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18.02.2022 | Unternehmensstrategie | Kolumne | Online-Artikel

Die Listenblindheit deutscher Manager

verfasst von: Andreas Franken

4 Min. Lesedauer

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Während deutsche Manager zwischen Strategie und Taktik oft nicht unterscheiden können, zählen bei chinesischen Top-Managern Supraplanung, Moulüe sowie Strategeme zu den Management-Werkzeugen. Auch damit ist der wirtschaftliche Aufschwung Chinas zu erklären.

Wissen Sie, was Moulüe ist? Ich selbst habe erst im Zuge diverser Beratungsprojekte mit chinesischen Unternehmen weitreichende Einblicke in Moulüe beziehungsweise Supraplanung gewinnen dürfen. Wer die jüngere Geschichte Chinas und auch die Entwicklung chinesischer Unternehmen verfolgt, wird festgestellt haben, dass man dort aus einer Position der Schwäche heraus vieles erreicht hat. Ein Blick auf die Entwicklung des jährlichen chinesischen Pro-Kopf-Einkommens zeigt eine Steigerung von 160 US-Dollar in 1978 auf über 8.000 US-Dollar im Jahr 2017. Innerhalb von 35 Jahren sind 600 bis 700 Millionen Menschen aus extremer Armut befreit worden. Das war nur mit Moulüe möglich.

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Was genau ist Moulüe?

Moulüe-Kompetenz könnte man als Synthese aus Strategie- und Taktikwissen nach dem Vorbild von Carl von Clausewitz und dem Strategem-Wissen (36 Strategeme) der Chinesen bezeichnen. Dem Buch "Vom Kriege" ist der Satz "Die Strategie ist die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Krieges, die Taktik ist die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht" zu entnehmen. Demgegenüber definiert der Sinologe und Rechtswissenschaftler Harro von Senger Moulüe als "die Lehre vom Gebrauch unlistiger und listiger Strategien und Taktiken zum Zwecke des Sieges, optimalerweise unter Vermeidung eines Krieges und daher ohne den Gebrauch der Streitkräfte." 

Zentrales Element sind "Die 36 Strategeme", eine höchststrukturierte Zusammenstellung von 36 Listen und ihrer Anwendungsmöglichkeiten, die sich nicht auf das Militärische beschränken, sondern auf das gesamte Spektrum politischer, diplomatischer, wirtschaftlicher, sozialer und sonstiger Interaktionen im zwischenmenschlichen Umgang anwenden lassen.

Anwender dieser Wissensschätze gewinnen auch gegen stärkere Gegner, da stärkere Gegner sich nicht selten auf ihre Stärken verlassen und hierbei versäumen, sensibel für Listen zu bleiben. Hieraus resultiert einerseits, dass die Anwendung von List im eigenen Repertoire nicht oder nicht gezielt eingesetzt vorkommt und andererseits eine gewisse Listenblindheit bei deutschen Managern vorzufinden ist, sodass sie auch nicht oder zu spät merken, wenn sie überlistet werden.

Wie Supraplanung wirkt

Moulüe oder Supraplanung ist gemäß von Senger das Ergebnis von Geisteskraft, strategemischer Weisheit und praktischer Intelligenz. In einer Konfrontation wird der Gegner systematisch dazu gebracht, sich aufgelöst, hilflos oder fassungslos wiederzufinden, sodass er sein Potenzial verliert. "Es geht also darum, sich selbst in eine überlegene und das Gegenüber in eine unterlegene Lage zu manövrieren und es dazu zu verleiten, in die von der eigenen Seite gewünschte Richtung zu agieren."

Dies geht weit über die in Deutschland häufig als die Maxime gesehene Intelligenz hinaus, denn Intelligenz ist lediglich die Fähigkeit, sich in neuen Situationen durch Einsicht zurechtzufinden und Aufgaben durch Denken zu lösen. Erfahrung, herausragende Geisteskraft, historisches, zeitgenössisches und branchen- sowie marktbezogenes Wissen, strategemische Weisheit, Klugheit und vieles Weitere mehr spielen bei isoliert betrachteter Intelligenz keine Rolle, sondern eher das schnelle Erfassen von Beziehungen und deren Kombination. Wäre Intelligenz tatsächlich die überlegene Eigenschaft, dürfte niemals ein IQ 160 für einen IQ 100 arbeiten.

Der Begriff 'Strategie' wird zumeist inflationär verwendet, wenn die hiermit verbundenen Aktivitäten als listfrei oder sogar an Regeln gebunden sind. Viele verwechseln Strategie auch mit Taktik. Schach kann naturgemäß kein Strategiespiel sein, da dieses analog zur Spieltheorie an feste Regeln gebunden ist und das eigene Spiel von den Handlungen des Gegners abhängt. Wenn man dem Gegner zuvor ein Halluzinogen verabreichen würde, hätte dies schon eher mit Strategie zu tun als ein regelkonformes und auf taktischen Maßnahmen basierendes Verhalten.

Der listige Starke ist schwer zu besiegen

Viele Deutsche sind von einem grenzenlosen Glauben an das Gute geleitet. Jemandem vertrauen gilt als Tugend. Glaube ist eine der drei christlichen Tugenden. Dies wird viel zu häufig so interpretiert, dass man blind vertrauen, also das Gute unterstellen soll. Demnach basiert Vertrauen eben nicht auf der Summe bisheriger Erfahrungswerte, sondern einfach auf dem naiven Glauben, dass der Andere seinen Vorteil nicht nutzen wird. Als Geschenk. Als Vertrauensvorschuss. 

Diese hieraus resultierende Listenblindheit käme einem Chinesen nicht in den Sinn, denn diese fürchten eher, was ihrer Kontrolle entgleitet. Deshalb planen chinesische Manager mit Supraplanung und Strategemen oft viel sorgfältiger als deutsche Manager mit ihrem Mischmasch aus "Strategietaktik". Würden sich deutsche Manager mit den weiterführenden chinesischen Disziplinen befassen, würde ihnen dies sicher nützen. Man bedenke erstens, dass ein listiger Schwacher einen unlistigen Starken überlisten kann, aber keinen listigen Starken. Und man bedenke zweitens, dass gerade im Management so mancher sein wahres Wesen versteckt.

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