Automarken erleben in einer aktuellen Umfrage ein Comeback und können sich gut gegen die sonst sonst so dominanten US-Internetgiganten behaupten. Doch das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Automobilindustrie Herausforderungen wie Elektromobilität und neue Mobiliätskonzepte erst noch bewältigen muss, so Gastkolumnist Alexander Beutel.
Sinkende Produktionszahlen, leere Fabrikhallen, nur noch autonom gesteuerte, uniforme Fahrgastzellen auf den Straßen? Von wegen. Die apokalyptischen Abgesänge auf die Autoindustrie kommen zu früh. Das Ende des Zeitalters der glänzenden Karossen, so wie es etliche Medien und Beobachter es prophezeien, lässt auf sich warten. Zumindest noch ein paar Jahre. Zwar hat das Auto als Statussymbol gerade in der jungen Generation ausgedient, doch das bedeutet keinesfalls den Anfang vom Ende der volkswirtschaftlich so wichtigen Branche. Im Gegenteil: Die Trends des digitalen Wandels bieten der Automobilindustrie die Chance, sich neu zu erfinden und für Kunden relevante Angebote und Erlebnisse zu entwickeln. Auch wenn sie auf Sicht der kommenden fünf Jahre hin noch nicht unmittelbar eine dominanten Ergebnisbeitrag für die Konzerne darstellen werden.
Mobilitätsdienste punkten bei jungen Zielgruppen
Tatsache ist: Aus Sicht der jungen Menschen liegt die Zukunft der Autoindustrie weniger im Besitz eines Autos, sondern vielmehr in der Nutzung. Gut gelungen ist vor diesem Hintergrund der Service der Mobilitätsdienste Free Now (ehemals my Taxi) und der Schwesterfirma Share Now – beides Gemeinschaftsfirmen von Daimler und BMW. Die Unternehmen sind, obwohl noch nicht lange am Start, unter den beliebtesten Marken der Deutschen – so der Brand Relevance Index® der Strategieberatung Prophet. Ihr Service ist für Kunden relevant, bietet Freiheit, Transparenz und Nutzwert.
Erstaunlich in der Top 50 der relevantesten Marken ist das kräftige Comeback der gebeutelten Autobranche, die in den vergangenen Jahren hinter den dominanten US-Internetkonzernen und Streaminganbietern verschwanden. Insgesamt haben alle Autokonzerne im BRI-Ranking von Prophet ordentlich zugelegt. Es geht thematisch wieder mehr um die Mobilität der Zukunft – und hier wird das Auto weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Wer hätte gedacht, dass etwa die Marke BMW im Leben der Menschen relevanter ist als Spotify oder Mercedes als Microsoft? Die deutschen Autokonzerne haben nach Jahren der Fokussierung auf Hardware, Produktion und Einkauf erfolgreich umgesteuert, stellen sich für den digitalen und gesellschaftlichen Wandel neu auf und entdecken die Zugkraft des Themas "neue Mobilität“.
Neuen Mobilitätskonzepten fehlt bislang Akzeptanz
Doch das Ende der Autoindustrie wird durch die diese Trends vorerst nicht eingeläutet. Das Prinzip Carsharing leuchtet zwar ein und fällt in Sachen Umwelt und Nachhaltigkeit nicht nur bei Millennials auf fruchtbaren Boden. Es ist absolut sinnvoll, wenn Konzerne wie BMW, Mercedes und Volkswagen neue Mobilitätskonzepte testen und anbieten. Doch um ein solches Angebot ökonomisch zu betreiben, müssen bestimmte Größenordnungen erreicht werden – und hier machen die gegebene Nachfrage und hohen Kosten den Protagonisten noch einen Strich durch die Rechnung. Laut einer aktuellen Studie gibt es in Deutschland nur vier Millionen Menschen, die für die Nutzung eines solchen Dienstes in Frage kommen – also gerade einmal fünf Prozent der Bevölkerung. Viele Kunden, gerade auf dem Land, seien eben nicht bereit auf das eigene Auto komplett zu verzichten, lautet das Fazit der Studie.
Und auch das Thema Elektromobilität tut sich schwer, in der Breite am Markt angenommen zu werden. Die geringe Nachfrage und die hohen Kosten setzen Anbietern wie Volkswagen, BMW oder Mercedes zu. Im ersten Halbjahr 2019 kamen E-Mobile in Deutschland gerade einmal auf einen Marktanteil von 2,6 Prozent. Die E-Autos sind vielen potenziellen Kunden einfach noch zu teuer, haben eine zu geringe Reichweite und es fehlen Ladestationen. Elektromobile verdrängen in der eigenen Familie höchstens das Zweit- oder Drittauto. Und doch ist die Entwicklung insbesondere vor dem Hintergrund der gegebenen Regulierung alternativlos.
Autohersteller müssen trotz schmelzender Erlöse investieren
Die deutschen Autohersteller tun weiter gut daran, dem Wandel in ihrer Branche und vor allem der sich verändernden Einstellung der Menschen zu begegnen und damit einhergehend Fahrzeuge im Kontext von Mobilität zu entwickeln. Das heißt auch, sich zunehmend auf neue Ownership-Modelle und neue Umsatzchancen zu fokussieren – wobei das Auto neben Bahn, Fahrrad oder E-Roller ein Kernbestandteil der gesamten Lösung ist. In der Sprache der Experten heißt dieser Trend "Mobility as a service" (MaaS).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es für die Autoindustrie auf die kommenden Jahre hin eine erhebliche Herausforderung bleiben wird, die Transformation zu gestalten – auch aufgrund ihrer Legacy und den kurzfristigen Ansprüchen von Seiten der Shareholder. Doch die Zeitenwende ist absehbar und die Relevanz klar gegeben. Für eine gewisse Zeit wird das Dilemma bleiben, da gleichzeitig ehemals gegebene Ergebnisbeiträge gerade aus dem Verkauf von Fahrzeugen abschmelzen werden und zugleich Investitionen in die Zukunft gestemmt werden müssen. Es gilt, das Automobil im Kern neu zu denken – verbunden mit erheblichen Investitionen in neue Technologien – und zugleich Mobilität im größeren Kontext zu denken und profitabel gestalten.