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04.11.2022 | Selbstmanagement | Kolumne | Online-Artikel

Mythos Selbstorganisation im Realitätscheck

verfasst von: Nele Kreyßig

4 Min. Lesedauer

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Alle Macht dem Team und der Laden läuft - so leicht können es sich Führungskräfte nicht machen. Selbstorganisation im Unternehmen braucht klare Strukturen und Leitplanken, ist Nele Kreyßig überzeugt und räumt mit einigen Mythen rund um eigenverantwortliches Handeln auf.
 

In der zunehmend komplexen und dynamischen Wirtschaftswelt können nicht mehr Einzelne kritische Entscheidungen treffen. Es wäre nahezu unverantwortlich, weitreichende Entscheidungen nur einer einzigen Person zu überlassen. Ein vielfältiges Team kann sich herausfordernden Fragen viel zielführender nähern. Denn Menschen mit unterschiedlichem Fach- und Erfahrungswissen betrachten ein Problem aus verschiedensten Perspektiven – und entwickeln dadurch mehrdimensionale, kreativere und passgenauere Lösungsansätze. Ein besonders erfolgsversprechender Weg, mit der Komplexität unserer Zeit umzugehen, ist die Selbstorganisation. 

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2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

Selbstorganisationskompetenzen für die Arbeitswelt 4.0

Haupttreiber für Industrie 4.0 ist die fortschreitende Digitalisierung, die auch Mitarbeitende in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) vor neuartige Anforderungen stellt. 

Mit klaren Strukturen zum Erfolg 

Selbstorganisation bedeutet nicht, die Menschen sich selbst zu überlassen. Ganz im Gegenteil erfordert Selbstorganisation klare Strukturen, Orientierung, Regeln und Rahmenbedingungen sowie einen gewissen organisationalen beziehungsweise kulturellen Reifegrad. Denn ohne Koordination entstehen Missverständnisse, die schnell zu Motivations- und Produktivitätsverlust führen. 

Im Unternehmenskontext geht es immer um die ökonomische Frage, wie hoch die Transaktionskosten sind, um eine Entscheidung an der richtigen Stelle zu treffen. Manche Führungskräfte glauben, dass sie allein effizientere Entscheidungen treffen können als in der Gruppe. Das ist aber zu kurz gedacht. Wenn Menschen im Unternehmen Verantwortung übernehmen und sich selbst organisieren, dann wachsen sie an ihren Aufgaben. Das Ergebnis ist ein Unternehmen mit einer hohen Resilienz, das auch rasanten Marktveränderungen flexibel begegnen kann.

Wie sieht Selbstorganisation aus?

Eine Möglichkeit, sich als selbstorganisiertes Unternehmen aufzustellen, ist, die Beteiligten zunächst firmenrelevante Themenkreise erarbeiten zu lassen. Alle dürfen sich einen oder mehrere Kreise aussuchen, in denen sie von nun an einen Beitrag leisten möchten. Ein Beispiel: Der französische Automobilzulieferer FAVI hat sich bereits in den 1990er Jahren in interdisziplinaren "Mini-Factorys" organisiert, deren Schwerpunkte auf Kunden oder Produkten lagen. Bewährt haben sich auch organisatorische Themenkreise, die sich auf unterschiedliche Bereiche beziehen, etwa Koordinations-, Dienstleistungs- oder Geschäftskreise. Es kann für die Mitarbeitenden nachvollziehbarer sein, wenn die Namen der Themenkreise einen inhaltlichen Bezug haben – und nicht Einhorn-, Raketen- oder Powerkreis heißen. 

So ist es sicher verständlicher, was mit dem "Dienstleistungskreis Human Relations" oder dem "Geschäftskreis Digital Transformation" gemeint ist. Auch hier gilt – wie so oft – dass jedes Unternehmen seinen eigenen Weg finden darf, denn die Umsetzung muss am Ende zur Kultur passen. Entscheidend ist, dass die Teams in der neuen Organisationsform eigenständigEntscheidungen treffen können, die einen direkten Impact auf den Geschäftszweck haben. Denn dadurch erhöht sich ihr Commitment – was sich wiederum in einem positiveren Geschäftsklima bemerkbar macht.  

Kollegiale Führung als Möglichmacherin

Eine weitere typische Fehlannahme: Selbstorganisation schafft Führung ab. Diese Annahme resultiert aus dem vermeintlichen Kontrollverlust, den Führungskräfte erfahren, wenn sich die Mitarbeitenden autonom koordinieren. Aber weit gefehlt. Führung ist enorm wichtig für eine gut funktionierende Selbstorganisation. Sie verschiebt sich nur. Kollegiale Führung bereitet den Weg, hält Teams den Rücken frei und macht Selbstorganisation erst möglich. Die Geschäftsführung und Führungsmannschaft ist nur nicht mehr das Machtzentrum, sondern ein Vorbild, das die Menschen mit einbindet.

Kollegiale Führung ist kein Selbstzweck – und schon gar kein Recruiting-Instrument. Sie muss von Herzen kommen und gewollt sein. Kollegiale Führungskräfte sind von den Menschen überzeugt, weil sie wissen: Wenn die Mitarbeitenden sich ihre Themen und Verantwortungsbereiche selbst erarbeiten, schaffen sie sich einen Sinn und eine Identität, die ins Unternehmen übergehen. 

Die lernende und zukunftsfähige Organisation

Ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Umsetzung von Selbstorganisation: Das Verständnis und die Überzeugung müssen auf allen Ebenen vorhanden sein. So eine organisationale Umstellung ist kein Selbstläufer, sondern ein kontinuierlicher Weg. Sie erfordert Offenheit, eine Feedback- und Fehlerkultur sowie unermüdliche Kommunikation. Für die Geschäftsführung bedeutet das, Informationen und Kennzahlen mit allen Mitarbeitenden zu teilen. Nur so können die autonomen Teams richtige Entscheidungen treffen: Passt das zur Strategie? Können das Angebot so an den Kunden gehen? Kann sich das Unternehmen einen Schritt finanziell leisten? 

Wenn dieses Vertrauen vorhanden ist, dann geben es die Menschen zurück – in Form von Engagement, Kreativität und Bindung. Die Organisation wird schneller, kreativer, effizienter, die Mitarbeitenden fühlen eine starke Identifikation mit dem Unternehmen. Es entsteht eine lernende Organisation, in der Menschen wachsen können – und wo Profit nicht die einzige Priorität ist, sondern ebenso die gesellschaftliche und ökologische Verantwortung.

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