht wird. Vor diesem Hintergrund wird der Begriff des Heiligen Krieges im Alten Testament, insbesondere im Deuteronomium, sowie seine Nachwirkungen in der zwischentestamentarischen und rabbinischen Literatur näher in den Blick genommen. Diese weitgehend theoretische Rezeption soll ferner in ihrer praktischen Anwendung im heutigen Staat Israel verfolgt werden.

Daniel Krochmalnik
Krieg und Frieden in der griechischen Antike: Platon und Aristoteles

Endziel des Menschen sind Muße und Frieden. Erziehung zum Frieden ist Erziehung zu den Tugenden, die den Menschen zur Muße befähigen. Der Krieg hat im Frieden und die Arbeit in der Muße ihr Endziel. Aber Friede und Muße sind auf die Tugenden angewiesen, welche die notwendigen Voraussetzungen sichern. Wer nicht imstande ist, Gefahren tapfer zu bestehen, wird Sklave der Angreifer.

Friedo Ricken
Krieg und Frieden in der römischen Antike: Cicero und die Stoa

Die praktische Philosophie der Alten Stoa ist vom Kynismus beeinflusst. Von diesem übernimmt sie ihre kosmopolitische und pazifistische Grundeinstellung. Die Mittlere Stoa (Panaitios) formuliert auf ihrer Basis Grundsätze des von Natur Rechten (ius naturae) bezüglich Krieg und Frieden. Diese dienen Marcus Tullius Cicero als Vorlage für eine inhaltliche Fortentwicklung des altrömischen Fetialrechts im Sinne der Humanität, aber auch mit dem Ziel einer Rechtfertigung des Bestandes des römischen Imperiums. Seine naturrechtlichen Vorstellungen sind bis in die Neuzeit und Moderne von eminenter geistesgeschichtlicher Wirkung.

Maximilian Forschner
Die Lehre vom gerechten Krieg im frühen Christentum: Augustinus

Für Augustinus (354-430 n.Chr.) kann es Frieden ohne Krieg geben, aber nicht Krieg ohne Frieden. Diese Idee drückt die Vorrangigkeit des Friedens in seinem Denken aus. Denn Frieden ist mit der schöpferischen Ordnung Gottes gegeben, in der alles seinen Platz hat und alles gut und gerecht ist. Krieg, im Gegensatz dazu, stellt die Störung dieser natürlichen Ordnung dar – eine Störung des Gott-Mensch-Verhältnisses sowie eine Störung der Relationen unter den Menschen. Vor diesem Hintergrund expliziert der Begriff der Ordnung die Friedenslehre Augustins. Da Augustinus Ordnung mit Frieden und Gerechtigkeit grundsätzlich gleichsetzt, sind auch seine Ausführungen zum Thema des gerechten Krieges innerhalb seiner Friedenslehre zu verorten.

Aaron Looney
Die Lehre vom gerechten Krieg im Mittelalter: Thomas von Aquin

Aus der Verknüpfung christlich-moraltheologischen Denkens mit dem politisch-ethischen Denken des Aristoteles ist bei Thomas von Aquin eine wirkmächtige Gestalt der Lehre vom gerechten Krieg hervorgegangen. Die von ihm angeführten Kriterien strukturieren (v.a. im angelsächsischen Debattenkontext) noch heute den Streit über Rechtfertigung und Begrenzung militärischen Handelns. Auch die seine Überlegungen elementar leitende Naturrechtstheorie wird nach wie vor als kulturinvariant gültiger Rahmen universaler Sittlichkeit sowohl vehement behauptet wie bestritten.

Marko J. Fuchs
Die Lehre vom gerechten Krieg in der Iberischen Spätscholastik: Francisco de Vitoria und Bartolomé de Las Casas

Francisco de Vitoria und Bartolomé de Las Casas sind zwei bedeutende Vertreter der bellum iustum-Lehre im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Vor dem Hintergrund des einsetzenden europäischen Kolonialismus’ in Amerika verbinden sich in der Iberischen Spätscholastik christliche Anthropologie mit normativen Überlegungen zu einer globalen Völkerrechtsordnung. Diese regelte Herrschafts- und Besitzverteilungen und stellte die juristischen und kirchenpolitischen Grundlagen für die Mission und den Handel bereit. Vitoria und Las Casas stehen für zwei Weisen der theoriebildenden Reaktion auf die blutige Eroberungs- und Missionspraxis der Europäer.

Kirstin Bunge, Matthias Gillner
Krieg und Frieden in der Reformation: Martin Luther

Luther hat Frieden zum einen als persönliche Zufriedenheit (bzw. inneren Frieden) verstanden. Diese wird allein im Glauben an Jesus Christus realisiert, weil er den Menschen von dem religiösen Druck befreit, sich durch eigene Werke vor Gott profilieren zu müssen. Zum anderen ist Frieden für Luther die Aufgabe des weltlichen Regiments, also der politischen Herrschaft. Hier meint Frieden v.a. die Abwesenheit von Krieg. Das wird erreicht, indem der Staat das Gewaltmonopol innehat, sich selbst als Rechtsstaat aufbaut und damit seinen Bürgern Schutz und Sicherheit bietet. Krieg ist für Luther ultima ratio: Nur als Verteidigung (kein Angriffskrieg), nur als weltliche Maßnahme (kein Religionskrieg) und erst nachdem Verhandlungen gescheitert sind, darf Waffengewalt eingesetzt werden. Christen werden den Staat bei der Wahrnehmung des Gewaltmonopols unterstützen, weil die Nothilfe für die Angegriffenen zum Gebot der Nächstenliebe zählt.

Volker Stümke
Die Reflexion der Lehre vom gerechten Krieg in der reformierten Tradition: Johannes Calvin

Calvin hat eine Systematisierung der Lehre vom gerechten Krieg allenfalls in Ansätzen durchgeführt. Es ist aber bezeichnend, dass bei aller Eklektik der Bezugnahme auf einzelne Kriterien alle Topoi der klassischen Lehre bei Calvin der Sache nach vorkommen. Calvin bettet sie in den Referenzrahmen einer Zwei-Reiche-Lehre ein. In diesem konzeptionellen Rahmen hat Calvin die Motive naturrechtlicher Kriegsethik restriktiv interpretiert. Er versteht die Kriterien als ein heuristisches Hilfsmittel, um den Willen Gottes zu erfragen (vgl. Röm 12,2). Sie sind jedoch nicht der gleichsam in Blei gegossene und in den Buchstaben hinein gebannte Wille Gottes. Denn sie verhalten sich nicht deckungsgleich, jedoch widerspruchsfrei zum Willen Gottes.

Marco Hofheinz
Vom Recht des Krieges und des Friedens im klassischen Völkerrecht: Alberico Gentili und Hugo Grotius

Alberico Gentili und Hugo Grotius stehen am Wendepunkt zwischen der traditionellen Lehre des gerechten Krieges und dem System des modernen Völkerrechts. Während Gentili der Tradition einer kasuistischen Darstellung des Kriegsrechts gemäß dem mos italicus treu bleibt, entwickelt Grotius ein originelles System des Völkerrechts, das den Geist des mos gallicus widerspiegelt. Zugleich erweist sich Gentili in inhaltlicher Hinsicht als Protagonist der Fortbildung des Völkerrechts, während Grotius mit seiner Exposition der Wechselwirkungen zum menschlichen und göttlichen Recht einer christlichen Rechtstheologie verhaftet bleibt.

Christoph Stumpf
Die Revision der Lehre vom gerechten Krieg angesichts der Erfahrungen der Weltkriege und der Atombewaffnung

Zwar wurden Atomwaffen erst zweimal im Kriege eingesetzt, ihre Existenz zwang aber zu einem grundsätzlichen Überdenken der herkömmlichen Legitimationsformen von Kriegen. Den Rahmen des heutigen Systems der UN und des Völkerrechts bildet das allgemeine Gewaltverbot, verstanden als umfassende Kriegsächtung. Kernwaffen kommen aufgrund ihrer spezifi schen Zerstörungseigenschaften als Verteidigungsmittel nicht in Betracht. Strittig war jedoch lange Zeit (und ist es teilweise bis heute), obeine Strategie der wechselseitigen nuklearen Abschreckung zum Zwecke der Kriegsverhütung legitim sein könne. Allmählich hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass eine mindestens dreifache politische Strategie notwendig ist: die Verhütung der Verbreitung von Kernwaffen und entsprechender Technik, die Reduktion und langfristig der völlige Abbau der Kernwaffenarsenale sowie die Stärkung der friedenssichernden Kompetenzen der UN auch in Fällen bewaffneter Konflikte.

Wolfgang Lienemann
Die Renaissance der Lehre vom gerechten Krieg in der anglo-amerikanischen Debatte: Michael Walzer

Die Lehre vom gerechten Krieg wurde in den USA v.a. als kritische Reaktion auf den Vietnamkrieg wieder aufgenommen und fortentwickelt. Eine besondere Rolle spielt dabei der Ansatz von Michael Walzer, an dem sich auch verdeutlichen lässt, dass es sich dabei nicht nur um eine Reproduktion naturrechtlicher Ansätze handelt, sondern um eine Reformulierung im gegenwärtigen Kontext, bei Walzer unter kommunitaristischem Vorzeichen. Gleichwohl gibt es Ansätze, die eine unilaterale Perspektive stark machen und mit der Lehre vom gerechten Krieg das Völkerrecht substituieren wollen. Dagegen werden Ansätze gestellt, welche die Kriterien der Lehre vom gerechten Krieg als Ergänzung und im Rahmen des Völkerrechts fruchtbar zu machen suchen. In besonderer Weise lässt sich dies am Ansatz der Responsibility to Protect zeigen.

Michael Haspel
Die Revisionist Just War Theory: Jeff McMahan

Die sich seit etwa zehn Jahren entwickelnde Denkrichtung der „überarbeiteten Theorie des gerechten Krieges“ (Revisionist Just War Theory) zieht besonders in der angelsächsischen praktischen Philosophie zunehmende Aufmerksamkeit auf sich. Sie zielt auf die individuelle Verantwortung der Kombattanten – nicht nur für das ius in bello, sondern auch den gerechten Kriegsgrund – und ist u.a. mit den Namen Jeff McMahan, Cécile Fabre, Bradley J. Strawser und David Rodin verbunden.

Torsten Meireis
Der gerechte Frieden: Positionen in der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland

Vor dem Hintergrund der ökumenischen Debatte um Gerechtigkeit und Frieden sowie in deutlicher Abkehr zur Lehre vom gerechten Krieg etablierte sich insbesondere im deutschen kirchlichen Kontext das Konzept und Leitbild des gerechten Friedens. Hierfür steht das Hirtenwort der deutschen Bischöfe aus dem Jahr 2000 wie auch die 2007 veröffentlichte Friedensdenkschrift der EKD. Beide Dokumente weisen eine bemerkenswerte Kongruenz auf, denn sie gehen von drei friedenspolitischen Prämissen – dem Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung, einer Friedensordnung als Rechtsordnung sowie der Beschränkung militärischer Gewalt zur Rechtsdurchsetzung – aus. Es zeigen sich aber auch Unterschiede, beispielsweise in der Sicht auf die „Herrschaft des Rechts“ oder in der ethischen Bewertung der nuklearen Abschreckung.

Thomas Hoppe, Ines-Jacqueline Werkner
Der gerechte Frieden in den Friedenskirchen

Die historischen Friedenskirchen haben seit ihren Anfängen in der Täuferbewegung der Reformation Gewaltfreiheit als ein Merkmal des christlichen Glaubens angenommen. Dies hat nicht nur zu eigenen Ansätzen in der Theologie, sondern auch in der Friedensethik und in ihrem Verständnis von Gerechtigkeit geführt. Seit dem 20. Jahrhundert haben sie ihre Einsichten und Erfahrungen verstärkt in die internationale Ökumene eingetragen. Heute sind sie weltweit in der gewaltfreien Friedensbildung und Versöhnungsarbeit tätig, militärische Gewalt kategorisch ablehnend.

Fernando Enns
Der gerechte Frieden im ökumenischen Diskurs

Bereits die Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen war von dem Willen der Kirchen, Krieg zu überwinden, geprägt. Dies setzte sich mit dem konziliaren Prozess, der Dekade zur Überwindung von Gewalt sowie der Friedenskonvokation mit dem Aufruf zum gerechten Frieden fort. Der gerechte Frieden steht für einen fundamentalen Wandel in der ethischen Praxis: Nicht mehr der Krieg, sondern der Frieden in seiner wechselseitigen Bezogenheit zur Gerechtigkeit bildet den Fokus des neuen Konzeptes. Dabei ringt der Rat aber nach wie vor um seine Positionierung zur Responsibility to Protect, und auch ekklesiologische Divergenzen prägen die ökumenische Debatte um den gerechten Frieden.

Ines-Jacqueline Werkner
Gerechter Friede im Kontext von Ekklesiologie und Staat-Kirche-Verhältnis

Die Geschichte der Beziehungen zwischen Kirche und Staat beginnt, als eine Gemeinschaft von Gemeinden sich als Herrschaftsbereich Jesu Christi vom Römischen Reich abgrenzt. Dadurch wird der Staat grundsätzlich profaniert und seine Aufgabe beschränkt auf die Sorge für den irdischen Frieden auf der Grundlage der Gerechtigkeit. Das Verhältnis von Kirche und Staat konkretisiert sich später in verwirrender Vielfalt. Sie wird nach der Reformation stark durch die konfessionelle Differenzierung der Christenheit mitbedingt. Die ökumenische Bewegung antwortet strukturell („konziliarer Prozess“) und inhaltlich („gerechter Friede“) auf die Herausforderung der Kirchen durch die fortschreitende Globalisierung sowie die sich anbahnende globale Krise. Diese bleiben jedoch hinter den Erfordernissen der Zeit zurück.

Heinz-Günther Stobbe
Radikaler Pazifismus

Der radikale Pazifismus, der seit Max Weber oft eine Gleichsetzung mit dem Typus der Gesinnungsethik erfährt, wird zumeist als die Ablehnung jeglicher Beteiligung an kriegerischer Gewaltausübung unabhängig von der politischen Situation verstanden. Hinsichtlich dieses verbreiteten, oft negativ konnotierten Begriffsgebrauchs bildet der radikale Pazifismus ein Synonym zum prinzipiellen, kategorischen oder auch absoluten Pazifismus. Der ursprüngliche Ort dieses Begriffs ist die Bergpredigt Jesu, in der die Friedensstifter (pacifici) seliggepriesen werden (Mt 5,9). Insofern wurzelt er im jesuanischen Ethos der Feindesliebe und der Gewaltlosigkeit und lässt sich als zum Teil auch unter säkularen bzw. multireligiösen Vorzeichen stattfindende Rezeption dieses Ethos verstehen.

Marco Hofheinz
Rechtspazifismus

Rechtspazifismus ist als Lehre und politische Bewegung durch das Ziel charakterisiert, mit Hilfe effektiver Methoden die Gewalt der Herrschaft des Rechts zu unterwerfen. Das birgt aber auch Risiken: Das hohe Ziel eines den Krieg als Institution überwindenden globalen Rechtsfriedens flexibilisiert die Mittelwahl bis hin zu völkerrechtswidrigen Militärinterventionen, die als Vorgriff auf ein geltendes Weltinnenrecht legitimiert werden. Unterschiedliche Rechtstraditionen erschweren eine Antwort auf die Frage nach dem Primat von Menschenrecht oder Völkerrecht.

Gertrud Brücher
Pragmatischer Pazifismus

Laut pragmatischem Pazifismus reicht unser rein objektives Wissen über das Vor- und Umfeld von Kriegen nicht sonderlich weit. Schon unsere besten informativen Darstellungen jeder beliebigen Vorkriegssituation sind wertbeladen. Im Lichte dieser Einsicht wird verständlich, warum sich Pazifisten und ihre Gegner nie über aufschlussreiche Kriegsdarstellungen einigen können. Pazifisten setzen schon bei der Beschreibung andere Werte ein als ihre Gegner. Obwohl das in beiden Fällen legitim ist, sind die Werte der Pazifisten attraktiver als die der Kriegsbefürworter. Pazifismus ist auch ohne Gesinnungsethik möglich.

Olaf L. Müller
Krieg und Frieden bei Thomas Hobbes

Thomas Hobbes (1588-1679) ist der Denker des „Kriegs eines jeden gegen jeden“ im Naturzustand, dessen Rückkehr der staatliche Leviathan souverän verhindert. Finden sich bei Hobbes jenseits des staatlichen Schutzes vor Bürgerkrieg und Gewalt auch weiterführende, anspruchsvollere, gar zwischenstaatliche „Wege zum Frieden“? Eine Neulektüre der einschlägigen Passagen aus Hobbes‘ Schriften fördert den Hobbesschen „Friedensrealismus“ zutage. Dieser benennt die Realisierungsbedingungen von Frieden und formuliert konkrete Friedensratschläge, die auch im 21. Jahrhundert wegweisend sind.

Felix Wassermann
Globaler Rechtsfrieden – Immanuel Kants Entwurf eines „ewigen Friedens“

Die wichtigste Einsicht der Kantischen Rechtsmetaphysik ist die unauflösliche Verflechtung von innerstaatlichem und zwischenstaatlichem Frieden. Da der Erfolg der innerstaatlichen Friedensstiftung abhängig ist von einer günstigen internationalen Konstellation, impliziert der kategorische Imperativ, den Naturzustand zu verlassen und sich eine Ordnung der öffentlichen Gerechtigkeit zu geben, notwendig die Forderung, die Anstrengungen der Friedensstiftung auch auf den zwischenstaatlichen Bereich auszudehnen. Dieses kann jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn die Verfassung in jedem Staat republikanischer Natur ist. Weiterhin wird in diesem Artikel Kants Vorstellung von der institutionellen Gestalt der globalen Rechtsordnung diskutiert. Abschließend wird die Spannung zwischen Kants Zurückweisung der Idee eines gerechten Krieges und seinen Bemerkungen über die merkwürdige Figur des hostis iniustus analysiert.

Wolfgang Kersting
Rezeption und Kritik der Kantschen Friedenstheorie

Nach der Darstellung der Kantschen Friedenstheorie bei Wolfgang Kersting bietet dieser Beitrag eine Übersicht über die Kant-Rezeptionen des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie referiert für die Zeit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts Debatten, die Kantsche Themen oder Denkmittel aktualisieren. Zudem wirft sie einen Blick auf gegenwärtige Bemühungen philosophischer, sozialwissenschaftlicher und völkerrechtlicher Provenienz, Kants ‚Politik’ als zukunftsträchtig zu erweisen und fortzuschreiben, aber auch auf ihre eigenen Gewaltpotenziale hin zu befragen.

Hajo Schmidt
John Rawls und „Das Recht der Völker“

Hat John Rawls mit seinem „Recht der Völker“ einen Verrat am Liberalismus und der Idee der „Theorie der Gerechtigkeit begangen“? Oder hat er eine anspruchsvolle Theorie globaler Gerechtigkeit vorgelegt, die der Heterogenität der politischen Realität Rechnung trägt? Der folgende Beitrag versucht eine Korrektur der verbreiteten Interpretation des „Rechts der Völker“ als Fortsetzung der „Theorie der Gerechtigkeit“ und ihrer Aufgabenstellung. Das Recht der Völker ist Rawls‘ Versuch der globalen Anwendung seines politischen Liberalismus; als solches schafft es die Voraussetzungen für eine anspruchsvolle Theorie globaler Gerechtigkeit.

Andreas M. Bock
Realistische versus idealistische Perspektiven politischen Handelns

Das Nachdenken über einen stabileren Weltfrieden nach dem Ersten Weltkrieg führte in der politischen Theorie zu einer Kontrastierung zweier Denkrichtungen: dem politischen Realismus und dem politischen Idealismus. Während der Realismus die Staaten als Akteure in einer unsicheren Welt sieht, in der alle für ihre eigene Sicherheit sorgen müssen, priorisiert der Idealismus die Verpflichtung auf übergeordnete ethische Maßstäbe von Frieden und Menschenwürde. Der folgende Beitrag nimmt die ethischen Unterscheidungen dieser beiden Ansätze in den Blick und fragt nach ihrer Leistungsfähigkeit in der heutigen weltpolitischen Situation.

Reinhard Zintl
Friedensethische Normierungen in jüngeren Ansätzen der Internationalen Beziehungen

Der friedensethische Beitrag der Internationalen Beziehungen findet sich v.a. im Bereich der Pragmatik, d.h. in der Formulierung, theoretischen Begründung und empirischen Untersuchung von Friedensstrategien. Eine friedensethische Orientierung ist damit noch nicht gegeben, weil die hypothetischen Imperative des Friedens in konkurrierende Forschungsprogramme eingebettet sind. Allerdings haben sich die Gewichte in den letzten Jahren deutlich zulasten des Realismus und zugunsten der „idealistischen“ Forschungsprogramme und ihrer kompatiblen Strategien verschoben.

Peter Mayer

Friedensethische Diskurse:Religiöse und säkulare Traditionen weltweit –eine dialogorientierte Perspektivenerweiterung

Frontmatter
Krieg und Frieden im jüdischen Kontext

Nicht erst die modernen kämpferischen Auseinandersetzungen des israelischen Volkes um Eigenstaatlichkeit, auch das Bild Gottes vom Herrn der Heerscharen, das teilweise in der hebräischen Bibel zu finden ist, lässt zunächst schwerlich den Gedanken zu, das jüdische Volk strebe „wesensgemäß“ eine universelle pazifistische Entwicklung an. Aber es lässt sich zeigen, dass der Pazifismus durchaus fest im Vorbild der Glaubensväter, Propheten Gelehrten und Rabbiner wie im Judentum generell verankert ist. Trotz der lange fehlenden Eigenstaatlichkeit und Erfahrung des jüdischen Volkes als verstreute Minderheit ist der Gedanke der messianischen Zeit des Friedens auch und besonders heute nach dem Holocausttrauma zukunftsprägend.

Walter Homolka
Krieg und Frieden im islamischen Kontext

Seit Beginn der islamischen Geschichte diskutieren Rechtsgelehrte Fragen, die an die Lehre vom gerechten Krieg erinnern: Unter welchen Umständen ist es gerechtfertigt, einen Krieg zu beginnen? Wie muss ein Krieg geführt werden, um den religiösen Normen zu entsprechen? Und unter welchen Bedingungen ist er zu beenden? Für die unterschiedlichen Akzentsetzungen maßgeblich sind dabei sowohl der Umgang mit normativen Texten der islamischen Tradition als auch die Deutung aktueller Konflikte. Angesichts einer veränderten Weltordnung und neuer Formen der Kriegsführung steht eine islamische Friedensethik vor bislang wenig bedachten Herausforderungen. Ausgehend von dem vielfach missverstandenen Begriff Dschihad (ǧihād) skizziert der Beitrag grundlegende Positionen der islamischen Jurisprudenz zu Krieg und Frieden.

Dirk Ansorge
Krieg und Frieden im Kontext hinduistischer Traditionen

Die hinduistische Ethik unterstützt kulturelle Heterogenität und große Toleranz zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppierungen. Sie ist die Grundlage der indischen Republik. Wenn die hinduistische Gesellschaftsordnung von außen bedroht wird, soll sie möglichst mittels Diplomatie und Kompromisse geschützt werden. Krieg gilt als ultima ratio; im Krieg gegen zivilisatorisch Minderwertige zum Erhalt der gesellschaftlichen Ordnung ist aber letztendlich alles erlaubt.

Robert Zydenbos
Krieg und Frieden im Kontext buddhistischer Traditionen

Das Kapitel rekonstruiert die Lehre der Gewaltlosigkeit, deren Essenz bereits der ersten Lehrrede des Buddha zugeschrieben wird und seither einen zentralen Platz in der Ethik des Buddhismus einnimmt. Eine angemessene Würdigung dieser Doktrin bedarf eines detaillierteren Blickes auf einschlägige buddhistische Textstellen und Kommentare. Sie muss aber auch auf historisch belegte Momente eingehen, in denen buddhistische Instanzen entsprechende Prinzipien missachteten und sich darum bemühten, ihrem diskrepanten Verhalten rhetorisch dennoch einen buddhistischen Anstrich zu geben.

Frank Usarski

Friedensethische Analysenzu aktuellen Kontroversen und Entwicklungen

Frontmatter
Friedensstrategie Weltinnenpolitik

Die Konzeption Weltinnenpolitik wird vom deutschen Physiker, Philosophen und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker in seiner Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im Jahre 1963 eingeführt. Im Zentrum seiner Überlegungen steht die dringliche Schaffung eines politisch gesicherten Weltfriedens, der alleine die drohende gegenseitige atomare Vernichtung der Weltmächte verhindern könnte. Mit seinem Konzept bestimmt Weizsäcker die existenzielle Bedrohungslage der Welt zum unbedingten Ausgangspunkt aller Politik. Mit der zunehmenden Sichtbarkeit weiterer existenzieller globaler Bedrohungen erscheint Weltinnenpolitik tatsächlich, die passende Sicht auf die Politik zu bezeichnen. Der Beitrag unterstreicht diese Gültigkeit, möchte aber vordringlich die Fortexistenz der atomaren Bedrohung als Basis des weltinnenpolitischen Denkens in Erinnerung rufen.

Ulrich Bartosch
Governance im Spannungsfeld von Frieden und Gerechtigkeit

Forderungen nach Gerechtigkeit spielen in vielen Konflikten eine ebenso wichtige Rolle wie der Wunsch nach Frieden. Gleichzeitig gibt es unterschiedlichste globale und lokale Governance-Mechanismen, die auf die Verwirklichung beider Ziele hinzuwirken versuchen. Frieden, Gerechtigkeit und Governance bilden dabei ein spannungsreiches Dreiecksverhältnis.

Michael Reder, Hanna Pfeifer
Zur Friedensfähigkeit von Diktaturen und autoritären Regimen

Es gibt gesellschaftliche Umbruchsituationen, in denen die Anwendung der liberalen Demokratie westlicher Provenienz nicht möglich erscheint. Autoritäre Regierungen können als ‚Friedensinseln‘ fungieren, die für politische Stabilität, die Abwesenheit von offener Gewalt und die beschleunigte Erzeugung von wirtschaftlichem Wachstum sorgen. Der Ausgang ist kontingent: Sie können als Vorstufe für nachfolgende Demokratisierung wirken (Ghana und Südkorea), als nationale Versöhnungsdiktatur (Ruanda, Algerien) oder als fragile Einrichtungen für die politische Stabilisierung (Ägypten, Äthiopien). Eine dauerhafte Alternative zur pluralistischen, liberalen Demokratie stellen sie allerdings nicht da.

Rainer Tetzlaff
Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht

Die Frage nach dem (Welt-)Frieden spielt für die Vereinten Nationen eine zentrale Rolle. Bald traten die Menschenrechte als ein weiteres Kriterium normativer Orientierung hinzu. Damit wird am Beispiel der UN eine grundsätzliche Frage greifbar: Können die Menschenrechte überhaupt ein Instrument zur Förderung und Herstellung des Friedens sein? Der Friedensbegriff der UN-Charta bildet nur einen engen Fokus dessen ab, was unter Frieden zu verstehen ist. Das Recht kann als dynamisches und entwicklungsoffenes Instrument verstanden werden, das Möglichkeiten bietet, um zu einem umfassenderen Verständnis des Friedens zu gelangen.

Daniel Bogner
Responsibility to Protect: Internationaler Menschenrechtsschutz und die Grenzen der Staatensouveränität

Seit der Responsibility to Protect, die im Jahre 2005 von der UN-Vollversammlung als Resolution verabschiedet wurde, gilt Staatensouveränität nicht mehr ausschließlich als Schutznorm gegen die Einmischung anderer Staaten in innere Angelegenheiten, sondern auch als Verpflichtung der Staaten, ihre eigene Bevölkerung vor massenhafter Gewalt zu schützen. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, hat die Staatengemeinschaft die Verantwortung, den Opfern beizustehen. Sowohl die R2P-Normen selbst als auch deren Umsetzung konfrontieren Staaten wie gesellschaftliche Organisationen mit ethischen Fragen, die allerdings nicht dazu verleiten dürfen, auf Gewaltprävention, Eingreifen (ggf. auch mit militärischen Mitteln) und dauerhaftes Engagement beim Wiederaufbau zu verzichten.

Thomas Hoppe, Peter Schlotter
Friedensnormen und Bündnissolidarität im Widerstreit?

In der bundesdeutschen Debatte geriet ein möglicher Widerstreit zwischen Friedensnormen und Bündnissolidarität im Laufe des Krieges in Afghanistan in den Blick. Allerdings wird dieser Zielkonflikt in der Politik häufig in verkürzter Weise diskutiert, und sind sich die Teilnehmer über seine Bedeutung oft uneins. Auch in der wissenschaftlichen Debatte ist diese Thematik bis heute randständig. Wenn sie diskutiert wird, dann unter der Fragestellung eines möglichen Widerstreits zwischen der Politik partikularer westlicher Sicherheitsgemeinschaften und universalen Ordnungsprinzipien.

Matthias Dembinski
Menschliche Sicherheit: Frieden in Gerechtigkeit oder „Versicherheitlichung“ des Friedens?

Seit seiner Vorstellung im Human Development Report 1994 übt das Konzept der menschlichen Sicherheit (Human Security) trotz analytischer Schwächen einen merkbaren Einfluss in normativer, institutioneller und operativer Hinsicht in internationaler Politik, in den internationalen Beziehungen und im Völkerrecht aus. Menschliche Sicherheit fordert einen Paradigmenwechsel weg von nationaler Sicherheit hin zu einem umfassenderen Sicherheitsverständnis, in dem das Individuum der eigentliche Referenzpunkt von Sicherheit ist. Dabei ist der einzelne Mensch als Träger internationaler Menschenrechte gegen gesellschaftliche und natürliche Bedrohungen zu schützen und zu Resilienz gegenüber solchen Bedrohungen zu befähigen. Angesichts einer solchen inhaltlichen Orientierung an den Menschenrechten und an Gerechtigkeitserwägungen stellt das Konzept menschlicher Sicherheit eine Dimension des gerechten Friedens dar.

Gerd Oberleitner
Frieden in Gerechtigkeit: zwischen realpolitischer Perspektive und Utopie

Die programmatische Verknüpfung von Frieden und Gerechtigkeit bietet einen Ansatzpunkt für die Kritik bestehender Gewaltverhältnisse, ohne dabei die Möglichkeiten für einen grundlegenden Wandel überschätzen zu müssen. Die Kritik speist sich nicht aus dem Entwurf abstrakter Alternativen zu diesen Verhältnissen, sondern daraus, dass sie an diese Verhältnisse anknüpft, also Veränderungspotenziale hier und heute identifiziert und nutzt. Dabei muss das Spannungsverhältnis zwischen Gerechtigkeit und Frieden in Rechnung gestellt werden, das friedensethisch reflektiert, aber nicht aufgehoben werden kann.

Lothar Brock
Geschlechtergerechtigkeit als friedensethischer Imperativ

Wissenschaftliche Untersuchungen haben einen Zusammenhang zwischen Geschlechtergerechtigkeit und der Friedfertigkeit von Gesellschaften und Staaten ermittelt. Der Beitrag thematisiert die verschiedenen Ansätze feministischer Ethik, die verschiedene Formen der Geschlechtergerechtigkeit diskutieren. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie mit Differenzen v.a. innerhalb der Kategorie Geschlecht umgegangen werden sollte. Gerade in Friedensprozessen stoßen Strategien der Realisierung liberaler Frauenmenschenrechte oftmals auf lokale Widerstände – von Männern, aber auch von Frauenverbänden.

Simone Wisotzki
Rüstungsherstellung und Rüstungsexport: Gebote, Verbote und Paradoxien

Rüstungsproduktion ist ein hoch politisches Geschäft, obwohl es überwiegend von Privatfirmen betrieben wird. Dadurch ergeben sich Paradoxien bei der Rüstungsbeschaffung, der staatlichen Förderung der Rüstungsindustrie und im Export von Rüstungsgütern. Rüstungsproduktion und -export werden rechtlich strikt kontrolliert, aber von der Interaktion politischer und wirtschaftlicher Interessen gesteuert. Herstellung und Export eines kleinen, aber bedeutenden Spektrums von Waren ist durch internationale Abkommen verboten. Die für den Rüstungsexport aus Deutschland entscheidenden rechtlichen und politischen Vorgaben formulieren ethische, bündnis- und außenpolitische Kriterien, die in der Praxis mit wirtschaftlichen Überlegungen abgewogen werden. Im Ergebnis zeigt sich ein uneinheitliches Bild deutscher Rüstungsexportpolitik.

Michael Brzoska
Die Ächtung von Waffen: Abkommen der qualitativen Rüstungsbegrenzung

Verbote der Verwendung und des Besitzes bestimmter Waffengattungen werden im Beitrag anhand der Beispiele des Genfer Protokolls, der Chemie- sowie der Biowaffenkonvention, des Baruch-Plans und des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags untersucht. An eine historische Betrachtung des Zustandekommens schließt sich eine Analyse der Motive und Wirkungen der Abkommen an.

Sebastian Roßner
Nukleare (Ab)Rüstung: eine kritische Bestandsaufnahme ethischer Argumente

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Nuklearwaffen ethisch bewerten lassen. Er bietet hierbei eine Skizze der vier ethischen Argumentationslinien, die sich in der Debatte über nukleare (Ab)Rüstung identifizieren lassen und konzentriert sich schließlich auf jene Linie, die von der Lehre des gerechten Krieges ausgeht und in der gegenwärtigen Debatte bis dato nur geringe Aufmerksamkeit erhielt. Eine kritische Auseinandersetzung mit Joseph Nyes fünf Konditionen für eine gerechte Verteidigung mit Nuklearwaffen legt sowohl Probleme dieser Argumentationslinie als auch ethische Probleme der gegenwärtigen Staatenpraxis offen.

Martin Senn
Zur ethischen Beurteilung automatisierter und autonomer Waffensysteme

Unbemannte Waffensysteme verfügen über viele automatische Funktionen, aber Angriffe werden bisher durch Menschen gesteuert. Es gibt jedoch starke militärische Motive, sie autonom Ziele auswählen und bekämpfen zu lassen. Autonome Waffensysteme wären allerdings nicht in der Lage, das Kriegsvölkerrecht einzuhalten. Sie würden Kriege wahrscheinlicher machen. Gefahren würden auch durch terroristische Nutzung entstehen. Aus der ethischen Beurteilung folgt, dass autonome Waffensysteme international verboten werden sollten.

Jürgen Altmann
Krieg im Internet? Cyberwar in ethischer Reflexion

Weltweit besteht Sorge, dass das Internet den Status eines stabilen, offenen und friedlichen globalen Kommunikationsnetzes verliert und auch zu einer neuen Domäne der Kriegsführung wird. Cybertools wie Stuxnet zeigen, dass Staaten an offensiven Fähigkeiten zur Unterbrechung von zentralen gesellschaftlichen Funktionen arbeiten. Ein umfassender Cyberkrieg erscheint zwar unwahrscheinlich, es besteht aber die Gefahr eines digitalen Wettrüstens. Internationale Anstrengungen und Normen für verantwortungsvolles Staatsverhalten sind nötig, um Frühwarnung, Rechtssicherheit und Vertrauensbildung international zu etablieren. Auch eine höhere Aufmerksamkeit der Nutzer, IT-Industrie und Informatiker selbst ist nötig.

Götz Neuneck
Terrorismus als ethische Herausforderung

Wie sind die unterschiedlichen Arten und Formen des Terrorismus moralisch zu bewerten? Das wäre die zentrale Frage einer Terrorismus-Ethik. Eine solche Ethik setzt voraus, dass bereits geklärt ist, (a) was unter den betreffenden „Arten und Formen des Terrorismus“ zu verstehen sein soll; und (b) nach Maßgabe welcher Kriterien die moralische Bewertung derselben erfolgen kann. Betreffs (a) expliziert dieser Beitrag die wichtigsten Differenzierungen einer bewertungsneutralen Terrorismus-Semantik. Und nachdem terroristische Akte als spezielle Gewaltakte eingeführt sind, wird hier – betreffs (b) – die Terrorismus-Ethik als eine spezielle Gewaltethik aufgefasst, deren Bewertungskriterien in etwa den Regeln des gerechten (= moralisch rechtfertigbaren) Krieges entsprechen. Schon im Kontext von (a) zeigt sich, dass eine Terrorismus-Ethik mit dem Sprachgebrauch des üblichen Terrorismus-Diskurses unverträglich ist. Sich nicht weiter an diesem Diskurs zu beteiligen, darin besteht nach diesem Beitrag die eigentliche Herausforderung für eine jede brauchbare Terrorismus-Ethik.

Georg Meggle
Casualty Shyness: Schuld und Verantwortung in postheroischen Gesellschaften

Militärische Aktionen sollen heute möglichst wenige Opfer fordern. Das gilt für die eigenen Streitkräfte wie auch für die Zivilbevölkerung im Einsatzgebiet. Während in vergangenen Zeiten die Opfer-Sensibilität von angeblich höheren Werten überlagert wurde, ist sie es heute nicht mehr. Das Individuum und die ihm (völker)rechtlich und politisch zugeordneten Rechte und Wahrnehmungen dürfen nicht mehr verletzt werden, ohne dass sich die Frage nach der Verantwortlichkeit und Schuld stellt und Diskussionen über die Vermeidung von Opfern in den Vordergrund drängen.

Gerd Hankel
Diskussionen zum Kombattantenstatus in asymmetrischen Konflikten

Das Gebot, zwischen rechtmäßigen Angriffszielen und geschützten Personen zu unterscheiden, gehört zu den Grundpfeilern des tradierten Rechts im bewaffneten Konflikt. Aber durch asymmetrische Strategien und Taktiken, die zum Teil das rechtliche Gebot missbräuchlich zu nutzen versuchen, gerät es in der militärischen Praxis immer mehr ins Hintertreffen. Die damit zusammenhängenden praktischen Probleme haben zum einen eine bedeutende rechtshermeneutische Diskussion entfacht, zum anderen aber auch sog. „revisionistischen Theorien des gerechten Krieges“ Auftrieb gegeben.

Bernhard Koch
Kriterien der Rechtfertigung von zivilem Ungehorsam und Widerstand

Zu den wichtigsten Formen des politischen Protests – auch des friedensethisch motivierten – gehören die Weigerung aus Gewissensgründen, der zivile Ungehorsam sowie der passive und aktive Widerstand. Sie reagieren auf unterschiedliche moralische Zumutungen und richten sich gegen verschiedene politische Systeme. Daher müssen sie sorgfältig voneinander abgegrenzt werden und verlangen nach einer differenzierten moralischen Begründung.

Matthias Gillner
Zivile Konfliktbearbeitung und Krisenprävention – Politisch-ethische Kriterien zur Begründung

Die Begriffe „zivile Konfliktbearbeitung“ und „Krisenprävention“ haben sich in der außen- und entwicklungspolitischen Diskussion in den vergangenen Jahren fest etabliert. Die Protagonisten engagieren sich für eine Politik, die durch Vorbeugung und Transformation von Konflikten zur Gewaltminderung beiträgt und dem Ausbau ziviler Instrumente Vorrang vor militärischen Potenzialen einräumt. Es bedarf jedoch einer friedenslogischen und -ethischen Unterfütterung dieses Konzepts, wenn das Plädoyer für zivile Konfliktbearbeitung nicht zur Leerformel oder zum Alibi werden soll.

Martina Fischer
Just Policing: ein neues Paradigma?

Das Konzept des Just Policing, des gerechten polizeilichen Handelns, ist entwickelt worden, das Ideal der Gewaltfreiheit mit der internationalen Schutzverantwortung in Einklang zu bringen. Im Fokus dieses Ansatzes steht ein „rethinking war in terms of policing“ mit dem Ziel der Gewaltminimierung. In Auseinandersetzung mit diesem Konzept werden zwei Abgrenzungen – zwischen Militär und Polizei sowie zwischen Policing und Just Policing – vorgenommen und seine Potenziale in der internationalen Politik kritisch diskutiert.

Ines-Jacqueline Werkner
Transitional Justice: von der normativen Ausnahme zur weltpolitischen Regel

Transitional Justice ist zu einem globalen Handlungsmodell der versöhnungs- und friedensorientierten Vergangenheitsarbeit geworden. Das Konzept steht für ein breites Spektrum möglicher Handlungsoptionen, auf die Postkonfliktgesellschaften bei der Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen nach Krieg, Massengewalt und systematischer Repression zurückgreifen können. Hierbei reichen die Optionen von den strafrechtlichen, täterorientierten Instrumenten des Systems nationaler, internationaler und hybrider Strafgerichtsbarkeit bis hin zu den opferzentrierten Mechanismen von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen.

Fatima Kastner
Respekt und Anerkennung: ein vernachlässigter Weg zum Frieden?

Anerkennung ist ein fundamentales menschliches Bedürfnis. Wird sie Individuen oder ihren Identifikationsgruppen verweigert, kommt es zu Störungen von Kommunikation und Zusammenarbeit, weil Akteure ihren Anspruch auf angemessenen Respekt missachtet sehen. Umgekehrt spricht Vieles dafür, dass mehr Respekt friedliche Kooperation fördert. Ein stärkerer Fokus auf Anerkennungsfragen ist daher sinnvoll. Allerdings ist dabei zu beachten, dass eine respektvollere Außenpolitik immer mit Kosten verbunden ist und ein interkultureller Konsens über „angemessenen“ Respekt selten herzustellen sein wird.

Reinhard Wolf
Das Projekt Weltethos

Das Projekt Weltethos wird getragen von zwei Säulen: zum einen von der Vision eines weltweiten friedlichen Zusammenlebens, das seine notwendige Grundlage im Dialog und in der Verständigung zwischen den Religionen findet, zum andern vom Bewusstsein gemeinsam geteilter Werte und Normen, die über Religions- und weltanschauliche Grenzen hinweg als grundlegend und unverzichtbar für das gesellschaftliche Miteinander angesehen werden. Weltanschaulich-religiöser Pluralismus in modernen Gesellschaften und Globalisierungsdynamiken im internationalen Kontext bilden den zeitgeschichtlichen Hintergrund für den Diskurs um die Relevanz und Tragweite des Projekts Weltethos. Dabei verbindet sich das Selbstverständnis als universales Menschheitsethos mit dem Anspruch einer sozialmoralischen Integration angesichts der Erfahrung und Wirklichkeit lokaler Multikulturalität und religiöser Vielfalt.

Johannes J. Frühbauer

Ethische Selbstreflexion der Frieden- undKonfliktforschung

Frontmatter
Ethische Herausforderungen friedenswissenschaftlicher Politikberatung

Der Beitrag fragt nach den wissenschafts- und allgemeinethischen Anforderungen, die sich für die Friedensforschung als einem normativ gebundenen und praxisorientierten wissenschaftlichen Projekt ergeben. Er thematisiert die Spannungsverhältnisse, die sich einerseits aus den Ethos epistemischer Rationalität und wissenschaftlicher Verantwortung und andererseits aus der Wertgebundenheit der Friedensforschung sowie einer Politikberatung in einem Umfeld, das von ganz anderen Paradigmen und Rationalitäten geprägt ist, ergeben.

Thomas Nielebock
Zur kritischen Funktion zivilgesellschaftlicher Akteure

Seit den 1990er Jahren ist die Zahl der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie auch ihre Bedeutung national und international sprunghaft angestiegen. Sie sind inzwischen in verschiedensten Funktionen aktiv. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Initiativen, die zur Demokratisierung von Gesellschaft und Staat sowie zur Zivilisierung internationaler Beziehungen beitragen. So wird ihnen gegenwärtig angesichts einer Staatenwelt, die unter dem Druck zahlreicher Krisen zu erodieren droht, als Organisationen der Gesellschaftswelt gewaltmindernde Transformationskraft zugetraut. Allerdings sind sie nicht immer Aktivposten im Kampf für Menschenrechte, Demokratie, Frieden und Entwicklung. Dies tritt zutage, wenn sie monopolartig und intransparent auftreten, ihre Unabhängigkeit aufgeben, sich kommerzialisieren oder von staatlicher Seite instrumentalisiert bzw. unterdrückt werden. NGOs werden häufig als positiv zu beurteilende Akteure der Zivilgesellschaft eingestuft; das sind sie aber nicht per se, sie können auch negativ zu werten sein.

Ulrich Frey, Horst Scheffler
Zur Verantwortung der Friedensforschung: Autobiografische Anmerkungen

Der Artikel beschäftigt sich mit drei verschiedenen Dimensionen. Er geht aus von Kriterien für eine verantwortungsbewusste Analyse internationaler Konflikte. Im Anschluss daran wird an zwei Beispielen gezeigt, dass es auch in der Friedens- und Konfliktforschung selbst zu Aus einandersetzungen kommen kann, die einer angemessenen Bearbeitung bedürfen. Schließlich soll versucht werden, Friedens- und Konfliktforschung als einen „helfenden Beruf“ zu begreifen. Die Forderung, die eigenen Ressentiments oder seelischen Verstrickungen in Kon troversen über Frieden, Gewalt, Konflikte oder Geschlechterverhältnisse zu reflektieren, ist ein weiteres Kriterium für den sorgsamen Umgang mit dem Fach, seinen Gegenständen und der eigenen Person als Friedens- und Konfliktforscher.

Gert Krell
Backmatter
Metadaten
Titel
Handbuch Friedensethik
herausgegeben von
Ines-Jacqueline Werkner
Klaus Ebeling
Copyright-Jahr
2017
Electronic ISBN
978-3-658-14686-3
Print ISBN
978-3-658-14685-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-14686-3

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